Gramineen,
Pflanzenfamilie, s. Gräser.
2 Seiten, 1'142 Wörter, 8'103 Zeichen
Im Meyers Konversations-Lexikon, 1888
Pflanzenfamilie, s. Gräser.
Im Brockhaus` Konversationslexikon, 1902-1910
(Graminĕae) oder Gräser, monokotyledonische Pflanzenfamilie aus der Ordnung der Glumifloren (s. d.). Dieselbe gehört mit etwas über 3000 Arten zu den größten des ganzen Pflanzenreichs, sie ist zugleich eine der wichtigsten Familien für den Menschen, denn fast alle Getreidearten sowie die wichtigsten Futterpflanzen gehören hierher. Die Gramineen sind über die ganze Erde verbreitet; fast überall, wo überhaupt noch phanerogamische Gewächse gedeihen, finden sich auch Vertreter aus der Familie der Gramineen, sie wachsen noch in den höchsten Alpen, in den kältesten Partien der arktischen und antarktischen Regionen sowie in den heißesten Gegenden der Tropen. Da sehr viele Arten derselben gesellig vorkommen, so bedecken sie oft große Flächen, wie die zahlreichen Steppengräser und die den Hauptbestandteil der Wiesen bildenden. Die meisten der mehlgebenden Gramineen sind schon so lange in Kultur, daß man über ihr eigentliches Vaterland nichts Sicheres angeben kann, zumal sie in der jetzigen Gestalt fast nirgends mehr wild wachsen.
Die große Mehrzahl der Gramineen sind krautartige einjährige, zweijährige oder ausdauernde Gewächse, nur wenige tropische Formen, wie die Arten der Gattung Bambusa (s. d.), haben einen baumartigen Wuchs. Die ausdauernden Arten besitzen in der Regel Rhizome, die entweder mit langen Internodien versehen sind und kriechend im Boden fortwachsen oder knollenförmige Gestalt mit verkürzten Internodien besitzen. Da aus ein und demselben Rhizome zahlreiche Halme hervorsprossen, so bilden diese Gramineen meist dichte Rasen. Etwas Ähnliches findet sich bei den Getreidearten, die nur ein- oder zweijährig sind; hier werden an den untersten Partien der Halme zahlreiche Seitenknospen gebildet, sodaß aus jedem Korne eine größere oder geringere Anzahl von Halmen hervorsprossen kann. Man bezeichnet diese Verzweigung als Bestockung. Sie ist für den Ertrag der Getreidearten sehr wichtig. Einige Arten dienen zur Befestigung der Dünen (s. d.).
Die Wurzeln der Gramineen sind sog. Faser- oder Zaserwurzeln. Bei den einjährigen Formen entstehen sie dadurch, daß die Hauptwurzel bald nach der Keimung abstirbt und an Stelle derselben sehr zahlreiche fadenförmige Nebenwurzeln hervorsprossen. Die mit Rhizomen versehenen Gramineen besitzen gleichfalls büschelige und faserige Wurzeln, die an bestimmten Stellen der Internodien der Rhizome sich entwickeln. Die oberirdischen Stammorgane, die sog. Halme, sind bei den meisten Gramineen, wenn man von dem Blütenstände vorerst absieht, unverzweigt, wenigstens in ihren obern Partien, die größern Formen der wärmern Gegenden, besonders die Bambusen, zeigen dagegen oft eine ziemlich reichliche Verzweigung.
Die Stengel sämtlicher Gramineen sind mit Knoten versehen und haben in der Regel hohle Internodien. An den Knotenstellen finden sich, auch wenn das Längenwachstum der Internodien schon lange beendet ist, noch wachstumsfähige Partien. Die Gramineen sind deshalb auch in spätern Stadien noch im stande, durch ungleichmäßiges Wachstum an zwei gegenüberliegenden Partien eines Knotens Krümmungen auszuführen. Dies ist besonders für die Getreidearten wichtig, welche, wenn sie durch äußere Einflüsse wie Wind oder Regen sich gelagert haben, durch geotropische (s. Geotropismus) Aufwärtskrümmung ihre Halme wieder aufrichten können.
Die Blätter der Gramineen sind in der Regel lang und schmal, sie besitzen eine den Halm vollkommen umschließende Blattscheide, die rings um den Knoten, an dem das Blatt sitzt, angewachsen ist und das darüberstehende Internodium bis fast zur Hälfte seiner Höhe oder auch noch höher hinaus umgiebt. Diese Scheide ist jedoch nicht vollkommen geschlossen, sondern sie stellt den cylindrisch eingerollten Basalteil des Blattes dar. An der Stelle, wo die eigentliche Blattspreite an die Scheide ansetzt, findet sich in den meisten Fällen als Fortsatz der röhrenförmigen Scheide ein zartes, farbloses, oft in zwei oder mehrere Lappen gespaltetes Häubchen, die sog. Ligula, deren Form und Größe bei den verschiedenen Gattungen in der Regel eine verschiedene ist. Die Ränder der Blätter sind bei vielen Gramineen schneidend scharf, weil die Epidermiszellen an diesen Rändern kurze zackenförmige Fortsätze besitzen, die stark verkieselte Wände haben, überhaupt zeichnen sich die meisten Gramineen durch ihren großen Gehalt an Kieselsäure aus, die sich vorzugsweise in der Epidermis der Halme ablagert und dadurch eine gewisse Sprödigkeit derselben bedingt.
Der Blütenstand der Gramineen bietet große Verschiedenheiten dar. Die Blüten stehen zunächst in sog. Ährchen, die jedoch nur wenige Blüten
enthalten, häufig sogar bloß einblütig sind. Diese Ährchen sind nun wiederum in mannigfachster Weise zu Blütenständen vereinigt, vorzugsweise in Rispen, Ähren und Trauben. Die einzelnen Blüten haben einen eigentümlichen Bau, in der Regel sind sie so zusammengesetzt, wie es die nachstehende Skizze einer Blüte von Bromus mollis L. (Fig. 1) und das Diagramm derselben (Fig. 2), das auch für die meisten andern Gramineen gültig ist, zeigt.
Figur 1:
Figur 2:
Das in den beiden Figuren mit b bezeichnete Blatt ist das Deckblatt (in Fig. 1 ist es zurückgeschlagen dargestellt, damit das Innere der Blüte sichtbar wird), Palea inferior genannt, das mit v bezeichnete Blatt ist das Vorblatt oder die Vorspelze (Palea superior), die beiden kleinen Blättchen, die mit l bezeichnet sind, nennt man die Lodiculae; sie stellen das eigentliche Perigon dar; die Staubgefäße sind in der Dreizahl vorhanden und die Griffel stehen zu zwei, sie krümmen sich mit ihrer federigen oder anders zerteilten Narbe nach unten und außen. Von diesem Blütenbau giebt es nur wenige Ausnahmen; so besitzen einige Gattungen, wie Bambusa (s. d.), drei Narben, eine andere, Nardus (s. d.), nur eine Narbe, die Reisarten sechs Staubgefäße, die Gattung Anthoxanthum (s. d.) dagegen nur zwei. Der Fruchtknoten ist einfächerig und enthält nur eine Samenknospe. Die Frucht ist eine Schließfrucht und zwar eine sog. Karyopse; sie bleibt gewöhnlich umhüllt von den beiden Spelzen und oft auch noch von den darunterstehenden Hochblättern, den Deckspelzen (Glumae). Bei einigen Arten, wie bei dem Roggen und Weizen, fällt sie bei der Reife nackt aus den Spelzen heraus.
Die systematische Einteilung der in mehrere Unterabteilungen ist zwar nicht in allen Systemen die gleiche, doch ergeben sich aus der Anzahl der Glumae besonders zwei große Abteilungen, die Panicoideen mit 3–6 Glumae und die Poacoideen mit 2 Glumae, zu den letztern gehören die meisten der in Deutschland einheimischen Gramineen.
Hierzu Tafeln: Gramineen I–V (zur Erklärung vgl. die Artikel: Phalaris, Briza, Melica, Lolium, Anthoxanthum, Bambusa, Alopecurus, Saccharum, Mais, Reis, Sorghum, Agrostis, Glyceria, Gynerium, Esparto, Stipa, Cynodon) und VI, Ziergräser (vgl. den Artikel Ziergräser). Vgl. Getreide nebst Tafel: Getreidearten; Futterbau und Futterpflanzen und Tafeln: Futterpflanzen.
Fossile Gräser kennt man nur wenige; zwar sind viele Arten beschrieben und in verschiedene Gattungen, wie Bambusium, Culmites, Poacites u. a. zusammengefaßt worden; doch ist die genaue Bestimmung dieser Reste gewöhnlich nicht möglich, da nur von sehr wenigen Blütenstände erhalten sind, die sichern Aufschluß über die systematische Stellung geben können, von den meisten finden sich nur Blätter oder vielmehr Blattfragmente.
Litteratur. Linné, Fundamenta agrostographiae (Upsala 1767); Kunth, Enumeratio plantarum etc. (Bd. 1: «Agrostographia synoptica», Stuttg. 1833); ders., Distribution méthodique de la famille des graminées (Par. 1835); Reichenbach, Icones Florae germanicae et helvetiae etc., Bd. 1, (Lpz. 1823–70); Steudel, Synopsis plantarum glumacearum (2 Tle., Stuttg. 1855); H. Hein, Kurze Beschreibung der wichtigsten in Deutschland einheimischen und angebauten Gramineen, Cyperaceen und Juncaceen u. s. w. (Hamb. 1876); ders., Gräserflora von Nord- und Mitteldeutschland (2. Aufl., Weim. 1880); E. Hackel, Gramineae (in der 2. Abteil, von Engler und Prantls «Natürlichen Pflanzenfamilien» (Lpz. 1887).