Grenzwert
(Grenznutzen, engl. Final degree of utility), der Wert, welchen von einer Menge von Gütern gleicher Art die letzte Einheit für uns hat. Nach einem alten Erfahrungssatz sinkt bei sonst gleich bleibenden Umständen mit steigendem Preise die Nachfrage, indem die einen das teurer gewordene Gut überhaupt nicht mehr begehren, während andre ihren Bedarf einschränken und sich mit einer geringern Menge begnügen. Bei sinkendem Preise nimmt dagegen die Nachfrage zu, indem neue Käufer auftreten und andre mehr Güter zu erlangen trachten als vorher.
Hieraus geht hervor, daß man für eine kleinere Menge verhältnismäßig mehr hinzugeben gewillt ist als für eine größere, oder daß sie verhältnismäßig höher geschätzt wird als die letztere. Ist man geneigt, zu zahlen für Mengen von 1,2,3, 4,5,6, 7,8 Lit. je 20,39,56, 70,80,83, 83,79 Mk., aber nicht mehr als diese Summen, so schätzt man ein einzelnes Liter zu 20 Mk. Da man aber für 2 Lit. nicht 40, sondern nur 39 Mk. gibt, so bemißt man den Wert des 2. L. auf 19 Mk. Denn sobald mehr als diese Summe verlangt wird, nimmt man vom Kaufe Abstand.
Für eine
Menge von 3 L. gibt man eben noch 56 Mk. Man ist demnach bereit, für das 3., zu den frühern
beiden hinzukommende
Liter 17 Mk. zu zahlen, ebenso für das 4. L. 14, für das 5. 10, für das 6. 3,
für das 7. aber würde man nichts zahlen, weil man nicht mehr in der
Lage wäre, es zweckmäßig zu verwenden. Das 7. L.
wäre demnach für uns wertlos. Sollte man 8 L. übernehmen, so werden uns etwa Unbequemlichkeiten und
Kosten verursacht. Wir würden darum für 8 L. weniger zahlen als für 7 und könnten demnach sagen, daß das 8. L. für
uns nicht nur wertlos sei, sondern für uns geradezu einen Unwert habe. Die Grenzwerte
jedes letzten
Liters wären in unserm
Falle bei den
Mengen 1, Grenzwert
20
Mengen 2, Grenzwert
19
Mengen 3, Grenzwert
17
Mengen 4, Grenzwert
14
Mengen 5, Grenzwert
10
Mengen 6, Grenzwert
3
Mengen 7, Grenzwert
0
Mengen 8, Grenzwert
-4.
Schätzungen dieser Art stehen in Übereinstimmung mit physiologisch-psychischen Zuständen und Wirkungen. Von verschiedenen Unterhaltsmitteln können ¶
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wir je nur Mengen bis zu bestimmter Höhe in angemessener Weise verwenden. Kleinere Mengen erwecken eine gewisse Befriedigung. Das Gefühl der Befriedigung wird um so größer, je größer die Menge wird; aber diese Zunahme ist keine schrankenlose. Von einem gewissen Punkte ab können Lust und Annehmlichkeit in Unlust und Unannehmlichkeit umschlagen. Für den Dürstenden ist eine kleine Menge eines Getränks außerordentlich wertvoll; aber er kann sich nicht mehr als satt trinken.
Nimmt er mehr von dem Getränk zu sich, so ist die Wirkung ein Gefühl des Unbehagens. Das Gleiche gilt auch von Speisen, ebenso von Kleidungsstücken etc. Ein Anzug ist uns als Schutz gegen die Unbilden der Witterung oder auch im Interesse der Wohlanständigkeit unentbehrlich. Ein zweiter kann uns, schon um mit der Kleidung wechseln zu können und auch im Interesse der Bequemlichkeit, recht wertvoll sein. Wären wir aber genötigt, uns Tausende von Anzügen zu beschaffen und sie auch alle in raschestem Wechsel zu benutzen, so würden uns empfindliche Lasten und Kosten erwachsen. Aber auch bei Bedürfnissen geistiger Art, deren Befriedigung nicht unmittelbar ein körperliches Wohlbefinden hervorruft, können wir leicht ähnliche Erscheinungen beobachten. Ein Zuviel hat bekanntlich Blasiertheit, Abstumpfung und endlich Widerwillen und Ekel zur Folge.
Aus diesen Thatsachen ergibt sich für uns eine Richtschnur für unser wirtschaftliches Verhalten und unsre Haushaltsordnung. Unsre gesamte Aufwandsfähigkeit an Kräften und Mitteln ist jeweilig eine bestimmt gegebene. Unsre Bedürfnisse sind aber einer praktisch unbegrenzten Ausdehnung [* 3] fähig, wir können uns die mannigfaltigsten Zwecke setzen, die verschiedensten Gegenstände verwenden. Nun werden wir suchen, die höchstmögliche Gesamtbefriedigung zu erzielen.
Dies höchste Maß wird aber nicht dadurch erreicht, daß wir bei einer oder wenigen Güterarten ein Maximum erstreben, sondern wir müssen von den verschiedensten Gütern, welche Gegenstand unsers Verlangens sind, so viele zu erlangen suchen, daß die Werte je der letzten Mengen der verschiedenen Arten einander gleich sind. Nun ist aber der Wertbegriff, der ein Größenbegriff ist, ebenso wie letzterer überhaupt, ein Ergebnis der Vergleichung. Sind uns 10 Lit. Bier soviel wert wie 2 L. Branntwein, so ist uns 1 L. Branntwein fünfmal soviel wert als 1 L. Bier, oder wenn wir den Wert von 1 L. Bier = 1 setzen, so würden wir denjenigen von 1 L. Branntwein mit der Zahl 5 beziffern. In dieser Art verfahren wir mit dem Gelde.
Wir setzen einfach den Wert von 1 Mk. = 1. Geben wir für die Einheit einer Güterart eben noch 10 Mk., so ist uns dieselbe 10 Mk. wert. Haben wir nun eine bestimmte Anzahl von Mark zur Verfügung, so werden wir von den verschiedenen Güterarten so viel erwerben, daß je der Grenznutzen der einen, dividiert durch den Preis derselben, gleich dem Grenznutzen der andern, dividiert durch deren Preis, ist, mit andern Worten, daß wir mit der letzten Mark überall einen gleich hohen Grenznutzen erkaufen. Der einen Verwendung werden wir so lange Mittel entziehen und für eine andre benutzen, als der Verzicht auf der einen Seite durch den Vorteil auf der andern Seite überwogen wird. Der größte Nutzen aber wird erzielt, sobald auf beiden Seiten Gleichheit besteht.
Sei unser Begehr gerichtet auf Seide [* 4] und Bier, sei die Summe, über welche wir verfügen, gleich 108 Mk., der Preis eines Hektoliters Bier gleich 9 Mk., der eines Meters Seidenstoff gleich 18 Mk. und seien Nutzen der Gesamtmenge und der Grenznutzen durch folgende Zahlen ausgedrückt, wobei G/P den Quotienten als Grenznutzen und Preis darstelle:
Preis | Nutzen | Grenznutzen | G/P | |
---|---|---|---|---|
der ganzen Menge | ||||
Hektoliter 1 | 9 | 50 | 50 | 5 5/9 |
2 | 18 | 92 | 42 | 4 6/9 |
3 | 27 | 128 | 36 | 4 |
4 | 36 | 162 | 34 | 3 7/9 |
5 | 45 | 192 | 30 | 3 3/9 |
6 | 54 | 205 | 13 | 1 4/9 |
7 | 63 | 211 | 6 | 6/9 |
8 | 72 | 213 | 2 | 2/9 |
Meter 1 | 18 | 37 | 37 | 2 1/18 |
2 | 36 | 69 | 32 | 1 14/18 |
3 | 54 | 95 | 26 | 1 8/18 |
4 | 72 | 113 | 18 | 1 |
5 | 90 | 123 | 10 | 10/18 |
6 | 108 | 128 | 5 | 5/18 |
7 | 126 | 130 | 2 | 2/18 |
8 | 164 | 131 | 1 | 1/18 |
Der größte Nutzen wird erzielt, wenn 3 m Seide und 6 hl Bier gekauft werden. Der Grenzwert
für 6 hl, d. h. der Wert für das 6. hl,
ist, in einer absoluten Zahl genommen, gleich 13. Diese Größe durch den Preis dividiert, gibt 1 4/9;
dies wäre die Menge Nützlichkeit, welche man für 1 Mk. erstehen kann. Ebenso finden wir für 3 m Seide die Größe 1 4/9.
Der dann erzielte Gesamtnutzen wäre gleich 95 + 205 = 300. Für jede andre mögliche Zusammensetzung von Mengen Seide und Bier,
welche für 108 Mk. gekauft werden könnten, ist der Gesamtnutzen kleiner. So
finden wir für 6 m Seide 128, für 5 m Seide und 2 hl Bier 215, für 4 m Seide und 4 hl Bier 275 und für 2 m Seide und 8 hl Bier 282. Alle
diese Größen sind kleiner als 300. Bei einer richtigen Ordnung des Haushalts würden demnach die Grenzwerte
der verschiedenen Güter, welche man erwirbt, je gleich dem Preise derselben sein.
Der Preis eines Meters Seide ist 18 Mk. Die absolute Zahl für den Grenznutzen von 3 m, also für die Nützlichkeit des 3. Meters, ist 26. Als relative Zahl, d. h. Seide verglichen mit Geld, erhalten wir 26/1 4/9 = 18, oder das 3. Meter Seide ist uns eben noch die 18 Mk. wert, welche wir für dasselbe geben müssen. Wäre der Preis höher, so würden wir dieses 3. Meter nicht mehr kaufen. Der Preis der 3 m zusammen genommen ist gleich 3×18 = 54 Mk. Ist 18 Mk. der normale Marktpreis, so würden wir 54 Mk. auch als Tauschwert von 3 m bezeichnen. 126 Mk. wäre der Preis und auch der Tauschwert von 7 m Seide. Dagegen schätzt der Käufer diese 7 m nicht so hoch. Er würde bewerten das 1. zu 37/1 4/9 = 25 12/13, das 2. zu 22 2/13, das 3. zu 18 Mk., dagegen das 4. auf 12 6/13, das 5. auf 6 12/13, das 6. auf 3 6/13 und das 7. auf 1 5/15 Mk., demnach alle 7 m zusammen auf 90 4/13. Die ersten 2 m schätzt er höher, die letzten 4 dagegen niedriger als den Marktpreis oder den sogenannten Tauschwert.
Die Wertskala, wie sie oben in einem Beispiel dargestellt wurde, ist nicht für alle Menschen die gleiche, sie ist auch für einen und denselben Menschen keine feststehende, sondern sie kann zu verschiedenen Zeiten ganz verschiedene Gestalten aufweisen. Der Gestaltung selbst wird man sich kaum jemals voll bewußt. Weil dies eben praktisch nicht nötig ist, so fragt man sich auch nicht, wieviel man für das 1., 2., 3. etc. Hektoliter gerade noch zahlen würde. Dagegen wird jeder, welcher wirtschaftliche Erwägungen anstellt, sich darüber klar zu werden suchen, welche Menge er bei gegebenem ¶
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Preise anschaffen soll, und in wieweit er bei einer Preisänderung seinen Bedarf einschränken muß oder noch ausdehnen darf. In gleicher Weise überlegt man bei einem einzelnen Gegenstand, ob er den geforderten Preis wert sei. Insofern tritt auch im wirklichen Leben ein Unterschied zwischen Preis und Wert in Erscheinung. Ebenso kann aber auch der Preis, den ein einzelner stellt, von demjenigen abweichen, zu welchem ein Gegenstand allgemein zu haben ist, dem Marktpreis oder Tauschwert.
Oft hat man nur diese letztere Größe im Auge, [* 6] wenn man sagt, daß ein Ding über seinen Wert bezahlt oder unter seinem Wert verkauft worden sei. Da nun aber die Wertschätzung nicht einfacher Natur, vielmehr oft eine sehr schwierige ist, so entbindet man sich gern derselben in allen denjenigen Fällen, in welchen bei gegebenem Marktpreis verschiedene Mengen gekauft werden, nimmt trotz dem, daß man bei sich änderndem Preise auch seine Nachfrage ändert, die Begriffe Wert und Preis als gleichbedeutend an und sagt, wenn der Marktpreis steigt oder sinkt, der Wert habe sich erhöht oder vermindert. Dagegen werden wir uns des Unterschiedes zwischen Wert und Marktpreis immer dann bewußt, wenn es sich darum handelt, ob zu dem gegebenen Preise überhaupt gekauft oder ob auf die Anschaffung verzichtet werden soll.
Vgl. Menger, Grundsätze der Volkswirtschaftslehre (Wien [* 7] 1871);
Jevons, Theory of political economy (3. Aufl., Lond. 1888);
Walras, Éléments d'économie politique pure (2. Aufl., Lausanne [* 8] 1889);
Mannhardt, Mathematische Begründung der Volkswirtschaftslehre (Leipz. 1884);
v. Wieser, Über den Ursprung und die Hauptgesetze des wirtschaftlichen Wertes (Wien 1884);
Derselbe, Der natürliche Wert (das. 1889);
v. Böhm-Bawerk, Kapital und Kapitalzins (Innsbr. 1884-89,2 Bde.);
Derselbe, Grundzüge der Theorie des wirtschaftlichen Güterwertes (»Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik«, 1886);
Zuckerkandl, Zur Theorie des Preises (Leipz. 1889);
Auspitz und Lieben, Untersuchungen über die Theorie des Preises (das. 1889);
Lehr, Wert, Grenzwert
und Preis (»Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik«, 1889).