Veteranen. In Thessalien behauptete nur Larissa einen Schatten ehemaliger Größe; in Böotien galten Tanagra und Thespiä als nennenswerte
Städte, während Theben zum unbedeutenden Flecken herabgesunken war. In Attika hatte zwar Athen mit der Freiheit auch die alte
Pracht bewahrt, allein nach der Zerstörung der Befestigungswerke am Piräeus durch Sulla war die maritime
Bedeutung und mit ihr die Hoffnung zu neuer Erhebung für die Stadt geschwunden. Die meisten Städte Arkadiens lagen in Trümmern;
der Ort, wo Megalopolis gestanden, war eine Einöde, nur Tegea war noch einigermaßen bevölkert; in Lakonien zählte man statt
der frühern 100 nur noch 30 Städte.
Die Gunst, welche einzelne Kaiser den Hellenen bezeigten, konnte den völligen Verfall alter Sitte und Kraft
nicht abwenden. Ein Wohlthäter Griechenlands war der Kaiser Trajan, dem auf gemeinsamen Beschluß aller Hellenen zu Olympia
ein Standbild errichtet ward. Noch mehr aber gilt dies von Hadrian, welcher, wie keiner der römischen Kaiser von der Hellenen
altem Glanz und Ruhm begeistert, neben dem, was er zur Belebung der Kunst und Wissenschaft beigetragen, auch manches that, um
den politischen Zustand der hellenischen Staaten, namentlich Athens, das er durch großartige Neubauten verschönerte, zu verbessern.
Aber unter dem Druck der römischen Provinzialverwaltung gerieten auch althellenische Wissenschaft und Kunst
immer mehr in Verfall. Philosophie und Redekunst sanken zu täuschender Sophistik herab, worin man das höchste Ziel menschlicher
Geistesthätigkeit sah, und verschwanden endlich völlig in den Rhetorenschulen zu Rom, Athen und Alexandria. Die bildende Kunst,
obgleich von Kaisern und reichen Privatleuten sehr gepflegt, verlor durch ihre fast ausschließliche Anwendung auf
die Baukunst ihren selbständigen Charakter und sank immer tiefer, je mehr der Sinn für ihre höhere Bedeutung sowie Talent
und Thätigkeit der Künstler mit den äußern Mitteln zu ihrer Erhaltung verloren gingen.
Mit der alten Sitte wich auch der Glaube an die alten Götter und Heroen; die Tempel und Altäre standen verlassen,
die Orakel verstummten. Die Nachkommen derer, welche die unsterblichen Werke eines Äschylos, Sophokles und Euripides begeistert
hatten, ergötzten sich in den Theatern zu Athen und Korinth sowie bei den Festspielen zu Olympia und auf dem Isthmos an den Grimassen
römischer Possenreißer und an Tierkämpfen und blutigen Gladiatorengefechten. Zwar suchte man durch
alljährliche Festlichkeiten das Andenken an glorreiche Tage und Helden der Vorzeit zu erhalten; allein Geist und Kraft der Vorfahren
erwachten nimmer wieder in den entarteten Nachkommen, welche, in Trägheit und entnervenden Sinnengenuß versunken, den von
Norden her andringenden Barbaren bald völlig erlagen. In den Stürmen der Völkerwanderung zerfiel vollends
das schon längst morsche Gebäude hellenischer Nationalität, und selbst die Erinnerung an die untergegangene Herrlichkeit
ward auf lange Zeit unter seinen Trümmern begraben. Weiteres s. unter Griechenland (Neu-Griechenland), S. 705 f.
[Litteratur.]
Die wichtigsten Quellen der griechischen Geschichte sind die historischen Werke des Herodot, Thukydides, Xenophon,
Plutarch, Diodor, die Reden des Demosthenes, die geographischen Beschreibungen des Strabon und Pausanias.
Von den neuern Gesamtdarstellungen der Geschichte Altgriechenlands sind hervorzuheben: Zinkeisen, Geschichte Griechenlands,
Bd. 1 (Leipz. 1832);
Kortüm, Geschichte Griechenlands bis zum Untergang des Achäischen Bundes (Heidelb. 1854, 3 Bde.);
F. Ch. Schlosser, Universalhistorische Übersicht der Geschichte der Alten Welt (Frankf. 1826-34, 9 Bde.);
Griechenland Grote, History of Greece (5.
Aufl., Lond. 1883, 12 Bde.;
deutsch, 2. Aufl., Berl. 1880-83, 4 Bde.);
E. Curtius, Griechische Geschichte (5. Aufl., das. 1881 ff., 3 Bde.);
M. Duncker, Geschichte des Altertums, Bd. 5-9 (das. 1881-86);
Busolt, Griechische Geschichte bis zur Schlacht bei Chäroneia (Gotha 1885 ff.);
Holm, Griechische Geschichte
(Berl. 1885 ff., 4 Bde.);
Duruy, Histoire des Grecs (neue Ausg., Par. 1886, 3 Bde.).
Kürzere Darstellungen sind: Jäger, Geschichte der Griechen (4. Aufl., Gütersloh 1881);
Hertzberg, Geschichte von Hellas (Berl.
1879);
Derselbe, Griechische Geschichte (Halle 1884);
Roth-Westermayer, Griechische Geschichte (3. Aufl., Nördling. 1882);
vgl. ferner: O. Müller, Geschichten hellenischer Stämme und Städte (2. Aufl., Bresl. 1844, 3 Bde.);
Droysen, Geschichte des Hellenismus (2. Aufl., Gotha 1877, 3 Bde.);
Hertzberg, Geschichte Griechenlands bis zum Beginn des Mittelalters (aus Ersch und Grubers Encyklopädie, Leipz. 1870);
Derselbe,
Geschichte Griechenlands unter der Herrschaft der Römer (Halle 1866-75, 3 Bde.);
Finlay, Greece under the
Romans (Lond. 1844; deutsch, Leipz. 1861).
[* ] (Neugriechenland, offiziell Hellas genannt, hierzu die Karte »Griechenland«),
Königreich im SO. Europas, 1832 gegründet, um
die bis dahin einen besondern Freistaat unter englischem Schutz bildenden Ionischen Inseln und durch die Berliner Konferenz (Juni
1880) um Thessalien und ein Stück von Epirus vergrößert, liegt (mit Einrechnung der Inseln) zwischen 35°
50' und 39° 54' nördl. Br. sowie 19° 20' und 26° 10' östl. L. v. Gr.
und hängt nur im N. mit der Türkei (Albanien und Makedonien) zusammen, während es auf den übrigen drei Seiten vom Meer
umgeben ist, im O. vom Archipelagus, im S. vom Mittelmeer, im W. vom Ionischen Meer. Das Land besteht aus drei Hauptteilen: Nordgriechenland
(umfassend Thessalien und Mittelgriechenland, unter türkischer Herrschaft Livadien genannt), die Halbinsel Morea (Peloponnes)
u. die Inseln.
Übersicht des Inhalts:
Bodenbeschaffenheit
S. 696
Bewässerung
698
Klima
698
Areal und Bevölkerung
699
Religion
699
Bildung, Charakter und Lebensweise
700
Bodenkultur
701
Tierwelt
702
Bergbau, Industrie
702
Handel und Verkehr
703
Staatsverfassung und Verwaltung
704
Heer und Flotte
704
Wappen, Flagge, Orden
705
Geschichte
705
Bodenbeschaffenheit, Bewässerung, Klima.
Was die Bodenbeschaffenheit und die geognostischen Verhältnisse anlangt, so bestimmen vornehmlich zwei
Hauptgebirgsrichtungen die Gestaltung sowohl des Festlandes und Moreas als der Inseln. Die eine bedeutendste Richtung ist die
des vorwiegend aus Kreidekalken bestehenden Pindos, von NNW. nach SSO., welche nicht allein in Nordgriechenland, sondern selbst
im äußersten Süden, in der Bildung der beiden peloponnesischen Halbinseln, der Maina und der von Monemvasia,
zur Erscheinung kommt. Der zweiten Richtung, der des Olympos, von NW. nach SO., gehören mehrere parallele Ketten an, die von
Attika, die von Euböa, die Nordküste Moreas von Argolis bis Patras und die Inselreihen der Kykladen. Eine dritte Richtung wird
durch die Verbindungsstränge zwischen den beiden vorigen, durch das thessalische Grenzgebirge, den Othrys,
von W. nach O., und durch den hohen Kalkstock des
Nomarchien:
1. Attika u. Böotia.
2. Euböa.
3. Phthiotis u. Phokis.
4. Akarnania u. Aetolia.
5. Achaïa u. Elis.
6. Arkadia.
7. Lakonia.
8. Messenia.
9. Argolis u. Korinthia.
10.
Kykladen.
11. Kérkyra (Corfu).
12. Kephalonia.
13. Zakynthos (Zante).
14. Larissa.
15. Tríkkala.
16. Arta.
Die Hauptorte der Nomarchien sind unterstrichen.
Zum Artikel »Griechenland«.
mehr
Makroplagi (Geraneia, 1370 m) auf dem Isthmus repräsentiert. Unter allen Gesteinen sind es die Kalkgesteine der verschiedensten,
hauptsächlich aber der Kreideformation, welche über alle andern vorherrschen und durch ihre vielfach wilden, mannigfaltigen
Formen Griechenland charakterisieren. Ausgedehnt ist ferner die Verbreitung des kristallinischen Schiefergebirges,
während die kristallinisch-körnigen Gesteine, wie Granit und Syenit, nur auf einigen Inseln in größerer
Bedeutung auftreten.
Auf dies kristallinische Gebirge folgen von wahrscheinlich paläozoischen Gesteinen: Thonschiefer, Kalkthonschiefer, grüne Grauwackesandsteine
und ungemein mächtige graue, versteinerungsarme Kalksteine, die am Parnaß durch jüngere, ebenfalls mächtige Kalke überlagert
werden. Nach S. zu löst sich das Pindossystem zu einem großartigen, von tiefen Felsschluchten wild
zerrissenen Gebirgsland auf, das aus den alten Sedimentgesteinen zusammengesetzt ist, und zu dessen steilen Kalkstöcken die
Gebirge von Agrapha, das Ötagebirge (mit dem 2152 m hohen Katavothra), der Parnaß (Liakura, 2459 m), der Helikon (Paläo-Vuno, 1749 m),
wohl auch der Kithäron und Makroplagi gehören.
Auch in den Gebirgen von Achaia, im Voidia (1927 m), Olonos (Erymanthos, 2224 m), im mächtigen Ziria (Kyllene, 2371 m),
finden sich ähnliche dichte Kalksteine. Dieselben alten Sedimente setzen auch den Zug
des Othrys und den Bergzug der Thermopylen
zusammen und bilden weithin durch Böotien niedrige Bergzüge und die Unterlage der Kreidekalksteine. Kristallinisches Schiefergebirge
mit ungemein entwickeltem kristallinischen Kalk, zum Teil trefflichem Statuenmarmor (Pentelikon), bildet dagegen den Kranz einzelner
Bergmassen, welcher Athen umringt, den Parnes (Ozea), Pentelikon und Hymettos (1027 m), und die erzreichen Berge von Laurion.
Ebenso bildet es die hohen, steilen Gebirgszüge des Südens mit fast senkrechter Schichtenstellung, das Pentedaktylongebirge
(Taygetos, mit dem 2409 m hohen Hag Ilias) in der Maina und das etwas niedrigere Malevogebirge (Parnon, 1957 m).
Lakonien lieferte einst nicht allein geschätzte Marmore, sondern auch rote Porphyre, vor allem aber die prachtvollen grünen
Oligoklasporphyre oder Prasophyre der Franzosen (Ophit oder porfido verde antico der Italiener), so zwischen Marathonisi und
Levetsova. Ganz Euböa (s. d.) ist von einer solchen Achse kristallinischen Schiefergebirges, dem auch der grün gestreifte
Marmor von Karystos, der sog. Zwiebelmarmor (Cipollino), angehört, der Länge nach durchzogen; die höchste Kuppe steigt im
Delphysgebirge zu 1745 m an; an sie schließen sich zu beiden Seiten die aufgerichteten paläozoischen Gesteine an.
Die Inseln der Kykladen, über deren geologische Zusammensetzung die die einzelnen Inseln betreffenden Artikel zu vergleichen
sind, folgen der Richtung Euböas und Attikas und setzen weit ins Meer hinaus fort, wie die Spitzen eines untergegangenen Festlandes.
Die Kaimenigruppe, Santorin und Therasia, zusammen einen Krater bildend, durch die jüngsten Ausbrüche (1866
ff.) berühmt geworden, zeigt mächtige vulkanische Massen (s. Santorin). Die jungvulkanischen und trachytischen Gebilde setzen
von da über die Milosgruppe fort und erreichen ihr Ende erst im Golf von Ägina (Poros, Halbinsel Methana und Ägina).
Fast überall finden sich daselbst ältere Grundgebirge als Basis der Trachyte, Obsidiane und Bimssteine und
der mancherlei Tuffe und Schlackenbildungen; Basalt ist nur auf Milos beobachtet. Die (nördlichen) Sporaden zeigen ähnliche
Zusammensetzung, nur nehmen daran ältere und jüngere sedimentäre Gesteine wesentlichern Anteil. Von Sedimenten einer spätern
als der paläozoischen Zeit kennt man nur solche der Kreidegebirge und der eocänen Formation mit nummulitenführenden Gesteinen
und ausgedehnte jüngere Tertiärablagerungen.
Aus der Kreidezeit ist wichtig die sehr mächtige Ablagerung von Hippuritenkalken, die man auf dem Festland in Attika und Böotien
sowie auf dem Schlachtfeld von Chäroneia und am Fuß des Parnaß, auf den Ionischen Inseln, in großer Ausdehnung aber besonders
in Morea kennt. Darüber folgen (nach Virlet) in Morea und auch auf den letztgenannten Inseln weitverbreitete,
mit Grünsand verbundene Ablagerungen roter, grüner und brauner Jaspis und feuersteinführender, lithographischer Kalkschiefer.
Ungemein mächtige Konglomerate und (oft pisolithische) Nummulitenkalke bilden den Schluß. Diese Sedimente erheben sich im Innern
Moreas bis zu bedeutenden Höhen (am Ziria bis zu 1460 m), sind aber auch durch Argolis, Achaia, Attika und
Böotien, auf Euböa und besonders auf den Ionischen Inseln, wo sie wieder zu bedeutenden Höhen ansteigen, weit verbreitet.
Alle diese Schichten sind hoch gehoben und mehrfach in ihrer Lagerung gestört. In der mittlern Tertiärzeit lagerten sich die
an Pflanzen- und Fischabdrücken reichen Braunkohlengebirge ab in den zum Teil hoch gelegenen Mulden Euböas,
so zu Kumi, wo Bergbau auf Kohlen getrieben wird, auf dem Festland zu Atalanti in Lokris und auf Chelidromia, einer der Sporaden,
die pflanzenführenden Mergel auf Ägina; ebenso gehören in diese Zeit Ablagerungen der Ionischen Inseln, so zu Lixuri auf Kephalonia.
Ausgedehnter sind die blauen Subapenninenthone mit Lignitflözen und die sandigen Meereskalke. Sie bilden
das weite, vom Alpheios im S. durchschnittene Plateau von Elis bis Patras im N., ebenso das Plateau zwischen Navarino und Koron;
überhaupt ist ganz Morea von neuen marinen Ablagerungen umgürtet, und die Ablagerungen auf dem Isthmus bei Korinth
beweisen, daß in nicht ferner Zeit die gegenwärtige Halbinsel rings vom Meer umflossen war, aus dem sie sich allmählich
erhob.
Zahlreich sind die Thermen auf dem Festland wie auf den Inseln, meist Kohlensäuerlinge und Schwefelwässer. Auf Thermia, zu Lipso
(bis 87° C. Wärme) auf Euböa, an den Thermopylen, bei Patradschik, bei Korinth, hoch oben am Olonos und
an andern Orten sind solche warme Quellen. Griechenland ist ein höhlenreiches Land; in den Kalken aller Formationen kommen solche vor,
so die berühmte Höhle von Antiparos mit ihren Aragonitstalaktiten im kristallinisch-körnigen Kalk, die am Parnaß und in
Böotien im paläozoischen Kalk, die von Syllaka auf Thermia im eisenschüssigen kristallinischen Schiefergebirge,
andre auf dem Peloponnes im Kreidekalk; das Höhlenkloster Megaspileion ist in das Konglomerat hineingebaut. Wichtig werden
viele dieser Höhlen als natürliche Abzugskanäle (Katabothren) für die Wasser der vielen geschlossenen Beckenthäler, in
Böotien sowohl als in Morea, von denen das von Tripolitsa das größte ist. Zu den merkwürdigsten Katabothren
gehören aber die Höhlen an der Küste von Kephalonia, in welche sich landeinwärts laufende, Mühlen treibende Meeresströme
verlieren (s. Argostoli).
Kein Land der Erde hat im Verhältnis zu seinem Flächeninhalt eine so reiche Gliederung und Einbuchtung wie Griechenland. Die Küstenausdehnung
beträgt mit Ausschluß der Inseln über 2000 km. Dieser maritime Charakter prägt sich immer entschiedener
aus,
mehr
je weiter man von N. nach S. fortschreitet, und ist auf der Ostseite reicher entwickelt und für den Seeverkehr geeigneter
als auf der Westseite, wo das Land meist in schroffen Klippen gegen das Meer abfällt. Dem Umstand, daß dem Osten trefflichere
Häfen offen stehen, ist es zuzuschreiben, daß die Bewohner von Anfang an mehr auf den Verkehr mit dem
Osten als mit dem Westen hingewiesen waren. Der Meerbusen von Arta, der Golf von Lepanto oder Korinth, der weite Busen von Arkadia,
die Busen von Navarino und Modoni, der prächtige Golf von Koron (Messene), der noch größere von Marathonisi (Lakonien), der
schöne Golf von Nauplia (Argolis), der Busen von Hydra, der buchtenreiche Golf von Ägina, die golfartige Straße zwische ^[richtig:
zwischen] Euböa und Attika mit dem Evripos, der unmittelbar in den Golf von Zituni führt und durch den Kanal von Trikeri mit
dem Busen von Volos in Verbindung steht: alle diese Golfe sind tief, geschützt und für die Schiffahrt sehr
günstig. Der Buchten, Baien und Häfen geringern Umfangs sind unzählige. Unter den Meerengen sind die bedeutendsten die von
Trikeri, Talanti und Evripos; unter den Landengen ist die berühmteste die von Korinth.
[Bewässerung.]
Große Längenthäler fehlen, und längere Flüsse können sich nicht entwickeln. Sehr häufig
dagegen sind die Sackthäler, die sich gegen das Meer hin öffnen, sehr zahlreich, aber kurz die Küstenflüsse. Der größte
Fluß ist der vom Peristeri kommende Aspropotamo (Acheloos), der einen schiffbaren Unterlauf besitzt, seit 1881 ganz Griechenland angehört
und der Insel Kephalonia gegenüber in das Ionische Meer mündet; ihm parallel fließt westlich der auf
türkischem Gebiet entspringende Artinos (Arachthos), welcher in den Meerbusen von Arta mündet, östlich der Phidari (Euenos),
welcher in den Golf von Patras, und der Morno, welcher in den Golf von Korinth fällt.
Gegen O. fließen in Thessalien der Salamvrias (Peneios) mit zahlreichen Zuflüssen von türkischem (Norden)
und griechischem Gebiet; in Livadien: der Alamana oder Hellada (Spercheios) zum Meerbusen von Zituni, der Mavronero (Kephisos),
der sich in den See Topolias (Kopais) ergießt, und der Vuriendi oder Asopos zum Ägeischen Meer. Auf Morea sind zu erwähnen:
der Gastunitiko (Peneios) und der Ruphia (Alpheios), der Hauptfluß der Halbinsel, der sich, wie der vorige,
westlich in den Meerbusen von Arkadien ergießt;
die Pernitsa (Pamisos), die südlich in den Golf von Koron, und der Iri (Eurotas),
der in den Golf von Marathonisi mündet;
endlich die Panitsa (Inachos), die zum Golf von Nauplia fließt.
Obgleich die Zahl der
Quellen ziemlich bedeutend ist, so sind sie doch sehr ungleich verteilt. Auf dem Ostabhang des Taygetos
und auf der Nordseite des Kithäron sind sie sehr zahlreich; in Attika dagegen und in Megaris sind sie selten, und auf der
Ebene von Argos gibt es gar keine. Andre fließen nur im Winter und Frühjahr und versiegen im Sommer. Seen
von einiger Bedeutung sind in Thessalien der Karlasee (Boebe) und der Nezerosee (Xynias), in Livadien der Topoliassee, der
Likorisee, der Vrachorisee (Trichonis) und der See von Angelokastron, auf der Halbinsel Morea der Zarakasee (Stymphalis) und
der See von Phonia. Seit mehreren Jahren ist man mit der Austrocknung des Topoliassees beschäftigt und
gegenwärtig der Tunnel und Kanal von Karditza vollendet, welcher dessen Gewässer in den Hyliksee ableitet, von dem eine Verbindung
nach dem Meer hergestellt wird (s. Kopaissee). Auch der Zaraka- oder Stymphalissee wird gegenwärtig trocken gelegt. Versumpfungen
finden sich besonders in den
Hochebenen Arkadiens, am Topolias und der Mündung des Aspropotamo.
[Klima.]
Die klimatischen Verhältnisse Griechenlands zeigen jene Abwechselung und Mannigfaltigkeit, die den Hauptcharakter
seines geographischen Baues ausmacht. Auf der kurzen Strecke von sechs Breitengraden findet man in Griechenland klimatische Unterschiede,
wie sie weiter westlich sich auf eine nordsüdliche Erstreckung von 15 Grad (von Mitteldeutschland bis
Sizilien) verteilen. Denn noch im Pindos und Parnaß herrschen die Waldbäume Deutschlands, Eiche und Buche, vor.
Wenig südlicher treten schon Palmen auf, während die Olive, die in Italien weiter nach N. reicht, nördlich vom Othrys sich
selten findet. In den ringsum von Bergkesseln umschlossenen Thälern, z. B. in Böotien, bei Sparta und im
Innern Arkadiens, ist die Hitze des Sommers eine sehr hohe (bis 45, ja 50° C.), die Kälte im Winter oft - 12° C., während
in den der Seeluft offenen Landschaften, z. B. in Attika, das Thermometer in den Sommermonaten selten über 30° C. steigt und
nur in strengen Wintern auf - 3 bis 4° C. sinkt.
Der regelmäßige Seewind, der sich nachmittags von 2-3 Uhr einstellt, mildert die Hitze des Sommers. Die Luft ist im ganzen ungemein
rein und trocken, namentlich auf den Bergen. In den sumpfigen Niederungen Böotiens, die indessen jetzt ihrer Trockenlegung entgegensehen,
ist der nachteiligen Ausdünstungen wegen der Aufenthalt nur im Winter möglich, und die Bewohner verlassen
nach gemachter Aussaat ihre dortigen Winterhütten, um erst zur Erntezeit wiederzukommen.
Zur Schönheit und Gesundheit des griechischen Klimas tragen die häufigen Winde viel bei, obschon dieselben oft, wie namentlich
die im November und Februar herrschenden Nordwinde, eine außerordentliche Heftigkeit annehmen. Zeugnis
davon sind die zahlreichen krumm gewachsenen Feigenbäume. Auch die hohe Lage des Landes begünstigt die Annehmlichkeit des
Klimas. Die Jahreszeiten prägen sich scharf aus. Mit dem März tritt der Frühling in seiner ganzen Schönheit auf und währt
bis Juni, wo sich der Sommer mit großer Hitze einstellt, welche bis Ende August anhält.
Während dieser Zeit fällt kein Regen, der Boden ist dürr, die meisten Flüsse sind ausgetrocknet, und die Vegetation wird
nur durch den nächtlichen Tau in etwas unterhalten. Der griechische Himmel bewahrt in dieser Zeit seine berühmte Schönheit;
er ist stets rein und wolkenleer, die Nächte sind hell, und die Durchsichtigkeit der Atmosphäre ist so
groß, daß der Raum sich zu verengern und der entfernteste Gegenstand dem Auge nahegerückt scheint. Mit dem September stellen
sich erfrischende Gewitterstürme ein, und es beginnt der bezaubernde Herbst. Ende November folgt dann die Regenzeit; der Winter
macht sich geltend, doch werden seine naßkalten Tage oft vom lachendsten Lenzwetter unterbrochen.
Schnee fällt während dieser Zeit nur in den Gebirgen, und die Gipfel des Parnaß und Taygetos halten ihn wohl bis Ende Mai.
Auf der Ebene und in den Thälern ist er selten oder schmilzt bald, und allgemein strenge Winter sind eine
Ausnahme. In den Thälern Arkadiens, des Liakura (Parnaß) und des Paläo Vuno (Helikon) verscheucht der Scirocco oft nach zwei
oder drei Tagen den Winter; doch gibt es auch Jahre, wo die Temperatur bedeutend unter Null sinkt (bis auf 12° C.) und so mehrere
Wochen anhält. Die mittlere Jahrestemperatur zu Athen, für welches allein genaue Beobachtungen existieren,
ist 18,2° C. 1883 sind in Kalamata, Tripolitsa, Paros, Laurion und Larissa meteorologische Stationen errichtet worden.
mehr
Areal und Bevölkerung.
Das Königreich hat gegenwärtig einen Flächeninhalt von 65,229 qkm oder nach Strelbitskys Berechnung von nur 64,689 qkm
(1174,9 QM.) und einschließlich der 20,523 Land- und Seesoldaten und der abwesenden Matrosen (5180) nach der Zählung von 1879 eine
faktische Bevölkerung von 1,679,884 Seelen, wozu 1883 noch 293,028 Bewohner in den neuerworbenen Provinzen
gezählt wurden. Flächeninhalt und Bevölkerung verteilen sich auf die einzelnen Nomen, in welche das Königreich geteilt ist,
wie folgt:
Nomen
QKilometer nach Behm
Strelbitsky
Einwohner
Attika und Böotien
6426
6306.2
185364
Euböa
4148
4199.1
95136
Phthiotis und Phokis
6149
6084.3
128440
Akarnanien und Ätolien
7833
7489.1
138444
Achaia und Elis
5253
5074.8
181632
Arkadien
4346
4301.0
148600
Lakonien
4228
4239.9
121116
Messenien
3443
3341.5
155760
Argolis und Korinth
5232
5243.8
136081
Kykladen
2485
2694.6
132020
Kerkyra (Korfu)
1107
1092.0
106109
Kephalonia
783
815.0
80957
Zakynthos
427
437.9
44522
Neue Gebietsteile:
Larissa )
6420
144621
Trikkala )
13369
5700
117229
Arta )
1250
31178
Soldaten und abwesende Matrosen (1879)
-
-
25703
Zusammen:
65229
64689.2
1972912
Die Bevölkerung Griechenlands, welche 1822 (die Ionischen Inseln inbegriffen) nur auf 970,000 Seelen geschätzt wurde, betrug
bei der Zählung von 1870 (in den alten Provinzen) 1,457,894 Seelen. Die jährliche Zunahme belief sich
in dem Zeitraum von 1861 bis 1870 durchschnittlich auf 1 Proz., von 1870 bis 1879 aber auf 1,69
Proz. Die Dichtigkeit der Bevölkerung ist eine geringe, da nur 30 Einwohner auf 1 qkm entfallen. Am dichtesten bevölkert
sind die Ionischen Inseln (Zakynthos mit 102, Kephalonia mit 99 und Kerkyra mit 95 Seelen auf 1 qkm), am schwächsten
Akarnanien-Ätolien mit 19 Seelen auf 1 qkm. Bei der Zählung von 1879 stellte sich die männliche Bevölkerung auf 52,45 Proz.,
die weibliche nur auf 47,55 Proz. der Gesamtbevölkerung. Im J. 1882 betrug
die Zahl der Eheschließungen 11,186, der Lebendiggebornen 43,157, der Todesfälle 32,194. Unter den 116 Städten,
welche 1879 gezählt wurden, hatten nur 4 mehr als 20,000 Einw., nämlich Athen, Patras, Hermupolis und Piräeus.
Die Bevölkerung Griechenlands besteht aus zwei vorherrschenden Volksstämmen, den Griechen (Neugriechen), den mit slawischem,
romanischem und türkischem Blut gemischten Nachkommen der alten Hellenen, die besonders in Südgriechenland
und (reinern Bluts) auf den Inseln weit überwiegen, und den Albanesen (s. d.), die sich vorherrschend im nördlichen, besonders
nordwestlichen Griechenland vorfinden. Sie bilden einen weniger durch Zahl als durch industrielle Thätigkeit bemerkenswerten
Teil der Bevölkerung, da sie vorzügliche Ackerbauer und die unternehmendsten Seeleute liefern.
In dem Peloponnes finden sich nur einige albanesische Dörfer. Außerdem leben in Griechenland Kutzowlachen oder Zinzaren
(im Pindos und am obern Aspropotamo), Türken (sogen. Koniariden,
im ebenen Thessalien, zum Teil seit einigen Jahren ausgewandert),
wenige Armenier, noch weniger Westeuropäer (Franken) und Juden. Die Zählung von 1879 ergab in Griechenland (ohne Thessalien und
Arta) 31,969 Ausländer, davon 23,133 Osmanen, 3104 Italiener und 2187 Engländer; unter den griechischen Unterthanen verstanden
58,858, meist Albanesen, nicht die griechische Sprache.
Die Neugriechen tragen unverkennbare Spuren der Ähnlichkeit mit den alten Hellenen an sich. Die Männer sind meist schön, groß
und kräftig gebaut, von scharf geschnittenen, edlen Gesichtszügen, dunkeln Augen, schwarzem Haar, das
sie mit dem türkischen Fes bedecken, und lebhaften, feurigen Geistes. Greise in vollster Kraft von 90-100 Jahren gehören nicht
zu den Seltenheiten. Dagegen wird ein schönes Weib, wie es die Alten schildern, jetzt nicht häufig gefunden. Da sich die
Mädchen schon mit dem 11.-12. Jahr verheiraten, so sind sie mit 20 Jahren verblüht, und eine 30jährige
Frau gleicht oft einer alten Matrone.
Wenn die Behauptung aufgestellt worden ist (Fallmerayer), die heutigen Griechen hätten mit den Hellenen des Altertums keinen
Zug
gemein, so kann zwar nicht geleugnet werden, daß die Reinheit der griechischen Abstammung durch Beimischung
fremder Elemente und durch Beeinflussung seitens der Türken, Slawen und Italiener sehr getrübt worden ist (die Schädelmessung
hat neuerdings ergeben, daß die Neugriechen viel brachykephaler geworden sind, als die alten Griechen waren); allein vielfache
Ähnlichkeit mit den alten Hellenen tritt doch offenkundig hervor, was mit schlagenden Gründen nachgewiesen wurde, so
durch Fauriel (»Chants populaires de la Grèce moderne«, Par. 1824; deutsch von W. Müller, Leipz. 1825),
Bybilakis (»Neugriechisches
Leben, verglichen mit dem altgriechischen«, Berl. 1840),
Firmenich (»Neugriechische Volksgesänge«, das. 1840-67, 2 Tle.) und
B. Schmidt (»Das Volksleben der Neugriechen und das hellenische Altertum«, Leipz. 1870).
Religion.
Nach dem Religionsbekenntnis verteilt sich die Bevölkerung Griechenlands folgendermaßen: orientalische
Griechen 1,902,800, Christen andrer Kulte 14,677, Israeliten 5792, Mohammedaner 24,165. Staatsreligion ist die der orientalisch-griechischen
Kirche, welche früher von dem Patriarchen in Konstantinopel beaufsichtigt wurde, 1833 aber sich von der kirchlichen Herrschaft
desselben lossagte und durch Einsetzung eines einheimischen obersten Kirchenregiments zur Nationalkirche gestaltete.
Die oberste geistliche Behörde ist die permanente heilige Synode zu Athen, die aus fünf Mitgliedern besteht, welche von dem
König, als dem Oberhaupt der Kirchenverwaltung, aus der höchsten Geistlichkeit gewählt werden, deren Beschlüsse aber der
königlichen Bestätigung bedürfen. Die Zahl der Geistlichkeit ist bedeutend, war aber früher noch beträchtlicher. Es
beläuft sich die Zahl der hohen geistlichen Ämter (in den alten Provinzen) auf 31, nämlich 1 Metropolit (zu Athen, Präsident
der heiligen Synode), 14 Erzbischöfe und 16 Bischöfe.
Sowohl Bischöfe als Erzbischöfe werden vom König gewählt. 1879 gab es (in den alten Provinzen) 145 Mönchs- und 23 Nonnenklöster
mit 2116 Mönchen, 1142 Laienbrüdern und 541 Nonnen; vor 1833 dagegen 400 Mönchs- und 110 Nonnenklöster.
Geistliche überhaupt zählte man 7952. Unter der Türkenherrschaft besaß der Klerus fast ein Viertel des Bodens, und auch jetzt
noch ist er im Besitz bedeutender Ländereien. Das Vermögen der seit 1833 aufgehobenen Klöster wurde zu gunsten
des Kirchen- und Schulwesens verwendet. Der niedere Klerus selbst, der sich verheiraten darf, ist kärglich
mehr
besoldet; sein Einfluß auf die niedern Stände ist, obwohl ihm Gelehrsamkeit abgeht, bedeutend, sehr gering aber auf die Kreise
der Gebildeten. Im übrigen haben alle christlichen Bekenntnisse und Sekten sowie der Mosaismus und selbst der Islam freie Religionsübung.
Römische Katholiken leben auf Syra, zu Athen und auf den Ionischen Inseln unter zwei Erzbischöfen (zu Naxos
und Korfu) und vier Bischöfen. Der Grieche ist fanatisch für seinen Glauben eingenommen und haßt den Katholiken mehr als
den Türken. Protestanten gibt es nur vereinzelt. Mohammedaner gibt es noch in Thessalien, deren Zahl aber nicht bekannt und
jüngst durch Auswanderung zusammengeschmolzen ist. Der julianische Kalender dient zur Zeitrechnung.
Bildung, Charakter und Lebensweise.
Das Schulwesen, das unter der Herrschaft der Türken ganz daniederlag, hat seit der Revolution den erfreulichsten Aufschwung
genommen. Seit 1834 ist der Primärunterricht obligatorisch. Während es 1832 in ganz Griechenland nur 75 Elementarschulen, 18 hellenische
Schulen (Progymnasien) und 3 Gymnasien gab (mit 11,000 Schülern), zählte man 1878: 1030 Elementarschulen
für Knaben (von denen 65 Proz. die Schulen besuchen), 164 für Mädchen, 136 hellenische Schulen und 18 Gymnasien.
Diese Zahlen haben sich seitdem noch vergrößert. Immerhin gehörten 1879 vom männlichen Geschlecht 69 Proz., vom weiblichen 93 Proz.
zu den Analphabeten. Außerdem bestehen an Bildungsanstalten: ein Polytechnikum, eine theologische Akademie, 3 theologische
(griechisch-orientalische) Bildungsanstalten (Seminare), 4 Normalschulen zur Bildung von Lehrern, eine höhere Zentralschule
für Mädchen, 5 nautische Schulen, eine landwirtschaftliche Akademie, eine Militärschule im Piräeus und die Universität zu
Athen mit (1878) 79 Dozenten und ca. 1250 Studenten.
Rühmliches leistet auch die Archäologische Gesellschaft zu Athen. Zu nennen sind außerdem zahlreiche
(12) Vereine (Syllogoi) für wissenschaftliche, künstlerische und Unterrichtszwecke; die Nationalbibliothek mit 92,215 Bänden
und 5 kleinere in und außerhalb Athens sowie das archäologische und das numismatische Museum in Athen. Vor der Befreiung des
Landes von der Türkenherrschaft existierte nirgends in den von Griechen bewohnten Ländern, außer in
Konstantinopel, Korfu und Zante, eine griechische Buchdruckerei; 1878 gab es deren 104, davon 44 in Athen, welches außerdem 16 von
den 50 existierenden Buchhandlungen zählt. 1877 erschienen in Griechenland 57 Zeitungen und 15 Zeitschriften, davon resp. 34 und 13 in
Athen. Von 1867 bis 1877 erschienen in Griechenland 1479 Bücher.
Die geistigen Anlagen der Neugriechen sind überaus glücklich. Fast alle Gebildeten sprechen französisch und englisch; auf
den Inseln und im westlichen Morea sprechen selbst viele Personen der niedern Stände italienisch. Scharfsinn, feurige Einbildungskraft
und Witz gehen auch dem gemeinsten Griechen nicht ab. Den Frauen sind tiefes Gefühl, ruhige Würde, Ehrbarkeit,
Wärme des Ausdrucks, naive Beredsamkeit und eine gänzliche Hingebung und Aufopferung für den geliebten Gegenstand eigen,
wie sie auch an Freiheitsliebe den Männern nicht nachstehen. Im Nationalcharakter der Griechen sind zumeist infolge des
jahrhundertelang auf ihnen lastenden Druckes die schlechten Eigenschaften fast überwiegend; namentlich müssen
Eitelkeit, Prahlsucht, Mißtrauen gegen Fremde, Hang zum Lügen, Unzuverlässigkeit, Neigung zu Intrigen, Betrug und Übervorteilung
als allgemeine Charakterfehler erwähnt werden.
Die »griechische Treue«
ist berüchtigt. Dazu kommt noch ihr Hang zu Müßiggang. Es herrscht Scheu vor jedem Handwerk und strenger
Arbeit; jeder will Handel treiben, für den der Grieche allerdings wie geschaffen ist. Eine Folge davon ist
der hohe Arbeitslohn in den Städten und der niedrige Stand der Bodenkultur. Die Landbewohner stellen sich übrigens in Bezug
auf die angeführten Fehler besser als die Städter. Zu den guten Eigenschaften der Griechen gehören ihre Höflichkeit, Gefälligkeit
und Freundlichkeit, die Freigebigkeit der Reichen zu wissenschaftlichen und kulturellen Zwecken. Ihre Gastfreundschaft
erinnert an die Homerischen Erzählungen, auch Mäßigkeit ist eine der hervorragendsten Nationaltugenden. Der Grieche ist
ferner tapfer, freiheitliebend, gewandt und bewahrt ein reizbares Gemüt, das sich ebenso leicht der Fröhlichkeit wie der
unversöhnlichen Rachsucht hingibt.
Die Lebensweise der Griechen hat ihre Eigentümlichkeiten am meisten ans dem Land und in kleinen Städten
erhalten. Die Wohnungen der Landbewohner sind einfach und auf wenige Räume beschränkt. Der untere Teil der Behausung dient
zu ökonomischen Zwecken, der obere zum Aufenthalt. Glasfenster und Stühle fehlen, eine hölzerne Bank oder der mit Matten belegte
Fußboden ersetzt die letztern; ärmere Leute kommen nicht aus den Kleidern, sie schlafen darin.
In den Städten sind die Häuser selten zwei Stockwerke hoch.
Schornsteine fehlen, Öfen kannte man vor 50 Jahren noch wenig. Vieles Hausgerät zeigt antike Form. Bei den Mahlzeiten herrscht
noch viel von der alten Sitte und Einfachheit. Selten ißt das Landvolk warme Speisen. Brot, dazu etwas
Käse, Früchte, Zwiebeln oder gesalzene Fische sind die tägliche Nahrung, reines Wasser oder ein Schluck wohlfeilen Harzweins
(Resinat) das Getränk. Fleisch wird selten genossen, zumal die Griechen die häufig vorkommenden Fasttage gewissenhaft halten.
Man sitzt bei den Mahlzeiten an kleinen Tischen auf türkische Weise und bedient sich der Finger statt Gabel
und Messer; die Hausfrau bedient, ohne mit zu essen; vor und nach Tisch wäscht man die Hände. Den Kaffee nehmen die Männer
in den Lokanden (Speisehäusern), deren es in dem kleinsten Dorf mehrere gibt. Das Tabakrauchen ist allgemein verbreitet
und selbst vielen Frauen zur Gewohnheit geworden. Die (ursprünglich albanesische) Nationaltracht der Männer
besteht aus einem bunten, vorn offen stehenden Spenzer, einer kurzen, gleichfarbigen, gestickten Jacke darüber und einem farbigen
Überwurf mit geschlitzten Ärmeln um die Schultern.
Die Hüften umschließt ein breiter, verzierter Gürtel, der die Pistolen und den Handschar hält. Von diesem abwärts reicht
bis unter die Kniee ein weißes, in zahllose Falten gelegtes Hemd, die sogen. Fustanella. Die Hauptfarben ihrer Kleidung sind:
Blau, Rot, Weiß, Gold. Nur die Inselbewohner tragen eine blaue Fustanella. Die Wade deckt ein weißer Strumpf oder enge, bunt
gestickte Gamaschen, die Füße zierliche rote Schnabelschuhe. Zur Einhüllung des Oberkörpers dient ein
Mantel von braunem, dickem Zeug oder aus zottigem Ziegenfell. Die Tracht der Frauen ist nach den verschiedenen Gegenden verschieden.
Ein vom Hals bis zu den Füßen herabwallendes wollenes Kleid, um die Hüften von einem bunten Shawl oder Gürtel zusammengehalten,
darüber ein kürzeres wollenes Oberkleid bilden die gewöhnliche Tracht. Das Haar, zum Teil in Zöpfe geflochten,
hängt frei den Rücken hinab. Noch jetzt grüßen die Griechen nach Art der alten Athener, indem sie die flache rechte
mehr
Hand gegen das Herz halten und den linken Arm mit einer leichten Beugung des Kopfes sinken lassen. Die Schließung der Ehe wird
als Geschäftssache behandelt, welche die Väter ohne weitere Befragung der Kinder abmachen. Der Bräutigam erhält das Verzeichnis
der Mitgift schriftlich, führt die Braut nach der Trauung im festlichen Zug
mit Musik in seine Wohnung, wo sie
nach der Sitte acht Tage für die Welt unsichtbar bleibt. Das Leben der griechischen Frauen ist ein häuslich abgeschlossenes.
Ehescheidungen kommen häufig vor. Bei Todesfällen wird der Leichnam mit Wein gewaschen und mit Blumen geschmückt, wobei Verwandte
und Freunde eine Totenklage anstimmen. Für Musik, Tanz und Festlichkeiten haben die Griechen eine große
Vorliebe. Ihre Volkslieder singen sie in einförmigen, melancholischen Weisen. Auch herumziehende Rhapsoden findet man oft. Zu
solcher Musik tanzen die Männer zu zweien, aber ohne besondere Lebhaftigkeit. Die Frauen, welche den Tanz leidenschaftlich lieben,
jedoch nur unter sich und von den Männern getrennt ausüben, kauern während des Schauspiels als müßige
Zuschauer in der Ferne an den Mauern. Eine Standesverschiedenheit der Bewohner besteht nur in deren verschiedenen Beschäftigungsarten.
Einen Adel gibt es in Griechenland nicht; einige fanariotische Familien legen sich zwar den Fürsten-, einige ionische den Grafentitel
bei, indessen verbot schon die Verfassung von Trözen (1827) die Erteilung von Adelstiteln.
Bodenkultur.
Zu den fruchtbarsten Strichen Griechenlands gehören die reichen Thäler und Ebenen des Aspropotamo, des Vuriendi, des Mavronero,
des Iri, der Pernitsa in Messenien und des Gastuni und Ruphia in Elis sowie die Inseln Euböa, Andros, Naxos und Paros. Im allgemeinen
hat Griechenland nicht Wasser genug, um seine Felder während der trocknen Jahreszeit zu bewässern, und die früher angelegten künstlichen
Wasserleitungen sind während der Befreiungskriege größtenteils zu Grunde gegangen. Von der Gesamtoberfläche Griechenlands
(mit Ausnahme der Ionischen Inseln) waren 1875: 360,624 Hektar mit Getreide bebaut und zwar mit
Weizen
159586 Hektar, welche ergaben
1540317 Hektol.
Halbfrucht
57749
502011
Roggen
846
5663
Gerste
67910
589649
Hafer
4078
43289
Mais
61816
982295
Buchweizen
5831
46328
Hirse etc.
2808
22652
Drei Fünftel alles ackerbaren Landes (der alten Provinzen) sind zwar noch unbebaut, und nur etwa ein Viertel der Bevölkerung
Griechenlands beschäftigt sich mit dem Ackerbau; aber immerhin hat sich in den Jahren 1865-80 der Anbau
des Sommergetreides in um 50 Proz., der des Weizens um 61, des Tabaks um 53, des Weins um 33, der Korinthen gar um 300 Proz. gesteigert.
Hierdurch wird erklärlich, daß selbst eine gute Ernte den Bedarf der einheimischen Bevölkerung nicht
zu decken vermag und Getreide (Weizen, Gerste, Mais) den stärksten Posten der Einfuhr Griechenlands bildet.
Ursachen dieses niedern Standes der Bodenbewirtschaftung sind Mangel an hinreichenden Arbeitskräften, an einem allgemeinen
freien Grundbesitz, an Wegen, an vollkommenen Ackergerätschaften (der Pflug ist meist noch der alte griechische) und der
mangelhafte Zustand der Rinder- und Pferdezucht. Einen Gegenstand des Gewinns wirft die Bodenkultur nur
in der Produktion von Korinthen, Wein, Feigen
und Öl sowie in der Seidenzucht ab. Durch die Vertreibung der Türken fielen sämtliche
diesen gehörige Besitzungen dem Staat anheim, so daß dieser noch jetzt fast die Hälfte alles Grundes
und Bodens sein eigen nennt.
Übrigens haben einen beträchtlichen Teil der Staatsbesitzungen die Landleute sich eigenmächtig angeeignet, und durch Art. 101 der
Konstitution von 1864 ist für Verteilung von Nationaleigentum an Grund und Boden Fürsorge getroffen. Pachter desselben bezahlen 15 Proz.
ihrer Einnahme als Pacht. Am meisten wird Weizen gebaut, sodann Gerste, neben Bohnen die Hauptnahrung der
ärmern Volksklasse, und Mais. Reis baut man in den Niederungen von Elis. Hülsenfrüchte und viele Gemüsearten (Artischocken,
Lattich, Kürbisse, Gurken, Zwiebeln etc.) gedeihen um Athen und an den Ufern des Kephisos vortrefflich.
Auf den Inseln baut man sehr guten Blumenkohl. Wenig produktiv, aber von vorzüglicher Qualität ist der
Krapp. Der Tabaksbau (Ausfuhr nach Ägypten 1,783,000 Okken jährlich) nimmt merklich zu und wird hauptsächlich in den schönen
Ebenen von Argolis, an den Ufern des Busens von Korinth, in der Gegend von Kalavryta und in der Ebene von Kalamata betrieben. Mehr
als die Hälfte der Ernte fällt der Ausfuhr zu. Baumwolle, von geringer Qualität, wird in mildern Gegenden
mit Erfolg gebaut, z. B. auf der Insel Santorin, ebenso Mohn.
Sehr ansehnlich ist, sowohl auf den Inseln als auf dem Festland, der beständig zunehmende Weinbau (1875: 87,107 Hektar), der
jetzt (1875) jährlich für 19½ Mill. Drachmen Wein ergibt. 1882 belief sich die Ausfuhr (meist nach Frankreich
und Italien) auf 37,000 hl im Wert von 9 Mill. Drachmen. Man keltert den Wein aus Mangel an Bottichen in Thongruben und verwahrt
ihn zum Teil noch heute, wie im Altertum, in Schläuchen, d. h. durch Öl und Gummiharz dicht gemachten Tierhäuten
oder Ledersäcken, wodurch derselbe einen widerlichen Geschmack erhält.
Sehr berühmt war ehedem der sogen. Malvasier (von Napoli di Malvasia in Morea); heutzutage indessen liefern nur die Inseln Tinos
und Naxos ein dem Malvasier früherer Zeit ähnliches Gewächs. Von vortrefflicher Qualität sind auch die weißen Weine von Kephalonia
und Patras. Die übrigen Weine des Festlandes sind meist mittlern Ranges (s. Griechische Weine). Noch größere
Wichtigkeit hat der Bau von Korinthen, welche Griechenland eigentümlich sind. Sie wurden ursprünglich bei Korinth, am Golf von Lepanto,
gezogen, kommen jetzt aber mehr westlich bei Pyrgos, Vostitsa bis gegen Patras, auch bei Missolunghi, außerdem in Messenien,
auf Kephalonia, Santa Maura und Thiaki vor. 1875 nahmen die Korinthenpflanzungen ein Areal von 36,630 Hektar ein und dehnen sich
fortgesetzt auf Kosten der Oliven-, Maulbeer- und Südfruchtpflanzungen aus.
Der Ertrag der Korinthenpflanzungen wechselt sehr; 1870 wurden für 17,3 Mill. Drachmen ausgeführt, 1871 für 30,3, 1872 für
25,4, 1873 für 35,6, 1874 für 37,2, 1875 für
37,5, jetzt für ca. 50. Die 85er Ernte ergab 103 Mill. kg, ein Drittel weniger als 1884. Die am meisten vorkommenden Obstarten
sind Kirschen, Äpfel und Birnen; doch steht die Obstbaumzucht im allgemeinen auf einer niedern Stufe. Einen wichtigen Handelsartikel
bilden die Feigen, deren Kultur namentlich in der Provinz Messenien betrieben wird (1875: 6347 Hektar). Auch
der Olivenbau hat sich wieder sehr gehoben; eigentliche Wälder von Ölbäumen finden sich bei Athen, Megara, Salona, Sparta, Kalamata
und Koron, auch auf den Inseln. 1838 zählte man 2½ Mill. Bäume, gegenwärtig dürfte sich
mehr
ihre Zahl auf 9-10 Mill. belaufen (1875: 167,900 Hektar; Produktion im Wert von 20 Mill. Drachmen). Mit Maulbeerbäumen, welche
für die Seidenzucht in Betracht kommen, waren 1875 ca. 5400 Hektar bepflanzt. Es gedeihen auch Melonen von seltener Größe,
Limonen (bei Trözen und Sparta), Orangen, Quitten, Granatäpfel, Johannisbrot, Pfirsiche, eßbare Kastanien,
Mandeln, Walnüsse, Süßholz (ein bedeutender Handelsartikel). Felder und Gärten liefern ferner: Sesam, Gummitragant, Anis, Kümmel,
Pfriemkraut, Rosmarin, Salbei, Baldrian, Meerrettich, Rettich, Kürbisse;
eine Menge Farbepflanzen, Judenkirschen, Nieswurz, Osterluzei,
Schwarzwurzel, Zichorien;
auch Hanf und Flachs gedeihen. Zu den verbreitetsten Waldbäumen gehören: die italienische Kiefer,
die Weißtanne, die italienische Eiche, die levantische oder Knoppereiche, welche die Knoppern liefert (besonders
in der Maina und auf Kea), die gemeine Eiche, die Platane, die griechische Pappel, die rauhe Ulme;
seltener sind der Ahorn, der
Eibenbaum (Taxus) und die Steinlinde. Zu den gewöhnlichen Straucharten gehören: die Sandbeere, der Mastixbaum, der Wacholder
und der Buchsbaum.
Schöne Wälder haben übrigens nur die Gebirge im nordwestlichen Griechenland, das Innere von Morea
und Euböa; sonst sind vielfach die Wälder gänzlich ruiniert. Manche Länder und Inseln, wie Argos und Attika, sind fast baumlos,
viele Berge, wie der Helikon und Pentelikon, vom Blätterschmuck entkleidet. Die Waldfläche wird auf 8200 qkm geschätzt, wovon 2200 auf
die neuen Provinzen (ausschließlich der Berge), 3300 auf Mittelgriechenland (besonders die Osthälfte), 2070 auf den Peloponnes
und 630 auf Euböa entfallen. 80 Proz. sind Staatswald. Erst seit 1877 besteht eine Waldwirtschaft mit 3 Forstinspektoren
und 190 Forstgendarmen unter einem Hauptmann und je einem Oberleutnant für jede Provinz.
Vgl. Chloros, Die
Waldverhältnisse Griechenlands (Münch. 1884).
Tierwelt.
Was das Tierreich betrifft, so sind Raubtiere gegenwärtig selten; hin und wieder finden sich Wölfe, häufiger Schakale. In den
Wäldern von Akarnanien und Ätolien gibt es Eber; Hasen, Wachteln und Rebhühner sind häufig; Fasanen werden in der Nähe von Thermopylä
und in Arkadien gefunden. Schnepfen, Steinhühner und andres Federwild geben im Herbst und Frühling einen
guten Fang, und alle Zugvögel machen bei ihrem Flug über das Mittelländische Meer in Griechenland Halt.
Hier und da trifft man auch Pelikane, wilde Schwäne und Trappen, auf den Inseln besonders viele Wachteln. Nachtigallen finden
sich in quellenreichen Strichen; Raubvögel sind häufig. Die See liefert gute Fische, Austern und Muscheln.
Bezüglich der Viehzucht (man zählte 1875: 159,153 Rinder, 81,984 Kühe, 794 Büffel, 37,514 Kälber, 97,176 Pferde, 45,440 Maulesel,
97,395 Esel, 179,662 Schweine, 2,291,917 Schafe, 1,836,628 Ziegen) ist die Schaf- und Ziegenzucht am bedeutendsten.
Das griechische Schaf ist eine kleine Art mit langen Hörnern und schlechter, aber reichlicher Wolle; aus
der Milch bereitet man Butter und vortrefflichen Käse (für Arkadien Ausfuhrartikel). Wo die Schafzucht keinen guten Erfolg
hat, treten Ziegen an ihre Stelle. Schafe wie Ziegen, welche beide die üblichste Fleischspeise liefern, bleiben immer im Freien:
im Sommer auf den Gebirgen, im Winter in den Ebenen. Das Rindvieh Griechenlands ist eine kleine Gattung (das
beste in Livadien) und wird fast nur zum Pflügen benutzt.
Büffel finden sich vorzugsweise auf dem Pindos, wo, man sie vor Wagen und Pflug spannt. Die Pferdezucht ist
im Entstehen; die
Rasse (ein Mittelding zwischen der arabischen und thrakischen) ist klein und unansehnlich, aber dauerhaft.
Maulesel (bloß als Lasttiere benutzt) und Esel werden häufig gezogen (besonders im NW.), Maultiere dagegen sind selten. Schweine
sind besonders in Arkadien häufig. Große und gefährliche Hunde finden sich in jeder Dorfschaft. Von Belang ist ferner die
Bienenzucht, die einen vortrefflichen Honig liefert (seit alten Zeiten berühmt ist der Honig vom Hymettos
bei Athen); Honig und Wachs sind Ausfuhrartikel.
Auf der Kermeseiche kommt der Kermes vor, am meisten um Tripolitsa. Einen hohen Aufschwung hat die Seidenzucht genommen. Die
meiste Seide wird in Morea gewonnen und im Land selbst abgehaspelt. Der durchschnittliche Ertrag der Kokons
hat gegenwärtig einen Wert von mehr als 6 Mill. Drachmen, während er sich 1840 nur auf 650,000 Drachmen belief. Nennenswert
sind endlich die Zucht von Blutegeln und die Gewinnung von Badeschwämmen (bei den Inseln Kalymnos und Symi sowie an den Küsten
von Tripolis, Tunesien und Kreta). 1883 gab es 723 Boote mit je 5-7 Mann Besatzung, die jährlich für ca. 2½
Mill. Drachmen Schwämme fischen.
Bergbau, Industrie, Handel und Verkehr.
Der Bergbau hatte bis in die neueste Zeit eine geringe Ausdehnung, obwohl es, wie man schon aus dem Altertum wußte, an Eisen,
Blei und Kupfer nicht fehlt. Die einzigen mineralischen Produkte von Wichtigkeit, welche man gewann, waren
der berühmte Marmor von Paros und vom Pentelikon, Schmirgel von Naxos, Puzzolanerde von Santorin, Braunkohlen von Euböa, Mühlsteine
und Gips von Milos. Seit neuerdings (1864) das antike Silberbleibergwerk am Lauriongebirge mit Erfolg wieder aufgenommen wurde
und eine weitere Prüfung der von den Alten bearbeiteten Minen ergab, daß die daliegenden Erzschlacken
noch stark metallhaltig und die Minen selbst aus Mangel an passenden Werkzeugen nur sehr wenig tief ausgearbeitet waren, ist
ein übergroßer Unternehmungsgeist auf montanem Gebiet erwacht.
Die Regierung wurde mit Gesuchen um Bergbaukonzessionen bestürmt, und 1882 bestanden über 20 Aktiengesellschaften
zur Ausbeutung der Minen, von denen aber die meisten 1883 infolge der Finanzkrisis ihre Arbeiten einstellten. Für 1880 wurde
die Gesamtproduktion (namentlich an Zink, Marmor und silberhaltigem Bleierz) auf ca. 7¼ Mill. Drachmen geschätzt. 1884 betrug
die Bleiproduktion der griechischen Gesellschaft für Hüttenindustrie im Laurion 7786 Ton.; die französische
Bergwerkskompanie förderte daselbst 1883: 106,630 T. Erze (besonders Galmei).
Die gewerbliche Industrie der Griechen lag bei Gründung des Königreichs gänzlich danieder und steht auch heute noch auf keiner
sehr hohen Stufe. Indessen gelang es doch den Bemühungen der Regierung, unter Beiziehung auswärtiger Gewerbsleute innerhalb
eines Vierteljahrhunderts fast alle Arten von Gewerben in Gang zu bringen, so daß 1859 in Athen sogar eine
Industrieausstellung veranstaltet werden könnte. 1875 bestanden in Griechenland 108 Fabriken mit Dampfbetrieb (zu 2884 Pferdekräften),
die meisten (33) in Piräeus und (11) in Athen;
darunter 44 Mahlmühlen, 12 Kokonspinnereien, 6 Seidenspinnereien, 11 Ölmühlen, 10 Maschinenfabriken, 10 Wein-
und Alkoholfabriken etc. Besondere Erwähnung unter den einzelnen Industriezweigen
verdienen: das Leder von Syra (besonders Maroquin in roter und gelber Farbe);
Fesse und Seide von Athen;
Kattun von Nauplia und Syra;
Leinwand von Siphnos;
Seife von
mehr
Piräeus, Syra und Patras; Konfitüren von Athen wie von allen größern Städten. Allein bei allem Vorwärtsstreben ist in Bezug
auf Industrie noch immer vom Ausland abhängig. Dagegen hat sich unter allen kriegerischen Unruhen der Schiffbau behauptet und
eine große Ausbildung erlangt. Die Hauptwerften sind auf Paros, Hydra, Syra und in Galaxidi am Golf von Lepanto.
Jährlich werden etwa 200 Fahrzeuge (darunter nicht selten Schiffe von 150-300 Ton. Gehalt) vom Stapel gelassen.
[Handel und Verkehr.]
Das wahre Lebenselement für Griechenland ist der Handel, zu welchem es durch seine günstige Lage und Küstenentwickelung
schon von Natur im hohen Grad berufen erscheint. Derselbe dürfte an Umfang gewinnen, wenn der 1882 begonnene
Durchstich des Isthmus von Korinth beendet sein wird, was man für das Jahr 1890 erwartet. Von dem Kanal, welcher bei einer
Länge von 6,2 km eine Tiefe von 8 m (unter der Wasserlinie) und eine Breite von 22 m besitzen wird, ist
jedoch erst ein Viertel vollendet.
Durch den mangelhaften Zustand seiner Industrie und seines Ackerbaues gezwungen, eine Menge von Artikeln sowie Getreide vom Ausland
zu beziehen, gibt Griechenland diesem dafür seine reichen Ernten an Wein, Korinthen, Feigen, Zitronen etc. ab, und dieser Tausch nährt
den lebhaftesten auswärtigen Handel. In den Handelsstädten der Türkei, Italiens, Österreichs, Rußlands,
Frankreichs, Englands, Kleinasiens und Ägyptens sind griechische Kaufleute angesiedelt, die daselbst ansehnliche Geschäfte betreiben.
Unter den Haupthandelsplätzen Griechenlands sind als Einfuhrhäfen hervorzuheben: Hermupolis (teils für den Verbrauch der
umliegenden Inseln, teils zur Wiederausfuhr nach der Türkei, Kleinasien und Kandia), Piräeus, der Hafen Athens (zur
Versorgung dieser Hauptstadt, des nördlichen Teils von Livadien und eines Teils von Morea), und Patras (teils für den Absatz
in Westgriechenland, teils zur Wiederausfuhr nach den Ionischen Inseln, der Türkei); als Ausfuhrhäfen: Patras, Kalamata, Nauplia,
Korfu, Katakolo.
Die Handelsflotte Griechenlands hat seit dem Befreiungskrieg einen wunderbaren Aufschwung genommen und ist
vorzugsweise im Besitz der Inseln. 1882 zählte die griechische Handelsmarine 3224 Seeschiffe (langer Fahrt) von 250,143 Ton.
Tragfähigkeit und 28,000 Mann Bemannung, darunter 60 Dampfer von 30,782 T. Die Schiffahrtsbewegung, die sich in den Häfen
von Korfu, Hermupolis, Piräeus (Athen) und Patras am lebhaftesten gestaltete, ergab 1883: 6872 einlaufende Seeschiffe
von 2,061,682 T. und 4874 auslaufende von 1,991,865 T. Am stärksten beteiligt sind dabei England, dann Österreich (seit 1882),
Frankreich, Rußland, Türkei und Italien.
Was den Handel anlangt, so liegen folgende Angaben für die Jahre 1881 und 1882 vor. Die Einfuhr, deren wichtigste Gegenstände
Getreide und Mehl, Gewebe, Holz, Zucker, Felle, Eingemachtes und Kaviar, Metalle, Getränke und Spirituosen, Kohle
etc. sind, betrug 1881: 130,667,908 alte Drachmen (à 72,5 Pf.), 1882: 160,173,491 alte Drachmen;
die Ausfuhr (Hauptartikel:
Korinthen, Metalle, Olivenöl, Feigen, Weine, Knoppern, Felle, Tabak, Schwämme, Blei, Garn und Seife) 1881: 78,524,839 alte Drachmen,
1882: 85,780,116 alte Drachmen. Näheres ergibt sich aus der folgenden Tabelle; darin erscheint der Handel
mit Deutschland unbedeutend, doch soll die deutsche Einfuhr nach in den letzten Jahren auf 8-9 Mill. Mk. gestiegen sein. Die
griechische Statistik bezeichnet aber sämtliche über Triest eingeführte Waren, wovon etwa ein Drittel deutschen Ursprungs
ist, als österreichische.
Einfuhr 1881
1882
Ausfuhr 1881
1882
Großbritannien
37344295
45082656
41082032
39098563
Österreich
22180832
34131726
6490553
7823748
Rußland
23839105
24669364
1993983
1530347
Türkei
21071207
22722130
3173445
5040876
Frankreich
14753564
20416112
12937878
23323426
Italien
6317923
6866778
3209307
1340365
Deutschland
-
30013
2384318
1408650
Mit
geringern Beträgen sind ferner Ägypten, Amerika, Belgien, die Donaustaaten, Niederlande, Rumänien etc.
beteiligt.
Für den Seeverkehr ist durch ein wohl eingerichtetes Lotsenwesen und Leuchtfeuersystem gut gesorgt. Regelmäßige Dampfschiffahrten
werden von drei griechischen Dampfschiffahrtsgesellschaften nach den Inseln und längs der Küsten sowie von österreichischen
Lloyd-, italienischen, niederländischen, französischen (zwei Gesellschaften) und ägyptischen Dampfern nach dem Ausland unterhalten.
An Fahrstraßen leidet dagegen Griechenland noch großen Mangel. Noch vor wenigen Jahren waren die Straße von Athen
nach Theben und die 20 km lange von Lerna nach Tripolitsa die beiden einzigen fahrbaren Straßen im Land. 1883 und 1884 sind 430 km
neue Straßen gebaut worden, darunter 270 km Hauptstraßen von einer französischen Gesellschaft.
Auf dem Gebiet des Eisenbahnbaues herrscht jetzt große Rührigkeit. Vor 1883 gab es nur 21 km (Athen-Piräeus
und Katakolo-Pyrgos); seitdem aber folgten Athen-Kephisia, Athen-Laurion, Athen-Korinth (weiter über Patras bis Pyrgos im Bau),
Volos-Larissa und Velestinos-Pharsalos. Projektiert ist eine Bahn von Athen bis Salonichi. Die Telegraphenlinien hatten 1884 eine
Länge von 5104, die Drähte von 6293 km; es bestanden 149 Büreaus. Im Sommer 1884 wurden sämtliche Inseln
durch Kabel miteinander und mit dem übrigen griechischen Telegraphennetz verbunden.
Nach dem Ausland gibt es fünf verschiedene Linien. Postbüreaus gab es 1883: 212, welche 5 Mill. Briefe u. Postkarten, 3,4 Mill.
Drucksachen und Zeitungen beförderten. Zur Beförderung des Handels und Verkehrs dienen außerdem Handels-
u. Schiffahrtsverträge mit den meisten Staaten Europas, 10 Handelskammern nebst dem General-Handelskomitee in Athen, vorzugsweise
aber die 1842 ins Leben getretene Nationalbank zu Athen und die Ionische Bank (früher in Korfu, seit 1864 ebenfalls in Athen),
die beide das alleinige Recht der Notenemission im Staat haben. Im ganzen gab es 1875 in Griechenland 10 Versicherungen, 16 industrielle, 18 metallurgische, 5 Kreditgesellschaften,
zusammen mit einem nominellen Kapital von 134 Mill. Drachmen (davon emittiert 74 Mill.). Die gesetzliche Münze ist die Drachme;
die alte Drachme galt 0,725 Mk. = 88 Cent., geteilt in 100 Lepta; 28 Drachmen = 1 Pfd. Sterl. 1883 ist die
neue Drachme = 0,80 Mk. eingeführt, so daß 100 neue Drachmen = 112 alten Drachmen sind.
Seit ist in Griechenland, welches 1868 der sogen. lateinischen Münzkonvention beitrat, die französische Münzwährung eingeführt,
wobei nur Silber als Scheidemünze dient; die Benennungen Drachme und Lepta bleiben für Frank und Centime.
Ein Gesetz von 1836 verfügte die Einführung des französischen metrischen Maß- und Gewichtssystems mit Beibehaltung der
vorher üblichen Benennungen unter dem Zusatz »königliche«. Längenmaß
ist danach die (königliche) Piki = 10 Palmen (à 10 Zoll à 10 Linien) = 1 m (früher = ¾ m); Wegmaß das
Stadion - 1000 Piki = 1 km (das alte Stadion = 184,2 m); Getreidemaß das
mehr
Kilo = 1 hl (früher = 33,16 Lit.). Das Gewicht, früher je nach den Gegenständen, für die es gebraucht wurde, sehr verschieden,
ist jetzt für alle Gegenstände die (königliche) Mine = 1500 Drachmen (oder Gramm) = 1½ kg = 1 1/5 neue Okken (= 1,172 alte
Okken); 100 Minen = 1 Talent = 150 kg, 10 Talent = 1 Tonne. Im Verkehr freilich ist die Geltung der neuen
Maßgrößen nur erst zum Teil durchgedrungen.
Staatsverfassung und Verwaltung.
Das Königreich ist nach der Verfassung vom und deren Revision vom eine eingeschränkte Monarchie. König
ist seit 1863 Georgios I. (geb. früher Prinz von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Glücksburg.
Die Krone ist erblich in männlicher Linie der Nachkommen des Königs. Bei deren Ermangelung oder im Fall des Aussterbens geht
die Nachfolge auf dessen jüngern Bruder und dessen Nachkommen über; in keinem Fall aber können die Kronen Dänemarks und
Griechenlands auf Einem Haupt vereinigt werden.
Der König besitzt die ausübende Gewalt allein; die gesetzgebende ruht aber in der Nationalversammlung, welche aus einer einzigen
Kammer von 150 Deputierten besteht, die durch allgemeine, direkte Wahlen auf die Dauer einer parlamentarischen Periode von 3 Jahren
berufen werden. Oberste Behörde ist das Ministerkonseil; es bestehen 7 Ministerien: des Innern, des Äußern,
der Justiz, der Finanzen, des Kultus und öffentlichen Unterrichts, des Kriegs und der Marine.
Unter dem Ministerrat stehen der Rechnungshof, das Generalschatzamt, das Generalpostamt, das Statistische Bureau. Für die
innere Verwaltung ist das Reich in die oben aufgeführten 16 Nomen geteilt mit je einem Nomarchen (Präsidenten),
ferner in 70 Eparchien mit je einem Eparchen (Landrat oder Kreishauptmann) und in 442 Demen mit je einem Demarchen an der Spitze,
denen je ein Rat zur Seite steht. Diese Beamten verwalten auch in drei Instanzen die Polizei; nur die Hauptstadt steht unter
einem eignen Polizeipräfekten. Im übrigen hat das Räuberunwesen, vielleicht von den Distrikten an der
türkischen Grenze abgesehen, jetzt völlig aufgehört. Für die Rechtspflege besteht als oberster Gerichtshof der Areopag, ein
Kassationshof, zu Athen. Zweite Instanzen sind die vier Appellationsgerichte zu Athen, Nauplia, Patras und Korfu, welchen die Gerichts-
und Assisenhöfe erster Instanz (16 an der Zahl) untergeordnet sind. Außerdem gibt es 175 Friedensgerichte
für leichtere Rechtsfälle und Polizeisachen sowie Schiedsgerichte für Zivilsachen.
Die Finanzen des Staats befanden sich von Anfang an in einem bedenklichen Chaos, das zu ordnen in den mehr als 50 Jahren seines
Bestehens nicht gelungen und neuerdings durch die wiederholten Kriegsrüstungen (1880, 1884 ff.)
noch gesteigert worden ist. Die Bilanz ergab fast stets ein Defizit, das somit von Jahr zu Jahr wuchs. Die Budgets beruhen meistens
auf Fiktionen, indem die Einnahmen zu hoch veranschlagt werden. Dieselben blieben z. B. 1884 hinter dem Voranschlag um 40 Mill.
Drachmen zurück. 1880 betrug das Defizit angeblich rund 61 Mill. Drachmen, 1881: 62,317,162 Drachmen. Für
das Jahr 1885 waren die Ausgaben auf 85,497,005, die Einnahmen auf 74,006,586 neue Drachmen veranschlagt, so daß ein Defizit
von über 11 Mill. Drachmen in Aussicht stand (für 1886 wurde dasselbe im März d. J. infolge der Mobilmachung auf 93 Mill.
Drachmen geschätzt). Unter den Ausgaben erfordern die
Zivilliste
1012500 neue Drachmen
Kosten der Staatsschuld
30384666
Armee
18235278
Marine
3554139
Innere Verwaltung
6519110
Justiz
3946267
Kultus und Unterricht
3115549
Auswärtige Angelegenheiten
2120654
Unter
den Einnahmen waren die direkten Steuern auf 17 Mill., die Zölle und indirekten Steuern auf 39 Mill. Drachmen
veranschlagt; im Vorjahr hatte man letztere um 13½ Mill. Drachmen höher angesetzt, wurde aber durch einen Ausfall von 16 Mill.
im Ertrag der indirekten Steuern und Monopole zur Herabsetzung dieses Postens genötigt. Vom Verkauf von Nationalgütern wurden
4,3 Mill. Drachmen erwartet.
Die äußere Staatsschuld betrug 1885: 20,4 Mill. Drachmen, die innere 329,9 Mill. Drachmen, mithin die
gesamte Schuld 350,3 Mill. Drachmen.
Heer und Flotte.
Bei den unsichern staatlichen Zuständen fehlt auch dem Heerwesen noch innere Festigkeit, und namentlich in den letzten Jahren
hat der alles überwuchernde Parteigeist eine sehr schädliche Wirkung auf die Armee geäußert. Die Wehrpflicht ist allgemein.
Die Dienstpflicht beträgt (nach den Wehrgesetzen vom und bei der Fahne für die Infanterie 1, für alle
übrigen Waffen 2 Jahre, in der Reserve 8, resp. 7 und in der Landwehr 10 Jahre. Die Rekruten für die zweijährige Dienstzeit
werden ausgelost und erhalten eine monatliche Zulage von 8-10 Drachmen.
Mit dem Reifezeugnis versehene junge Leute brauchen gegen Erlegung von 300 Drachmen in allen Waffen nur ein Jahr zu dienen.
An der Spitze der Heeresverwaltung stehen der Generalinspekteur der Armee und das Kriegsministerium. Das Königreich zerfällt
in drei Inspektorate: Athen, Larissa und Missolunghi. Die Armee soll aus 27 Infanterie- und 9 Jägerbataillonen
à 4 Kompanien, 3 Hipparchien à 4 Eskadrons Kavallerie, 5 (2 Feld-, 2 Gebirgs-, 1 Festungs-) Bataillonen à 4 Batterien Artillerie, 3 Bataillonen
à 4 Kompanien Genie und 1 Trainkompanie bestehen und ihre Friedensstärke 24,760 Mann (einschließlich aller Chargen) betragen,
wozu indessen noch 5649 Mann Gendarmerie mit 367 Pferden hinzutreten.
Die Infanteriekompanie ist nur 100 Mann (die Jägerkompanie ist stärker), die Eskadron 121 Mann und 105 Pferde stark. Bei
der Mobilisierung im Oktober 1885 ist eine neue Organisation, wonach die Infanterie aus 9 Regimentern zu 3 Bataillonen zu je 1200 Mann
und die Artillerie aus 3 Regimentern zu je 3 Berg-, 3 Feld- und einer zerlegbaren Batterie besteht, bereits
ins Werk gesetzt worden. Zu Ende Februar 1886 wollte Griechenland im ganzen 110-115,000 (?) Mann unter den Fahnen haben. Infanterie und
Jäger sind mit dem Gewehr System Gras (Frankreich M/74), Kavallerie und Artillerie mit Schleppsäbel und dem
Gras-Karabiner, die Unteroffiziere mit einem Revolver bewaffnet.
Die Artillerie, welche Elitetruppe ist, führt 7,5 und 8,7 cm Geschütze von Krupp und ist in jeder Beziehung vortrefflich ausgerüstet.
Artillerie und Genie stehen unter besondern Inspektionen, unter der erstern stehen sowohl der Train als die Arsenaldirektion
mit Artilleriewerkstätte, Feuerwerkslaboratorium und Pulverfabrik und die 14 Verwaltungen (Artilleriedepots);
unter der Genieinspektion stehen noch 7 Geniedirektionen. Neuerdings hat der Minister Trikupis die Kriegsschule im Piräeus in
eine wirkliche Militärakademie
mehr
umgewandelt und eine Unteroffizierschule errichtet, da gerade das Unteroffizierkorps eine der schwächsten Seiten des griechischen
Heers ist.
An innerm Werte durch Ersatz und Ausbildung dem Landheer überlegen ist die Marine. Die Flotte, in zwei Geschwader geteilt, welche
in gewöhnlichen Zeiten in Chalkis und Korfu stationiert sind, bestand 1882 aus 4 Panzerschiffen, 2 Kreuzern
(seitdem wurden in England deren noch 4 zu je 400 Pferdekräften erbaut), 1 Korvette, 8 Kanonenbooten, 5 Avisos, 1 Jacht, 22 Torpedobooten
und Minenlegern und 6 Segelschiffen. Diese Flotte sollte auf 200 Kruppsche Geschütze und 3000 (nach dem Zensus von 1879: 2244)
Mann in Kriegsstärke gebracht werden, und in richtiger Erkenntnis des für die reichgegliederte und vieldurchschnittene
Küste der griechischen Gewässer geeignetsten Verteidigungsmittels wurde in den letzten Jahren vorzugsweise das Torpedowesen
entwickelt.
Haupthafen und Arsenal ist Poros. Unter dem Marineministerium stehen eine Oberinspektion und Hafenkommandos, welche zugleich
die Kontrolle der Seewehr führen; die Marine ergänzt sich zunächst durch Freiwillige, dann durch Auslosung
aus den Bewohnern der »Seegemeinden«. Küstenbefestigungen bestehen in Nauplia, der einzigen wirklichen Festung Griechenlands,
bei Patras, auf den Inseln Lipsokatoli u. Salamis; alles übrige stammt noch aus der venezianischen Zeit und hat keine Bedeutung
mehr.
Das griechische Wappen zeigt in himmelblauem Feld ein schwebendes silbernes Kreuz, in dessen Mitte einen
kleinen, von Silber und Blau geteilten Schild (s. Tafel »Wappen«). Die Landesfarben sind Himmelblau und Weiß. Die Flagge enthält
fünf blaue und vier weiße abwechselnde Längsstreifen, in der obern linken Ecke das Wappen; die Handelsflagge die Streifen
ohne das Wappen (s. Tafel »Flaggen I«).
[* ] Ehrenzeichen sind: ein allgemeines Ehrenzeichen für die Befreiung
Griechenlands und der Erlöserorden (s. d.). Hauptstadt des Landes und königliche Residenz ist Athen.
[Litteratur.]
Zur Landes- und Volkskunde Neugriechenlands vgl. v. Maurer, Das griechische Volk in öffentlicher, kirchlicher
und privatrechtlicher Beziehung (Heidelb. 1835, 3 Bde.);
Pouqueville, La Grèce (Frankf. a. M. 1838);
E. Curtius, Peloponnesos (Gotha 1851-52, 2 Bde.);
Wordsworth, Greece, pictoral, descriptive and historical (neue Ausg., Lond.
1882);
Tozer, Lectures on the geography of Greece (das. 1873);
Neumann und Partsch, Physikalische Geographie von Griechenland (Bresl.
1885);
Hanson, The land of Greece (Lond. 1885);
ferner, außer den Reisewerken von Greverus, Fiedler, Steub, Brandis, Hettner,
Appert, Taylor, Dora d'Istria, Wyse etc.: About, La Grèce contemporaine (8. Aufl., Par. 1883);
W. Vischer,
Erinnerungen und Eindrücke aus Griechenland (Basel1857);
Unger, Wissenschaftliche Ergebnisse einer Reise in Griechenland (Wien 1862);
L. Roß, Erinnerungen
und Mitteilungen aus Griechenland (Berl. 1863);
Jul. Schmidt, Beiträge zur physikalischen Geographie von Griechenland (Leipz. 1864-70);
Tuckerman, Greeks of today (Lond. 1872);
B. Schmidt, Das Volksleben der Griechen (Leipz. 1871);
F. v. Löher, Griechische Küstenfahrten
(Bielef. 1876);
Moraitinis, La Grèce telle qu'elle est (Par. 1877);
Mansolas, La Grèce à l'Exposition universelle de Paris
(das. 1878);
Jebb, Modern Greece (Lond. 1880);
Pervanoglu, Kulturbilder aus Griechenland (Leipz. 1880);
Reisehandbücher
für Griechenland von Bädeker (das. 1883) und Meyer (»Der Orient«, Bd. 2, 2. Aufl.,
das. 1887).
Karten: »Karten von Attika« (hrsg. von Curtius u.
Kaupert, Berl. 1881 ff.);
»Generalkarte des Königreichs Griechenland« (1:300,000; 13 Blatt,
Wien 1885).
Geschichte Neugriechenlands.
Griechenland im Mittelalter.
Die Geschichte des alten Griechenland endete wie die Roms in der Zeit der Völkerwanderung. Vor den verheerenden
Stürmen derselben ward Griechenland weder durch seine südliche Lage noch durch die Macht des oströmischen Kaiserreichs geschützt.
Nachdem seit 251 n. Chr. wiederholte Einfälle der Goten in Mösien und Thrakien stattgefunden, wurden 267 von den ins Ägeische Meer
eindringenden Barbaren mehrere Inseln und Städte, wie Korinth, Sparta, Argos, Tegea und selbst Athen, erobert
und verwüstet.
Durch römische Legionen und Geschwader wurden diese Scharen zwar bald aufgerieben; doch wiederholten sich diese Einfälle der
Barbaren in den nächsten Jahren, bis Kaiser Aurelianus die Balkanhalbinsel dadurch sicherte, daß er 274 das jenseit der Donau
gelegene Dacien den Barbaren als zinspflichtigen Unterthanen überließ. Griechenland blieb nun ein Jahrhundert hindurch von Einfällen
derselben verschont. Erst infolge des Einbruchs der Hunnen in Europa 375 begannen diese von neuem.
Schon 376 ward Thessalien von den Goten in eine Einöde verwandelt. 396 zog Alarich an der Spitze der Westgoten
gegen Griechenland, öffnete sich durch Verrat die Thermopylen und verwüstete Lokris, Phokis und Böotien, ließ Athen unbehelligt und drang
in den Peloponnes ein, wo er Korinth, Argos, Sparta einnahm und Olympia zerstörte. Von dem aus Italien herbeieilenden Stilicho 397 nach
Norden zurückgedrängt, verwüstete er auf dem Rückzug noch Ätolien und Akarnanien, setzte sich im Hochland
von Epirus fest und erzwang sich 398 vom Kaiser Arcadius den Oberbefehl in Illyrien, welche Statthalterschaft damals auch Achaia
umfaßte.
Nachdem er hier vier Jahre hindurch drückende Gewaltherrschaft ausgeübt, zog er zu weitern Thaten nach Westen. Nach dieser
Verheerung erhoben sich nur die bedeutenden Städte, wie Korinth, Sparta, Argos, wieder aus den Trümmern;
das flache Land blieb größtenteils verödet, und die Masse der Bevölkerung drängte sich immer mehr in den Seestädten zusammen.
Des Hunnenkönigs Attila Plünderungszüge berührten bloß die Grenzen von Hellas. Auch die spätern Einbrüche der Ostgoten
unter Theoderich (475) erstreckten sich bloß bis ins nördliche Thessalien, und durch die von Süden her
über das Meer andringenden Vandalen unter Geiserich (466) wurden wahrscheinlich nur die Küsten von Hellas und der Peloponnes
heimgesucht. Erst unter dem Kaiser Justinian I. ward Griechenland (540) wieder von Bulgaren bis zum Isthmus geplündert und verheert.
Die Slawen begannen 577 ihre Einfälle und setzten sich auch in einigen Gegenden auf kurze Zeit fest; in
größern Zügen aber erschienen sie erst, seitdem unter Kaiser Heraklios die Stämme der Kroaten und Serben Dalmatien, Illyrien
und Obermösien bis an die Grenze von Epirus besetzt hatten.
Das Christentum scheint anfangs nur geringe Verbreitung gefunden zu haben. Erst nach der Mitte des 2. Jahrh.
wurden Christengemeinden in Thessalonich, Larissa, Athen, Korinth und auf Kreta zahlreich genug, um Verfolgungen über sich ergehen
zu sehen. Das vom Kaiser Konstantin 312 von Mediolanum aus erlassene Toleranzedikt brachte auch den Christengemeinden in Achaia
freie Religionsübung, doch keinen massenhaften Übertritt. Alle diese Gemeinden bekannten sich zu den
Glaubensartikeln des Konzils von Nicäa, dem mehrere Bischöfe aus Achaia
mehr
beiwohnten. Kaiser Julians Bemühungen, den heidnischen Götterkult von neuem zu beleben, fanden besonders im alten Hellas Anklang,
wo die strengen Gesetze der ersten christlichen Kaiser gegen den Polytheismus wenig Geltung erlangt hatten. Doch hatte sich
auch hier der letztere überlebt und verlor immer mehr Bekenner, als Julians Nachfolger, Jovianus, Valentinian
und Valens, dem klassischen Land keine besondere Bevorzugung mehr wie jener angedeihen ließen. Aber auch die strengen Maßregeln
des Kaisers Theodosius, welcher 396 die heidnischen Priester ihrer Privilegien und Rechte beraubte und bald darauf auch die heidnischen
Tempel schließen ließ, bewirkten noch nicht die völlige Vernichtung des Heidentums, und selbst als der
Kaiser Theodosius der jüngere 426 die letzten noch übrigen Heiligtümer der alten Götter hatte zerstören oder in christliche
Kirchen verwandeln lassen, erhielt sich in entlegenen Gegenden Griechenlands noch heidnischer Kult, wie z. B. unter den Mainoten,
welche erst im 9. Jahrh. unter Kaiser Basilius dem Makedonier zum Christentum bekehrt wurden.
Durch die Teilung des römischen Reichs unter Arcadius und Honorius (395), durch welche ganz Griechenland als Teil der Diözese Makedonien
bei dem östlichen Reich blieb, wurde hinsichtlich der Verwaltung keine wesentliche Veränderung herbeigeführt; das Prokonsulat
von Achaia wurde unter Justinian I. aufgehoben und in die vier Strategien von Hellas, dem Peloponnes, von
Nikopolis und den Inseln des Ägeischen Meers eingeteilt, und der Name Achaia verschwand seitdem ganz. Unter Leo dem Isaurier kam
es wegen des Edikts gegen den Bilderdienst 727 in Griechenland zu einem allgemeinen Aufstand, eine Flotte unter Agallianos segelte nach
Konstantinopel, um Leo zu stürzen; das Unternehmen scheiterte aber an einem voreiligen Angriff auf die
Hauptstadt.
Durch eine furchtbare Pest, welche 746-747 in Griechenland wütete, dezimiert, vermochten die Griechen den wieder beginnenden Einfällen
der Slawen keinen nachdrücklichen Widerstand zu leisten. Slawische Stämme durchzogen jetzt ungehindert ganz Hellas, drangen
über den Isthmus in den Peloponnes ein und ließen sich in den verödeten Gegenden nieder, deren Berge
und Flüsse, Thäler und Landschaften sie mit slawischen Namen belegten. So entstanden neben den altgriechischen oder romäischen
Stadtgemeinden an der Küste damals im Binnenland slawische Gemeinwesen, welche sich unter eigentümlicher Stammverfassung
nach und nach zu besondern Distrikten (Zupanien) verbanden und anfangs im friedlichen Verkehr mit den gebildeten
Griechen viel von deren Art, Sprache und Sitte annahmen, später aber bei weiterer Ausbreitung mit den griechischen Städten
mehrfach feindlich zusammenstießen. Nach hartnäckigem Widerstand von den byzantinischen Kaisern im 9. Jahrh. bezwungen, nahmen
sie das Christentum an und vereinigten sich nach und nach mit der altgriechischen Bevölkerung zu einem
Ganzen.
Es herrschte damals bei ansehnlichem Wohlstand ein reges Leben in Griechenland, namentlich in den Seestädten des Peloponnes. Zweckmäßige
Verteidigungsanstalten machten, daß Versuche der Araber, sich in Griechenland festzusetzen, scheiterten. Nachdem dieselben schon um 867 einen
vergeblichen Angriff auf die Insel Euböa gemacht, wurden sie auch später an den Küsten des Peloponnes,
bei Paträ, Korinth und Methone, mit Verlust zurückgeschlagen und beunruhigten seitdem nur noch die Inseln, bis sie durch Eroberung
der Insel Samos unter Kaiser Leo VI. (886) wieder einige Überlegenheit erhielten, die es ihnen möglich machte, Demetrias im
nördlichen Griechenland
(896), Lemnos (901) und das reiche Thessalonich (904) zu erobern.
Doch verloren sie dieses Übergewicht sehr bald wieder und mußten 961 selbst Kreta räumen. Im 10. Jahrh. drangen dagegen
die Bulgaren, nachdem sie schon Thrakien und Makedonien geraume Zeit heimgesucht hatten, in ein und eroberten 933 Nikopolis,
wo sie eine bulgarische Kolonie gründeten. Nachdem sie eine Zeitlang ruhig geblieben, fielen sie 978 verwüstend
in Thessalien ein und plünderten Larissa. Durch glückliche Kämpfe mit dem Kaiser Basilius (987-989) kühner gemacht, erschienen
sie 995 zum zweitenmal in Thessalien und durchzogen dann auch Böotien, Attika und einen Teil des Peloponnes. Beim Rückzug erlitten
sie eine entscheidende Niederlage, und es blieb seitdem Thessalien von ihnen verschont, zumal nachdem ganz
Bulgarien 1019 dem byzantinischen Reich einverleibt worden.
Schwerer ward Griechenland durch die Heerfahrten der Normannen betroffen. Unter dem Vorwand, den vertriebenen Kaiser Michael (Parapinakes)
wieder auf den Thron zu erheben, erschien Robert Guiscard 1081 mit Heeresmacht an der Küste von Epirus,
eroberte einige Inseln und die wichtigen Küstenstädte Aulon und Dyrrhachium und drang von da aus in das Binnenland bis in
die Gegend von Thessalonich ein. Nach ihm setzte sein Sohn Bohemund diese Eroberungszüge fort, bis er, durch einen verunglückten
Angriff auf Larissa zum Rückzug genötigt, alles Gewonnene wieder verlor.
Bei einer zweiten Heerfahrt (1084) nahmen zwar die Normannen abermals Korfu, Aulon und Buthrotum in Besitz; aber Robert Guiscards
Tod (1085) steckte ihren Unternehmungen in Griechenland vorläufig ein Ziel. Erst 1146 bedrohte König Roger von Sizilien durch seinen Heereszug
nach Osten das eigentliche Griechenland wieder ernstlicher, indem er die reichen Städte Theben und Korinth plünderte.
Noch schwerere Wunden aber schlugen die Unternehmungen der fränkischen Ritter im 13. Jahrh. dem Land, welches damals eine der
wohlhabendsten Provinzen des byzantinischen Reichs bildete.
Die Eroberung von Konstantinopel durch die Franken (1204) führte zu einer Teilung des byzantinischen Reichs, bei welcher der
Markgraf Bonifacius von Montserrat Thessalonich und die Umgegend als Königreich erhielt. Dieser setzte sich in kurzer Zeit in
Besitz von ganz Makedonien, drang in Thessalien ein, schlug bei den Thermopylen ein griechisches Heer unter Leo Sguros und nahm
fast ohne Schwertstreich Theben und Athen, worauf sich ihm auch die Insel Euböa unterwarf. Sein Angriff auf
den Peloponnes scheiterte an den festen Mauern von Korinth und Nauplia.
Fast gleichzeitig mit Bonifacius war Wilhelm von Champlitte (mit ihm Gottfried von Villehardouin, der Geschichtschreiber dieser
Kriege), aus dem Haus der Grafen von Champagne, mit einer Schar an der Westküste des Peloponnes gelandet, hatte
Patras besetzt und von da aus Andravida, Korinth und Argos bis auf die stark befestigten Akropolen erobert und war als Fürst
von Achaia allgemein anerkannt worden. Sein Sieg bei dem Olivenwald von Kondura (1205) über ein aus Griechen und Slawen gebildetes
Heer befestigte seine Herrschaft über den westlichen Teil von Morea bis an den Fuß des Taygetos. Als ihn 1209 Familienverhältnisse
nach Frankreich zurückriefen, verteilte er das eroberte Land nach fränkischer Weise als Lehen unter seine Ritter und übertrug
Villehardouin als seinem Stellvertreter die Oberlehnsherrlichkeit. Die fränkischen Ritter verpflanzten zum Schutz ihrer Herrschaft
das fränkische Feudalwesen nach Griechenland, führten den Heerbann ein und
mehr
nahmen als Norm richterlicher Entscheidung das Gesetzbuch der Assisen von Jerusalem an. Villehardouin erweiterte und befestigte
seine Macht durch weitere Eroberungen sowie dadurch, daß er nicht nur die Ritter, sondern auch die einheimischen Archontenfamilien
für seine Pläne zu gewinnen wußte, und ward auf Grund eines mit Champlitte abgeschlossenen Vertrags von
den Rittern als erblicher Oberherr von Morea anerkannt (1210-18). Sein ältester Sohn, Gottfried, ward nach seiner Vermählung
mit der Tochter des lateinischen Kaisers zu Konstantinopel, Peter von Courtenay (1217-20), zum Fürsten von Achaia erhoben, nachdem
er den Kaiser als Lehnsherrn anerkannt hatte.
Durch Händel mit dem Klerus an weitern Unternehmungen gehindert, starb er 1245 in der Blüte seiner Jahre.
Sein Bruder und Nachfolger Wilhelm (1245-78) eroberte Nauplia und Monembasia, unterwarf auch Melingos und Maina seiner Obergewalt
und demütigte mehrere widerspenstige Vasallen. Als er sich aber an dem Krieg des Despoten Michael II. von Epirus gegen den Kaiser
Michael VIII., Paläologos, beteiligte, geriet er in die Gefangenschaft des letztern und mußte seine
Freilassung 1262 mit Abtretung der drei wichtigsten Plätze, Monembasia, Maina und Leuktra, erkaufen. In seiner Herrschaft über
Morea aber ward er ernstlich bedroht, als der letzte lateinische Kaiser, Balduin II., um durch einen mächtigen Bundesgenossen
sein verlornes Reich wiederzugewinnen, dem König von Sizilien, Karl von Anjou, die Herrschaft über Morea
verlieh; doch ward die dadurch veranlaßte Differenz durch die Vermählung seiner Tochter Isabella mit Karls Sohn Philipp ausgeglichen.
Auch ward das Fürstentum Achaia Lehen des Königreichs Sizilien und blieb als solches, freilich mehr und mehr zusammenschwindend,
noch bis 1346 im Besitz der Nachkommen der Isabella Villehardouin, welche sich nach Philipps Tod (1277) noch
zweimal, mit Florens von Hennegau und Philipp von Savoyen, verheiratet hatte. Auf ihre zweite Heirat begründeten später die
Herzöge von Savoyen Ansprüche auf das Fürstentum Achaia, das, nach des Fürsten Robert (1346) Tod in mehrere Herrschaften
zerfallen, sich durch innere Kämpfe schwächte. 1446 eroberte der türkische Sultan Murad II. den größten Teil des Peloponnes.
Nur die Despotate der Paläologen in Patras und Mistra behielten ihre Unabhängigkeit, drückten aber die Einwohner so hart,
daß sie sich bald empörten und wiederholt die Türken zur Hilfe herbeiriefen. Unter fürchterlichen Greueln
wurde die Halbinsel 1458-61 von Mohammed II. völlig unterworfen und dem türkischen Reich einverleibt.
Im nördlichen Griechenland war der Fortbestand der fränkischen Herrschaft durch den frühzeitigen Tod des Markgrafen Bonifacius von
Montferrat 1207 wieder in Frage gestellt worden. Der lateinische Kaiser Heinrich von Flandern (1206-16) unternahm zwar einen Heereszug
nach Thessalonich, um dem Nachfolger des Bonifacius, Demetrius (1207-22), die ihm von seinem ältern Bruder streitig gemachte
Herrschaft zu sichern. Aber Michael, Despot von Epirus, erst Bundesgenosse des lateinischen Kaisers, dessen Bruder Eustatio er
selbst die Nachfolge in Epirus verheißen hatte, fiel bald wieder von den Franken ab und ernannte seinen
am Kaiserhof zu Nicäa lebenden Bruder Theodoros Angelos Komnenos zu seinem Nachfolger, und diesem gelang es, in kurzer Zeit
seine Herrschaft besonders nach Norden hin auszubreiten.
Nachdem er die Bulgaren zurückgetrieben und die vereinigte Macht des Fürsten von Achaia und des
Herzogs von Athen in Thessalien
geschlagen hatte, drang er in Makedonien ein, eroberte 1222 Thessalonich und ließ sich hier zum Kaiser
krönen. Doch verlor er schon 1230 den größten Teil des eroberten Gebiets wieder an die Bulgaren, die auch fast ganz Epirus
besetzten. Dem Sohn Theodors, Johann, verblieb nur Thessalonich, und auch dies ward bald nachher vom nicäischen
Kaiser Vataces (1222-45) erobert, welcher es aber als ein Despotat seines Kaisertums jenem auch fernerhin überließ.
Des Vataces Nachfolger Michael Paläologos (1259-82) brachte mit Epirus auch das nördliche Griechenland wieder in seine Gewalt, und diese
Länder gehörten seitdem wieder zum Reich der Paläologen, bis sie im folgenden Jahrhundert erst von den
Albanesen, dann aber im 15. Jahrh. von den Türken erobert wurden.
In Mittelgriechenland war ferner von den Franken das Herzogtum Athen begründet worden. Dieses war 1205-1308 im Besitz der Familie
Delaroche geblieben, kam dann durch die Vermählung Isabellas, der Tochter des letzten Herzogs aus dieser Familie, mit Hugo, Grafen
von Brienne, an Walter von Brienne (1308-11), den Sprößling dieser Ehe. Sein Nachfolger Walter II. erlag 1311 im Kampf gegen katalonische
Mietstruppen, welche einen ihrer Führer, Roger Deslaur, zum Herzog einsetzten.
Als sich nach dessen Tod 1312 viele Prätendenten erhoben, traten die Grafen von Brienne das Herzogtum an die Könige
von Sizilien ab, welche es 1386 an den Florentiner Nerio Acciajuoli, der Korinth beherrschte, abtreten mußten. Bei seinem Tod 1394 übergab
Nerio I. das schon von den Türken hart bedrängte Athen den Venezianern, denen es aber sein Bastardsohn Antonio, der bloß die
väterlichen Besitzungen in Böotien erhalten hatte, bereits 1402 wieder abnahm. Als letzterer nach glücklicher
Regierung ohne männliche Nachkommen starb, bemächtigte sich ein Neffe von ihm, Nerio II. (1435-53), der Herrschaft über Athen,
während Theben und die böotischen Besitzungen des Hauses Acciajuoli 1435 von den Türken besetzt wurden.
Nerios Neffe Franco herrschte dann in Athen unter dem Schutz des Sultans, gab aber durch die Ermordung der
Witwe seines Vorgängers Chiara Giorgio demselben einen Vorwand, feindlich gegen ihn zu verfahren. Ein türkisches Heer erschien
unter Omer Pascha vor Athen und zwang den Herzog zur Kapitulation, worauf das Herzogtum 1456 mit dem osmanischen Reich vereinigt
ward. 1467 nahmen zwar die Venezianer unter Victor Capello Athen durch Überrumpelung, verloren es aber nach
kurzer Zeit wieder an die Osmanen, in deren Besitz es dann bis zu den spätern venezianischen Kriegen blieb.
Was die Inseln des Archipels anlangt, so waren diese bei der Begründung des lateinischen Kaisertums und zum Teil schon früher
von den Venezianern besetzt worden. Auch Korfu und Kreta, welches Bonifacius von Montferrat den Venezianern
gegen Thessalonich überlassen hatte, wurden von den letztern kolonisiert, und der kleinern Inseln im Ägeischen Meer bemächtigten
sich venezianische Edle. Der mächtigste unter diesen ward Marco Sanudo, welcher Naxos besetzte und von da seine Herrschaft
über Paros, Antiparos, Santorin, Anaphe, Kimolis, Milo, Siphanto und Polykandro ausdehnte und, nachdem er
sich von Venedig losgesagt, vom byzantinischen Kaiser als unabhängiger Herzog des Archipels anerkannt wurde. Mit seinem Tod
(1227) fiel dies Herzogtum nicht zusammen, sondern seine Nachfolger wußten sich ihren Besitz dadurch, daß sie sich, je nach
den Umständen,
mehr
bald an die Genuesen, bald an die Venezianer anschlossen, zu sichern, so daß Naxos erst im 16. Jahrh. dem osmanischen Reich
einverleibt ward, während die Herrschaft der venezianischen Nobili auf den übrigen Inseln, die meist wieder von den Byzantinern
erobert wurden, von weit kürzerm Bestand war; auch diese Inseln fielen endlich den Türken zu.
Mit mehr Schwierigkeit war für die Osmanen die Eroberung der zahlreichen unmittelbaren Besitzungen der Venezianer im Archipel
und auf dem Festland verbunden, welche unter deren trefflicher Verwaltung in Handel und Gewerbe eine große Blüte erreicht hatten.
Modon, Argos, Napoli di Romania und andre wichtige Punkte mußten nach und nach den Venezianern abgerungen
werden. 1462 fiel das wichtige Lesbos in Mohammeds I. Gewalt. Der Krieg der Türken mit den Venezianern dauerte 15 Jahre (1464-79),
vernichtete den Handel der Republik und veranlaßte verheerende Einfälle der Türken in das italienische Gebiet; die meisten
Besitzungen im Archipel, namentlich 1470 das wichtige Negroponte (Euböa), gingen für die Venezianer verloren,
die im Frieden von Konstantinopel von ihren griechischen Erwerbungen nur wenige Platze auf Morea behielten.
Doch trat ihnen der Sultan noch 1480 die dem Despoten von Arta abgenommenen Inseln Zante und Kephalonia gegen einen jährlichen
Tribut ab. Ein zweiter Krieg (1499-1503) entriß den Venezianern auch Lepanto, Koron, Navarino und Ägina, die
sie 1503 im Frieden mit Bajesid II. gegen Handelsbegünstigungen abtraten. Die Insel Rhodos ward 1522 den Johannitern, der Rest
von Morea 1540 und Cypern 1571 den Venezianern entrissen, denen ein 1573 abgeschlossener Friede nur noch einige Festungen auf
der albanesischen Küste, Kreta und die Ionischen Inseln ließ.
Griechenland unter der Herrschaft der Türken.
Mit dem Frieden von 1503 war die Herrschaft der Pforte auf dem griechischen Festland entschieden. Griechenland ward nun völlig zur türkischen
Provinz, der ein Beglerbeg vorstand, und welche nach osmanischer Weise wieder in mehrere Sandschaks geteilt war, von
denen das von Morea, von einem Bei verwaltet, das bedeutendste war. Die Kykladen gaben anfangs nur einen bestimmten jährlichen
Tribut, blieben aber infolge der häufigen Angriffe der Malteserritter faktisch unabhängig und zahlten den Tribut (zusammen
jährlich ungefähr 300,000 Piaster) auch nur dann, wenn der Kapudan-Pascha mit seiner ganzen Flotte im
Ägeischen Meer erschien, um ihn beizutreiben.
Ein neuer Krieg mit den Venezianern brachte auch Kreta 1659 in den Besitz der Türken, die dagegen in dem nächsten Krieg von 1687 bis 1699 Morea
verloren, wo nun von den Venezianern eine geordnete, wenn auch despotische Verwaltung eingeführt wurde. Der Kampf um die
Halbinsel dauerte fort bis 1715; die Türken gewannen damals Morea wieder und erhielten es 1718 im Passarowitzer Frieden nebst
noch einigen Punkten förmlich abgetreten. Griechenland, nun wieder ganz türkisch, wurde in Paschaliks geteilt und dem Rumeli-Valessi
(Großrichter von Rumelien) untergeordnet, während 31 Inseln des Ägeischen Meers dem Namen nach dem Kapudan-Pascha
und andern türkischen Beamten zur Verwaltung oder vielmehr Nutznießung überlassen wurden.
Das Verhältnis der Griechen unter der türkischen Herrschaft war anfangs kein sehr drückendes; es war ihnen sogar eine
gewisse Freiheit gesichert, und namentlich litten sie bis zum Tod Solimans I. weniger durch die türkische Unterjochung als
dadurch, daß Griechenland der Zankapfel zwischen
der Pforte und den abendländischen Seemächten war. Unerträglicher
wurden das Verhältnis durch das Verwaltungssystem, das nach der letzten Eroberung eingeführt ward. Die Käuflichkeit und
der häufige Wechsel der Beamtenstellen verführten zur Willkür in Erhöhung der Abgaben und machten ein Aussaugungssystem herrschend,
das bald zur grausamsten Despotie ausartete.
Dies und der Umstand, daß der größte Teil des Grundeigentums in die Hände der Türken gefallen war, lähmte die produktive
Thätigkeit des Landes völlig und bewirkte, daß die Griechen sich fast ausschließlich auf den Handel warfen. Nur die Inseln
und einige Gebirgsdistrikte bewahrten sich eine gewisse Unabhängigkeit, die auch für den spätern Freiheitskampf
von dem bedeutendsten Einfluß war. Auf dem Festland war mit der politischen Vernichtung die Ertötung alles wissenschaftlichen
Lebens und die servile Entwürdigung in sittlicher Hinsicht notwendig verbunden gewesen, und so würde die Nationalität der
Griechen wohl zu Grunde gegangen sein, wenn sie nicht durch zwei Institute, die Kirche und die Lokalverwaltung,
noch aufrecht erhalten worden wäre.
Die griechische Kirche, die von den Türken, wenn auch mit Verachtung, geduldet wurden und mit der griechischen Sprache zugleich
ein nationales Unterscheidungszeichen von den herrschenden Bekennern des Islam erhielt, nahm sich durch den Patriarchen und
die heilige Synode zu Konstantinopel der Rechte der Griechen der Pforte gegenüber mit Erfolg an, bildete
einen Mittelpunkt der Nation und übte einen mächtigen Einfluß auf die innern Angelegenheiten derselben aus.
Für die Verwaltung der Gemeindeangelegenheiten blieben den Griechen ferner selbstgewählte Lokalobrigkeiten, die Demogeronten
(auch Archonten, Primaten, Ephoren, Kodscha-Baschi) genannt, die an manchen Orten im erblichen Besitz ihres
Amtes den Charakter eines Provinzial- und Landadels annahmen. Dieser bewahrte eine gewisse Selbständigkeit, verhinderte die
politische Vermischung der Griechen mit den Türken und war eine treffliche Grundlage zu einem spätern politischen Organismus.
Neben ihnen erhoben sich seit dem Anfang des 18. Jahrh. als eine Art Patriziat die
Fanarioten (s. Fanar), die auf die türkische Regierung und ihre Beziehungen zu der griechischen Nation bedeutenden Einfluß
gewannen, den jedoch ihr Ehrgeiz, ihre Herrschsucht und ihre intrigenvolle Gewandtheit um alle wohlthätigen Folgen in nationaler
Hinsicht brachten. Außer ihnen machten sich noch als besondere Klasse die Armatolen (s. d.) an der Spitze
ihrer kriegerischen Klephthen (»Räuber«) geltend, welche in den gebirgigen Gegenden Nordgriechenlands den türkischen Befehlshabern
gegenüber eine gewisse Unabhängigkeit behaupteten.
Von großer Bedeutung für die Kultur der Neugriechen war auch die Ausbreitung ihres Handels, der sie nötigte, für eine eigne
Marine zu sorgen, und sie mit den zivilisierten Völkern in Verbindung brachte. Von griechischen Handelshäusern
ging die Gründung der ersten griechischen Bildungsanstalten in der Türkei aus, welche, von den Türken anfangs beschränkt,
sich durch den Schutz Rußlands immer mehr erweiterten. Endlich bewahrten sich die Griechen unversehrt das Gut ihrer nationalen
Sprache, die unter der türkischen Herrschaft nicht zurückgedrängt, vielmehr von den zahlreichen
eingewanderten Albanesen angenommen wurde. Ihre Litteratur beschränkte sich freilich auf das Volkslied. Dies alles bewirkte,
daß sich trotz des religiösen Aberglaubens,