Titel
Griechische
Musik. Die Grundlage des griech. Tonsystems ist ein Komplex von vier Tönen, Tetrachord (Viersaiter) genannt. Zwei solcher Tetrachorde e, f, g, a und a, b, c', d' bilden die dor. siebensaitige Lyra. [* 2] Obgleich bereits Terpander von Lesbos (7. Jahrh. v. Chr.) eine hohe e'-Saite kannte, behalf man sich doch lange Zeit der heiligen Siebenzahl zuliebe in der obern Hälfte der Oktave mit einer unvollständigen Tonreihe, und erst die am Hofe des Hipparch (um 520 v. Chr.) in Athen [* 3] thätigen Musiker Lasos und Simonides scheinen die Oktave vervollständigt zu haben. Die Tetrachorde waren nun: e, f, g, a und h, c', d', e'; Grundton war das in der Mitte liegende a. Während dieser Umfang in den mit einfacher Lyra begleiteten Skolien (Rundgesängen) der griech. Jugend niemals überschritten wurde, spannten die Künstler auf ihrer Kithar auch tiefere Saiten auf. In der Blütezeit griech. Dichtung und Sangeskunst besteht das Tonsystem aus folgenden Klängen:
^[Tabelle mit geschwungenen Klammern] [* 4]
e' Nete | hohes Tetrachord. |
---|---|
d' Paranete
c' Trite
h Paramese
a Mese | mittleres Tetrachord. |
---|---|
g Lichanos
f Parhypate
e Hypate
d Lichanos | tiefes Tetrachord. |
---|---|
c Parhypate
H Hypate
A Proslambanomenos.
Die um 400 v. Chr. in Athen thätigen Dithyrambendichter brachten dazu eine hohe f-Saite in Aufnahme und später wurde den drei Tetrachorden noch ein viertes, das der überhohen Töne a', g', f', e' (von oben nach unten) beigefügt.
Den Weisen, die man von alters her zum Trankopfer blies oder sang, lag indes eine noch einfachere Tonreihe als das Tetrachord zu Grunde. Man übersprang den Ton g und ließ die Stimme nach dem lange und vielgebrauchten Ton a gleich auf f hinabsinken; endlich löste sich dieser als Vorhalt gebrauchte Ton in das tiefe e auf. (Plutarch, «Musik», Kap. 11; Aristoteles, «Probleme», 19, 3 und 4). Diese Tonweise hieß die enharmonische. Das Überspringen des Tones g blieb in dieser Sangesart stets Sitte; wollte man noch eine vierte Saite im Tetrachord verwenden, so stimmte man die ehemalige g-Saite auf f herab und legte zwischen den Leiteton f und die Schlußnote e noch einen Zwischenton ein. In diesem Falle hatte das enharmonische Klanggeschlecht von oben nach unten gerechnet erst eine große Terz (a-f), dann zwei Vierteltöne (f-e). Das chromatische Geschlecht, von dem die theoretischen Schriftsteller auch gern reden, war wohl nie recht in Übung. Es soll erst eine kleine Terz, dann zwei halbe Töne umfaßt haben: a ges f e.
Mehrstimmigen Gesang hat es im alten Griechenland [* 5] nie gegeben, auch auf Saiteninstrumenten hat ¶
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man, wie es scheint, fast immer im Einklang gespielt; dagegen war das Spiel auf der Doppelflöte zweistimmig. Dabei wurde neben der Oktave nur die Quinte und Quarte als Konsonanz angesehen, die Terzen galten in der Theorie wie in der Praxis als Dissonanzen. Daß sie also jemals zu einem Schlußaccord verwendet worden wären, ist völlig undenkbar.
Was die Tonarten betrifft, so bestand von alten Zeiten her neben der bisher besprochenen dor. Tonleiter (e a e') eine phrygische und eine lydische. Die Eigentümlichkeit der phrygischen bestand darin, daß der halbe Ton jedesmal die Mitte des Tetrachords einnahm, also:
d | e f | g und a | h c' | d' | |
---|---|---|---|---|---|
oder | e | fis g | a und h | cis' d' | e'. |
Die lydische Tonart dagegen hatte wie unsere Durtonleiter den Halbton oben:
c | d | c f | und g | a | h c' | |
---|---|---|---|---|---|---|
oder | f | g | a b | und c' | d' | e' f' |
oder | e | fis | gis a | und h | cis' | dis' e'. |
Schon die von Ptolemäus in seiner «Harmonik», 2, Kap. 11 angestellte Erwägung, daß für den Gesang in jeder Tonart ein und dieselbe Oktave am bequemsten sei, weil die Stimme sonst zu hoch geschraubt oder zu tief gedrückt werde, legt uns den Gedanken nahe, auch die phrygische und lydische Tonart von e bis e' anzusetzen. Für die achtsaitige Lyra hatte man ohnehin keine andere Wahl; überdies wird nur durch diese Annahme der Umstand erklärlich, daß später bestimmte Versetzungen der dor. Grundskala als phrygisch oder lydisch bezeichnet werden. Thatsächlich heißt die um einen ganzen Ton höher laufende, im übrigen dem dor. Grundsystem nachgebildete Tonleiter bei allen Schriftstellern eine phrygische. Die Sache wird erklärlich, wenn man sich die oben angeführte phrygische Oktave e fis g a u. s. w. zu einem ähnlichen System wie das oben angegebene erweitert denkt: H cis d e, fis g a h, cis' d' e' fis'.
Der stets nach seinen heimatlichen Begriffen rechnende Grieche hatte sich offenbar auf seiner Lyra das Phrygische [* 7] durch Erhöhung der f-und c-Saite hergestellt; dann aber konstruierte er sich aus dieser fremdländischen Tonreihe wieder ein System H cis u. s. w., welches seinem nationalen Grundsystem A h c d u. s. w. aufs Haar [* 8] glich, nur um einen Ton höher gestimmt war. Der Ausdruck tonos phrygios, phrygische Stimmungsart, ursprünglich von der Art gebraucht, in der man sich eine Lyra phrygisch stimmen konnte, bezeichnet in der spätern Zeit eine Tonreihe, die einen Ton höher steht als das Grundsystem. Ebenso erwuchs aus der Reihe e fis gis a h cis' dis' e' (aus der der Lyra angepaßten lydischen Oktave mit Höherstimmung von vier Saiten) eine Nachbildung des dor. Grundsystems, die um eine große Terz höher stand als dieses und mithin cis zum Grundton hatte.
Die bis zur Quinte abwärts verlängerte Tonreihe enthielt neben der dor. Grundoktave e-e' mit Grundton a in der Mitte noch eine eng verwandte als hypodorisch oder halbdorisch bezeichnete Oktave A-a. Auch der mit zwei Erhöhungen gebildeten phrygischen Tonleiter ging eine ebenso zusammengesetzte Reihe von A-a als hypophrygische Tonart mit Halbton an dritter und sechster Stelle zur Seite, und ein Gleiches war wiederum mit der lydischen Tonart der Fall: hypolydisch A-a mit vier erhöhten Stufen.
Übertrug man aber auch diese Nebenoktaven auf den Umfang e-e' der Lyra, so bekam man:
Dorisch: | e | f | g | a | h | c' | d' | e' | |||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Hypodorisch: | e | fis | g | a | h | c' | d' | e' | |||||
Phrygisch: | e | fis | g | a | h | cis' | d' | e' | |||||
Hypophrgisch: | e | fis | gis | a | h | cis' | d' | e' | |||||
Lydisch: | e | fis | gis | a | h | cis' | dis' | e' | |||||
Hypolydisch: | e | fis | gis | ais | h | cis' | dis' | e' | |||||
Wie aus den drei Hauptskalen Nachbildungen des Grundsystems (transponierte Skalen) entstanden waren in A-, H- und Cis-moll, so erwuchsen aus den drei Nebenoktaven eben solche Versetzungen in E-, Fis- und Gis-moll.
In röm. Zeit änderte sich das System. Normaloktave war nicht mehr e-e', sondern f-f'. Aus dieser Periode haben wir die Notenverzeichnisse des Alypios, in denen die nie gebrauchte hypolydische Skala die einfachste, während die dorische einer künstlich abgeleiteten Tonart mit 5 b ^[vgl. Abb] gleich sieht.
Der durch Terpander von Lesbos begründete kitharodische Nomos (Sologesang eines Virtuosen, von ihm selbst
auf der großen, zum Konzert geeigneten Kithar begleitet), dessen Inhalt Lobpreis und Anrufung einer Gottheit bildete, blieb
allezeit die am meisten bewunderte, bei allen Gesangsfesten am höchsten geehrte Leistung musischer Kunst. Auf derselben
äol. Insel bildete sich durch Alcäus und Sappho um 600 v. Chr. eine mehr auf persönliches Empfinden gerichtete
Sangesart aus, die man sich auf der jedem Griechen vertrauten Lyra begleitete, und die leichtlebigen Bewohner der gesegneten
ion. Kolonialstädte machten sich diese lyrische Poesie gern zu eigen (Anakreon 530). Rein instrumentales Zitherspiel, in Argos
um 570 v. Chr. aufgebracht und später regelmäßig zur Preisbewerbung bei Musik
festen zugelassen, konnte
sich dem Gesang gegenüber nie zu großer Bedeutung erheben.
Dem lange Zeit als ungriechisch gehaßten Aulos, einem nach Art der Klarinette gebauten Doppelinstrument, hat dagegen Sakadas
um 580 v. Chr. nicht nur dauernde Zulassung zur Preisbewerbung an dem pythischen Normalfeste verschafft, indem er den Kitharoden
zum Trotz Apollos Kampf und Sieg über den delphischen Drachen in einem mehrteiligen Konzertstück mit malender
Programm-Musik darzustellen wußte (pythischer Nomos). Die den Saiteninstrumenten an Schallkraft weit überlegene Doppelflöte
errang sich sogar mit der Zeit immer steigenden Einfluß auf das musik
alische Leben in Griechenland. Im dor.
Peloponnes war die Flöte von Anfang an geduldet gewesen; für den dort aufblühenden Chorgesang war sie ja ohnehin kaum zu entbehren. Nachdem man nämlich von jeher Götter und Heroen durch festliche Reigen und Prozessionen geehrt hatte, ließ sich besonders der dor. Stamm die Ausbildung dieser mit Gesang verbundenen Chortänze angelegen sein, indem Alkman (um 640 v. Chr.) die Spartaner, Stesichoros (um 580 v. Chr.) die Bewohner der sicil. Kolonien mit solchen Liedern versorgte. In ihre Fußstapfen tretend, hat der thebanische Pindar den Ruhm olympischer und pythischer Sieger mit seinen Chorhymnen verherrlicht. Als sodann im 5. Jahrh. v. Chr. an dem großen Dionysosfeste zu Athen Äschylos und Sophokles ihre Dramen zur Aufführung brachten, da stand hinter der Tiefe ihrer Gedanken und der Schönheit ihrer Sprache [* 9] die melodische und rhythmische Gestaltung ihrer Chorgesänge keineswegs zurück. Athens Blütezeit war zugleich der ¶
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Höhepunkt musischer Kunst in Griechenland. Im folgenden Jahrhundert begann durch Timotheos von Milet u. a. Dithyrambiker der Gesang in leere Künstelei auszuarten, und in der hellenistischen Zeit blühten zwar in Teos wie anderwärts Kunstschulen, allzeit bereit zu jedem Feste die gewünschte Zahl von Virtuosen zu entsenden, aber der edle Gehalt echter, anspruchsloser Kunst war geschwunden.
Die griechische
Notenschrift war eine Buchstabenschrift, die, nach den geringen Resten der überlieferten Tonstücke zu schließen,
bereits weit entwickelt war und sogar die Singnoten von den Instrumentalnoten unterschied. Die Dauer des Tones wurde für den
Gesang nicht notiert, weil sie sich aus dem Metrum des Textes ergab; dagegen hatte man bestimmte Zeichen
für die Tondauer, Taktart, Pausen u. s. w. in der Instrumentalmusik. «Die Hymnen des Mesomedes» (120 n. Chr.), ziemlich die
einzigen aus dem Altertum erhaltenen Melodien, hat F. Bellermann (Berl. 1840) herausgegeben. Reicher sind wir mit Schriften trockner
Theoretiker versehen. Sieben derselben hat Meibom (Amsterd. 1652), drei andere (Ptolemäos,
Porphyrios, Bryennios) Wallis
(«0pera», Bd.
3, Oxf. 1699), den Boethius Friedlein (Lpz. 1867), den Hauptschriftsteller Aristoxenos Marquard in neuer Bearbeitung
(Berl. 1868) und Westphal (Lpz. 1893),
den Theon Hiller (ebd. 1878),
den Aristides Quintilianus A. Jahn (Berl. 1882), den Bakcheios C. von Jan (Straßb. 1890-91) herausgegeben. Von neuern Schriften sei erwähnt: F. Bellermann, «Die Tonleitern und Musiknoten der Griechen» (Berl. 1847);
Roßbach [* 11] und Westphal, «Metrik der griech. Dramatiker und Lyriker», 2. Tl., 1. Abteil.: «Harmonik und Melopöie» (zuerst Lpz. 1863, in den spätern Auflagen nur mit großer Vorsicht zu benützen);
der Artikel von Fortlage, «Griech. Musik» in Ersch und Grubers «Encyklopädie» (Sekt. 1, Bd. 83, Lpz. 1863);
Gevaert, «Histoire et théorie de la musique de l'antiquité» (2 Bde., Gent [* 12] 1875-81).
Über die griech. Tonarten handelt C. von Jan in der «Allgemeinen Musik
zeitung», 1878, S. 705, über die Flöten
in der «Allgemeinen Musik
zeitung», 1881, S. 465; über die Saiteninstrumente im «Programm» des Saargemünder
Gymnasiums 1882; über pythische und andere Festspiele in dem «Bericht» über die Philologenversammlung zu Zürich
[* 13] 1887, S. 71.
Altgriech. Musikinstrumente waren:
1) Saiteninstrumente, die oben erwähnten echt griechischen:
Lyra und Kithara,
[* 14] die übrigen vermutlich asiat. und ägypt.
Abstammung: Barbiton, Pectis, Magadis, Simikion, Epigonion, Trigonon, Sambyke, Psalterion, erst in spätröm.
Zeit kommt das Pandurion auf, ein Instrument mit Griffbrett;
2) Blasinstrumente: Rohrflöte (Aulos), Pansflöte (Syrinx), Trompete (Salpinx), [* 15] Horn (Keras), Wasserorgel (Hydraulis);
3) Schlaginstrumente: Krembalon, Krotalon (Holzklapper), Seistron (lat. Sistrum, [* 16] ägypt. Klapperinstrument), Kymbalon (lat. Cymbalum, Becken), Tympanon [* 17] (Handpauke, Tamburin), Krupezion (lat. Scabellum), mit dem Fuße getreten zur Angabe des Taktes.