Gluck
,
Christoph Willibald, Tondichter, geb. zu Weidenwang bei Neumarkt in der Oberpfalz, war der Sohn eines Forstmanns. Als dreijähriges Kind kam er mit dem Vater nach Böhmen, [* 2] wo er an verschiedenen Orten (in Eisenberg, Komotau, Kamnitz und zuletzt in Prag) [* 3] seine wissenschaftliche und erste musikalische Erziehung erhielt. 1786 ging er nach Wien, [* 4] und hier, im fürstlich Lobkowitzschen Hause, hörte ihn der lombard. Fürst Melzi singen und Violoncello spielen, interessierte sich für ihn und nahm ihn mit nach Mailand, [* 5] wo er ihn zur höhern Kompositionsausbildung dem damals berühmten Giovanni Battista Sammartini übergab. In Mailand wurde 1741 G.s erste Oper «Artaserse» aufgeführt.
Bis 1745 folgten sieben andere für verschiedene ital. Bühnen. Dadurch schnell berühmt geworden, wurde er 1745 nach London [* 6] berufen, wo er 1746 die Oper «La caduta dei giganti» aufführen ließ: der Text wurde gewählt zur Verherrlichung des soeben über die schott. Rebellen errungenen Siegs. Die Londoner Opernverhältnisse waren damals zerrüttet; G.s Werke hatten wenig Erfolg, obwohl sie Aufmerksamkeit erregten. Die bescheidene Rolle, welche in London spielte, machte sich ihm um so fühlbarer, wenn er auf Händel blickte, der gleichzeitig oratorische Werke zu derselben polit.
Feier produzierte.
Händels Kunst machte einen überwältigenden Eindruck auf ihn und gab den nachhaltigen
Anstoß zu seiner spätern Opernreform. 1747 verlieft Gluck
London, berührte als Musikdirektor der Locatellischen Operngesellschaft
Hamburg,
[* 7] Kopenhagen
[* 8] und
Dresden,
[* 9] wandte sich aber 1748 nach
Wien, wo er sich nun dauernd niederließ und von wo ihn nur
Reisen
zur Aufführung seiner Werke zeitweilig entfernten.
Die erste
Oper, die er hier auf die
Bühne brachte,
war «Semiramide riconosciuta» (1748). Dann folgten in
Rom und
[* 10] Neapel
[* 11] «Telemacco» und «La
clemenza di Tito» (1750 und 1751),
darauf in
Wien mehrere Gelegenheitsopern, endlich in
Rom 1755 «Il trionfo di Camillo» und
«Antigono», infolge deren er vom Papst den
Orden
[* 12] vom
Goldenen
Sporn erhielt. Von da an schrieb er sich auch
Ritter von Gluck.
Bis 1762 lieferte er für
Wien und
Italien
[* 13] noch verschiedene
Opern, von denen zuletzt in
Bologna «Il trionfo di
Clelia» aufgeführt wurde. Inzwischen
war in ihm wahrscheinlich auf
Grund eingehender Bekanntschaft mit der franz.
Oper die Überzeugung gereift, daß die ital. Libretti (namentlich seit
Metastasio) schablonenhaft und schlecht wären und
daß in der Operndichtung das lyrische Element nicht den dramat. Grundcharakter beeinträchtigen
dürfe.
Raniero von Calzabigi ging mit Eifer auf seine Ideen ein und schrieb ihm den nach der neu gewonnenen Anschauungsweise gearbeiteten
Operntext «Orfeo ed Euridice» (zuerst
Wien 1762). Ebenfalls von Calzabigi gedichtet waren die
Texte zu
«Alceste» (1769) und «Paride
ed Elena» (1772). Diese drei Reformopern mit ihren einfacher und knapper gehaltenen
Arien, sorgfältig deklamierten Recitativen
und ihrer tiefern Charakterisierung hatten anfangs nicht den durchgreifenden Erfolg, den
Dichter und
Komponist erwartet haben
mochten; in andern Werken («Ezio», «La
Corona»
[* 14] u. a.) wandte sich Gluck
daher wieder mehr der frühern
Weise zu.
Neu belebt wurde sein reformatorischer Eifer durch
Bailly
du Rollet, damals bei der franz. Gesandtschaft in
Wien angestellt, der ihm
Paris
[* 15] als den Ort nannte, wo seine
Tendenzen die
meiste Aussicht auf erfolgreiche Verwirklichung haben würden. Gluck
beriet sich nun mit du Rollet
über die Umgestaltung von Racines «Iphigénie en Aulide» zum Operntext,
welche auch von du Rollet ins Werk gesetzt wurde. Gluck
ging im Spätsommer 1773 selbst nach der franz.
Hauptstadt, wo es ihm nach Beseitigung vieler Schwierigkeiten gelang, «Iphigénie»
zur Aufführung zu bringen.
Der Erfolg erhielt jedoch lebhaften
Widerspruch durch die
Anhänger der auf der
Großen
Oper noch immer herrschenden Schule
Lullys
und
Rameaus und die
Vertreter der ital.
Weise. Den
Angriffen beider Parteien in der Journalistik stellte sich als Verteidiger
G.s namentlich der
Abbé
Arnaud gegenüber. Gluck
selbst, um seinen Erfolg zu sichern, bearbeitete rasch «Orphée
et Euridice», welche
Oper im Aug. 1774 mit großem Erfolg aufgeführt wurde. Sodann ließ er 1775 «L'arbre
enchantées» und «La Cythère assiégée» folgen, jedoch mit geringerm
Glück, und endlich bot er 1776 noch eine Neubearbeitung der «Alceste»,
zu der du Rollet ebenfalls den
Text besorgt hatte.
Darauf ging Gluck
nach
Wien zurück und war hier eben beschäftigt, die Quinaultschen
Opern «Roland» und «Armide»
in
Musik zu setzen, als er erfuhr, daß seine Gegner aus dem ital. Lager
[* 16] den berühmten Piccinni
nach
Paris gerufen hatten, der ihm, ebenfalls mit der
Oper «Roland», aber von
Marmontel bearbeitet, als
Rival entgegentreten sollte. Darüber erbittert, erließ in der «Année littéraire»
von 1776 einen
Brief an seinen Freund du Rollet, in dem er sich heftig über das
Verfahren seiner Gegner beklagte und zugleich
Piccinni in ziemlich hochmütiger
Weise behandelte.
Das war das Signal zu einem heißen, litterar. Kampfe. Zwei Parteien bildeten sich, die Gluck
isten, an
deren
Spitze Suard und der
Abbé
Arnaud standen, und die Piccinnisten, als deren Vorkämpfer
Marmontel, Laharpe,
Ginguené u. a.
thätig waren. Der Streit rief eine Menge Journalartikel, Pamphlete und
Epigramme hervor und dauerte mehrere Jahre. Jedes
neue Werk, das Gluck
oder sein Nebenbuhler Piccinni lieferten, fachte den Kampf von neuem an.
Im Sept. 1777 kam G.s «Armide» zur Aufführung, wurde aber nur kühl aufgenommen
und fand erst später gerechtere Würdigung.
Dagegen feierte Piccinni mit seinem «Roland» (Gluck
hatte den seinigen
liegen lassen) 1778 einen glänzenden
Triumph. Im Mai 1779 wurde G.s «Iphigénie en Tauride»
gegeben und entzückte ganz
Paris. Mit diesem Meisterwerke war nun G.s
Sieg entschieden. Weder der geringe Erfolg, den fünf
Monate später sein «Écho et
Narcisse» fand, noch Piccinnis «Iphigénie en Tauride», durch
welche des deutschen
Meisters Werk überboten werden sollte, konnten den Ruhm schmälern, den in der franz.
Hauptstadt sich erkämpft hatte. Seit 1780 begann G.s Gesundheit zu wanken, ein
Schlaganfall führte in
Wien seinen
Tod herbei. 1755 hatte er den
Titel eines
k. k. Kapellmeisters und 1774 den eines
Hof-Compositeurs erhalten.
Außer seinen
Opern,
die auf die
Entwicklung der
Musik von entscheidendem Einflusse wurden, komponierte Gluck
nur noch einige Psalmen,
Instrumentalsätze und
¶
mehr
Lieder. Die Hauptwerke erscheinen seit 1874 in einer Ausgabe von Pelletan und Damcke bei Breitkopf+Härtel in Leipzig [* 18] in Partitur. –
Vgl. Leblond, Mémoire pour servir à l´histoire de la révolution opérée dans la musique par M. le chevalier Gluck
(anonym,
Par. 1781; deutsch von Siegmeyer, Berl. 1823): Über den Ritter Gluck
und seine Werke in Briefen von ihm und
andern berühmten Männern seiner Zeit (Berl. 1823);
A. Schmid, Christoph Willibald Ritter von Gluck
(Lpz. 1854);
Marx, Gluck
und
die Oper (2 Bde., Berl. 1863);
Desnoiresterres, Gluck
et Piccinni (Par. 1872);
H. Welti, Gluck
(in Reclams «Universalbibliothek»).