Gnostiker
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Gnostizismus, s. Gnosis.
Gnostiker
4 Wörter, 36 Zeichen
Gnostiker,
Gnostizismus, s. Gnosis.
Gnostizismus und Gnostiker. Der Name Gnosis (griech., »Kenntnis, Erkenntnis«) bezeichnete zur neutestamentlichen Zeit im jüdisch-alexandrinischen sowie auch im christlichen (vgl. z. B. 1. Kor. 8, 1). Sprachgebrauch die tiefere Einsicht in den innern Zusammenhang einer religiösen Gedankenwelt und infolgedessen zuletzt geradezu eine esoterische Religionslehre im Gegensatz zu dem Autoritätsglauben der nur die symbolische Hülle der Ideen festhaltenden Menge.
Das war im wesentlichen schon der Charakter der heidnischen Mysterien, und so stellt das, was in der Kirchengeschichte Gnosis heißt, im Grund auch nichts andres dar als den Versuch, das Christentum umzugestalten nach der Form der antiken Mysterien und es in einem neuen Mysterienkultus als die Vollendung und tiefere Wahrheit der allen gnostischen Systemen zu Grunde liegenden Naturreligionen erscheinen zu lassen. Dieser Tendenz zufolge machte sie die Probleme der Kosmologie zur Basis der Religionslehre und gefährdete durch eine phantastisch-spekulative Gottes- und Weltanschauung die wesentlich praktische Aufgabe des Evangeliums. Um sich den Aufbau dieser gnostischen Systeme anschaulich zu machen, muß man sich in jene gärungsvolle Zeit hinein versetzen, in welcher zwischen den Völkern des Orients und Occidents, wie sie das römische Weltreich noch alle umschloß, der regsamste Ideenaustausch statthatte und die entlegensten Religionselemente miteinander in Berührung traten.
Die Zeit der großen Invasion orientalischer Kulte unter Hadrian und den Antoninen war auch die Blütezeit der Gnostiker. Da aber auch jüdische Religionslehren, namentlich in Alexandria, in diesen Religionseklektizismus hereingezogen wurden, so lassen sich in den gnostischen Systemen die allenthalben ineinander überfließenden Elemente altorientalischer (besonders syrischer und persischer, wohl auch indischer) Religionssysteme, jüdischer Theologie und Platonischer wie stoischer und Pythagoreischer [* 3] Philosophie nachweisen.
Diese gnostischen Systeme sind zwar nicht mit den philosophischen Produkten des Hellenentums zu vergleichen, da sie sich mehr in phantasievollen Anschauungen und symbolischen Bildern als in abstrakten Begriffen bewegen, beschäftigen sich aber schließlich doch mit der Lösung derselben Probleme, als da sind: der Übergang vom Unendlichen zum Endlichen, die Schöpfung;
Gott als Urheber der seinem geistigen Wesen so fremdartigen materiellen Welt;
das Mangelhafte darin, das der Vollkommenheit, und das Böse darin, das der Heiligkeit des Schöpfers nicht entspreche;
die Verschiedenheit der sittlichen Naturen von den göttlich gesinnten Menschen bis herab zu den Sklaven der sinnlichen Begierde etc. Während demnach das Christentum sich darauf gewiesen sah, den religiösen Glauben von Metaphysik und Philosophie möglichst unabhängig zu stellen, und daher spekulative Kosmogonien zurückwies, wollte der Gnostizismus im gesamten Verlauf des Weltlebens eine Geschichte Gottes finden. Im Widerspruch mit der jüdischen Idee der Schöpfung aus nichts stellte er in seinen mehr griechischen Formen die Vorstellung von einem Ausfließen alles Seins aus dem höchsten Sein der Gottheit aus.
Diese Idee der Emanation ließ sich unter den mannigfaltigsten Bildern darstellen, so unter dem Bild einer Zahlenentwickelung aus einer Ureinheit, eines Ausströmens des Lichts von einem Urlicht u. dgl. Gott selbst erschien dabei als der in sich verschlossene, unnahbare und unerkennbare Urquell aller Vollkommenheit und zwischen ihm und dem Endlichen kein unmittelbarer Übergang denkbar. Wohl aber werden die mannigfachen dem Wesen der Gottheit innewohnenden Kräfte (Äonen) zu Keimen aller weitern Lebensentwickelung in der Art, daß die Stufen dieser letztern immer tiefer sinken, je mehr sich die Äonen von dem ersten Gliede der Kette entfernen. An die Stelle dieser Emanationslehre tritt in den orientalisch beeinflußten Schulen ein dualistischer Gegensatz: Gott als dem Herrn und Schöpfer der Geister steht von Ewigkeit gegenüber das Reich der Materie, welches als solches bös ist. Beide Formen gehen mannigfach ineinander über, stehen sich aber in den reinsten und durchsichtigsten Systemen doch in charakteristischem Gegensatz gegenüber.
In der alexandrinischen Gnosis herrscht der griechische Schulbegriff der Materie vor, welche als das Wesenlose, Leere (Kenoma) im Gegensatz zu der Fülle des göttlichen Lebens (Pleroma) erscheint. Indem die durch Emanation sich entwickelnden Wesen immer schwächer werden, entsteht auf der untersten Stufe ein Erzeugnis, das sich nicht mehr in dem Zusammenhang mit der göttlichen Lebenskette zu erhalten vermag und in das Chaos hinabsinkt. Dadurch wird zwar das Chaos beseelt, aber zugleich auch das Göttliche getrübt.
Das Dasein vervielfältigt sich, es entsteht ein untergeordnetes, mangelhaftes Leben; es wird Boden für eine materielle Welt gewonnen. Die syrische Anschauungsweise schließt sich dagegen an die parsische Lehre [* 4] von einem wild tobenden Reich des Bösen oder der Finsternis an, welches durch seinen Angriff auf das Lichtreich die Vermischung des Göttlichen und des Ungöttlichen herbeiführte. Eine nicht minder wesentliche Differenz zwischen den verschiedenen gnostischen Systemen betraf die Stellung, welche man das Christentum teils zu dem Ganzen der menschlichen Entwickelung, teils insonderheit zu dem Judentum einnehmen ließ. Zwar stimmen die gnostischen Systeme darin überein, daß sie die materielle Welt nicht sowohl auf den höchsten ¶
Gott als vielmehr auf einen niedern Weltbildner (Demiurgos) zurückführen, welcher, selbst der Sinnenwelt verwandt, tief unter dem Pleroma steht. Die dem Judentum minder schroff gegenüberstehende Richtung nahm an, der höchste Gott habe durch dienende Engel diese Welt hervorgebracht und regiere sie auch durch solche; an die Spitze dieser Engel stellten sie jenen Weltbildner, welcher daher nicht selbständig, sondern nur nach den vom höchsten Gott ihm eingegebenen Ideen handelt und das jüdische Volk erzieht, ohne die ganze Bedeutung des von ihm vollbrachten Werkes selbst zu würdigen.
Denn erst durch das Christentum wurde die höchste Idee der ganzen Schöpfung offenbar, wie auch der in der Person Christi erschienene Äon erhaben ist über den Demiurgos und seine Engel. Weiter entfernten sich vom Judentum diejenigen Gnostiker, welche die geschichtliche Kontinuität mit dem Alten Testament ganz abbrachen und den Judengott und seine Engel als gegen den höchsten Gott feindselige Wesen betrachteten. Der Gott des Alten Testaments ist ihnen ein hochmütiges und rachsüchtiges Wesen, während der höchste Gott, der Gott der Heiligkeit und der Liebe, zunächst in der irdischen Schöpfung lediglich durch einige in der Menschheit zerstreute göttliche Lebenskeime vertreten ist, deren Entwickelung der Demiurgos nach Kräften zu hemmen suchte, bis einer der höchsten Äonen sich in einem Scheinleib zur Erde herabließ, um die gefangenen, ihm verwandten höhern Geistesnaturen zum Bewußtsein ihrer Bestimmung zu bringen und wieder in das Pleroma hinaufzuziehen (vgl. Doketen).
Das Christentum findet daher auf diesem Standpunkt einen Anknüpfungspunkt höchstens in jenen Mysterien, in denen eine höhere Weisheit sich als Geheimlehre fortgepflanzt haben sollte. Die gnostische Praxis war durchweg von einer Theorie bedingt, wonach der Geist ein Lichtfunke Gottes ist, von seiner Feindin, der Sinnenwelt, in schmachvoller Gefangenschaft gehalten. Es gilt daher, sich als Geistmenschen (Pneumatiker) im Gegensatz zu den vom Demiurgos oder gar vom Satan herrührenden Seelenmenschen (Psychikern) und Fleischesmenschen (Hylikern) zu bewähren, d. h. die sittliche Aufgabe besteht in vollkommener Askese, Einswerden mit dem Urquell des Geistes durch Gnosis und Entkörperung des Geistes.
Dasselbe Ziel suchten einzelne Parteien freilich auf dem umgekehrten Weg zu erreichen durch ungezügelte Befriedigung der Geschlechtsliebe, auf welche Weise z. B. Karpokrates und sein Sohn Epiphanes ihre Verachtung gegen das Fleisch und den beschränkten Gesetzesstandpunkt des Demiurgos an den Tag legten (Antinomismus). An das Judentum sich anschließende Gnostiker waren besonders Cerinthus (s. d.) und der Verfasser der pseudoclementinischen Schriften (s. Elkesaiten).
Die syrische, sich immer mehr vom Judentum entfernende Gnosis ist vertreten durch Saturninus oder Satornil und ganz besonders durch die in den verschiedensten Formen existierenden Ophiten (s. d.). Einer der letzten syrischen Gnostiker ist Bardesanes (s. d.). Die durchsichtigsten und reifsten gnostischen Systeme führen sich auf Basilides (s. d.), der zwischen der syrischen und ägyptischen Gnosis vermittelt, und ganz besonders auf den Alexandriner Valentinus (s. d.) zurück.
Wie aber die Geschichte keinen Urheber der ganzen Richtung, sondern nur Gründer gnostischer Parteien kennt, so läßt sich auch die Zahl ihrer Anhänger nicht bestimmen. So großartig sich indes der Gnostizismus besonders um die Mitte des 2. Jahrh. entfaltete, so geistig bedeutenden Anhang er allenthalben gewonnen hatte, und so gewiß sogar hervorragende Kirchenlehrer noch im 3. Jahrh. mit ihm vielfache Berührungspunkte aufweisen (s. Alexandrinische Schule), so vermochte er sich doch bei der ungezügelten Willkür seiner proteusartigen Gestaltungen, dem immer entschlossenern Widerspruch der Kirche gegenüber, auf die Dauer nicht zu halten. Schon um 200 war die Auseinandersetzung zwischen kirchlicher und gnostischer Weltanschauung im Grundsatz vollzogen.
Vgl. Matter, Histoire critique du gnosticisme (2. Aufl., Straßb. 1844, 3 Bde.; deutsch von Dörner, Heilbr. 1833);
Lipsius, Der Gnostizismus (in Ersch und Grubers Encyklopädie, Bd. 71, Leipz. 1860);
Mansel, The gnostic heresies (Lond. 1875).