Gliederfüßler
(Arthropoden, Arthropoda), einer der großen
Stämme des
Tierreichs. Sie sind ausgezeichnet durch den
Besitz eines gegliederten
Körpers mit gleichfalls gegliederten Anhängen
(Beinen,
Fühlern etc.) und unterscheiden sich durch
das letztere Merkmal wesentlich von den
Ringelwürmern
(Anneliden, s. d.), die gleich ihnen aus
Gliedern
bestehen und früher mit ihnen zur
Gruppe der
Gliedertiere vereinigt wurden. Bei allen Gliederfüßlern
wird die
Haut
[* 2] aus einer
Zellschicht und einer von ihr abgesonderten
Masse, dem
Chitin (s. d.), gebildet;
erstere bleibt weich und dünn, letztere erlangt bei manchen Arten (Hummern, großen Käfern) eine enorme Dicke und Härte und wird so fast undurchdringlich gegen Gase [* 3] und Flüssigkeiten;
man bezeichnet sie alsdann wohl als Panzer oder Hautskelett. Im Innern derselben liegen sämtliche Weichteile, doch ragen auch Fortsätze der Haut nach innen hinein und dienen den Muskeln [* 4] zur Befestigung;
ein inneres Skelett, [* 5] wie bei den Wirbeltieren, existiert aber nicht, vielmehr geht selbst die Muskulatur der Beine von der Haut aus.
Der
Gegensatz zu den
Wirbeltieren wird noch größer dadurch, daß bei den Gliederfüßlern
im Innern des
Körpers und
namentlich der
Gliedmaßen zwischen den
Organen meistens viel
Raum bleibt, der mit
Blut erfüllt ist. Die
Gliederung ist nur in seltenen
Fällen nicht deutlich; in der
Regel zerfällt der Leib in eine Anzahl hintereinander gelegener
Ringe
(Segmente), von denen bei manchen Gliederfüßlern
wenigstens jedes dem andern sehr ähnlich (homonom) ist. Verschieden
(heteronom) von den folgenden
Segmenten ist jedoch der
Kopf: er trägt die
Augen und
Fühler, birgt das
Gehirn
[* 6] etc. Weiter nach hinten unterscheidet man meist eine
Brust
(Thorax) und einen
Hinterleib
(Abdomen);
letzterer trägt entweder gar keine oder doch einfachere Gliedmaßen, während an der Brust meist die eigentlichen Bewegungsorgane (Beine, Flügel) angebracht sind.
In den höhern
Klassen der Gliederfüßler
ist die Anzahl der Körperglieder meist gering; bei vielen verwachsen
manche
Ringe miteinander, wie denn z. B. der
Kopf der
Insekten
[* 7] aus einer Anzahl völlig miteinander verschmolzener
Segmente hervorgegangen
ist. Bei manchen
Krebsen etc. verwachsen
Kopf und
Brust zu dem sogen.
Cephalothorax
(Kopfbruststück). Im allgemeinen trägt jeder
Ring ein einziges
Paar
Gliedmaßen (höchst selten deren zwei, häufig keins), so daß man aus der Anzahl
der letztern die Zahl der miteinander verschmolzenen
Segmente ermitteln kann.
Die Gliedmaßen selbst sind gewöhnlich auch aus Gliedern zusammengesetzt, sonst aber ungemein vielgestaltig, je nachdem sie zum Schwimmen (Schwimmfüße), Kriechen und Laufen (Gehfüße), Fliegen [* 8] (Flügel), Kauen (Kiefer) und Tasten (Antennen) [* 9] verwendet werden. Jedes Glied [* 10] kann zum nächsten hingebeugt oder von ihm weggestreckt werden; die hierzu erforderlichen Beuge- und Streckmuskeln sind im Innern der Glieder [* 11] angebracht. Auch die Körperringe, welche untereinander durch weiche Haut in Verbindung stehen, werden in gleicher Weise durch oft sehr komplizierte Muskeln bewegt.
Die von der
Haut nach außen abgeschiedene Chitinschicht gestattet eine
Ausdehnung
[* 12] durch Wachstum nur in
sehr geringem
Maß, wird daher von dem wachsenden
Tier in gewissen Zeiträumen abgeworfen; die unter ihr bereits fertige geräumigere
Schicht ist anfangs weich, erhärtet jedoch bald. Bei diesen
Häutungen, die bei vielen Gliederfüßlern
zeitlebens erfolgen,
bei andern
(Insekten) auf die Jugendzeit beschränkt sind, werden auch alle Veränderungen mit Bezug auf
den
Bau des
Körpers
(Metamorphosen) sichtbar; anscheinend treten dieselben also sprungweise auf, sind aber bereits und zwar
oft seit langer Zeit unter der alten
Haut vorbereitet. Es erneuert sich aber nicht nur die Oberfläche der
Haut, sondern auch
die des größten Teils des
Darms, die der Ausführungsgänge der
Drüsen, der Muskelsehnen etc., kurz
aller der Teile, welche eine Chitinbedeckung haben.
Das Nervensystem schließt sich in seinen niedersten Formen eng an das der höhern Würmer [* 13] an und besteht aus einem oberhalb der Speiseröhre im Kopf gelegenen Gehirn oder Oberschlundganglion und dem auf der Bauchseite des Tiers verlaufenden sogen. Bauchmark, d. h. einer Doppelkette von Ganglien (Nervenknoten), die unter sich durch Längs- und Quernerven (Kommissuren) verbunden sind; das erste von ihnen (Unterschlundganglion), gewöhnlich dicht unterhalb der Speiseröhre im Kopf gelegen, steht mit dem Gehirn durch zwei Längsnerven in Verbindung, welche die Speiseröhre wie ein Ring umfassen (Schlundring).
Bei vielen Gliederfüßlern
ist die Zahl der Bauchknoten eine sehr geringe; manchmal sind sogar alle zu einer großen, in der
Brust gelegenen Nervenmasse verschmolzen. Aus dem
Gehirn entspringen die Sinnesnerven, aus dem
Bauchmark die
Nerven
[* 14] für
Haut
und
Muskeln. Für die
Eingeweide
[* 15] ist meist eine besondere Nervenleitung (sympathisches
Nervensystem) vorhanden,
die aber vom
Gehirn ausgeht. Von
Sinnesorganen sind die
Augen in fast allen
Fällen gut ausgebildet; man unterscheidet einfache
(Ocellen) und zusammengesetzte oder facettierte
Augen (s.
Auge).
[* 16]
Gehörorgane sind nicht überall zweifellos nachweisbar und liegen zwar meist am Kopf, jedoch mitunter an den Beinen oder im Schwanz. Geruchs- und Geschmacksorgane sind sehr verbreitet; zum Tasten dienen eigentümlich geformte Haare [* 17] an den meisten Körperteilen, vor allen an den Fühlern oder Antennen. Die Verdauung besorgt ein meist kurzer, oft sehr langer und dann vielfach gewundener Darm, [* 18] dessen Anfang (Vorderdarm) und Ende (Hinterdarm) Hauteinstülpungen sind.
Speicheldrüsen,
Leber und ähnliche
Drüsen sind nicht immer vorhanden, häufig jedoch sehr groß. Nur
in sehr seltenen
Fällen fehlt der
Darm gänzlich.
In den Hinterdarm münden fast überall die
Nieren
(Exkretionsorgane), welche
meist die Form von
Schläuchen haben und Harnbestandteile absondern.
Andre
Harnwerkzeuge finden sich bei
Krebsen in Gestalt besonderer
Drüsen, die am
Kopf ausmünden.
Atmung und
Blutumlauf erfolgen bei den einzelnen
Gruppen der in ganz verschiedener
Weise. Ein
Herz fehlt bei vielen Gliederfüß
lern; wo es vorhanden ist, liegt es in Gestalt eines langen oder kurzen
¶
mehr
Schlauchs (Rückengefäß) auf der Rückseite des Körpers über dem Darm. Das Blut wird von ihm hinten aufgenommen und vorn oder
seitlich ausgepumpt; es strömt dann entweder in besondern Gefäßen im Körper umher, oder zirkuliert in den zwischen den
Eingeweiden, Muskeln etc. befindlichen Lücken wie in bestimmten Bahnen. Mit Sauerstoff versorgt es sich in
den Atmungsorganen. Diese sind sehr vielfältiger Natur. Bei dünnhäutigen Wassertieren kann die ganze Körperoberfläche
den Austausch der im Wasser gelösten Atemluft mit dem Blut vermitteln oder auch nur der Darm, indem er rhythmisch Wasser ein-
und auspumpt, dies besorgen; meist jedoch haben die in Wasser oder feuchter Luft lebenden Gliederfüßler
besondere
Kiemen, d. h. dünnhäutige Körperteile, in denen das Blut sich oxydieren kann.
Die eigentlichen Landtiere aber besitzen Tracheen,
[* 20] d. h. vielfach verzweigte Luftröhren, die gewöhnlich zu mehreren vorhanden
sind; jede dringt von einer besondern Öffnung am Rumpf aus in das Innere des Körpers ein und löst sich dort
zwischen und in den Organen in die feinsten Zweige auf. Während also in den Kiemen das Blut der Luft entgegenströmt, sucht umgekehrt
in den Tracheen die Luft im Innern des Körpers das Blut auf. Dieser Unterschied ist so wichtig, daß man für die Insekten, Tausendfüße
etc. als Tracheentiere (Tracheaten) eine besondere Abteilung der Gliederfüßler
eingerichtet hat (s.
unten).
Die Fortpflanzung geschieht nie durch Teilung oder Sprossung, wie bei manchen Würmern oder andern niedern Tieren, sondern stets durch Eier; [* 21] doch brauchen diese durchaus nicht immer befruchtet zu sein. Vielmehr wird die Anzahl der Fälle, in denen unzweifelhafte Jungfernzeugung (Parthenogenesis s. d.) beobachtet ist, immer größer; gewöhnlich treten aber nach einer Reihe von Jungferngenerationen wieder Männchen auf, welche die Eier befruchten und ihnen damit eine längere Entwickelungsfähigkeit verschaffen.
Männchen und Weibchen sind übrigens manchmal so sehr voneinander verschieden, daß man ihre Zusammengehörigkeit erst durch besondere Beobachtungen feststellen kann; nicht selten leben die Männchen geradezu als Parasiten auf den viel größern Weibchen. Die Anzahl der Eier ist gewöhnlich sehr groß, die Zeitdauer der Entwickelung bis zur Geschlechtsreife häufig sehr kurz, so daß die Vermehrung alsdann ungemein rasch vor sich geht. Doch sind auch Fälle bekannt, in denen das Weibchen überhaupt nur ein Ei [* 22] legt.
Bei den Krebsen tritt die Geschlechtsreife meist sehr früh, lange bevor die Tiere ausgewachsen sind, ein und dauert lange fort; bei den Insekten und andern Arten hingegen bildet sie das Ende des Daseins, so daß nach der Begattung das Männchen, nach der Eiablage auch das Weibchen stirbt. Die Entwickelung geschieht zum Teil derart, daß das Junge aus dem Ei bereits in vollendeter Form (wenn auch noch nicht in der spätern Größe) ausschlüpft, zum Teil so, daß es in einer andern Gestalt daraus hervorgeht und nun noch manchen Verwandlungen (Metamorphosen) unterliegt, ehe es seinem Erzeuger ähnlich wird. Namentlich bei den Insekten sind die Larvenstadien als Raupe, Made, Puppe etc. wegen ihrer Abweichungen von den Erwachsenen schon von alters her jedermann geläufig.
Die Zahl der bekannten Arten von Gliederfüßlern
ist weit größer als die jedes andern Tierstammes; der Grund dafür liegt
ebensowohl in der großen Mannigfaltigkeit der Formen wie in der Menge von Forschern, welche seit mehreren
Jahrhunderten namentlich auf dem Insektengebiet
thätig gewesen sind. Indessen stellt sich in der Neuzeit heraus, daß
ein großer Teil der beschriebenen Arten nicht zu Recht besteht, vielmehr nur auf leichte individuelle Abänderungen zurückzuführen
ist.
Immerhin würden, wenn selbst die Hälfte der Arten aus diesem Grund einginge, allein für die Käfer
[* 23] schon
über 30,000 übrigbleiben. Fossile Arten sind verhältnismäßig ungemein wenig aufgefunden worden; zur Erkennung der Abstammung
der Gliederfüßler
tragen sie wenig oder gar nichts bei. Auf Grund der entwickelungsgeschichtlichen und anatomischen Thatsachen glaubt
man zur Zeit, daß die Gliederfüßler
von Würmern abstammen, weiß aber noch nicht bestimmt, ob alle den gleichen
Ursprung haben, oder ob nicht für einzelne Gruppen eine besondere Herkunft anzunehmen sei. Vielfach gebräuchlich ist gegenwärtig
noch die Einteilung der in vier große Gruppen: Krebse, Spinnen,
[* 24] Tausendfüße und Insekten;
doch trägt die folgende den neuesten Untersuchungen mehr Rechnung:
A. Kiementiere oder Branchiata. 1. Gruppe: Krebs- oder Krustentiere (Crustacea). 2. Gruppe: Pfeilschwänze (Xiphosura) und Trilobiten (Trilobitae). 3. Gruppe: Pantopoden (Pantopoda). B. Tracheentiere oder Tracheata. 4. Gruppe: Urtracheaten (Protracheata, s. Tracheen). 5. Gruppe: Spinnentiere [* 25] oder Arachniden (Arachnida). 6. Gruppe: Tausendfüße oder Myriopoden (Myriopoda). 7. Gruppe: Insekten (Hexapoda oder Insecta).