Göttingen
,
[* 1] Stadt und
Stadtkreis im preuß. Regierungsbezirk
Hildesheim,
[* 2] im ehemaligen
Fürstentum Göttingen
, 158 m ü. M.,
liegt anmutig im weiten, sanft gehügelten
Thal
[* 3] der
Leine, am
Fuß des östlich gelegenen, 380 m hohen Hainbergs,
Knotenpunkt der
Linien
Hannover-Kassel und
Frankfurt
[* 4] a.
M.-Göttingen der Preußischen Staatsbahn, wird von der
Neuen
Leine (einem Mühlkanal)
durchflossen, welche die
Altstadt von der
Neustadt
[* 5] und der
Masch trennt. Unter den
Straßen sind die Weender, Groner u. Alleestraße
als die schönsten zu nennen;
im letzten Jahrzehnt sind mehrere neue Straßen vor den Thoren entstanden. hat 6 evangelische und eine kath. Kirche sowie eine Synagoge;
darunter verdienen Erwähnung: die zweigetürmte Hauptkirche St. Johannis aus dem 12. Jahrh. u. die gotische Jakobikirche mit 98 m hohem Turm; [* 6]
ferner sind bemerkenswert: das Universitätsgebäude am Wilhelmsplatz, der mit der Erzstatue König Wilhelms IV. (von Bandel) geschmückt ist, das neue Bibliotheksgebäude, das Kollegienhaus am Weender Thor, das zinnengekrönte Rathaus am Markt (neuerdings restauriert), die Provinzialirrenanstalt, südwestlich von der Stadt auf einem Hügel malerisch gelegen, die Anatomie, das naturhistorische Museum, das landwirtschaftliche Institut, das Gymnasium und andre Schulbauten.
Die Stadt hat ein Schlachthaus, Gasanstalt, Wasserleitung; [* 7] eine Kanalisation ist im Bau begriffen. Die Zahl der Einwohner beläuft sich mit der Garnison (ein Infanteriebataillon Nr. 82) auf (1885) 21,598, davon 19344 Evangelische, 1714 Katholiken und 536 Juden. In industrieller Beziehung sind nennenswert: Fabrikation von Tuch- und Wollwaren, Zucker, [* 8] Chemikalien, mathematischen, physikalischen, optischen und musikalischen Instrumenten, feinen Back- und Fleischwaren und die Bierbrauerei. [* 9]
Sodann ist der
Buchhandel von Bedeutung. Göttingen
ist Sitz eines
Landgerichts (für die zwölf
Amtsgerichte zu
Duderstadt,
Einbeck,
[* 10] Gieboldehausen, Göttingen
,
Herzberg,
Moringen,
Münden,
Northeim,
[* 11]
Osterode,
[* 12]
Reinhausen,
Uslar und
Zellerfeld), eines Landratsamtes für den
Landkreis Göttingen
, einer Reichsbanknebenstelle und einer
Handelskammer. Die
Universität zählte im Sommersemester
1884: 1010 Studierende und 114
Dozenten und ist reich ausgestattet. Sie besitzt eine
Bibliothek, die, aus dem mäßigen Grundstock
der Bülowschen Sammlung (8912
Bände) erwachsen, gegenwärtig 500,000
Bände und 5000
Manuskripte zählt und besonders für
neuere Litteratur die reichste in
Deutschland
[* 13] ist; ferner ein Kunstmuseum und ansehnliche Sammlungen (darunter
Blumenbachs be-
[* 1]
^[Abb.:
Wappen
[* 14] von Göttingen.]
¶
mehr
rühmte Schädelsammlung), eine Sternwarte, [* 16] ein Klinik (Ernst August-Hospital), eine Augenheilanstalt, eine Entbindungsanstalt, ein physikalisches Kabinett, einen 4 Hektar großen, ausgezeichneten botanischen Garten [* 17] (von Haller angelegt), ein chemisches Laboratorium, eine landwirtschaftliche Akademie, ein naturwissenschaftliches Museum etc. Die berühmte königliche Societät der Wissenschaften (gleichfalls von Haller gestiftet) zerfällt in drei Klassen: eine physikalische, mathematische und historisch-philologische, und zählt gegenwärtig etwa 80 Mitglieder.
Außerdem hat ein königliches pädagogisches Seminar, ein mit einem Realgymnasium verbundenes Gymnasium, mehrere Hospitäler
und milde Stiftungen und ein gut eingerichtetes Armenwesen. Der Magistrat zählt sechs, das Kollegium der Bürgervorsteher zwölf
Mitglieder. Der hohe, mit alten Linden besetzte Wall bildet mit seinen üppigen Gartenanlagen schöne Spaziergänge,
und ganz in der Nähe sind der Rohns- oder Volksgarten sowie die städtischen Anlagen am parkartig bewaldeten Hainberg und
die Dörfer Grone, Weende, Geismar und Reinhausen mit dem Bürgerthal vielbesuchte Punkte. Über Mariaspring, nördlich von Göttingen
, erheben
sich die Ruinen der Burg Plesse, auf zwei isolierten Kegelbergen bei Gelliehausen, südöstlich von der
Stadt, die Trümmer der beiden Gleichen (s. d.) und weiter nach S., bei Arendshausen, die Ruine der Burg Hanstein. - Göttingen
kommt
als Gutingi bereits in Urkunden von 950-960 vor und war lange Zeit nur ein Dorf, in dessen Feldmark die kaiserliche
Pfalz Grone lag (im W. der heutigen Stadt, auf einem Hügel, dem sogen. Kleinen Hagen).
[* 18]
Der Ort erhielt 1210 vom Kaiser Otto IV. Stadtrecht und war später zu verschiedenen Malen (1286-1463) Hauptstadt eines besondern welfischen Fürstentums. Das 14. Jahrh., in welchem ein angesehenes Glied der [* 19] Hansa war, bildet die erste Glanzperiode der Stadt. Diese schaffte 1530 den katholischen Gottesdienst ab. Die Unabhängigkeit in der Verwaltung, der sie sich seit Jahrhunderten erfreut hatte, verlor sie 1611 durch Herzog Heinrich Julius. Im Dreißigjährigen Krieg wurde sie nach längerer Belagerung von Tilly eingenommen und erst vom Herzog Wilhelm von Weimar [* 20] befreit; durch den Krieg hatte sie fast zwei Drittel ihrer Häuser eingebüßt.
Der neue Aufschwung Göttingens
beginnt ein Jahrhundert später mit Errichtung der Universität (1737). Derselben hat die deutsche
Wissenschaft sehr viel zu verdanken. Göttingen
ist außerdem bekannt geworden durch den »Göttinger Dichterbund« (s. d.) und die 1837 erfolgte
Absetzung von sieben Professoren (der »Göttinger Sieben«: Albrecht, Dahlmann, Ewald, Gervinus, Jakob und Wilhelm Grimm und W. Weber),
welche gegen die Aufhebung der Verfassung durch König Ernst August Protest eingelegt hatten.
Vgl. Rößler, Die Gründung der
Universität Göttingen
(Götting. 1855);
Unger, Göttingen
und die Georgia Augusta (das. 1861);
»Göttinger Professoren« (Gotha [* 21] 1872);
Frensdorff, in Vergangenheit und Gegenwart (Götting. 1878);
»Urkundenbuch der Stadt Göttingen
1401-1500« (hrsg.
von Schmidt, Hannov. 1867);
»Urkunden der Stadt Göttingen
aus dem 16. Jahrhundert« (hrsg. von Hasselblatt und Kästner, Götting. 1881).