August von, Sohn des Dichters, geb. inWeimar,
[* 2] starb als großherzoglich sächs.
Kammerherr und
Geh. Kammerrat auf einer
Reise durch
Italien
[* 3] in
Rom.
[* 4] Vermählt hatte er sich 1817 mit der geistvollen
und excentrischen Ottilie,
Freiin von Pogwisch (geb. in
Danzig),
[* 5] die mit ihrer
Mutter (geborene Gräfin Henckel von
Donnersmarck, Tochter der Oberhofmeisterin
Karl Angusts) schon als
Kind nach
Weimar gekommen war. Sie ist
bekannt als die Pflegerin des alternden Dichters, nach dessen Hingang sie in
Wien,
[* 6] dann in
Weimar lebte, wo sie starb.
Von ihren drei
Kindern, den Enkeln G.s, starb das jüngste,
Alma von Goethe (geb. in
Wien am
Typhus. Von den beiden
Söhnen widmete sich
WaltherWolfgang,
Freiherr von Goethe (geb. der
Musik, die er in
Leipzig
[* 7] unter Mendelssohn und
Weinlig, bei Loewe in
Stettin,
[* 8] zuletzt in
Wien studierte. Mehrere seiner
Kompositionen, namentlich für
den
Gesang, sind durch den Druck veröffentlicht. Er lebte unvermählt als Kammerherr in
Weimar und starb in
Leipzig, durch sein
Testament den Nachlaß des Großvaters der Fürsorge der Großherzogin von
Sachsen-Weimar überlassend (s.
Goethe-Archiv). Sein jüngerer
Bruder,
Wolfgang Maximilian,
Freiherr von Goethe (geb. erwarb sich in
Heidelberg
[* 9] mit
der
Schrift«De fragmento Vegoiae» die jurist. Doktorwürde. Nachdem er in dem dreiteiligen Werke «Der
Mensch und die elementarische Natur» (anonym, Stuttg. und Tüb.
1845) als
Philosoph, Jurist und Dichter zugleich aufgetreten war, veröffentlichte er noch eine größere
Dichtung «Erlinde»
(2. Aufl., ebd. 1851) und eine Sammlung lyrischer «Gedichte»
(ebd. 1851). Er war preuß. Legationsrat und weimar. Kammerherr und starb in
Leipzig.
Herm.
Theodor, Ampelograph und Pomolog, geb. zu
Naumburg
[* 10] a. S., gründete 1862 in Obergorbitz bei
Dresden
[* 11] eine
landwirtschaftliche Gartenbauschule. 1865 erhielt er eine
Berufung als
Lehrer und Wanderlehrer an die großherzogliche bad.
landwirtschaftliche Gartenbauschule in
Karlsruhe;
[* 12] 1871 folgte
er einer
Berufung als Wanderlehrer für Niederösterreich. Noch
in demselben Jahre wurde Goethe zum Direktor der neu zu gründenden steiermärkischen Landesobst- und
Weinbauschule in
Marburg
[* 13] ernannt, trat 1883 in den
Ruhestand und siedelte 1885 nach
Baden
[* 14] bei
Wien über. Im gleichen Jahre habilitierte
er sich als Privatdocent für Obst- und
Weinbau an der
k. k. Hochschule für Bodenkultur in
Wien, wurde 1889 Geschäftsleiter
des österr.
Weinbauvereins und gründete in
Baden eine biologische Weinbauversuchsstation, an der er jetzt noch wirkt. Goethe schrieb:
«Der
Weingarten»
(Wien 1873),
«Weinbaustatistik des Herzogtums
Steiermark»
[* 18] (Graz 1881),
«Phylloxera und ihre
Bekämpfung. In zehn Vorlesungen»
(Wien 1887),
«Aus der biologischen Weinbauversuchsstation» (mit 4 kolorierten
Tafeln, deutsche,
ital. und slowen.
Ausgabe, ebd. 1891). 1867-71 war Goethe Redacteur der «Rhein. Gartenschrift»,
1877-81 Herausgeber der ampelographischen
Berichte (deutsch und französisch) und von 1892 an Redacteur
der «Mitteilungen des
Vereins zum Schutze des österr.
Weinbaues».
JohannWolfgang von,
Deutschlands größter Dichter, zugleich einer der gewaltigsten und reichsten
Denker, geb. in
Frankfurt
[* 19] a. M. Sein
Vater, der Dr. jur. und kaiserl.
RatJohann Kaspar Goethe (getauft gest.
stammte aus einer kleinbürgerlichen Familie, die ursprünglich in
Artern
(Thüringen) ansässig war; doch schon G.s Großvater,
der Hufschmiedssohn
FriedrichGeorg Goethe (gest. 1730), war jung als Schneidergesell nach
Frankfurt gewandert, dort
Bürger und
durch die
Ehe mit der
WitweCornelia Schellhorn (gest. 1754) der wohlhabende
Besitzer des Gasthofs «Zum Weidenhof»
geworden.
Von seinem
Vater, der in behaglicher Muße seinen
Studien lebte und den sein stetes, fast pedantisches Bildungsstreben auch
nach
Italien führte, hat Goethe die ernste
Arbeitan sich selbst, den
Sinn für strenge Wissenschaft und für bildende Kunst geerbt.
Innerlicher verwandt fühlte er sich seiner
Mutter,
Katharina Elisabeth Goethe (s. d.). Der schwindende
Glanz der
alten Reichsstadt wies den
Knaben früh auf histor. Betrachtung hin. Der frische Sprachreichtum des Dialekts herrschte hier,
durch die Schriftsprache wenig verkümmert, auch bei den Gebildeten.
Frankfurts litterar.
Geschmack war altmodisch, die
Antike wurde dem jungen Goethe durch das
Französische oder
Italienische vermittelt.
Klopstocks «Messias» genoß er gegen des
Vaters Willen, Lessings
Name aber drang schwerlich an sein
Ohr.
[* 20] Die franz.
Besatzung, die der Siebenjährige
Krieg 1759 nach
Frankfurt brachte, wurde im Goetheschen Hause, wo alles «Fritzisch»
gesinnt war, schwer empfunden; doch regten die künstlerischenAufgaben, durch die der einquartierte Königslieutenant
Graf Thoranc (nicht Thorane)
Frankfurter und
DarmstädterMaler beschäftigte, den
Knaben lebhaft an, und seine Leidenschaft für
die
Bühne, schon durch ein Puppentheater genährt,
¶
mehr
wuchs durch den häufigen Besuch des franz. Theaters. Im Mittelpunkt seiner ungleichmäßigen Schulbildung, die ihm namentlich
tüchtige, in einem vielsprachigen Roman kindlich ausgenutzte Sprachkenntnisse brachte, stand maßgebend die Bibel,
[* 22] die er
auch hebräisch las. Ihr entnahm er mit Vorliebe die Stoffe zu seinen ersten poet. Versuchen (dem Prosagedicht von Joseph,
dem Drama«Belsazar» u. a.), von denen nur ein steif schwülstiges Gedicht auf Christi Höllenfahrt
vollständig erhalten ist. Mehr als alle Jugendfreunde bedeutete ihm seine einzige Schwester Cornelia (geb. gest. als
Gattin JohannGeorg Schlossers, s. d.), ein kluges, aber unschönes Mädchen, das sein
ganzes unbefriedigtes Liebebedürfnis dem Bruder zuwandte. Im Kreise
[* 23] ihrer Freundinnen regen sich G.s erste
Herzensneigungen; tiefern Schmerz bereitet ihm seine Erfahrung mit dem einfachen Bürgermädchen Gretchen, die noch im «Faust»
nachklingt.
Im Herbst 1765 geht Goethe nach Leipzig, nach des Vaters Wunsch um Jura, nach eigener Absicht um schöne Wissenschaften zu studieren.
Die Vorlesungen bieten ihm bald wenig Reiz; er sammelt Eindrücke, wie er sie in der Schülerscene im «Faust» niederlegte;
auch Gellert, der auf schlichte Einfachheit der Schreibart nützlich hinwirkte, wirkte mehr durch seine schriftstellerische
Persönlichkeit als durch sein Kolleg auf ihn ein. Dagegen schleift diese galanteste deutscheUniversität ihm den
Dialekt und die provinzielle Naivetät ab und giebt ihm Sicherheit im Gebrauch der anerkannten Schriftsprache. An seiner
poet.
Begabung wird er durch Gellerts Zurückhaltung und durch harte Kritik des Professors Clodius vorübergehend irre; zu ernsthaft
poet. Anregungen war Leipzig, wo Christ. Felix Weiße den Ton angab und nüchterne Zierlichkeit, anakreontische
Tändelei als Ideal galt, wenig geeignet. So glaubte Goethe zeitweilig mehr zur bildenden Kunst berufen zu sein; sein
Zeichenlehrer, der treffliche Professor Öser, wies ihn auf Wieland und Winckelmann, dazu auf die Alten hin. Während Wielands
«Musarion» Goethe entzückt, verhält er sich gegen Lessing noch
immer spröde, sein dichterisches Schaffen wird neu belebt durch die gesunde Kritik seines gescheiten,
etwas mephistophelischen Freundes Behrisch (s. d.) und durch seine Liebe zu Annette Schönkopf, der Tochter
eines Weinwirts auf dem Brühl.
Daß diese Neigung, die er sich durch selbstquälerische Eifersucht zur Qual machte, ihn tief erregte, lehren seine Briefe.
Jetzt zuerst lernt er, die eigensten Herzensgefühle in seine Verse auszuströmen, und er betritt damit
die Bahn, die ihn schnell über alle unwahre Konvention in die reine Höhe echter Menschlichkeit hinaufführt. Freilich, diese
LeipzigerDichtungen, das nach Gellertschen Motiven angelegte Schäferspiel in Alexandrinern «Die Laune des Verliebten», und
die Liebeslieder an Annette (zum Teil in den «Neuen Liedern», Lpz. 1769) zeigen Goethe formell noch ganz von
der anakreontischen oder französierenden Modepoesie abhängig, die sie an wahrem Gefühl und poet. Gehalt doch schon weit
überholen. Noch stärkere Fortschritte zeigen die merkwürdig reifen und klangvollen «Oden
an Behrisch». Aber die volle Befreiung vom poet. Herkommen konnte ihm Leipzig, dessen litterar. Leben volkstümlicher
Elemente entbehrte, nicht wohl bringen. (Vgl. W. von Biedermann, Goethe und Leipzig, 2 Bde., Lpz. 1865.)
Im Herbst 1768 kehrte Goethe innerlich stark entwickelt, aber an den Folgen unregelmäßigen
Lebens kränkelnd, ins
Vaterhaus zurück. Die Ruhe, zu der ihn sein Leiden
[* 24] nötigte, machte ihn zugänglich für die pietistischen
Einflüsse des edeln Fräulein von Klettenberg, der er später in den «Bekenntnissen
einer schönen Seele» ein Denkmal setzte; er konstruierte sich eine eigene Art neuplatonischer Theosophie. Diese mystischen
Neigungen führten ihn auch zu alchimistischen Versuchen, die noch im «Faust» nachwirken. Jetzt fand seinen Abschluß das Lustspiel
in Alexandrinern «Die Mitschuldigen», das, anfangs in einem Aufzuge, später zu dreien erweitert und aus alten Frankfurter und
Leipziger Eindrücken erwachsen, unerquickliche Sittenbilder mit steifer Lehrhaftigkeit und Altklugheit, aber mit sicherer
Beobachtung und Charakteristik darstellt. Zugleich lernte Goethe an der Hand
[* 25] der Wielandschen Übersetzung allmählich Shakespeare
schätzen.
Ein glücklicher Stern führte Goethe April 1770 nach Straßburg.
[* 26] Nicht daß er hier zum Licentiaten promoviert
wurde und durch mediz. Studien guten Grund zu spätern Forschungen legte, machte diesen Aufenthalt so wertvoll: hier an der
Grenze des alten Reichs, auf franz. Boden kam ihm zum Bewußtsein, daß, abgesehen von Rousseau, die franz. Litteratur
bejahrt und vornehm sei; hier begeistert er sich mit gleichgesinnten Genossen an Erwins Münster
[* 27] für deutsche Kunst, an Shakespeare
für die germanische engl. Poesie.
Entscheidend war die Berührung mit Herder, den eine Augenopcration in Straßburg festhielt. In harter Zucht, mit schonungsloser
Überlegenheit beugte dieser das Selbstgefühl des jungen Mannes; aber er öffnete ihm die Augen für die
echte Natur in der Dichtung, für das Volkslied, für Ossian und für die Griechen, er lehrt ihn auch die Bibel als poet. Kunstwerk
würdigen. Und die Folgen bleiben nickt aus. Als Goethe für Herder Volkslieder sammelt, schmuggelt er schon ein eigenes «Fabelliedlein»,
das «Heidenröslein», mit ein, und die Lieder, die
er der Sesenheimer Pfarrerstochter Friederike Brion (s. d.) weihte, schlagen Töne an, wie sie bis dahin in deutscherSprache
[* 28] nicht erklungen waren, zumal das leidenschaftliche Gedicht «Willkommen und Abschied».
Sein Verhältnis zu dem lieblich bescheidenen Elsässer Mädchen hat Goethe selbst in «Dichtung und Wahrheit»
ergreifend und ohne Verhüllung erzählt: schweren Mutes und mit dem Schuldgefühl, ein treues Herz vielleicht unheilbar verletzt
zu haben, verließ er sie in Straßburg. Die seelische Erschütterung dieser Trennung zittert noch im «Faust», der gewiß schon
in Straßburg geplant wurde, im «Götz» und «Clavigo» sehr fühlbar nach. (Vgl. Leyser, Goethe zu Straßburg,
Neustadt
[* 29] a. d. H. 1871; Düntzer, Friederike von Sesenheim im Lichte der Wahrheit, Stuttg. 1893.)
Heimgekehrt fand Goethe einen ihm zusagenden Kreis
[* 30] zumal im nahen Darmstadt.
[* 31] Neben dem unproduktiven, aber ungemein urteilsfähigen
kaustischen Kriegsrat Joh. Heinr. Merck (s. d.),
der starken Einfluß auf Goethe gewann, gehörten zu den Darmstädter«Heiligen» einige empfindsame Hofdamen
(Fräulein von Ziegler, von Roussillon) und Herders Braut, Karoline Flachsland. Klopstock war hier der bewunderte Dichter. Unter
seinem und Pindars Einfluß gelingen Goethe mächtig wilde Dithyramben, wie «Wanderers
Sturmlied», aber auch ruhig schöne Kunstgedichte, wie «Der Wanderer».
Als Merck, Schlosser, auch Herder im Jahrgang 1772 der «Frankfurter Gelehrten Anzeigen» (Neudruck in «Deutsche
[* 32] Litteraturdenkmale des 18. Jahrh.»,
¶
1883) einen schneidigen kritischen Feldzug des Sturms und Drangs gegen die Durchschnittslitteratur eröffnen, beteiligt sich
Goethe mit Lust und Eifer, nicht nur zerzausend, auch positive Zukunftsbilder aufbauend. StraßburgerGedanken führt er aus in
dem Aufsatz «Von deutscherBaukunst»,
[* 34] der das Lob Erwins von Steinbach singt, und in zwei dilettierenden
theol. Schriften («Brief des Pastors * zu * an den neuen Pastor zu ***» und «Zwo wichtige
biblische Fragen»),
die Duldsamkeit predigen und eine naive Bibelkritik, aber in Herders Sinne, versuchen. Dramen über «Cäsar»
und «Sokrates» beschäftigen ihn. Doch der Hauptertrag des Winters 1771-72 ist der «Götz
von Berlichingen» oder, wie es in dem ersten Entwurf hieß, «Geschichte Gottfriedens von Berlichingen», eine technisch regellose
Shakespearische Historie auf Grund der Selbstbiographie des braven Faustrechtritters gearbeitet, der bei Goethe der ideale Vertreter
des echten schlichten Deutschtums geworden ist (hg. von Bächtold in dreifacher Gestalt, Freiburg
[* 35] 1882; von Chuquet
und von Lichtenberger, Par. 1885). Der Grundgedanke, der Konflikt des individuellen Rechts- und Freiheitsgefühls mit der Allgemeinheit,
ward zumal im ersten Entwurf durch den Reichtum bevorzugter Lieblingsfiguren (Adelheid) und glänzender Episoden überwuchert:
die uns geläufige Gestalt des «Götz» (1773 erschienen) ist schon das
Ergebnis einer bewundernswerten Selbstkritik. Die Doppelgestalt Götz-Weislingen, die zwei Seiten des
Dichters auseinander legt, kehrt von nun an in G.s bedeutendsten Werken wieder (Faust-Mephisto, Clavigo-Carlos, Tasso-Antonio
u. s. w.). Der Erfolg des Dramas war ungeheuer; es steht an der Spitze des gesamten deutschtümelnden Ritterdramas (vgl. Brahm,
Das deutsche Ritterdrama des 18. Jahrh., Straßb. 1880) und
machte seinen Autor mit einem schlage zum berühmten Mann.
Ein Sommeraufenthalt (1772) beim Reichskammergericht in Wetzlar
[* 36] (vgl. Herbst, in Wetzlar, Gotha
[* 37] 1881) mit seinen mittelalterlichen Gepflogenheiten hatte Goethe inzwischen beste Gelegenheit zu Götz-Studien nach
dem Leben gewährt. Berühmter ist dieser Aufenthalt durch G.s Verhältnis zu Charlotte Buff (s. d.), der verlobten
Braut seines geschätzten Freundes Kestner, das man freilich nicht nach dem «Werther» (erschienen 1774)
beurteilen darf. Dafür hat es nicht den innern Konflikt, sondern nur die äußere Einkleidung hergegeben.
Jener beruht vielmehr teils auf dem Schicksal des unglücklichen jungen Jerusalem,
[* 38] den hoffnungslose Liebe und gekränkter Ehrgeiz
zum Selbstmord trieben, teils auf der peinlichen Rolle, die Goethe selbst in der unbefriedigenden
Ehe der schönen Maximiliane La Roche, der Tochter Sophiens La Roche (s. d.), mit dem FrankfurterKaufmannBrentano spielte. In der
von Richardson erlernten, für psychol. Analyse unübertrefflichen Form des Briefromans entwickelt Goethe die allmähliche Zerrüttung
eines hochherzigen edlen, aber krankhaft feinfühligen Geistes; Werther, ein deutsches Seitenstück des
Rousseauschen St. Preux, vertritt das Recht des weichfühlenden Herzens inmitten fühlloser Umgebung (vgl. Erich Schmidt, Richardson,
Rousseau und Goethe, Jena
[* 39] 1875). Mit wunderbarer poet.
Kraft
[* 40] und stilistischer Meisterschaft traf der Roman die von Goethe selbst durchgemachte Zeitkrankheit der Empfindsamkeit und
stellte durch seinen Erfolg, der ihm ebenso begeisterte Zustimmung wie hitzige Anfeindung eintrug, selbst
den «Götz» weit
in Schatten.
[* 41] Auch an «Werther»
schloß sich eine ganze Litteratur der Nachahmungen (z. B. in ItalienFoscolos«Briefe des Jac. Ortis»; vgl. Appell, Werther
und seine Zeit, 3. Aufl., Oldenb. 1882),
G.s drittes Hauptwerk in dieser Zeit war der «Faust», ein Lieblingsstoff der Stürmer und Dränger, auf
Grund des Volksbuchs des «Christlich Meinenden» in Prosa begonnen,
dann in Hans Sachsischen Knittelversen fortgeführt: unzweifelhaft sollte der Titan des Wissensdurstes, eine Gestalt der Reformationszeit
gleich dem Götz, ursprünglich auch bei Goethe schwungvoll zur Hölle fahren. In der Gretchen-Tragödie skizzierte
er jetzt schon sein rührendstes Frauenbild, im Mephisto schuf er den genialsten Cyniker des Realismus. Doch der «Faust» kam
damals über einzelne Scenengruppen nicht hinaus. Eine andere Titanengestalt G.s, der «Prometheus»,
rückte nie über wenige gewaltige, von spinozistischer Weltanschauung getränkte Scenen fort.
Die Frankfurter Jahre 1773-75 zeigen eine schier unglaubliche Schöpfungskraft. Aus Beaumarchais' «Memoiren»
macht Goethe schnell den bühnenwirksamen «Clavigo» (1774) zurecht. Litterar. Motive (Swift) und Erlebnisse im Freundeskreise wirken
zusammen, um ihn das Problem der Doppelehe in seiner meist unterschätzten «Stella»
(1776),
diesem hohen Liede der Frauenliebe, behandeln zu lassen: leider hat er die Dichtung später durch
ein unvorbereitetes tragisches Ende entstellt. Eine interessante dramat. Studie «Mahomet» blieb im Ansatz stecken, während
die Singspiele «Erwin und Elmire» und «Claudine
von Villa Bella» mit einer Energie und Frische, die freilich aus den bekanntern spätern Fassungen kaum durchschimmert, Herzenserlebnisse
G.s behandeln. Von grandiosem epischem Wurf sind die Fragmente «Der
ewige Jude» (1774),
die in ihrer Verbindung des derben Knittelversstils und des herrlichsten Pathos am nächsten zum «Faust»
gehören. Neben diesen ernstern Arbeiten läuft eine Überfülle von Farcen und Satiren her, in denen Goethe als das anerkannte
Haupt der Stürmer und Dränger (Lenz, Klinger, Wagner u. a.) gegen die Gegner seiner poet. Richtung, aber
auch gegen die Auswüchfe in der eigenen Partei zu Felde zog: so wendet sich «Götter, Helden und Wieland» gegen die süßliche
Auffassung der Antike in Wielands «Alceste», «Satyros» gegen gewisse Züge der Herderschen Art, «Pater Brey» gegen den Empfindler
Leuchsenring, der «Prolog zu den neuesten Offenbarungen Gottes» gegen Bahrdts platten theol. Rationalismus,
während andere Sachen, wie das «Jahrmarktsfest zu Plundersweilern» und
das groteske Possenfragment «Hanswursts Hochzeit» mehr eine Epigrammensammlung auf die verschiedensten Personen vereinigen.
Der Stil des Fastnachtspiels gab eine bequeme und wirksame Form für diese genial witzigen Scherze, die übrigens nur zum
kleinen Teil damals gedruckt wurden.
Goethe hatte in Frankfurt Advokatenpraxis: aber sie drückte ihn nicht, da der Vater das rein Geschäftliche ihm gern abnahm. So
behielt er Zeit zu freiem Verkehr mit den Männern, die ihn etwa aufsuchten, wie Klopstock und die BrüderStolberg,
[* 42] mit denen
er 1775 eine genialische Schweizerreise unternahm. Bedeutsamer waren seine Beziehungen zu Lavater, an
dessen «Physiognomischen Fragmenten» er sehr stark beteiligt war (vgl.
von der Hellen, G.s Anteil an Lavaters physiognomischen Fragmenten, Frankf. a. M. 1888),
und zu dem Gefühlsphilosophen
¶