[* ] (Siracusa), Provinz des Königreichs Italien, umfaßt den südöstlichen Teil der Insel Sizilien, wird im N. und
W. von den Provinzen Catania und Caltanissetta, im Süden und O. vom Afrikanischen und Ionischen Meer begrenzt und hat ein
Areal von 3697 qkm (nach Strelbitsky 3729 qkm = 67,73 QM.)
mit (1881) 341,526 Einw. Der Boden ist sehr fruchtbar und liefert Getreide (besonders Weizen, 1887: 586,620 hl), Öl (48,281 hl),
Wein (1,770,942 hl), Südfrüchte in Überfluß, auch zur Ausfuhr. Von geringerer Bedeutung ist die Viehzucht mit Ausnahme der
Schafzucht (1881: 100,631 Schafe), wichtig dagegen die Seefischerei. Die Provinz zerfällt in die drei
Kreise Modica, Noto und S. (s. Karte »Sizilien«).
Die gleichnamige Hauptstadt liegt auf der mit dem Festland durch einen Damm verbundenen Insel Ortygia, am Endpunkt der von Messina
kommenden Eisenbahn, ist durch Wassergräben mit Mauern an der Landseite und durch ein Kastell an der Südseite
der Insel befestigt, hat aber nur einen Umfang von 4 km (gegen 33 km Umfang des antiken S.). Die Bedeutung der Stadt liegt in
dem großen Hafen, welcher die ganze Bucht zwischen der Insel Ortygia im N. und dem Vorgebirge Plemmyrion (Massolivieri)
im SO. umfaßt und für die Aufnahme der größten Flotte geeignet ist.
Unter den öffentlichen Bauten sind hervorzuheben: der Dom Santa Maria del Piliero (in die gewaltigen Säulen eines dorischen
Tempels eingebaut);
die Kirchen San Giovanni (aus dem 12. Jahrh.) und Santa Lucia;
der elegante Palazzo Communale u. a.;
ferner
von Privatgebäuden: der gotische Palast Montalto und der Palazzo Lanza. S. hat ein Lyceum, ein Gymnasium,
eine technische Schule, ein Seminar, ein Museum (mit zahlreichen Antiquitäten, darunter eine Statue der Venus, ein kolossaler
Kopf des Neptun u. a.), eine Bibliothek mit über 10,000 Bänden, ferner eine Filiale der Nationalbank, mehrere selbständige Banken,
eine Handelskammer, Wohlthätigkeitsanstalten, Fabrikation von Chemikalien und Töpferwaren, lebhaften Handel (besonders mit
Agrumen, Wein, Öl, Seesalz etc.) und (1881) 19,389 Einw.
Im Hafen liefen 1887: 1215 Schiffe mit 158,084 Ton. ein. S. ist Sitz der Präfektur, eines Erzbischofs, eines Zivil- und Korrektionstribunals,
eines Assisenhofs etc. sowie mehrerer Konsulate.
Von der Größe der antiken Stadt zeugen nicht unbedeutende
Trümmerreste, so: Überbleibsel von drei noch sehr altertümlichen dorischen Tempeln, Aquädukte, Reste der Stadtmauer, ein
Altar, die Trümmer der Bergfeste Euryalos, große Steinbrüche, darunter die Latomia del Paradiso mit dem »Ohr des Dionysios«,
einer durch eigentümliche Akustik ausgezeichneten Grotte, sowie die Latomia dei Cappuccini;
das griechische
Theater aus dem 5. Jahrh.;
ein römisches Amphitheater aus der Zeit des Augustus;
die Arethusaquelle etc. Aus altchristlicher
Zeit haben sich geräumige Katakomben erhalten.
Schöne Gartenanlagen enthält die Villa Landolina im antiken Stadtgebiet, wo
sich die Grabstätte des Dichters Platen befindet. Am Kyaneflüßchen, zum Anapo gehend, gedeiht die Papyrusstaude
in besonderer Üppigkeit.
[Geschichte.]
S. (Syracusä), im Altertum die größte und reichste Stadt Siziliens, lag anfangs auf der hart vor der Küste
gelegenen, zuerst von Phönikern besetzten Insel Ortygia, von wo sich die Stadt später über das Festland ausbreitete. Zur
Zeit ihrer größten Ausdehnung, wo sie über eine Million Einwohner zählte, bestand sie aus
fünf Hauptteilen:
der Insel Ortygia (Nasos) mit der Quelle Arethusa, den Tempeln der Artemis und Athene, den großen Getreidemagazinen, dem von Hieron
erbauten Palast und der im nördlichen Teil von Dionysios I. erbauten Akropolis;
der 66 m hoch ansteigenden Halbinsel Achradina,
dem Hauptteil und Mittelpunkt der Stadt, mit der von Säulengängen umgebenen Agora, dem Prytaneion etc.;
Tycha, dem an den nördlichen Teil von Achradina westlich anstoßenden, volkreichsten Teil der Stadt;
Neapolis, auf der Südwestseite
von Achradina, mit dem Haupttheater und Tempeln der Demeter, Kora etc.;
Epipolä, einer die ganze Stadt beherrschenden Höhe
nordwestlich von Neapolis, welche Dionysios I. mit einer starken Mauer umgeben ließ, durch das Fort Euryalos
krönte und mit in den Bereich der die Stadt umgebenden Befestigungen zog.
Neapolis und Achradina enthielten große Steinbrüche
(Latomien), welche tief in die Erde gingen und als Gefängnisse benutzt wurden. S. besaß zwei treffliche, durch tiefe
Buchten gebildete Häfen, einen kleinern (Lakkios) im N. von Ortygia und einen größern, der mit Ketten gesperrt werden konnte,
im W. der genannten Insel. Südlich von S., in der Nähe der Quelle Kyane, lagen das Olympieion und der Hafenort Daskon.
S. war eine dorische Niederlassung, 734 v. Chr. von den Korinthern auf Ortygia gegründet und nach der
sumpfigen Ebene Syrako, westlich vom großen Hafen, benannt. Wiewohl der Zeit nach die zweite griechische auf Sizilien gegründete
Kolonie, wurde sie doch bald durch Betriebsamkeit und Handel dem Rang nach die erste und gründete selbst neue Niederlassungen
auf Sizilien (Akrä, Kasmenä, Kamarina u. a.). Sie hatte eine aristokratische
Verfassung. Die Gamoren hatten die Regierung in den Händen, zuerst mit einem König an der Spitze, später ohne einen solchen.
Aus den Gamoren, den Nachkommen der ersten Kolonisten, wurden die Magistrate und Mitglieder des Hohen Rats gewählt, welche das
Volk in ihren Versammlungen leiteten. 491 wurde die Aristokratie der Gamoren von der demokratischen Partei
gestürzt, welche aber keine geordnete Verfassung herzustellen vermochte. So ward es Gelon (s. d.) leicht, die Gamoren nach
S. zurückzuführen und sich dann selbst 485 der Herrschaft zu bemächtigen. Unter ihm erreichte S. seine höchste Blüte,
seine Flotten beherrschten die umliegenden Meere, und die meisten Städte Siziliens standen unter seinem
Einfluß.
Namentlich sein Sieg über die Karthager am Himera 480 machte S. zur mächtigsten Stadt Siziliens. Er verband die Neustadt auf
dem Felsplateau Achradina mit Ortygia durch einen Damm und umgab das Ganze mit einer kolossalen Mauer, außerhalb welcher noch
die Vorstädte Tycha, Neapolis und Epipolä entstanden. Auf Gelon folgte sein Bruder Hieron I. (477-467)
und auf diesen der dritte Bruder, Thrasybulos, der aber schon 466 vertrieben ward. An die Stelle der Tyrannis trat jetzt eine
demokratische Verfassung.
Zur Sicherstellung der Demokratie ward eine dem athenischen Ostrakismos ähnliche Maßregel in dem Petalismos (»Blättergericht«,
weil mit beschriebenen Olivenblättern abgestimmt wurde) eingeführt, doch ward derselbe als die Ochlokratie
nur befördernd bald wieder aufgehoben. Die innern Unruhen benutzend, strebten sich mehrere von S. abhängige sizilische Städte
frei zu machen und suchten zu diesem Zweck Unterstützung bei den Athenern nach. Diese, schon längst eifersüchtig auf die
mächtige Handelsstadt, sandten auch 415 eine große Flotte unter Nikias und Lamachos nach Sizilien (sizilische
mehr
Expedition der Athener 415-413). Die Athener eroberten 414 die Vorstädte Epipolä und Tycha und hatten S. schon auf der Landseite
eingeschlossen, als nach dem Tode des Lamachos der Spartaner Gylippos ihre Verschanzungen durchbrach und sie zwang, sich auf den
Angriff zur See zu beschränken. Unter Führung des Gylippos und des Hermokrates erbauten die Syrakusier 413 eine
Flotte, entrissen den Athenern ihre befestigte Stellung auf dem Vorgebirge Plemmyrion, Ortygia gegenüber, und brachten ihnen
in einer Seeschlacht eine Niederlage bei.
Durch Demosthenes verstärkt, versuchten die Athener einen nächtlichen Angriff auf Epipolä, der mißlang, lieferten den Syrakusiern,
um die Ausfahrt aus dem Hafen zu erzwingen, eine unglückliche Seeschlacht und wurden, 40,000 Mann stark,
auf dem Abzug zu Lande am Assinaros vernichtet. 7000 Gefangene wurden in die Latomien auf Achradina geworfen, wo sie meist
verschmachteten, Nikias und Demosthenes hingerichtet. Unter dem Einfluß des Volksvorstehers Diokles wurde darauf in S. eine
neue, völlig demokratische Verfassung eingeführt, deren erste Bestimmung die Wahl der Magistrate durch
das Los war.
Zugleich wurden geschriebene, sehr strenge Gesetze gegeben. Der gleichwohl überhandnehmenden Zügellosigkeit zu steuern und
sich gegen die Eroberungspläne Karthagos zu schützen, übertrug das Volk dem tapfern Dionysios I. (s. d.) das Oberkommando
über die Armee, bahnte ihm aber dadurch den Weg zur Tyrannis (406). Dionysios drängte nach mehreren Kriegen
die Karthager in den westlichen Teil Siziliens zurück und befestigte die Herrschaft von S. über die Osthälfte der Insel
und einen Teil Unteritaliens. In S. erbaute er auf der Nordspitze der Insel Ortygia die Feste Hexapylon und umgab die Stadt
mit einer hohen Quadermauer, welche auch die Vorstädte Tycha und Epipolä umfaßte und 20 km lang war; die Einwohnerzahl
stieg auf eine Million. Im kleinen Außenhafen legte Dionysios 50, im großen innern 100 Docks für Kriegsschiffe an. Die wohlbefestigte
Regierung übernahm nach ihm 367 sein Sohn Dionysios II., ein Wollüstling, der 357 von Dion vertrieben
wurde, aber 346 zurückkehrte.
Endlich nötigte ihn 343 Timoleon, seine Herrschaft niederzulegen. Letzterer zerstörte die Burg, stellte die demokratische Verfassung
wieder her und zog durch Häuser- und Äckerverteilung an 60,000 neue Ansiedler in die entvölkerte Stadt. Die nach seinem
Tod entstandenen Unruhen benutzte Agathokles (s. d.), um sich unter der Verheißung einer
reinen Demokratie zum Tyrannen aufzuwerfen (317). Seine strenge und gewaltthätige Regierung erhielt wenigstens Ruhe im Innern,
wodurch es noch möglich wurde, daß sich S. gegen die in Sizilien immer weiter fortschreitenden und S. schon belagernden
Karthager halten konnte.
Nach Agathokles' Tod (289) warf sich Mänon, der Mörder jenes, zum Herrscher auf, ward aber von Hiketas
vertrieben, der sich drei Jahre lang behauptete. Als er gegen die Agrigentiner zu Felde zog, stritten in der Stadt Thynion
und Sostratos um die Herrschaft. Zur Stillung dieser Unruhen riefen die Syrakusier den damals in Italien kriegführenden Pyrrhos
(277) herbei, der S. von den Karthagern befreite und seinen Sohn zum König von Sizilien einsetzte. Nach
seinem Weggang wählten aber (275) die Syrakusier Hieron II. zu ihrem Feldherrn und 269 zum König.
Dieser stand den Römern im ersten und zweiten Punischen Krieg mit Erfolg bei und sicherte sich dadurch seine
Herrschaft im östlichen Teil der Insel. Sein Enkel und Nachfolger (seit 215) Hieronymus
trat dagegen im zweiten Punischen Krieg
auf die Seite der Karthager und beschleunigte dadurch seinen Sturz (214) und den Untergang der Selbständigkeit von S., das 212 nach
tapferer Verteidigung durch Archimedes von Marcellus erobert wurde. Seitdem ward S. mit dem östlichen Teil
Siziliens römische Provinz.
Der alte Glanz der Stadt verschwand für immer, und die Bevölkerung nahm immer mehr ab. Vergebens suchte sie Augustus durch
eine Kolonie zu heben. Gegen Ende des 5. Jahrh. n. Chr. ward S. von germanischen Völkerschaften, die zur See ankamen, besonders
von den Vandalen, 884 aber von den Sarazenen geplündert. Kaiser Heinrich VI. schenkte 1194 die Stadt den
Genuesen, die ihm gegen Tankred beigestanden hatten; doch befreiten sich die Syrakusier mit Hilfe der Pisaner bald wieder.
S. kam hierauf unter spanische Herrschaft und ward Residenz des Statthalters.
Infolge einer Seeschlacht, die bei S. 1718 zwischen den Engländern und Spaniern geschlagen wurde, mußten
die letztern die Stadt den Österreichern einräumen, bekamen aber 1755 die Insel Sizilien wieder. 1100, 1542, 1693 und 1735 litt
S. bedeutend durch Erdbeben.
Vgl. Arnold, Geschichte von S. (Gotha 1816);
Privitera, Storia di Siracusa antica e moderna (Neap.
1879, 2 Bde.);
Cavallari u. Holm, Topografia archeologica di Siracusa (Pal. 1884; deutsch bearb. von Lupus:
»Die Stadt S. im Altertum«, Straßb. 1887).