Titel
Griechische
Kirche (griechisch-katholische oder, wie sie sich selbst gern nennt, orientalisch-orthodoxe Kirche), derjenige der drei Hauptzweige der christlichen Kirche, welcher die im ehemaligen oströmischen Reiche geltenden Dogmen, Gebräuche und Verfassungsformen beibehalten hat und gegenwärtig in Vorderasien und im Osten von Europa [* 2] herrschend ist.
Geschichtliche Entwickelung.
Die Griechen waren zwar kein selbständiges
Volk mehr, als sie die
christliche Religion annahmen; aber
sie liehen derselben doch ihre
Sprache
[* 3] und den weit ausgebreiteten Schauplatz ihrer
Bildung, wiewohl dabei das eigentliche
Griechenland
[* 4] hinter
Alexandria zurücktrat (s.
Alexandrinische Schule). Während aber noch durch das ganze 4. Jahrh. das
Abendland
theologisch abhängig ist von dem
Geiste der griechischen
Kirche, ging in den folgenden
Jahrhunderten allmählich
auch die Trennung des
Orients und
Occidents von dem politischen
Boden auf den kirchlichen über, und zwar standen im
Osten die
Patriarchate von
Konstantinopel,
[* 5]
Alexandria,
Antiochia,
Cäsarea und
Ephesos,
[* 6] auch wohl
Jerusalem,
[* 7] lange koordiniert nebeneinander,
und erst allmählich hob sich der Bischofsitz zu
Konstantinopel durch die Bedeutung dieser Stadt und die
Größe seines
Sprengels zu solchem allgemeinen Ansehen, daß er mit
Rom
[* 8] rivalisieren konnte. Daß der entferntere
Orient kein
drittes kirchliches Ganze bildete, sondern sich der griechischen
Kirche anschloß, erklärt ein flüchtiger
Blick auf den Schauplatz
und den Zusammenhang der damals die ganze morgenländische
Kirche so sehr bewegenden dogmatischen, namentlich
christologischen, Streitigkeiten, die in der
Regel in
Konstantinopel durch kaiserliche Einflüsse entschieden wurden, zum
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Teil freilich nur um den Preis einer schismatischen Absonderung der Nestorianer, Monophysiten und Monotheleten, so daß die kirchliche
Einheit im Orient bald ganz verloren ging. Die griechisch-kirchliche Litteratur hatte sich während ihrer Blütezeit im 4. bis 6. Jahrh.
in außerordentlicher Fülle und Vielseitigkeit entwickelt; wir erinnern nur an die dogmatischen Werke
Theodorets und des Areopagiten Dionys, an die kirche
nhistorischen Werke des Eusebios und Epiphanias, an die Homilien und Reden
des Chrysostomos, Gregor von Nyssa, Basilius d. Gr. und Gregor von Nazianz, an die exegetischen Werke des Diodoros von Tarsos und
Theodoros von Mopsuestia, an die liturgischen Erzeugnisse, welche unter den Namen des Markus und Jakobus,
des Basilius und Chrysostomos gehen, an die Katechesen des Cyrillus von Jerusalem und die Beiträge zur geistlichen Poesie und
Hymnologie.
Unter den Epigonen stellte der Mönch Johannes Damascenus (s. d.) die Resultate der Glaubensstreitigkeiten zusammen und schloß
damit die Dogmatik für seine Kirche auf ein Jahrtausend ab. Verschiedene Umstände lockerten gleichzeitig
die Gemeinschaft der griechischen
Kirche mit der abendländischen. Schon 484 trat infolge eines vom Kaiser Zeno 482 erlassenen,
den Lateinern anstößigen Edikts (Henotikons) ein förmliches Schisma ein, welches bis 519 währte. Das zweite trullanische
Konzil von 692 war in seinem Resultat geradezu eine Beleidigung Roms, und in den Streitigkeiten über Bilderdienst
und Bilderverehrung (s. d.) stand der Papst gewöhnlich auf der Gegenseite zu den griechischen
Kaisern.
Der wirksamste Grund zur wachsenden Entzweiung ist aber in der fortschreitenden Zentralisation der occidentalischen Kirche unter
dem römischen Papsttum zu suchen. Schon Photius (s. d.) beschwerte sich über die Herrschsucht des römischen
Bischofs, welcher auch den byzantinischen Patriarchen sich zu unterwerfen trachte, und die Erbitterung wurde noch gesteigert,
als der von griechischen
Priestern bekehrte König der Bulgaren, Bogoris, in den Verband
[* 10] der abendländischen Kirche gezogen
wurde (866). Photius erließ zur Abwehr der römischen Übergriffe ein Rundschreiben (867), welches die abweichenden Gebrauche
der abendländischen Kirche, das Fasten am Sonnabend, die Erleichterung der großen Fasten, die Verwerfung
der Firmung durch die Hand
[* 11] des Presbyters und das Verbot der rechtmäßigen Priesterehe als Ketzereien rügte und gegen die
lateinische Kirche zugleich den Vorwurf der Symbolfälschung erhob, da die noch vom Papst Leo III. zwar an sich gebilligte,
aber als Zusatz im Symbol gemißbilligte Lehre
[* 12] vom Ausgang des Heiligen Geistes »auch vom Sohn« (filioque) in die lateinische
Fassung des Symbols aufgenommen worden war.
Das gute Einvernehmen mit Rom wurde zwar durch den Sturz des Photius wiederhergestellt, aber des letztern Rundschreiben war ein bleibendes Zeugnis der Verschiedenheit beider Kirchen. Als vollends ein Schreiben des Patriarchen Michael Cärularius (s. d.) zu den hergebrachten Vorwürfen wider die römische Kirche noch den Gebrauch von ungesäuertem Brot [* 13] beim Abendmahl als jüdische Ketzerei hinzufügte, legten die römischen Legaten den päpstlicherseits gegen den Patriarchen erlassenen Bannspruch auf dem Hochaltar der Sophienkirche nieder.
Michael säumte nicht, im Verein mit den übrigen orientalischen Patriarchen den Fluch zu erwidern, und so waren von jetzt an
die Kirchen des Morgenlandes und des Abendlandes, die beide ausschließende Ansprüche auf Katholizität
machten, auf immer
getrennt. Voll zähen Selbstgefühls, stolz auf den Besitz der ältern kirchlichen Verfassung und Sitten
sowie mancher einfacherer Lehrbestimmungen und echterer Überlieferungen, schloß sich die griechische
Kirche immer schroffer gegen die
Fortentwickelung im Occident ab. Einzelne Versuche der Ausgleichung dienten nur dazu, den Riß zu erweitern, und die Heereszüge
der Kreuzfahrer steigerten den kirchlichen Gegensatz zum Nationalhaß.
Solange das lateinische Kaisertum bestand, verhinderte ebensowohl der gereizte Widerwille der Griechen gegen ihre politischen Unterdrücker wie die Anmaßung der triumphierenden lateinischen Kirche eine Aussöhnung. Das Gebiet der griechischen Kirche erweiterte sich zwar durch die Wiedergewinnung der Bulgarei, durch die Bekehrung sowohl der Mainoten als der Slawen in Böhmen [* 14] und Mähren, die jedoch im 10. Jahrh. meist zum römischen Kultus übertraten, und durch die Gründung der russischen Kirche unter Wladimir d. Gr., erlitt aber anderseits Abbruch durch die von den Lateinern und Türken gemachten Eroberungen.
Die kirchliche Wissenschaft beschränkte sich auf eine mechanische und äußerliche Fortpflanzung des Ererbten. Erwähnenswert von Schriften der griechischen Kirche im Mittelalter sind außer den Katenen (s. Exegetische Sammlungen) die kirchenhistorischen des Photius; die dogmatisch-polemischen des Euthymios, Niketas Choniates, Nikolaus von Methone; die liturgischen des Maximus, Sophronios, Simeon aus Thessalonich. Die Beziehungen zur römischen Kirche blieben im ganzen feindlich.
Nur die wachsende Gefahr von seiten der Türken drängte wiederholt zu einer hilfesuchenden Annäherung an das Abendland. Aber weder zu Lyon [* 15] (1274) noch zu Florenz [* 16] (1439) wurde eine dauernde Union (s. d.) erreicht. Als schon die Zelte der Türken Konstantinopel umgaben, wurde noch einmal ein Versöhnungsfest (Dezember 1452) gefeiert und von einem römischen Kardinal-Legaten in der Sophienkirche Messe gelesen; aber dadurch wurden nur neue Schwierigkeiten hervorgerufen. Verlassen vom Abendland, wurde Konstantinopel endlich von den Türken erobert und die Sophienkirche zur Moschee entweiht. Zahllose Gelehrte flohen nach Italien, [* 17] um daselbst ihre Bildung und Kenntnisse belebend auf die Wissenschaft des Abendlandes einwirken zu lassen und dadurch die geistigen Umwälzungen des folgenden Jahrhunderts vorzubereiten.
Aus der nachfolgenden Zeit sind besonders die Berührungen erwähnenswert, in welche die griechische Kirche mit dem Protestantismus trat. Nachdem schon Melanchthon (1559) einem Griechen die griechische Übersetzung der Augsburgischen Konfession nebst einer Begrüßung an den Patriarchen Joasaph II. eingehändigt hatte, wurden die Tübinger Theologen J. ^[Jakob] Andreä und M. Crusius durch einen protestantischen Gesandtschaftsprediger in Konstantinopel veranlaßt, dem Patriarchen Jeremias II. eine andre Übersetzung mit der Bitte um sein Urteil zu übersenden (1574). Es erfolgte eine Antwort, die im Sinn der beschränktesten Orthodoxie der morgenländischen Kirche abgefaßt war und den fernern Schriftenwechsel abschnitt (1581). Ein glücklicherer Erfolg schien die Annäherungsversuche des Cyrillus Lukaris (s. d.) krönen zu wollen. Nachdem dieser Patriarch von Konstantinopel geworden war, sandte er ein Glaubensbekenntnis nach Genf in [* 18] der Absicht, eine Wiedergeburt der griechischen Kirche im Sinn der reformierten Kirche zu bewirken; aber die obsiegende Gegenpartei erwiderte seine reformatorischen ¶
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Bestrebungen mit der Anklage auf Hochverrat und mit Erdrosselung (1638). Um hinfort die starre Orthodoxie der griechischen Kirche gegen ähnliche Bestrebungen sicherzustellen, faßte Petrus Mogilas, Metropolit von Kiew, [* 20] ein Glaubensbekenntnis der Russen (1643) ab, welches von den vier griechischen Patriarchen zu Konstantinopel, Alexandria, Antiochia und Jerusalem als Bekenntnis der katholischen Kirche des Morgenlandes bestätigt und auf der Synode von Jerusalem 1672 zum Symbol erhoben wurde. - Die Zahl der Bekenner der griechischen Kirche belief sich 1878 in Europa auf 69½ Mill., wovon 54 Mill. auf Rußland, 11 Mill. auf die Türkei, [* 21] 1½ auf Griechenland kamen. Wir begegnen nämlich in der neuern Zeit wesentlich drei Gestaltungen des griechischen Kirchentums, einer in der Türkei, einer andern in Rußland, einer dritten in dem befreiten Griechenland unsers Jahrhunderts.
Was die griechische Kirche der Türkei betrifft, so hat zwar die türkische Herrschaft im Lauf der Jahrhunderte alle Eigenschaften eines asiatischen Despotismus und alle Greuel der Tyrannei entwickelt; doch lag den Türken da, wo sie ihre Herrschaft einmal gesichert sahen, eigentlicher Gewissenszwang fern, und die Christen in der Türkei genossen daher im ganzen Religionsfreiheit, wenngleich um schwere Opfer. Man ließ ihnen einen Teil ihrer Kirchen für ihren Gottesdienst, verbot ihnen aber, neue zu bauen.
Von den Herren des Landes mit Steuern überladen und in ihrer Thätigkeit einseitig auf Gelderwerb und Handelsinteressen beschränkt, ward die unterjochte Nation mehr und mehr entsittlicht, und Wissenschaft und Unterricht verfielen gänzlich. Der Patriarch, welcher als hoher Staatsbeamter fortan vom Sultan bestätigt wurde und von ihm entsetzt werden konnte, war Vertreter und Richter seines Volkes. Der Hattischerif von Gülhane vom hat allerdings die Christen und Mohammedaner vor dem Gesetz gleichgestellt, ist aber so wirkungslos wie der Hattihumajum vom Erst der Berliner [* 22] Vertrag von 1878 hat innerhalb der Türkei Gleichberechtigung der Konfessionen [* 23] geschaffen und überdies ihr gerade die Provinz entrissen, wo kurz zuvor die »bulgarischen Greuel« gegen die Christen gespielt hatten.
Übrigens haben sich die Bulgaren schon 1873 vom Patriarchen von Konstantinopel losgesagt, einen eignen Metropoliten gewählt, den der Sultan bestätigte, und so ihre eigne Kirche gebildet. Die griechische Kirche der Moldau steht unter dem Metropoliten von Jassy, die der Walachei unter dem von Bukarest. [* 24] Alle diese Länder haben zwar einen Überfluß an Kirchen, Geistlichen und Mönchen, einen um so hervortretendern Mangel aber an Bildung, Sitte und Unterricht. Noch verheerender treten die Folgen der kirchlichen Isolierung in Kleinasien und Armenien hervor.
In den übrigen asiatischen Gebieten hat die orthodoxe Kirche meist den Sekten der Nestorianer, Maroniten und Jakobiten weichen müssen; in Syrien besteht sie neben der unierten, in Jerusalem unter der größten Mischung der Kulte. Ägypten [* 25] zählt nur etwa 8000 orthodoxe Griechen, die unter den Kopten [* 26] zerstreut leben. Viele orthodox-griechische Gemeinden finden sich in Galizien, Siebenbürgen, Dalmatien und namentlich in Ungarn, [* 27] wo sie unter dem Metropoliten von Karlowitz seit 1791 den Protestanten gleichgestellt sind.
Vgl. Klose, Die Christen in der Türkei (»Zeitschrift für historische Theologie« 1850);
Pischon, Die Verfassung der griechischen Kirche in der Türkei (»Theologische Studien und Kritiken« 1864).
Die Geschichte der neugriechischen Kirche von Griechenland steht mit der politischen Geschichte in der engsten Verbindung: der Aufstand von 1821 legte den Grund zur kirchlichen Unabhängigkeit. Bei der Teilnahme, welche die Bischöfe der Revolution widmeten, ebenso wie bei den Grausamkeiten, die von seiten der Türken gegen die Mitglieder der höhern Geistlichkeit in Konstantinopel, Cypern, [* 28] Chios u. a. O. ausgeübt wurden, konnten die Griechen die Autorität eines vom türkischen Sultan eingesetzten Patriarchen unmöglich mehr anerkennen.
Die Kirchenverfassung wurde durch eine Versammlung der Metropoliten und Bischöfe in Nauplia festgestellt; die Synode, die, der russischen nachgebildet, aus einem Bischof-Präsidenten und vier andern, von sämtlichen Bischöfen gewählten, vom König aber bestätigten Bischöfen bestand, wurde eingesetzt. Zugleich wurden die Klöster reduziert, und das dadurch gewonnene Einkommen floß in eine Kasse für Kirchen- und Schulzwecke. Nach der Revolution von 1843 wurde in der Verfassung von 1844 ausdrücklich erklärt, die Kirche von Griechenland sei mit der griechischen Kirche von Konstantinopel dogmatisch verbunden, staatsrechtlich getrennt.
Hierauf erfolgte 1850 die bisher verweigerte Anerkennung der Selbständigkeit der neugriechischen Kirche seitens des Patriarchen von Konstantinopel durch eine Bulle (Tomos), worin indessen der letztern die Verpflichtung auferlegt ward, sich den Beschlüssen der sieben ökumenischen Konzile gemäß zu konstituieren. In dem im Frühjahr 1852 ausbrechenden Streit über die Stellung der Synode zum Staat (der Tomisten und Antitomisten), in welchem besonders der Mönch Christofero Papulakis die Gemüter aufregte und sogar bewaffnetes Einschreiten nötig machte, trat die Regierung mit einem »organischen Gesetz der heiligen Synode des Königreichs Griechenland« auf, worin auf Grundlage der von der Regentschaft im Juli 1833 ausgesprochenen Unabhängigkeitserklärung der hellenischen Kirche der Regierung nicht bloß eingeräumt ward, was sie bisher an kirchlichen Befugnissen übte, sondern ihre Gewalt auch noch ausgedehnt wurde. Gleichwohl nahmen sowohl die Kammer der Abgeordneten als der Senat das organische Gesetz mit Stimmeneinheit an. Wie die Kirche Griechenlands ein Bild nationalen religiösen Lebens, so bietet die 1836 zu Athen [* 29] eröffnete Universität auch Beispiele wieder erwachenden Eifers für theologische Bestrebungen.
Die russische Kirche, die uns lange Zeit meist nur aus Schriften der Engländer und Franzosen bekannter geworden, ist entschieden der byzantinischen nahe verwandt, von der sie Lehre, Kultus und Verfassung angenommen hat, unterscheidet sich aber von ihr namentlich durch die eigentümliche Verschmelzung von religiösen und politischen Motiven sowie durch ihre enge Beziehung zur slawischen Volkseigentümlichkeit. Über ihre Geschichte, welche von der Einsetzung Hiobs als Patriarchen von Moskau [* 30] durch den Patriarchen Jeremias von Konstantinopel (1589) datiert, s. Russische Kirche. [* 31]
Glaubenslehre und Kultus.
Die Glaubenslehre der griechischen Kirche beruht auf der Bibel [* 32] und der ältern Tradition nach den Satzungen der sieben ersten ökumenischen Konzile, ist mit diesen Satzungen unabänderlich abgeschlossen und läßt daher eine wissenschaftliche Fortbildung nicht mehr zu. Symbolische Geltung haben nach erfolgter Trennung der beiden katholischen Kirchen in der griechischen nur zwei Schriften erhalten, nämlich die Konfession des Patriarchen Gennadios (s. d.) und ¶