Gramineen
(Graminĕae) oder Gräser,
[* 2] monokotyledonische Pflanzenfamilie aus der Ordnung der Glumifloren (s. d.).
Dieselbe gehört mit etwas über 3000
Arten zu den größten des ganzen
Pflanzenreichs, sie ist zugleich eine der wichtigsten
Familien für den
Menschen, denn fast alle Getreidearten sowie die wichtigsten
Futterpflanzen gehören
hierher. Die Gramineen
[* 3] sind über die ganze Erde verbreitet; fast überall, wo überhaupt noch phanerogamische Gewächse
gedeihen, finden sich auch
Vertreter aus der Familie der Gramineen
, sie wachsen noch in den höchsten
Alpen,
[* 4] in den kältesten Partien
der arktischen und antarktischen
Regionen sowie in den heißesten Gegenden der
Tropen. Da sehr viele
Arten
derselben gesellig vorkommen, so bedecken sie oft große
Flächen, wie die zahlreichen Steppengräser und die den Hauptbestandteil
der Wiesen bildenden. Die meisten der mehlgebenden Gramineen
sind schon so lange in Kultur, daß man über ihr eigentliches
Vaterland nichts Sicheres angeben kann, zumal sie in der jetzigen Gestalt fast nirgends mehr wild wachsen.
Die große Mehrzahl der Gramineen
sind krautartige einjährige, zweijährige oder ausdauernde Gewächse, nur wenige
tropische Formen, wie die
Arten der Gattung
Bambusa (s. d.), haben einen
baumartigen Wuchs. Die ausdauernden
Arten besitzen
in der Regel Rhizome, die entweder mit langen Internodien versehen sind und kriechend im
Boden fortwachsen
oder knollenförmige Gestalt mit verkürzten Internodien besitzen. Da aus ein und demselben Rhizome zahlreiche
Halme hervorsprossen,
so bilden diese Gramineen
meist dichte Rasen. Etwas Ähnliches findet sich bei den Getreidearten, die nur ein- oder
zweijährig sind; hier werden an den untersten Partien der
Halme zahlreiche Seitenknospen gebildet, sodaß
aus jedem Korne eine größere oder geringere Anzahl von
Halmen hervorsprossen kann. Man bezeichnet diese Verzweigung als
Bestockung. Sie ist für den Ertrag der Getreidearten sehr wichtig. Einige
Arten dienen zur Befestigung der Dünen (s. d.).
Die
Wurzeln der Gramineen
sind sog. Faser- oder Zaserwurzeln.
Bei den einjährigen Formen entstehen sie dadurch,
daß die Hauptwurzel bald nach der
Keimung abstirbt und an
Stelle derselben sehr zahlreiche fadenförmige Nebenwurzeln hervorsprossen.
Die mit Rhizomen versehenen Gramineen
besitzen gleichfalls büschelige und faserige
Wurzeln, die an bestimmten
Stellen der Internodien
der Rhizome sich entwickeln. Die oberirdischen
Stammorgane, die sog.
Halme, sind bei den meisten Gramineen
, wenn
man von dem Blütenstände vorerst absieht, unverzweigt, wenigstens in ihren obern Partien, die größern Formen der wärmern
Gegenden, besonders die
Bambusen, zeigen dagegen oft eine ziemlich reichliche Verzweigung.
Die
Stengel
[* 5] sämtlicher Gramineen
sind mit Knoten versehen und haben in der Regel hohle Internodien. An den Knotenstellen
finden sich, auch wenn das Längenwachstum der Internodien schon lange beendet ist, noch wachstumsfähige Partien. Die Gramineen
sind
deshalb auch in spätern Stadien noch im stande, durch ungleichmäßiges Wachstum an zwei gegenüberliegenden Partien eines
Knotens
Krümmungen auszuführen. Dies ist besonders für die Getreidearten wichtig, welche, wenn sie durch äußere Einflüsse
wie
Wind oder
Regen sich gelagert haben, durch geotropische (s.
Geotropismus) Aufwärtskrümmung ihre
Halme wieder aufrichten
können.
Die
Blätter der Gramineen
sind in der Regel lang und schmal, sie besitzen eine den
Halm vollkommen umschließende
Blattscheide, die
rings um den Knoten, an dem das
Blatt
[* 6] sitzt, angewachsen ist und das darüberstehende Internodium bis
fast zur Hälfte seiner Höhe oder auch noch höher hinaus umgiebt. Diese Scheide ist jedoch nicht vollkommen geschlossen,
sondern sie stellt den cylindrisch eingerollten Basalteil des
Blattes dar. An der
Stelle, wo die eigentliche
Blattspreite an
die Scheide ansetzt, findet sich in den meisten Fällen als Fortsatz der röhrenförmigen Scheide ein
zartes, farbloses, oft in zwei oder mehrere Lappen gespaltetes Häubchen, die sog. Ligula, deren
Form und
Größe bei den verschiedenen Gattungen in der Regel eine verschiedene ist. Die Ränder der
Blätter sind bei vielen
Gramineen
schneidend scharf, weil die Epidermiszellen an diesen Rändern kurze zackenförmige Fortsätze
besitzen, die stark verkieselte
Wände haben, überhaupt zeichnen sich die meisten Gramineen
durch ihren großen Gehalt an
Kieselsäure
aus, die sich vorzugsweise in der
Epidermis
[* 7] der
Halme ablagert und dadurch eine gewisse
Sprödigkeit derselben bedingt.
Der
Blütenstand
[* 8] der Gramineen
bietet große Verschiedenheiten dar. Die
Blüten stehen zunächst in sog.
Ährchen,
[* 9] die jedoch nur wenige
Blüten
¶
mehr
enthalten, häufig sogar bloß einblütig sind. Diese Ährchen sind nun wiederum in mannigfachster Weise zu Blütenständen
vereinigt, vorzugsweise in Rispen, Ähren und Trauben. Die einzelnen Blüten haben einen eigentümlichen Bau, in der Regel sind
sie so zusammengesetzt, wie es die nachstehende Skizze einer Blüte
[* 11] von Bromus
[* 12] mollis L.
[* 3]
(Fig. 1) und das
Diagramm derselben
[* 3]
(Fig. 2), das auch für die meisten andern Gramineen
gültig ist, zeigt.
Das in den beiden [* 3] Figuren mit b bezeichnete Blatt ist das Deckblatt (in [* 3] Fig. 1 ist es zurückgeschlagen dargestellt, damit das Innere der Blüte sichtbar wird), Palea inferior genannt, das mit v bezeichnete Blatt ist das Vorblatt oder die Vorspelze (Palea superior), die beiden kleinen Blättchen, die mit l bezeichnet sind, nennt man die Lodiculae; sie stellen das eigentliche Perigon dar; die Staubgefäße [* 13] sind in der Dreizahl vorhanden und die Griffel stehen zu zwei, sie krümmen sich mit ihrer federigen oder anders zerteilten Narbe nach unten und außen.
Von diesem Blütenbau giebt es nur wenige Ausnahmen; so besitzen einige Gattungen, wie Bambusa (s. d.), drei Narben, eine andere, Nardus (s. d.), nur eine Narbe, die Reisarten sechs Staubgefäße, die Gattung Anthoxanthum [* 14] (s. d.) dagegen nur zwei. Der Fruchtknoten ist einfächerig und enthält nur eine Samenknospe. Die Frucht ist eine Schließfrucht und zwar eine sog. Karyopse; sie bleibt gewöhnlich umhüllt von den beiden Spelzen und oft auch noch von den darunterstehenden Hochblättern, den Deckspelzen (Glumae). Bei einigen Arten, wie bei dem Roggen und Weizen, fällt sie bei der Reife nackt aus den Spelzen heraus.
Die systematische Einteilung der in mehrere Unterabteilungen ist zwar nicht in allen Systemen die gleiche, doch ergeben sich
aus der Anzahl der Glumae besonders zwei große Abteilungen, die Panicoideen mit 3–6 Glumae und die Poacoideen mit 2 Glumae,
zu den letztern gehören die meisten der in Deutschland
[* 15] einheimischen Gramineen.
Hierzu Tafeln: Gramineen
I–V (zur Erklärung vgl. die Artikel: Phalaris,
[* 16] Briza,
[* 17] Melica, Lolium,
[* 18] Anthoxanthum, Bambusa, Alopecurus,
[* 19] Saccharum, Mais, Reis, Sorghum, Agrostis,
[* 20] Glyceria,
[* 21] Gynerium, Esparto, Stipa, Cynodon)
[* 22] und VI, Ziergräser (vgl. den Artikel Ziergräser).
Vgl. Getreide [* 23] nebst Tafel: Getreidearten; Futterbau und Futterpflanzen und Tafeln: Futterpflanzen.
Fossile Gräser kennt man nur wenige; zwar sind viele Arten beschrieben und in verschiedene Gattungen, wie Bambusium, Culmites, Poacites u. a. zusammengefaßt worden; doch ist die genaue Bestimmung dieser Reste gewöhnlich nicht möglich, da nur von sehr wenigen Blütenstände erhalten sind, die sichern Aufschluß über die systematische Stellung geben können, von den meisten finden sich nur Blätter oder vielmehr Blattfragmente.
Litteratur. Linné, Fundamenta agrostographiae (Upsala [* 24] 1767);
Kunth, Enumeratio plantarum etc. (Bd. 1: «Agrostographia synoptica», Stuttg. 1833);
ders., Distribution méthodique de la famille des graminées (Par. 1835);
Reichenbach, [* 25] Icones Florae germanicae et helvetiae etc., Bd. 1, (Lpz. 1823–70);
Steudel, Synopsis plantarum glumacearum (2 Tle., Stuttg. 1855);
H. Hein, Kurze Beschreibung
der wichtigsten in Deutschland einheimischen und angebauten Gramineen
, Cyperaceen
und Juncaceen u. s. w.
(Hamb. 1876);
ders., Gräserflora von Nord- und Mitteldeutschland (2. Aufl., Weim. 1880);
E. Hackel, Gramineae (in der 2. Abteil, von Engler und Prantls «Natürlichen Pflanzenfamilien» (Lpz. 1887).