Gothaer
Vertrag, s. Ausweisung, S. 166.
Gothaer Vertrag
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Gothaer
Vertrag, s. Ausweisung, S. 166.
(Landesverweisung), die amtliche Maßregel, durch welche jemand angewiesen und nötigen Falls gezwungen wird, das Gebiet eines Staats oder eines Gemeindebezirks zu meiden. Für die Beantwortung der Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Staats- oder Gemeindebehörde befugt sei, gegen eine bestimmte Person die Ausweisung zu verfügen, ist als oberster Grundsatz der zu bezeichnen, daß nur der Angehörige eines Staats (Inländer, Unterthan) ein Recht darauf hat, sich innerhalb des betreffenden Staatsgebiets aufzuhalten.
Das Wohn- und Aufenthaltsrecht des Staatsbürgers ist eins der Grundrechte desselben, und ebendeshalb ist gegen ihn weder eine Ausweisung noch eine Auslieferung (s. d.) an eine fremde Staatsregierung zulässig. Dagegen wird dem Fremden, welcher sich im Inland aufhält, nach modernem Völkerrecht der Aufenthalt zwar keineswegs versagt, und auch ersteht, wie der Inländer, unter dem Schatz der Staatsgesetzgebung. Es ist aber das unbestrittene Recht des Staats, einem Fremden den Aufenthalt im Inland zu versagen, wenn es die Rücksicht auf das Gemeinwohl erheischt.
Wird z. B. auf Grund des deutschen Strafgesetzbuchs gegen einen Ausländer auf Zulässigkeit der Polizeiaufsicht erkannt, so ist die höhere Landespolizeibehörde befugt, denselben aus dem Reichsgebiet auszuweisen (Reichsstrafgesetzbuch, § 39). In gewissen Fällen kann ferner nach dem deutschen Strafgesetzbuch (§ 361, Nr. 3-8; 362) auf Überweisung des Verurteilten an die Landespolizeibehörde erkannt werden, so gegen Landstreicher, Bettler etc. Ist nun gegen einen Ausländer auf Überweisung an die Landespolizeibehörde erkannt, so kann statt jener Überweisung die Ausweisung aus dem Reichsgebiet erfolgen.
Endlich bestimmt das Reichsstrafgesetzbuch (§ 284), daß ein Ausländer, der wegen verbotenen Glücksspiels verurteilt wurde, des Reichs verwiesen werden kann. Die Rückkehr eines Ausgewiesen wird nach § 361 des Strafgesetzbuchs mit Haft bis zu sechs Wochen bestraft. Aber abgesehen von solchen speziell im Gesetz vorgesehenen Fällen, in welchen die Ausweisung mehr den Charakter einer Strafe trägt, kann dieselbe auch als polizeiliche Maßregel zur Anwendung kommen. Freilich wird sich eine Staatsregierung, die hier in engherziger und inhumaner Weise vorgeht, gerechtem Tadel aussetzen und möglicherweise eine Intervention derjenigen Staatsregierung veranlassen, deren Unterthan durch diese Maßregel betroffen ward. So erschien es z. B. geradezu als ein Gewaltakt, wenn Frankreich im deutsch-französischen Krieg von 1870/71 sämtliche Deutsche, [* 3] einerlei ob dem Zivil- oder Militärstand angehörig, aus dem französischen Gebiet verwies.
Die hierdurch verursachte Schädigung wurde jedoch bekanntlich bei Feststellung der von Frankreich zu zahlenden Kriegskosten berücksichtigt, und ein Reichsgesetz vom bestimmte ausdrücklich, daß zur Gewährung von Beihilfen an die während des Kriegs ausgewiesenen Deutschen außer den für diesen Zweck in Frankreich erhobenen besondern Kontributionen die Summe von 6 Mill. Mk. aus der von Frankreich zu zahlenden Kriegsentschädigung zu verwenden sei.
Auf der andern Seite können aber sehr wohl Fälle vorkommen, in denen die Ausweisung eines Ausländers als geboten erscheinen muß; so namentlich mit Rücksicht auf die öffentliche Sicherheit und auch dann, wenn ein Ausländer der öffentlichen Armenpflege anheimfällt, denn der Staat ist nicht verpflichtet, fremden Personen auf die Dauer öffentliche Unterstützung zu gewähren. Dabei ist aber zu beachten, daß die einzelnen Staaten, welche jetzt zum Deutschen Reiche gehören, vermöge des gemeinsamen Bundesindigenats im Verhältnis zu einander nicht mehr als Ausland erscheinen; vielmehr ist jeder Angehörige eines jeden Bundesstaats in jedem andern Bundesstaat als ein Inländer zu betrachten, und das nunmehrige Reichsgesetz über die Freizügigkeit vom erklärt ausdrücklich: »Die polizeilichem Bundesangehöriger aus dem Ort ihres dauernden oder vorübergehenden Aufenthalts in andern als in den durch dieses Gesetz vorgesehenen Fällen ist unzulässig«.
Was aber diese Fälle im einzelnen anbelangt, so kann namentlich solchen Personen, welche in einem Bundesstaat innerhalb der letzten zwölf Monate wegen wiederholten Bettelns oder wegen wiederholter Landstreicherei bestraft worden sind, der Aufenthalt in jedem andern Bundesstaat verweigert werden. Ferner ist nach dem Freizügigkeitsgesetz jede Gemeinde befugt, einen Neuanziehenden auszuweisen, wenn sie nachweisen kann, daß derselbe nicht hinreichende Kräfte besitzt, um sich und seinen nicht arbeitsfähigen Angehörigen den notdürftigen Lebensunterhalt zu verschaffen, und wenn er solchen weder aus eignem Vermögen bestreiten kann, noch von einem dazu verpflichteten Verwandten erhält.
Die bloße Besorgnis vor künftiger Verarmung berechtigt aber den Gemeindevorstand noch nicht zur Ausweisung Macht sich ferner nach dem Anzug eine öffentliche Unterstützung nötig, bevor der Neuanziehende an dem Aufenthaltsort einen Unterstützungswohnsitz erworben hat, so ist die Gemeinde zur nachträglichen Ausweisung befugt, wofern sie nachweist, daß die Unterstützung aus andern Gründen als wegen einer nur vorübergehenden Arbeitsfähigkeit notwendig war. Die thatsächliche Ausweisung aus einem Orte darf aber niemals erfolgen, bevor nicht entweder die Annahmeerklärung der in Anspruch genommenen Gemeinde oder eine wenigstens vorläufig vollstreckbare Entscheidung über die Fürsorgepflicht erfolgt ist. Eine gemeinsame Norm über diese Fürsorgepflicht fehlte jedoch bei dem Erlaß des Freizügigkeitsgesetzes, und ebendarum blieb für den Fall, daß ein der öffentlichen Armenpflege Anheimfallender dem ¶
Staat seines Aufenthaltsorts nicht angehörte, nichts andres übrig, als ihn aus dem Staatsgebiet in seinen Heimatstaat zu verweisen. Für diesen Fall blieben der zur Zeit des frühern Deutschen Bundes von den deutschen Staaten abgeschlossene Gothaer Vertrag vom und die Eisenacher Konvention vom welche die Ausführungsbestimmungen zu dem erstern enthält, maßgebend. Das norddeutsche Bundesgesetz vom über den Unterstützungswohnsitz (s. d.) regelte die Fürsorgepflicht für das Gebiet des Norddeutschen Bundes in einheitlicher Weise, so daß nunmehr die von Gemeinde zu Gemeinde ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit erfolgt. Dies Gesetz ist auch auf Südhessen, Baden [* 5] und Württemberg, [* 6] nicht aber auf Bayern [* 7] und Elsaß-Lothringen [* 8] ausgedehnt, so daß im Verhältnis dieser beiden Staatskörper zu den übrigen deutschen Staaten die Bestimmungen jener Verträge noch maßgebend sind, für Elsaß-Lothringen durch Vermittelung des dort eingeführten Freizügigkeitsgesetzes.
Als Strafmittel kommt die Ausweisung, wie oben ausgeführt, im modernen Strafrecht nur noch gegen Ausländer vor, und so statuiert denn auch das Reichsgesetz vom betreffend den Orden [* 9] der Gesellschaft Jesu, die von Jesuiten aus dem Bundesgebiet nur dann, wenn sie Ausländer sind. Das Reichsgesetz vom betreffend die Verhinderung der unbefugten Ausübung von Kirchenämtern, verstößt freilich gegen den an die Spitze gestellten Grundsatz. Denn nach ebendiesem Gesetz kann auch ein inländischer Geistlicher oder ein andrer Religionsdiener, welcher durch gerichtliches Urteil aus seinem Amt entlassen ist und sich gleichwohl dies Amt anmaßt oder dasselbe thatsächlich ausübt, aus dem Bundesgebiet ausgewiesen werden. Es ist jedoch zur Wahrung jenes Prinzips in diesem Gesetz ausdrücklich bestimmt, daß ein solcher Geistlicher durch Verfügung der Kontrollbehörde seines Heimatstaats der Staatsangehörigkeit verlustig erklärt (sogen. Expatriierung) und dann erst ausgewiesen werden kann.
Die Ausweisung trifft also auch in diesem Fall keinen Staats- oder Reichsangehörigen, da die Bundes- oder Reichsangehörigkeit mit der Staatsangehörigkeit erworben und verloren wird und das in Frage stehende Reichsgesetz ausdrücklich erklärt: »Personen, welche nach den Vorschriften dieses Gesetzes ihrer Staatsangehörigkeit in einem Bundesstaat verlustig erklärt sind, verlieren dieselbe auch in jedem andern Bundesstaat und können ohne Genehmigung des Bundesrats in keinem Bundesstaat die Staatsangehörigkeit von neuem erwerben«. Auch auf Grund des sogen. Sozialistengesetzes (Reichsgesetz vom kann eine Ausweisung nicht aus dem Reichsgebiet, sondern nur aus einzelnen Bezirken oder Ortschaften, für welche der sogen. kleine Belagerungszustand proklamiert worden ist, erfolgen (s. Sozialdemokratie).