Stadt und Stadtkreis im preuß. Regierungsbezirk Liegnitz, 221 m ü. M., an der Neiße, Knotenpunkt der Linien
Kohlfurt-Görlitz, Görlitz-Lauban, Görlitz-Zittau und Berlin-Görlitz der Preußischen und Dresden-Görlitz der Sächsischen Staatsbahn,
ist nach Breslau die bedeutendste Stadt Schlesiens und eine der reichsten (Görlitz besitzt allein 25,774 Hektar Wald) und schönsten
Städte Deutschlands. Unter den 7 Kirchen (6 evangelische und eine katholische) sind die gotische St. Peter- und Paulskirche
(1423-97 aufgeführt, mit fünf Schiffen und einer Krypte), die Dreifaltigkeitskirche mit kunstvollen Holzschnitzereien,
die Frauen- und die katholische Kirche bemerkenswert.
Vor der Stadt liegt das Heilige Grab mit der dazu gehörigen Kapelle zum Heiligen Kreuz, eine Nachbildung des Heiligen Grabes zu
Jerusalem aus den Jahren 1481-1489. Die bemerkenswertesten weltlichen Gebäude sind: das Rathaus (1537) mit reicher Bibliothek,
die alte Bastei, Kaisertrutz genannt, jetzt als Hauptwache und Zeughaus benutzt, die Gebäude des Gymnasiums
und Realgymnasiums in gotischem Stil, die Kaserne, das Zentralhospital, das Ständehaus mit schönen Anlagen, der Zentralbahnhof
etc. An Denkmälern besitzt Görlitz das Bronzestandbild des Bürgermeisters Demiani (von Schilling, 1876) am Demianiplatz und ein
Kriegerdenkmal (für 1870/71). Die Zahl der Einwohner beläuft sich mit Garnison (Jägerbat. Nr. 5 und 1 Inf.-Bat.
Nr. 19) auf (1885) 55,470, darunter 48,000 Evangelische, 5900 Katholiken und 700 Juden.
Die Industrie der Stadt ist bedeutend. Hervorzuheben sind: die Tuch-, Woll-, Halbwoll-, Baumwoll- und Leinenwarenfabrikation,
Eisengießerei, Eisenbahnwagen- und Maschinenbau, Fabrikation von Nähmaschinenteilen, Glas, Porzellan, Schamotte- und
Marmorwaren und Ziegeln, Spiritus-, Tabaks-, Parkett-, Spielwaren-, Holzstoff-, Leder-, Seifen-, Posamenten-, Knöpfe-, Stahlwaren-
und Blumenfabrikation, Bierbrauerei und Müllerei. Der Handelsverkehr beschäftigt sich außer mit den genannten Fabrikaten
mit Getreide, Produkten, Lumpen, Kolonial- und Materialwaren, Haus- und Küchengeräten etc. Nennenswert sind auch die Speditionsgeschäfte.
Der Geschäftsumsatz der Reichsbanknebenstelle betrug 1884: 193 Mill. Mk., der
der Kommunalständischen Bank 436 Mill. Mk. An Bildungs- und sonstigen Anstalten besitzt ein Gymnasium mit Realgymnasium, eine
höhere Töchterschule mit Lehrerinnenseminar, ein Theater, ein Zuchthaus; auch bestehen dort eine Naturforschende Gesellschaft,
die Oberlausitzer Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften, mit Bibliothek und reichen Sammlungen, ein Gewerbeverein etc.
Die städtischen Behörden zäh-
len 2 Bürgermeister, 15 Stadträte und 60 Stadtverordnete. Sonst ist Görlitz Sitz eines Landratsamts für den Landkreis Görlitz, eines
Hauptsteueramts, eines Landgerichts (für die 10 Amtsgerichte zu Görlitz, Hoyerswerda, Lauban, Marklissa, Muskau, Niesky, Reichenbach,
Rothenburg a. R., Ruhland und Seidenberg) und einer Handelskammer. hat Gas- und Wasserleitung, Kanalisation und
eine Pferdebahn. Die nächste Umgegend von hat manches Interessante, z. B. den herrlichen Stadtpark mit einem Denkmal A. v.
Humboldts, das Blockhaus, ebenfalls in Parkanlagen, im Frieden als Restauration dienend, mit herrlicher Aussicht auf das Iser-
und Riesengebirge, dicht dabei eine Schillerbüste auf Marmorpastament (seit 10. Nov. 1859); ferner die 830 m
lange, 36 m hohe und auf 34 Pfeilern ruhende Eisenbahnbrücke über das Neißethal und weiter den hohen Basaltkegel der Landeskrone
(s. d.). - Görlitz, dessen Name entweder als Zgorzelice (»Brandstadt«) erklärt, oder von gora
(»Berg«) abgeleitet wird, ist slawischen Ursprungs und erscheint zuerst um 1071 als Dorf (Gorelitz im
Gau Milsen), indem König Heinrich IV. dem Stift Meißen Landbesitz schenkte. Im 12. Jahrh. erhielt es Stadtrecht und Mauern, trat 1346 zum
Sechsstädtebund und war von 1377 bis 1396 unter Johann von Görlitz Hauptstadt des Herzogtums Görlitz, eines Teils der Oberlausitz. 1429 ward
die Stadt von den Hussiten vergeblich belagert und von Kaiser Siegmund dafür durch die Verleihung eines
Wappens belohnt, das unter Karl V. seine jetzige Gestalt erhielt. Im Dreißigjährigen Krieg wurde sie 1623 von den Schweden
und Kaiserlichen abwechselnd, namentlich 1633 von Wallenstein mit Sturm genommen und mußte, von den Schweden seit 1639 besetzt, 1641 eine
harte Belagerung durch die kaiserlich-kurfürstliche Armee aushalten.
Längere Zeit war Görlitz der Aufenthaltsort Karls XII. Im Gefecht bei Moys in der Nähe, 7. Sept. 1757, fiel General Winterfeld, dem am
Holzberg ein Denkstein errichtet ist, und 1813 bei Markersdorf Duroc. Napoleon hatte 1813 in Görlitz öfters sein Hauptquartier.
Auf dem Gebiet friedlicher Entwickelung knüpft sich an Görlitz unter anderm der Name des theosophischen Schusters
Jakob Böhme, der hier lebte und starb.
Vgl. Neumann, Geschichte von Görlitz (Görl. 1850);
»Görlitz und seine Umgegend« (3. Aufl.,
das. 1883).
1) Landkreis, ohne die Stadt Görlitz, im preuß. Reg.-Bez.
Liegnitz, hat 866,96 qkm, (1890) 52652 (25202 männl., 27450 weibl.) E., 1 Stadt, 95 Landgemeinden
und 71 Gutsbezirke. –
Textfigur:
2) Stadtkreis (17,80 qkm) und Kreisstadt des Landkreises Görlitz, eine der ehemaligen Sechsstädte (s. d.) des
Markgrafentums Oberlausitz, 14 km von der sächs. und 16 km von der böhm.
Grenze, in 221 m Höhe, an der Lausitzer oder Görlitzer Neisse, über die zwei Brücken führen, ist Sitz des Landratsamtes
für den Landkreis, eines Landgerichts (Oberlandesgericht Breslau) mit 10 Amtsgerichten (Görlitz, Hoyerswerda,
Lauban, Marklissa, Muskau, Niesky, Reichenbach in Oberschlesien, Rothenburg in der Oberlausitz, Ruhland, Seidenberg), eines Amtsgerichts,
Hauptsteueramtes, Eisenbahnbetriebsamtes (349,77 km Bahnlinien) der Eisenbahndirektion zu Berlin, Bergrevieramtes, einer Kommunallandständischen
Verwaltung des Markgrafentums Oberlausitz, der Görlitzer Fürstentums-Landschaft sowie einer Handelskammer und Reichsbankstelle.
Die Stadt, welche sich nach der Beseitigung des größten Teils der alten Befestigungen rasch entwickelt
hat, hatte 1880: 50307, 1885: 55470, 1890: 62135 (29096 männl., 33039 weibl.) E., darunter 53456 Evangelische, 7558 Katholiken, 427 andere
Christen und 694 Israeliten;
2821 Wohnhäuser (26 unbewohnte), 15873 Haushaltungen und 52 Anstalten;
in Garnison (1197 Mann)
das 1. und 3. Bataillon des 19. Infanterieregiments von Courbière.
Gebäude und Denkmäler. Unter den fünf evang. Kirchen zeichnet sich aus die große Hauptkirche zu St. Peter und Paul, um 1220 erbaut,
im 15. Jahrh. wesentlich erweitert, nach einem Brande 1691–96 zum Teil erneuert, eins der bedeutendsten Denkmäler spätgot.
Baukunst im Osten Deutschlands, mit sehenswerter Krypta und 2 Türmen (80 m, 1889–91 ausgebaut); die spätgot.
Frauenkirche ist 1449–73, die kath. Kirche 1853, die Dreifaltigkeits- oder Klosterkirche 1245 erbaut, der westl. Teil der
letztern ist 1385 geweiht, 1868 renoviert.
Ferner ist zu erwähnen das Rathaus (14. Jahrh., 1874–75 restauriert) mit einer merkwürdigen
steinernen Freitreppe sowie einer kunstvollen Saaldecke von Holzschnitzwerk (1568), erst 1872 wieder
aufgefunden; die alte Bastei Kaisertrutz (1490), jetzt Hauptwache, und mehrere andere mittelalterliche Türme sowie zahlreiche
Privatgebäude in prächtiger Renaissance, ferner das städtische Theater (1851), das got. Gymnasialgebäude (1856), das Realschulgebäude,
das Gewerbevereinshaus, die Mädchenschule, die Nachbildung des Heiligen Grabes zu Jerusalem auf einem Hügel
in und bei der kleinen Grabeskirche
mehr
zum Heiligen Kreuz nordwestlich vor der Stadt, 1476 von dem Patricier Georg Emmerich erbaut, der ausgedehnte Nikolaifriedhof mit
vielen Grabmälern und endlich die Eisenbahnbrücke (500 m lang, 40 m hoch) auf 32 Bogen. An Denkmälern besitzt Görlitz das Standbild
des Oberbürgermeisters Demiani (gest. 1846) von Schilling auf dem Marienplatz, die Denkmäler Al. von Humboldts
und des Afrikareisenden Steudner im Stadtpark, das Kriegerdenkmal für 1870/71, neben dem Kaisertrutz die Denkmäler Schillers
und des Prinzen Friedrich Karl und das im Mai 1893 enthüllte Denkmal Kaiser Wilhelms I. mit Moltke und Bismarck von Pfuhl.
Verwaltung. Die Stadt wird verwaltet von einem Oberbürgermeister (Reichert, seit 1881, 11000 M.), Bürgermeister
(Heyne, 7660 M.), 15 Magistratsmitgliedern (6 besoldet), 60 Stadtverordneten und hat freiwillige Feuerwehr mit 7 Feuermeldestellen;
ein vorzügliches Wasserwerk und zahlreiche fließende Brunnen von ehemaligen Wasserleitungen, Kanalisation, die Gasanstalt gab
(1891/92) 2,336 Mill. cbm Gas ab, davon 575754 cbm zur öffentlichen Beleuchtung (1062 Flammen) und 160741
cbm zu technischen Zwecken.
Auf dem städtischen Schlachthofe wurden (1892/93) geschlachtet: 4640 Rinder, 16674 Schweine, 18265 Kälber und 7168 Hammel.
Das Vermögen der Stadt wird auf 15 Mill. M. geschätzt. Die Gesamteinnahmen betrugen (1892/93) 2,801 Mill. M., darunter 330816
M. direkte Abgaben; die Ausgaben 2,801 Mill. M. Für Unterrichtszwecke wurden aufgewendet 539320 M., für
öffentliche Beleuchtung 64397 M., für Straßenreinigung 32820 M., für Armenwesen 128158 M., für Krankenanstalten 32000 M.
Unterrichts- und Bildungswesen. Städtisches Gymnasium und Realgymnasium, 1865 miteinander verbunden (Direktor Dr.
Eitner, 32 Lehrer, 15 Gymnasial- und 5 Realklassen, 480 Schüler), städtische Realschule, höhere Knaben- und 2 höhere Mädchenschulen,
Lehrerinnenseminar, Militärvorbereitungsanstalten, Handfertigkeits-, landwirtschaftliche Winter-, Postfach-, Handelsschule.
Außer dem Ratsarchiv mit zahlreichen Urkunden und Stadtbüchern bestehen die städtische Bibliothek mit 60000 Bänden und vielen
kostbaren Handschriften (Properz, Sallust, Freidanks Bescheidenheit, Stücke des Parcival, Sachsenspiegel u. a.), die Milichsche
Bibliothek (2000 Handschriften u. a. sowie eine Kupferstich- und Mineraliensammlung) und
die Bibliothek der Oberlausitzer Gesellschaft; das städtische Museum lausitzischer Altertümer und Kunstgegenstände
und ein Stadttheater (900 Zuschauerplätze).
Vereinswesen, Wohlthätigkeitsanstalten. Die Naturforschende Gesellschaft besitzt reiche Sammlungen, die Oberlausitzische
Gesellschaft der Wissenschaften, 1779 gegründet, bezweckt die Pflege aller Wissenschaften, besonders die Erforschung der
Geschichte der Lausitz, stellt Preisaufgaben und giebt seit 1822 das «Neue Lausitzische Magazin» heraus;
ferner bestehen der Gewerbeverein mit eigenem Versammlungshaus, Kaufmännische Verein mit Handelsschule, Handwerkerverein,
Volksbildungsverein, eine Freimaurerloge «Zur gekrönten Schlange»
sowie zahlreiche Musik- und Gesangvereine. In Görlitz werden meist die großen schles. Musikfeste
abgehalten. An Wohlthätigkeitsanstalten bestehen ein Centralhospital, 2 Kranken-, ein Diakonissenhaus, mehrere Privatkliniken,
eine Anstalt für Nerven- und Gemütskranke (Dr. Kahlbaum) und eine
Wasserheilanstalt (Dr.
Freise). Die Stadt hatte (Ende 1890) 16 Ortskrankenkassen (8404 Mitglieder, 148710 M. Einnahmen, 143941 M. Ausgaben, 110249
M. Gesamtvermögen) und 21 Betriebs-(Fabrik-)krankenkassen (4290, 98858 M., 94428 M., 108307 M.).
Industrie und Handel. Die Hauptindustrie ist die Tuchfabrikation (10 Fabriken mit über 2000 Arbeitern und
bedeutender überseeischer Ausfuhr), ferner die Fabrikation von Gloriastoff (zum Teil in der Umgegend), Eisenbahnmaterial
(etwa 1000 Arbeiter), Maschinenbauanstalten und Eisengießereien (Aktiengesellschaft Görlitzer Maschinenbauanstalt und Eisengießerei),
Gold-, Silber-, Draht-, Spielwaren, Cigarren, Chemikalien und Erbswurst (die älteste Fabrik).
Das Geschäft in Kolonial- und Materialwaren liegt fast ausschließlich in den Händen des Waren-Einkaufsvereins
(Aktiengesellschaft, Umsatz 1892: 4,984 Mill. M., Reingewinn 164808 M.) und des Neuen Konsumvereins (Genossenschaft mit beschränkter
Haftpflicht, 1892: 9922 Mitglieder, Umsatz 2,677 Mill. M., Reingewinn 158787 M.). Der Handel wird unterstützt durch eine Handelskammer,
Reichsbankstelle (Umsatz 1892: 351 Mill. M.) und 12 andere Banken, einen Vorschußverein, eine städtische
Sparkasse und die Oberlausitzer Provinzialsparkasse.
Verkehrswesen. Görlitz liegt an den Linien Berlin-Görlitz (210 km), Görlitz-Lauban (25,6 km), Görlitz-Zittau (33,1 km), Kohlfurt-Görlitz (28,4 km),
Görlitz-Seidenberg (16,9 km der Preuß. und Görlitz-Löbau (24,2 km) der Sächs. Staatsbahnen. Der Gesamt-Fluß- und Eisenbahngüterverkehr
betrug (1889) 6,114 ^[Ziffer 4 unsicher, da nur schwacher Druck] Mill. t; davon kamen 3,028 Mill. t Güter
(70045 t im Ausgang) auf die Eisenbahnen. hat ein Postamt erster Klasse mit 2 Zweigstellen, ein Telegraphenamt erster Klasse
und Fernsprecheinrichtung innerhalb der Stadt und mit Berlin. Görlitz gehört wegen seines Besitzes von 27558 ha Forst und vielen
Gütern und Vorwerken zu den reichsten Städten Schlesiens. In der Nähe liegt die Landeskrone, ein kegelförmiger
Granit- und Basaltberg (429 m), der bis 1402 eine Raubburg trug und eine schöne Aussicht gewährt.
Geschichte. Görlitz, 1238 zuerst erwähnt, wurde um 1200 neben dem slaw. Dorfe Gorelitz
(1071) als deutsche Stadt gegründet und 1250 erweitert; sie gehörte zu Meißen, Böhmen (bis etwa 1250),
dann zu Brandenburg (bis 1319), dann zum Herzogtum Jauer (bis 1329), zu Böhmen (bis 1467), zu Ungarn (bis 1490) und zu Böhmen
(bis 1635). 1303 erhielt die Stadt durch die Markgrafen von Brandenburg magdeburgisches Recht. Ihre Blüte entfaltete sie unter
König Johann von Böhmen und Kaiser Karl IV., die sie mit kostbaren Privilegien (Münzrecht, Straßenrecht,
Brau-, Salzgerechtigkeit u. a.) begabten. 1346 schloß Görlitz den Bund der Sechsstädte (s. d.). Kaiser Karl IV. bildete 1378 aus
Görlitz und einem ansehnlichen Gebiete ein eigenes Herzogtum dieses Namens und gab es seinem Sohne Johann, den aber die Görlitzer 1396 verjagten. 1429 wurde
Görlitz von den Hussiten belagert, blieb aber unbezwungen und erlangte eine solche Macht, daß es beinahe den Rang einer Freien
Reichsstadt erhielt; namentlich behauptete es als Sitz des königl. Erbgerichts die Gerichtsbarkeit
über sein gesamtes Weichbild. 1547 hielt Ferdinand I. ein furchtbares Strafgericht (Pönfall), weil die
Sechsstädte ihre Truppen im Schmalkaldischen Kriege zu früh zurückzogen, die Rechte der Stadt wurden vernichtet; sie