Titel
Gletscher
(in Graubünden Wader, in Tirol [* 2] Ferner oder Firne, in Salzburg [* 3] und Kärnten Kees, in den ital. Alpen [* 4] Ghiacciajo, im rhätoroman. Gebiet Vedretta oder Vadret, im Wallis Biegno, in Piemont Ruize, in Savoyen und Dauphiné Glacier oder Glacière, in Norwegen [* 5] Brae, in Island [* 6] Jökull), Eisströme, die in den Firnschneefeldern der Hochgebirge und der Polarländer entspringen und sich in langsamem Vorschube an den Berggehängen hinunter und thalabwärts bewegen.
Ihr Material ist eine aus alljährlich oberhalb der Schneegrenze fallenden und nicht schmelzenden Schneemassen gebildete,
in den höher gelegenen
Teilen des Gletscher
meist weniger dichte, im ganzen aber kompakte
Masse von dicht aneinander gefügten Eiskörnern,
die nach unten zu an
Größe zunehmen. Die
Farbe ist an der Oberfläche silbergrau, an ganz reinen
Stellen
bläulich- oder grünlichweiß, mit Ausnahme von aus dichterm
Eise bestehenden blauen
Bändern und der sog. Schmutzbänder,
die nur oberflächlich mit
Staub und Schmutz infiltrierte und zugleich auch weniger dichte Eisbänder sind.
Das Gletschereis
entsteht aus den locker liegenden Eiskörnern des Firnschnees (s.
Firn) durch deren Zusammensintern unter dem Druck der eigenen
Masse und unter dem Einfluß der
Sonnen- und Erdwärme und fließt
dann, nach den Gesetzen der
Bewegung von Flüssigkeiten, in den
Thälern hinab, weil es selbst zäh plastisch ist und eine
beständige Formumwandlung durch teilweises Schmelzen und Wiedererstarren erleidet (s.
Regelation). Die Gletscher
rücken mit ihrem Ende, der
Gletscherzunge, meist weit unter die Schneelinie hinab, oft
bis in Gebiete
mit üppiger
Vegetation, wie auf Neuseeland; ihre Länge und Mächtigkeit hängt einerseits von dem Nachschube, andererseits
von dem Betrage des Abschmelzens ab. Letzteres geschieht von oben
(Ablation) durch
Sonnenstrahlung, Luft
und
Regen, oder von innen durch
Sickerwasser, Luft und Druck, oder endlich von unten durch Schmelzwasser, Luft und Erdwärme.
Manche Gletscher
der
Alpen erreichen die Länge von mehr als 15 km, so der große
Aletschgletscher eine solche von 24 km, und in ihrer
obern
Region eine
Dicke von mehr als 300 m. Die tägliche
Bewegung der alpinen Gletscher
schwankt zwischen 15 cm
und 1,3 m; viel beträchtlicher, bis zu 22 m täglich, ist die
Bewegung grönländ. Gletscher
, die Abflüsse des Inlandeises
sind. Wie bei
Flüssen ist die
Bewegung in der Mitte größer als an den reibenden Rändern; die nach vorn
konvexen Schmutzbänder zeichnen sie schön ab. In schneereichen Jahresreihen wachsen die Gletscher
nach
Dicke und Länge; in warmen
und trocknen Jahresreihen schwinden sie, und ihre untern
Enden weichen oft weit zurück.
Eis (technische Verwen

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Eis (technische Verwendung). Die Oberfläche der Gletscher
bietet mancherlei typische Erscheinungen dar. Darauf herabfallende Steinblöcke und
Schuttmassen bilden die
Moränen (s. d. und
Tafel: Gletscher I,
[* 1]
Fig. 1, und II,
[* 1]
Fig. 3), die man ihrer
Lage nach als Seiten-,
Mittel-,
Grund- und
Endmoränen bezeichnet. Wenn um einzelne größere Steinblöcke herum das
Eis
[* 7] durch
die Wirkung der Besonnung abschmilzt, so erheben sie sich schließlich als
sog. Gletschertische
auf Eisstielen über die Oberfläche des Gletscher. Letztere ist stets uneben und rauh, mit runzelförmigen
Erhöhungen bedeckt und überall da, wo
Ungleichheit des
Bodens und der
Bewegung den Zusammenhang des Eisstroms zerreißen, von
oft tiefen und langen
Spalten durchzogen, die senkrecht auf die
Richtung des größten Zuges entstehen.
Die Randspalten haben ihren Grund in der gegen die Mitte raschern Bewegung, die Querspalten, die größten von allen, entstehen beim Übergang zu einer steilern Böschung des Untergrundes, die Längsspalten treten auf, wo ein Gletscher aus einer Thalenge heraustritt. Wo Spaltensysteme sich schneiden, zerfällt der ganze in Eiszacken und Eisnadeln (Seracs, s. Taf. II, [* 1] Fig. 2). Überschreitet der Gletscher einen steilen Felsabhang, so bildet er eine Eiskaskade, einen Gletschersturz, dessen Trümmer oft unterhalb des Sturzes zu einem regenerierten Gletscher wieder zusammenfrieren. An seinem untern Ende entströmt dem Gletscher der Gletscherbach bisweilen aus einer thorartigen Öffnung, dem Gletscherthor (Taf. II, [* 1] Fig. 1) oder der Eisgrotte, von deren Innerm aus man oft die schöne blaue Farbe der dichtern Gletschereismassen beobachten kann, die sich übrigens auch in tiefen Spalten zeigt.
Bett

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Bett.Das Wasser des Gletscherbachs (Gletschermilch) ist meist trübe durch mitgeführtes, fein zertrümmertes Gesteinsmaterial. Bei der Bewegung der Gletscher fallen die Blöcke und Schuttmassen oft in die Spalten, zerreiben sich dann aneinander oder kratzen und schrammen das Bett [* 8] des Gletscher: so entstehen die Gletscher- oder Eisschliffe, die beim Zurückweichen des Gletscher beobachtet werden können. Über die Erosionskraft der Gletscher, besonders über die Frage, ob dieselben Seebecken aushöhlen können, gehen die Ansichten der Forscher immer noch weit auseinander. Indem der Gletscher Seitenthäler absperrt, kann er einen Eissee verursachen, dem die Moräne nach Zurückweichen des Gletscher auch Dauer verleihen kann. Ein Beispiel ist der Märjelensee am Aletschgletscher (s. Taf. I, [* 1] Fig. 2).
Nach der Größe unterscheidet man Gletscher erster (Thalgletscher) und zweiter Ordnung (Hänge- oder Hochgletscher, Jochgletscher); nach der Art ihrer Entstehung einfache, wenn sie nur einem Sammelbecken entströmen, zusammengesetzte, wenn sie aus mehrern einfachen Gletscher entstehen. Ein einfacher Gletscher ist der Rhônegletscher, doppelt zusammengesetzt ist der Vieschergletscher, dreifach das Mer de Glace, fünffach der Gornergletscher u. s. w. Heim unterscheidet ferner einen alpinen, norwegischen und grönländischen Typus der Gletscher.
Gletscherbach - Glied

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Seite 58.74.Das Vorkommen der Gletscher beschränkt sich nicht auf die arktische und gemäßigte Zone. Auch in den Tropen finden sie sich, aber selbstverständlich nur in den höchsten Gebirgen, so in den Anden Südamerikas und am Kilima-Ndscharo. Mit der Annäherung an die Pole rücken die Gletscher sowohl nach der Höhenlage ihres Sammelbeckens als nach der des Gletscherendes in die Tiefe, bis letzteres endlich ins Meeresniveau zu liegen kommt. Alpengletscher giebt es über 2000, davon 250 erster Ordnung; sie bedecken 4000 qkm, d. h. 2,3 Proz. des Alpengebietes, die der Finsteraarhorngruppe allein 500 qkm. Die größten Alpengletscher sind: Aletschgletscher (s. d. und Taf. I, 120 qkm), Gornergletscher (s. d., 69 qkm), Mer de Glace (s. d., 42 qkm), Vieschergletscher (s. d., 40 qkm). Der größte Gletscher der Ostalpen ist die Pasterze (32 qkm). ¶
mehr
Mit der Erforschung der Entstehung, der Bewegung und der Wirkungen der Gletscher, namentlich in den Alpen, hat sich eine große Anzahl hervorragender Gelehrter beschäftigt, so besonders Saussure, Charpentier, Hugi, Agassiz, Forbes, Tyndall, die Gebrüder Schlagintweit, Studer, Heim, Forel, Helmholtz, Pfaff, Hagenbach, Penck, Richter, Finsterwalder u. a. m. Es wurde dabei zugleich nachgewiesen, daß die in den Alpen und andern Gebirgen zur Zeit des Diluviums (s. d.), in der der Gegenwart zunächst vorhergehenden Periode der Erdentwicklung, eine weit größere Ausdehnung [* 10] besaßen, wie denn damals (s. Eiszeit) [* 11] weit ausgedehnte Gegenden der Erde stärker vergletschert waren als jetzt.
Vgl. außer den Werken von B. Studer, Schlagintweit und den Schriften verschiedener Alpenvereine besonders: Agassiz, Études sur les glaciers (Neuchâtel 1840);
ders., Nouvelles études et expériences sur les glaciers (Par. 1847);
Forbes, Travels through the Alps (2. Aufl., Lond. 1845; deutsch von Leonhard, Stuttg. 1845);
Tyndall, Das Wasser in seinen Formen als Wolken und Flüsse, [* 12] Eis und Gletscher (Bd. 1 der «Internationalen wissenschaftlichen Bibliothek», 2. Aufl., Lpz. 1879): Pfaff, Die Naturkräfte in den Alpen (Münch. 1877);
Helmholtz, Populär-wissenschaftliche Vorträge, I; Penck, Vergletscherung der deutschen Alpen (Lpz. 1882);
Heim, Handbuch der Gletscherkunde (Stuttg. 1885);
Richter, Gletscher der Ostalpen (ebd. 1888).