Titel
Gottsched
,
1) Johann Christoph, Gelehrter und Schriftsteller, welcher in der Entwickelungsgeschichte [* 2] der deutschen Litteratur eine hervorragende Stellung einnimmt, wurde zu Judithenkirch bei Königsberg [* 3] i. Pr. als Sohn eines Predigers geboren und bezog, 14 Jahre alt, die Universität Königsberg, um Theologie zu studieren, widmete sich jedoch bald ausschließlich dem Studium der Philosophie und der schönen Wissenschaften. Im J. 1724 flüchtete er aus Furcht vor den preußischen Werbern, die ihn wegen seiner stattlichen Größe ins Auge [* 4] gefaßt hatten, nach Leipzig, [* 5] wo der berühmte Polyhistor J. L. ^[richtig: J. B. für Johann Burkhard] Mencke ihn zum Privatlehrer seines ältesten Sohns erwählte.
Noch in demselben Jahr habilitierte sich Gottsched
mit einer im
Geiste der Wolfschen
Philosophie abgefaßten Abhandlung und
eröffnete Vorlesungen über die schönen
Wissenschaften.
Mencke führte ihn in die
Görlitzer
Gesellschaft ein, aus welcher
Gottsched
, 1726 zum
Senior erwählt, eine »Deutsche
[* 6]
Gesellschaft« machte, in welcher neben
Poesie fortan auch
Beredsamkeit gepflegt
wurde. 1730 ward er zum außerordentlichen
Professor der
Poesie und 1734 zum ordentlichen
Professor der
Logik und
Metaphysik ernannt. Er starb als
Dezemvir der
Universität und als
Senior der philosophischen
Fakultät und des
Großen Fürstenkollegiums
In den
Jahren von 1729 bis 1740 übte Gottsched
eine Art von litterarischer
Alleinherrschaft in
Deutschland
[* 7] aus und galt ziemlich unbestritten
als die erste
Autorität in poetisch-theoretischen Angelegenheiten.
Dann erlitt sein Ruhm immer härtere Anfechtungen; namentlich in seinen Kämpfen mit den »Schweizern« (der Anhängerschaft Bodmers und Breitingers) wurde er rasch aus der diktatorischen Gewalt, die er in Geschmackssachen besessen, verdrängt. Wenige und nur sehr armselige Trabanten machten von da an seinen Anhang aus, und als er in verblendeter Eigenliebe seine stumpf gewordenen Waffen [* 8] sogar gegen Klopstock und Lessing kehrte, wurde sein Name zum Spott und Hohn und »sank beinahe bis zum Scheltwort herab«.
Seitdem war es
Mode geworden, ihn als das Urbild litterarischer Aufgeblasenheit, poetischer Plattheit, als den großen
»Duns«
der Litteratur
(wie ihn
Lessing nannte) zu betrachten und zu verhöhnen, bis neuere
Forscher
(Gervinus,
Wackernagel,
Koberstein, vor allen aber
Theodor
Danzel) den
Verdiensten des vielgeschmähten
Mannes gerechter wurden. Unleugbar
ist wohl, daß Gottscheds
Ansichten und Bemühungen namentlich in der ersten Zeit seiner
Leipziger Wirksamkeit berechtigt und
teilweise sogar ungemein heilsam waren, wenn auch seine
Anschauung nie über eine korrekte, formell elegante
Litteratur hinauswuchs, der Unterschied zwischen
Poesie und
Rhetorik ihm nie aufging. Er erstrebte aufrichtig eine große
Stellung
der deutschen Litteratur, schloß sich zu diesem
Zweck eng an die gepriesenen Vorbilder der
Franzosen und jener
Engländer an,
welche die
Franzosen nachahmten, und denen er sich verwandt fühlte.
Gleichwohl war er zu trocken, dürr und pedantisch-nüchtern, um auch nur eine Dichterpersönlichkeit,
wie die
Popes oder
Addisons, darstellen zu können.
Sein nüchtern-verständiger
Sinn verhalf ihm zur trefflichen
Kritik des
Schwulstes
und der widrigen Geschmacklosigkeit der schlesischen
Poeten, aber mit bloßer
Verurteilung und Vermeidung ihrer Mängel war
noch kein dichterischer Wert zu gewinnen. Gottsched
begann seine umfassende litterarische Wirksamkeit
bereits ein Jahr nach seiner Ankunft in
Leipzig mit der
Zeitschrift »Die vernünftigen Tadlerinnen« (1. u. 2. Teil,
Halle
[* 9] u. Leipz. 1725-26),
deren Hauptinhalt belehrende und erbauliche Aufsätze ausmachten. Ihr folgte eine Reihe andrer Zeitschriften, die er zum Teil geraume Zeit fortführte, so: »Der Biedermann« (Leipz. 1727);
»Beiträge zur kritischen Historie der deutschen Sprache, [* 10] Poesie und Beredsamkeit« (das. 1732);
»Neuer Büchersaal der schönen Wissenschaften und freien Künste« (das. 1745-54);
»Das Neueste aus der anmutigen Gelehrsamkeit« (das. 1751-62).
Durch diese
Zeitschriften erwarb er sich
ein unleugbares
Verdienst um die
Sprache, insofern er sie durch möglichste
Verbannung der
Fremdwörter,
Deutlichkeit des
Ausdrucks und künstlerische Durchbildung des
Stils zu vervollkommnen suchte. Unter den dichterischen
Gattungen
wandte er dem
Drama die meiste Sorge und
Aufmerksamkeit zu. Hier war es vor allem die Herrschaft der Weiseschen
Lustspiele und
der
Oper sowie in beiden noch besonders die pöbelhafte
[* 1]
Figur des
Hanswurst
(Pickelhering,
Skaramuz), die
»zotenvolle Verschlechterung des englischen
Clown«, denen
er den
Krieg erklärte, in
dem er auch
Sieger blieb. Er hatte sich vorgesetzt,
ein deutsches
Theater
[* 11] nach dem
Muster des französischen zu gründen, und diesen
Zweck suchte er mit seiner
Gattin durch zweckmäßige
Übersetzungen wie durch originale
Produktionen zu erreichen. Unter den letztern sollte zuerst sein nach
Addisons gleichnamigem
Stück mit strenger
Beobachtung der drei
Aristotelischen
Einheiten gefertigtes
Trauerspiel »Der sterbende
Cato« (Leipz. 1732) lehren, wie eine wahre
Tragödie beschaffen sein müsse, und das armselige Machwerk, das, fast aller
Handlung
bar, in breiter
Deklamation auf dem
Kothurn des
Alexandriners einherstelzt, fand denn auch bei den
Jüngern
des
Leipziger
Messias überschwengliche Bewunderung. Im J. 1727 war der Theaterprinzipal
Neuber mit seiner
Truppe nach
Leipzig
gekommen; seine
Frau, die eigentliche
Seele seiner
Unternehmung, ging auf Gottscheds
Pläne ein und begann im Zusammenwirken
mit diesem durch Aufführung von aus dem
Französischen übertragenen und selbständig verfaßten
Dramen
die Begründung des regelmäßigen deutschen
Schauspiels. Zunächst wurden die
¶
mehr
Hauptund Staatsaktionen vom Repertoire ausgeschlossen und dann (Oktober 1737) in einem besonders dafür zurechtgemachten Stück
der Hanswurst förmlich von der Bühne verbannt. Später gab in seiner »Deutschen Schaubühne, nach den Regeln der alten Griechen
und Römer
[* 13] eingerichtet« (Leipz. 1740-45) eine Sammlung von Dramen, welche als Musterschöpfungen gelten sollten und
aus deutschen Originaldichtungen von Gottsched
selbst, von seiner Gattin, von J. E. ^[Johann Elias] Schlegel, Quistorp, Uhlich sowie aus
Stücken von Racine, Corneille, Voltaire, Destouches, Molière, Holberg etc. bestanden.
Der poetische Gehalt der Sammlung ist, was die vaterländischen Dramen betrifft, außerordentlich mager, und der Eindruck des
Ganzen in seiner Regelmäßigkeit und kalten Nüchternheit mutet geradezu trostlos an. Von weit höherer
litterarhistorischer Bedeutung als die »Schaubühne« war Gottscheds
»Nötiger
Vorrat zur Geschichte der deutschen dramatischen Dichtkunst« (Leipz. 1757-65), worin ein Verzeichnis aller dramatischen Produkte
aus den Jahren 1450-1760 gegeben werden sollte.
Das Werk ist nicht vollständig, aber noch heute ein wichtiges Hilfsmittel für das Studium der Geschichte des deutschen Schauspiels. Außer einer Menge Dissertationen litterarhistorischen und kritischen Inhalts schrieb auch eine Reihe von Lehrbüchern, worunter als die wichtigsten anzuführen sind: »Ausführliche Redekunst« (Hannov. 1728);
»Versuch einer kritischen Dichtkunst für die Deutschen« (Leipz. 1730 u. öfter) und »Grundlegung einer deutschen Sprachkunst« (das. 1748).
Vgl. Danzel, Gottsched
und seine Zeit (Leipz. 1848);
Breitmaier, Die
poetische Theorie Gottscheds
und der Schweizer (Tübing. 1879);
Bernays, Goethe und Gottsched
, zwei Biographien (Leipz. 1880).
2) Luise Adelgunde Viktorie, geborne Kulmus, Gattin des vorigen, geb. zu Danzig,
[* 14] machte sich nicht nur mit mehreren
neuern Sprachen vertraut, sondern erwarb sich auch wissenschaftliche Kenntnisse und bildete ihren Geschmack
namentlich durch die Lektüre der englischen Dichter. Nach ihrer Verheiratung mit Gottsched
(1735) soll sie in Leipzig sogar noch
Lateinisch und Griechisch gelernt haben. Sie starb Eine ebenso fruchtbare Schriftstellerin und Übersetzerin wie
ihr Gatte, war sie vielfach über dessen Schwächen erhaben. In ihren »Briefen« (Dresd. 1771-72, 3 Bde.)
zeigte sie feinen Sinn und Geschmack, sowie ihr auch als dramatischer Dichterin oder Bearbeiterin ausländischer Stücke das
Verdienst zuzuerkennen ist, daß sie es besser als ihr Gatte verstand, das Fremde der deutschen Bühne anzueignen. Ihr Lustspiel,
das, obgleich Nachbildung, als Originalwerk unter dem Titel: »Die Pietisterei im Fischbeinrock« (Rost. 1736) anonym erschien,
war eine Bearbeitung der französischen Komödie »La femme docteur, ou la théologie tombée en quenouille«
(Douai 1731, wahrscheinlich von Guill. Hyacinthe Bougeant). Ihre »Gedichte« gab ihr Gatte mit ihrer Lebensbeschreibung (Leipz.
1763) heraus. Von ihren Übersetzungen heben wir hervor die des »Spectator« (Leipz. 1739-43, 9 Bde.)
sowie die von Popes »The rape of the lock« (das. 1744,
neue Aufl. 1772).
Vgl. Schlenther, Frau Gottsched
und die bürgerliche Komödie (Berl. 1885).