Gott
oder, abstrakt ausgedrückt,
Gottheit nennen wir den eigentlichen Gegenstand alles religiösen
Glaubens, sofern
jener Zwiespalt, in welchem sich der
Mensch als Naturwesen mit sich selbst als sittlichem
Wesen vorfindet, nur unter Voraussetzung
einer höhern, die
Natur als
Mittel für die Persönlichkeit in
Dienst nehmenden und ihr unterwerfenden Macht lösbar erscheint
(s.
Glaube). In der
Regel ist daher mit jeder positiven
Stellung zur
Religion auch die Setzung irgend eines Gott
esbegriffs verbunden.
Denn die
Vorstellung Gottes
bedeutet unter allen Umständen das vergegenständlichte
Bedürfnis nach Aufhebung
eines Zwiespalts,
den der religiöse
Mensch unvermeidlich
in sich fühlt und mit sich herumträgt. Nur sofern in den rohesten,
vielleicht selbst schon verrohten
Formen der
Naturreligion der Gott
esgedanke sozusagen erst im
Werden begriffen oder noch latent
ist, kann man heutzutage dem
Satz des
Altertums, daß alle
Menschen (so
Aristoteles,
»De coelo«, I, 3) oder
alle
Völker (so
Cicero, »Tuscul.«, I, 13) eine
Vorstellung von der
Gottheit hätten, seine durchgängige Gültigkeit aberkennen.
Kraft [unkorrigiert]
![Bild 60.671: Kraft [unkorrigiert] Bild 60.671: Kraft [unkorrigiert]](/meyers/thumb/60/60_0671.jpeg)
* 2
Kraft.
Mit größerm
Recht wird man immerhin dem früher aus dieser Behauptung für das Dasein Gottes
geführten
Beweis (e consensu
gentium) eine verbindliche
Kraft
[* 2] absprechen. Denn die mehr oder weniger ausgebildete Vorstellungswelt,
welche
Natur- und Kulturreligionen uns in ihrer mythologischen Götterlehre darbieten, kann zunächst nur den
Eindruck von
Produkten eines noch ganz naiven, aller soliden
Mittel der Befriedigung entbehrenden Kausalitätsbedürfnisses auf der einen,
luxurierender
Phantasie auf der andern Seite machen.
Aber in demselben Maß, wie das Denken des Menschen der Anerkennung einer zusammenhängenden Ordnung der Dinge entgegengedrängt wird, verlieren jene Götter, welche nur die Lücken des Wissens ergänzen und die Zwischenräume der Welt bewohnen, an Lebensfähigkeit; sie erhalten nur da auch über dem Grab der ihnen gewidmeten Dienste [* 3] noch ein ideales Leben, wo die Phantasie, die sie hervorgebracht hat, eine ästhetisch disziplinierte war, wie bei dem formenfrohen und schönheitssinnigen Volk der Griechen. Aber gerade hier strebte der denkende Geist schon früh über die vielen Göttergestalten der Volksreligion hinaus dem Monotheismus zu, wie denn auch der Olymp der Poesie sich je länger, je mehr in seinem Haupte, dem »Vater der Menschen und Götter«, einheitlich zuspitzte.
Von einer andern
Seite her stellt sich noch unvermeidlicher und mit der Übermacht offenbarungsmäßiger
Gewißheit der einheitliche
Gott
esgedanke ein, wo die
oben angedeuteten religiösen
Motive des Gott
esglaubens reiner und kräftiger wirken und es
Interessen
nicht sowohl des
Wissens als vielmehr der sittlichen Persönlichkeit sind, welche in ihm ihre Sicherheit
suchen. So hat auch die Geschichte zweierlei Wege eingeschlagen, um das
Ziel des einheitlich gefaßten, in einem gleichmäßigen
Verhältnis zur vielgestaltigen
Welt stehenden, die
Zwecke des persönlichen
Lebens der gesamten
Natur gegenüber aufrecht erhaltenden
Gott
esbegriffs zu erreichen.
Die arischen
Völker sind diesen, die semitischen jenen gewandelt. Die indogermanische Art, Vielheit und
Einheit im Gott
esbegriff zu verbinden, hat ihren charakteristischen
Ausdruck im indischen
Brahmanismus gewonnen, wo der
Gedanke
der
Immanenz vorherrscht und der
Durst des menschlichen
Gemüts nach einem gegenwärtigen, der
Welt innewohnenden Gott
Befriedigung
sucht. Aber freilich geschah dies auf
Kosten der Lebendigkeit und
Fülle des Gott
esbegriffs selbst, daher
die Volksgötter doch wieder als farbige Erscheinungsformen des blassen
Brahma zu
Hilfe gerufen wurden, während im
Buddhismus
das unpersönliche Alleins, welches
Brahma hieß, in das
Nichts umschlug und sich uns solchergestalt das denkwürdige
Schauspiel
einer ursprünglich atheistisch gemeinten, freilich sofort zur Vergötterung ihres
Urhebers fortschreitenden
Religion darbietet.
Wenn in Indien der ursprüngliche Polytheismus der Mythologie durch den pantheistischen Monismus der brahmanischen Metaphysik überwunden wurde, so bildeten die vergöttlichten Naturkräfte auch den ursprünglichen Hintergrund der semitischen Religionen. Aber wenigstens in dem einen Exemplar der hebräischen Religion hat die in den ost- und nordsemitischen Religionen nachweisbare Disposition zur monotheistischen Zusammenfassung durchgeschlagen und ist der Polytheismus durch einen seit Moses allmählich erstarkenden, von den Propheten mit sittlichem Gehalt erfüllten, dabei immer transcendent gefaßten Theismus überwunden worden. So kam es zu der einheitlichen und persönlichen Spitze des hebräischen Monotheismus, welchen dann der Islam teils seines sittlichen Gehalts beraubt, teils aber auch noch abstrakter gefaßt, noch schärfer zugeschliffen hat, während eine gewisse Korrektur der semitischen Transcendenz schon in den ersten Kundgebungen des Christentums gefunden werden kann (Apostelg. 17, 28; Eph. 4, 6;. Röm. 11, 36;. 1. Kor. 15, 28;. vgl. auch Sir. 43, 27).
Gott (die Beweise für

* 4
Seite 7.563. Der fernere Verlauf, welchen die
Entwickelung des christlichen Gott
esgedankens genommen hat, war bedingt
durch die seitens der
Kirchenväter von den spätern Platonikern entlehnte
Kategorie des grenzenlosen, unbeschränkten, durchaus
bestimmungslosen
Seins, welches im
Grunde die religiöse
Vorstellung
von Gottes Persönlichkeit ausschließt und den allgemeinen
Hintergrund einer pantheistischen Weltanschauung bildet. Während dieser Gott
esbegriff den Vorteil bot, aller sinnlichen
Elemente entledigt und von dem hebräischen Bodensatz des
Anthropomorphismus und
Anthropopathismus gründlich
rein gefegt, auch der philosophischen
Bildung der römischen Kaiserzeit unmittelbar verständlich zu sein, war doch positiv
nicht viel mit ihm anzufangen, da sein eigentlicher
Gehalt auf die konsequent durchgeführte Verneinung der
Welt hinauslief.
In der That wurden christlicherseits nicht selten
Konsequenzen aus dem philosophischen Gottesbegriff gezogen,
welche jede
¶
mehr
Proportion zwischen Schöpfer und Geschöpf, jedes unter sittlichen Gesichtspunkten gedachte Verhältnis zwischen beiden ausschlossen. Anderseits ragte allenthalben schon in das religiöse Bewußtsein der alten katholischen Kirche herein die jüdische Erbschaft einer Vorstellung Gottes als eines ins Ungeheure gesteigerten Menschen, welcher von außen her die Welt in Bewegung setzt und möglicherweise ganz partikuläre, von dem sittlichen Zweck verschiedene Zwecke in derselben verfolgt.
War es schon unmöglich, diese beiden sich ganz spröde zu einander verhaltenden Elemente miteinander in Einklang zu bringen, so kamen nun noch hinzu die konkreten Bestimmungen der kirchlichen Dreieinigkeitslehre, welche weder zu der massiven Gottesvorstellung und dem strengen Monotheismus des Hebraismus noch zu dem Platonischen Schema des Absoluten stimmen, in welches sie doch hineingezeichnet wurden. Die verschiedenen Experimente, welche gemacht wurden, um diese Unebenheiten zu glätten, bilden die Geschichte des christlichen Gottesbegriffs.
Ein bekanntes Kapitel desselben machen die schon seit dem 2. Jahrh. angestrengten Beweise für das Dasein Gottes aus, welche wenigstens den Wert denkender Nachzeichnung des Wegs behalten werden, auf welchem die Vorstellung Gottes zu deutlicherer Fixierung gelangt ist. Unter ihnen hatten sich jederzeit der kosmologische und der teleologische (physiko-theologische) des meisten Beifalls zu erfreuen. Zunächst hatte man eine Formel in Bereitschaft, welche die bloße Abstraktion von der Welt ausdrückte und daher nur mit dem negativen Prädikat des Unendlichen zu bezeichnen war; ihre Notwendigkeit gedachte man dadurch zu erweisen, daß das Dasein des Endlichen nicht anders als so zu begreifen wäre. In diesem Interesse schob man dem Unendlichen zunächst den Begriff der Ursache unter, indem man von der Totalität des Bedingten auf ein Bedingendes schloß (kosmologischer Beweis).
Da man hiermit über den Standpunkt des Pantheismus nicht prinzipiell hinausgekommen war, schob man dem Begriff der Ursache denjenigen des Endzwecks unter, indem man aus den mancherlei Symptomen von Anordnung, Absicht und Zweck in der Welt auf einen vernünftigen Welturheber schloß (teleologischer Beweis), wobei man sich jedoch auf die Dauer nicht verhehlen konnte, daß der einen Kehrseite unsrer Erfahrungen, welche zu solchem Schluß auffordert, eine andre gegenübersteht, die dagegen protestiert, so daß zuletzt die Schule Herbarts nur noch von einer auf diesen allein zulässigen Beweis zu gründenden höchsten Wahrscheinlichkeit sprach.
Schon um 400 bereitete Augustin einen Beweis vor, welchen dann um 1100 Anselm von Canterbury vollendete. Dieser sogen. ontologische Beweis schließt von dem Begriff des vollkommensten Wesens auf seine Existenz, weil, wenn ihm diese abginge, ein noch vollkommneres Wesen denkbar wäre. Also: »Diese Geschichte ist die schönste von allen, die ich je las, folglich muß sie auch eine wahre sein, sonst würde mir die unbedeutendste Geschichte, wenn sie nur wenigstens wahr ist, besser gefallen«.
Reflexerscheinungen -

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Reflexion.Noch ehe Kant das Unzureichende aller dieser Beweise endgültig darthat, indem er an ihre Stelle, wenngleich nicht mit wissenschaftlicher Gültigkeit, den moralischen Beweis setzte, der von dem Thatbestand des menschlichen Bewußtseins als eines sittlichen auf einen urbildlichen Urheber und Bürgen für die Erreichbarkeit der Zwecke desselben schließt und sonach nur eine Reflexion [* 5] des frommen Bewußtseins über seine eignen Zusammenhänge und Existenzbedingungen darstellt, hatte die Aufklärung des vorigen Jahrhunderts dem christlichen Gottesbegriff teils die trinitarische Bestimmtheit, teils den jüdischen Anthropomorphismus abgestreift und ihn so auf die farblose Idee des »höchsten Wesens« (être suprême) reduziert, welches seine Unfähigkeit, das religiöse Gefühl zu befriedigen, in dem Kultus der französischen Revolutionszeit erweisen sollte.
Theoretisch wurde dieser leere Gottesbegriff überboten durch eine von Spinoza datierende, vorzugsweise aber durch Schelling und die Romantik, durch Fichte [* 6] und Schleiermacher vertretene pantheistische Strömung. Man fand am rationalistischen Gottesbegriff namentlich auszusetzen, daß derselbe Gott als ein überweltliches Einzelwesen zu der Summe der übrigen Einzelwesen addiere, wogegen die spekulative Philosophie sich wieder auf den Begriff des Absoluten zurückzog und dasselbe bald als Indifferenz (Schelling), bald als einfache Kausalität der Welt (Schleiermacher), bald als absolute, in der Welt sich realisierende Vernunft (Hegel), reine Thätigkeit der Weltbegründung, actus purus (Biedermann), immer aber unpersönlich faßte, wie auch Fichtes moralische Weltordnung im Unterschied zu Kants Gott gewesen war.
Dem gegenüber hatte eine an Weiße, den jüngern Fichte, Ulrici, K. Schwarz anknüpfende Schule von Philosophen und Theologen den Begriff der Persönlichkeit mit demjenigen der Immanenz, welcher als die dauernde Frucht unsrer neuern Philosophie galt, zu vereinigen gesucht, während in der neuesten Theologie es nicht an Kundgebungen fehlt, welche von den philosophischen Voraussetzungen, unter denen die kirchliche Gotteslehre vom 2. Jahrh. an sich entwickelt hat, ganz abzusehen und alles, was an eine Substanz erinnert oder Analogie zu Quantitativem bietet, aus dem Begriff herauszuschaffen, ja die ganze metaphysische Behandlung des Gottesbegriffs abzustellen raten (Ritschl).
Lehrbegriff - Lehrerin
![Bild 61.37: Lehrbegriff - Lehrerinnen [unkorrigiert] Bild 61.37: Lehrbegriff - Lehrerinnen [unkorrigiert]](/meyers/thumb/61/61_0037.jpeg)
* 7
Lehre.Dieser Reformversuch bezieht sich auch auf die Lehre [* 7] von den sogen. Eigenschaften Gottes (attributa divina), welche entweder durch Verneinung der dem menschlichen Geistesleben anhaftenden Schranken (via negationis) oder durch möglichste Steigerung der Vorzüge desselben (via eminentiae) gewonnen werden. Naturgemäß führt jener Weg zu leeren Abstraktionen, dieser zu inadäquaten Bildern. Nur die auf letzterm Weg sich ergebenden, meist dem konkreten alttestamentlichen Gottesbild entstammten Aussagen sind dazu angethan, das unauslöschliche und berechtigte Verlangen des religiösen Gefühls nach einem lebendigen Gott zu befriedigen.
Aber eine wirkliche Bewegung hatten diese Lehren [* 8] von der göttlichen Heiligkeit und Gerechtigkeit, Weisheit und Güte, Wahrhaftigkeit und Treue schon darum nicht in den Gottesbegriff bringen können, weil infolge der reagierenden Idee des schlechthin einfachen und beziehungslosen Seins, des Absoluten, Kirchenväter, Scholastiker und Dogmatiker die objektive Bedeutung des Unterschieds der göttlichen Eigenschaften leugneten und darin nur verschiedene, in unserm Begriff von Gott und seinem Verhältnis zur Welt gesetzte logische Momente anerkennen wollten.
Gott (Johann von) - Gö

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Seite 7.564.Dazu kommt, daß die auf dem ersten der angedeuteten Wege gewonnenen Eigenschaften, wie Ewigkeit und Unveränderlichkeit, Allmacht und Allgegenwart, selbst schon jenem philosophischen Schema des Absoluten angehören. Es haben daher viele Dogmatiker sich bemüht gerade diese Eigenschaften einzuschränken oder möglichst zu neutralisieren, den Begriff Gottes nicht sowohl unter dem altherkömmlichen Gesichtspunkt der Kausalität als vielmehr unter ¶
mehr
dem des Zweckes zu fassen, wie man zugleich philosophischerseits sogar bald von einem allmählich entstehenden und sich vervollkommnenden Gott, bald von einem zwar nicht schöpferischen, wohl aber als anziehendes Ideal dem sittlichen Prozeß vorstehenden, als liebender Genius über der Menschheit schwebenden Gott geredet und die alte Verbindung von höchster Macht und sittlichem Gedanken im Gottesbegriff aufgelöst, ebendamit aber diesen letztern natürlich gefährdet hat. Da solchergestalt das eigentliche Problem bis auf den heutigen Tag nicht gelöst ist, scheint es vielen zeitgemäß, sich nach den seit Kant zugänglichen Gründen seiner Unlösbarkeit zu erkundigen und mit Trendelenburg u. a. die einfache Unerkennbarkeit Gottes zu behaupten.
Die Rechte jener Bildersprache, welcher sich alles lebendige Gottesbewußtsein, jede kräftige Gotteserfahrung von jeher bedient hat und bedienen muß, werden aber auch von der andern Richtung nicht mehr angetastet, welche, weil sie ein spekulatives Denken für im Gefolge der Religion unabkömmlich erachtet, an einer von dieser Seite her sich ergebenden Erkennbarkeit Gottes, d. h. an der Möglichkeit einer nicht bloß negativen Bestimmung des Begriffs des Absoluten, festhält.