Titel
Gräfe
,
1) Karl Ferdinand von, Mediziner, geb. zu Warschau, [* 2] studierte in Halle [* 3] und Leipzig, [* 4] promovierte an letzterer Universität mit einer Dissertation, die er ausführlicher unter dem Titel: »Angiektasie, ein Beitrag zur rationellen Kur und Kenntnis der Gefäßausdehnungen« (Leipz. 1808) herausgab, ward 1807 als Leibarzt des Herzogs von Anhalt-Bernburg nach Ballenstedt berufen, ging 1811 als Professor der Chirurgie und Direktor des chirurgischen Klinikums nach Berlin, [* 5] erhielt 1813 die Administration der Militärheilanstalten Berlins, dann die Inspektion des Lazarettwesens zwischen der Weichsel und Weser übertragen und organisierte 1815 das Lazarettwesen zwischen Weser und Rhein sowie im Großherzogtum Niederrhein und in den Niederlanden.
Nach beendigtem
Krieg trat er wieder als
Professor ein, wurde zugleich
Generalstabsarzt der
Armee und Mitdirektor
des
Friedrich-Wilhelms-Instituts und der medizinisch-chirurgischen
Akademie und begründete die königliche chirurgische
Klinik
und
Poliklinik in
Berlin. Gräfe
zählt zu den bedeutendsten Förderern der deutschen
Chirurgie. Er kultivierte auch die in
Deutschland
[* 6] bis dahin noch nicht geübten plastischen
Operationen: 1816 bildete er mit
Glück eine
Nase
[* 7] aus der Armhaut
und 1817 aus der Stirnhaut;
eine der dabei üblichen Operationsmethoden wird noch jetzt allgemein als die »Gräfe
sche«
oder »deutsche«
Methode bezeichnet.
Auch bildete er die
Methode der
Gaumennaht aus und vervollkommte die
Technik derselben. Gräfe
starb in
Hannover.
[* 8] Er schrieb: »Die
Kunst, sich vor
Ansteckung bei
Epidemien zu sichern« (Berl. 1814);
»Normen für die Ablösung großer Gliedmaßen« (das. 1812);
»Rhinoplastik« (das. 1818);
»Neue Beiträge zur Kunst, Teile des Angesichts organisch zu ersetzen« (das. 1821);
»Die epidemisch-kontagiöse Augenblennorrhöe Ägyptens in den europäischen Befreiungsheeren« (das. 1824, mit Kupfern);
»Jahresberichte über das klinisch-chirurgisch-augenärztliche Institut der Universität zu Berlin« (das. 1817-34).
Mit Ph. v. Walther redigierte er seit 1820 das »Journal für Chirurgie und Augenheilkunde«.
Vgl. Michaelis, K. F. v. in seinem 30jährigen Wirken für Staat und Wissenschaft (Berl. 1840).
2)
Heinrich,
Pädagog, geb. zu
Buttstädt im Weimarischen, studierte zu
Jena
[* 9]
Mathematik, dann
Theologie
und ward daselbst 1825
Rektor der
Bürgerschule. Durch mehrere
Schriften, namentlich »Das Schulrecht«, die
Zeitschrift »Die deutsche
Schule«, welche, in
Österreich
[* 10] und
Preußen
[* 11] verboten, nach zwei
Jahren wieder aufhören mußte, und »Die Schulreform mit besonderer
Beziehung auf das
Königreich
Sachsen«
[* 12] (Leipz. 1834), bekannt geworden, wurde er im J. 1840 außerordentlicher
Professor der
Pädagogik an der
Universität und 1842 als
Rektor der
Bürgerschule nach
Kassel
[* 13] berufen, wo er später als
Direktor
die von ihm eingerichtete
Realschule leitete.
1848 und in den folgenden
Jahren entfaltete Gräfe
als Vertrauensmann der kurhessischen
Volksschullehrer, als liberaler
Abgeordneter und als Mitglied der Oberschulkommission rege Thätigkeit
im öffentlichen
Leben, wurde aber unter
Hassenpflug wegen seiner
Schrift »Der Verfassungskampf in
Kurhessen« (Leipz. 1851) nach
langer Untersuchung kriegsgerichtlich zu dreijähriger, später auf ein Jahr ermäßigter
Festungsstrafe verurteilt.
Darauf begab er sich in die Schweiz, [* 14] gründete in Genf [* 15] eine Lehr- und Erziehungsanstalt und ward 1855 als Direktor der Gewerbeschule nach Bremen [* 16] berufen, welcher er bis zu seinem Tod, vorstand. Seine wichtigern Schriften sind: »Das Rechtsverhältnis der Volksschule von innen und außen« (Quedlinb. 1829);
»Allgemeine Pädagogik« (Leipz. 1845, 2 Bde.);
»Die deutsche Volksschule nach der Gesamtheit ihrer Verhältnisse« (das. 1847, 2 Bde.; 3. Aufl. von Schumann, Jena 1877-79, 3 Bde.);
»Handbuch der Naturgeschichte der drei Reiche« (mit Naumann, das. 1838);
»Archiv für das praktische Volksschulwesen« (Jena u. Eisl. 1828-35, 8 Bde.).
3)
Albrecht von,
Mediziner, Sohn von Gräfe
1), geboren im Mai 1828 zu
Berlin, zeigte früh ausgezeichnete
Anlagen
zur
Mathematik und gedachte sich für diese
Wissenschaft auszubilden, wandte sich aber später den
Naturwissenschaften und der
Medizin zu. Nachdem er 1848 sein Staatsexamen absolviert hatte, besuchte er zu seiner weitern
Ausbildung
Prag,
[* 17]
Wien,
[* 18]
Paris,
[* 19]
London,
[* 20] Dublin
[* 21] und
Edinburg
[* 22] und wurde durch den vertrauten
Umgang mit den ersten Augenärzten jener Zeit für die
Augenheilkunde gewonnen. Zu Anfang der 50er Jahre begann er in
Berlin seine praktische Laufbahn. Er gründete daselbst, begünstigt
durch die reichen
Mittel, welche ihm zu
Gebote standen, zunächst eine Privataugenheilanstalt, welche das Vorbild für eine
große
Reihe ähnlicher
Institute in
Deutschland und der
Schweiz wurde. Im J. 1858 zum außerordentlichen
Professor ernannt, erhielt er bald darauf eine Abteilung für Augenkranke in der königlichen
Charitee zugewiesen; 1866 wurde
er ordentlicher
Professor. Er starb Mit sich fortreißend als
Lehrer, unübertroffen als scharfer Beobachter, unermüdlich
und energisch im
Handeln als
Arzt, erwarb er sich bald einen über die
Grenzen
[* 23]
Europas hinausreichenden
Ruf,
und in überraschend kurzer Zeit erhob er die
Augenheilkunde, indem er namentlich auch der Helmholtzschen
Erfindung des
Augenspiegels
sich bemächtigte, zu der exaktesten und vollendetsten
Disziplin der gesamten
Medizin. Er operierte zuerst den bis dahin unheilbaren
grünen
Star mit Erfolg und erfand eine neue Operationsmethode des grauen
Stars (sogen. peripherer Linearschnitt
im
Gegensatz zu dem frühern Lappenschnitt), durch welche die Gefährlichkeit des frühern
Verfahrens so weit beseitigt wird,
daß 94-96 Proz. aller Operierten ein gutes Sehvermögen wiedererlangen. Gräfe
war ein
durchaus allseitiger
Mediziner und besonders auch auf dem Gebiet der
Nerven- und
Gehirnkrankheiten
Autorität,
so daß z. B. selbst von
Romberg in schwierigen
Fällen auf sein
Urteil hohes
Gewicht gelegt wurde. Gräfes
überaus zahlreiche,
wahrhaft klassische
Arbeiten auf dem Gebiet der
Augenheilkunde sind fast alle in dem von ihm gegründeten, in
Gemeinschaft mit
Arlt und
Donders herausgegebenen
»Archiv für
Ophthalmologie« erschienen.
Vgl. Alfr. Gräfe
, Ein
Wort zur
Erinnerung an A.
v. Gräfe
(Halle 1870);
Michaelis, A.
v. Gräfe
, sein
Leben und Wirken (Berl. 1877);
Jacobson, A. v. Gräfes
Verdienste
um die neue
¶
mehr
Ophthalmologie (das. 1885).
Am wurde sein Denkmal in Berlin (modelliert von Siemering, s. Tafel »Bildhauerkunst [* 25] X«, [* 26] Fig. 3) enthüllt.
4) Karl Alfred, Mediziner, geb. 1830 zu Martinskirchen in der Provinz Sachsen, Vetter des vorigen, studierte 1850-54 in Halle und
Berlin, auch einige Zeit in Paris, ward 1853 Assistent bei Albrecht v. Gräfe
und wohnte bis 1857 der ganzen
Neugestaltung der Ophthalmologie bei. 1858 habilitierte er sich in Halle für Augenheilkunde und begründete gleichzeitig eine
Anstalt für Augenkranke. 1873 erhielt er die ordentliche Professur der Augenheilkunde in Halle. Gräfe
ist seit dem Tod seines
Vetters der Hauptvertreter der nach letzterm benannten Schule. Er hat sich sowohl durch seine akademische
Lehrthätigkeit als durch seinen rastlosen Eifer in der augenärztlichen Praxis und als ausgezeichneter Operateur einen so
großen Ruf erworben, daß jährlich etwa 4000 Kranke bei ihm Hilfe suchen. Er schrieb: »Klinische Analyse der Motilitätsstörungen
des menschlichen Auges« (Berl. 1858);
»Symptomenlehre der Augenmuskellähmungen« (das. 1867);
»Ein Wort zur Erinnerung an A. v. Gräfe«
(Halle 1870).
Mit Sämisch u. a. gab er das »Handbuch der gesamten Augenheilkunde« (Leipz. 1874-80, 7 Bde.) heraus, für welches er die Motilitätsstörungen bearbeitete.