Titel
Glatz.
[* 2]
1)
Grafschaft in
Schlesien,
[* 3] zum preuß. Reg.-Bez.
Breslau
[* 4] gehörig, umfaßt die
Kreise
[* 5] Glatz
,
Habelschwerdt und
Neurode mit 1636 qkm und (1890) 172433 E., darunter 164501 Katholiken, 7472
Evangelische, 154 andere
Christen und 306 Israeliten.
Das Land, ringsum von Gebirgszügen umgeben und nur im Innern von niedrigen Hügeln durchzogen, bildet wie
Böhmen
[* 6] einen an
Naturschönheiten reichen Gebirgskessel (s.
Glatzer Gebirge). Derselbe gehört zum mittlern
Teil der
Sudeten.
Der höchste Teil der umgebenden Ketten ist das Glatzer Schneegebirge mit dem Großen Schneeberge (1427 m) am Südrand der Grafschaft; es bildet eine berühmte Wasserscheide; auf ihm entspringt die Glatzer Neisse (Ostsee), die die Grafschaft von S. nach N. durchzieht, und die March (Schwarzes Meer). Das Land ist reich an Mineralquellen (Reinerz, Cudova, Langenau,Alt-Haide, Landeck). Die Bewohner sind Deutsche, [* 7] nur im westl. Teil an der böhm. Grenze in Brzesowie, Schlaney, Tscherbeney (Straussenei) leben etwa 4000 Czechen.
Die Hauptbeschäftigung ist
Landwirtschaft und Viehzucht.
[* 8] Umfassend ist auch die Leinen- und Baumwollweberei in den höher
gelegenen Bergdörfern, die Tuchweberei und der Kohlenbergbau im
Kreis
[* 9] Neurode, die Holznägel-, Holzdraht-,
Streichholz- und Zündhölzer- und Apothekerschachtelfabrikation in den
Kreisen
Habelschwerdt und Glatz
, die Glaswaren-, Zucker-,
Papier-, Cigarren- und Maschinenfabrikation, die Handschuh- und Gamaschenfabrikation, der Betrieb der Mehl- und Sägemühlen,
der Kalk- und Sandsteinbrüche und endlich die Cementfabrikation.
Der Handel ist nicht unbedeutend und wird durch die Eisenbahnen
Breslau-Mittelwalde, Dittersbach-Glatz
,
Glatz-Halbstadt
und Glatz
-Rückers gefördert. – Die
Grafschaft hat ihren
Namen von der Stadt Glatz.
Zur souveränen
Grafschaft wurde das Gebiet
durch Podiebrad von
Böhmen erhoben und verblieb als selbständiges Ganze bis 1742 bei
Böhmen. Doch wurde es oft an fremde
Fürsten verpfändet. 1742 wurde die
Grafschaft Glatz
zugleich mit
Schlesien von
Friedrich II. von
Preußen
[* 10] erobert und wurde im
Frieden zu
Breslau und dann 1763 an
Preußen abgetreten. Kirchlich gehört das Land noch jetzt zum
Sprengel des Fürst-Erzbischofs
von
Prag.
[* 11] –
2) Kreis im preuß. Reg.-Bez. Breslau (s. d.), hat 527,91 qkm, (1890) 62956 (29999 männl., 32957 weibl.) E., 3 Städte, 82 Landgemeinden und 54 Gutsbezirke. –
3) Glatz
, czech.
Kladsko, Hauptstadt der
Grafschaft Glatz
und Kreisstadt im
Kreis Glatz
, liegt 79 km im SSW. von
Breslau, an der
Neisse,
[* 12] zwischen den Mündungen der
Biele und
Steine, in 294 m Höhe, an den Linien Breslau–Mittelwalde, Glatz
-Rückers-Reinerz
(20 km) und Dittersbach-Glatz (51 km) der
Preuß. Staatsbahnen,
[* 13] ist Sitz des Landratsamtes, eines Landgerichts (Oberlandesgericht
Breslau) mit 11
Amtsgerichten
(Frankenstein, Glatz,
Habelschwerdt,
Landeck, Lewin, Mittelwalde, Münsterberg,
[* 14] Neurode,
Reichenstein,
Reinerz, Wünschelburg), eines Amtsgerichts,
Zoll- und Steueramtes,
Artilleriedepots, Proviantamtes, einer Kreisbauinspektion,
Fortifikation sowie der Betriebsbauinspektion der Oberschlesischen Eisenbahn und hat (1890) 13501 (7095
männl., 6406 weibl.) E., darunter 2357
Evangelische und 1221 Israeliten, in Garnison (1407 Mann) das 1. und 3.
Bataillon des 38. Füsilierregiments
Generalfeldmarschall
Graf
Moltke und die 3. und 4. Compagnie des 6. Fußartillerieregiments von Dieskau; Postamt erster
Klasse
mit Zweigstelle,
Telegraph.
[* 15] Seit
Aushebung der Stadtbefestigung und der
Außenwerke (1878) beschränken
sich die Festungswerke auf die Haupt- oder alte Festung,
[* 16] unmittelbar über der Stadt, in die Felsen eingesprengt, mit dem
die Stadt um 90 m überragenden Donjon und der
Statue des heil.
Nepomuk, und auf die kleine Festung am rechten Neisseufer,
Schäferberg genannt. Die Festung ist als befestigter Waffenplatz bestimmt, die Verkehrsstraßen und
¶
mehr
besonders die Eisenbahn zu beherrschen, und so den Durchbruch einer feindlichen Armee nach Schlesien zu verhindern. Die Stadt erhebt sich in ihrem alten Teile mit engen Straßen bis an den Schloßberg. Seit 1878 sind an Stelle der eingeebneten Festungswerke schöne Stadtteile und Parkanlagen entstanden. Von Gebäuden sind nennenswert: die kath. Pfarrkirche mit herrlichem Geläute, großer Orgel, Gruft mehrerer Herzöge von Münsterberg und Grafen von Glatz und dem Grabmal des Erzbischofs Ernestus (gest. 1364), die kath. Minoritenkirche, die evang. Garnison- (Franziskaner-) Kirche, das nach dem Brande (1886) neu aufgeführte Rathaus mit hohem Turm, [* 18] das Gymnasium (früher Jesuitenkollegium) und Konviktorium, die Kommandantur, das kath. Bürgerhospital, Stadtkrankenhaus, städtische Arbeitshaus, das Kreishaus, Land- und Amtsgerichtsgebäude, die Post, das neue Gefängnis und die neue Kaserne.
Ferner bestehen ein königlich kath. Gymnasium, aus dem 1597 gegründeten Jesuitenkolleg hervorgegangen (Direktor Dr. Stein, 13 Lehrer, 9 Klassen, 312 Schüler), je eine kath. und evang. private höhere Mädchenschule; eine Kommandite des Schlesischen Bankvereins zu Breslau, ein städtisches Krankenhaus, [* 19] kath. Bürgerhospital, ein städtisches Theater, [* 20] Gasanstalt und Wasserwerk. Die Industrie erstreckt sich auf Metallgießerei, Maschinenfabrik, Möbeltischlerei, Branntweindestillation (6 Brennereien), 5 Brauereien, Fabrikation von Schuhen und Gamaschen, 2 Cigarrenfabriken, Brett- und Fournierschneidemühle, 3 Mehlmühlen und Dampfziegelei. – Glatz wurde an der ehemaligen Haupthandelsstraße von Böhmen durch Schlesien nach Polen wahrscheinlich im 10. Jahrh. durch böhm. Fürsten als festes Schloß (auf dem Schloßberge) erbaut, an dessen Fuße sich allmählich ein städtisches Gemeinwesen entwickelte. Im Mittelalter wurde es mehrfach belagert und erobert, 1622 im Dreißigjährigen Kriege. Im Schlesischen Kriege wurde es 1742 durch Kapitulation den Preußen übergeben. Im Siebenjährigen Kriege nahm Laudon 1760 die Citadelle durch Überrumpelung.
Auch 1807 war Glatz, obgleich es durch seinen Kommandanten, den Grafen Götzen, tapfer verteidigt wurde, nahe daran, von den Bayern [* 21] und Württembergern genommen zu werden, als der Friede zu Tilsit [* 22] erfolgte. –
Vgl. Kögler, Chroniken der Grafschaft Glatz (Glatz 1841);
Kutzen, Die Grafschaft Glatz (Glogau [* 23] 1873);
Vierteljahrsschrift für Geschichte und Heimatkunde der Grafschaft Glatz (Habelschwerdt 1881 fg.);
Peter, Kleiner Führer durch die Grafschaft Glatz (ebd. 1882);
Beschreibung des östl. Teils der Grafschaft Glatz (2. Aufl., Landeck 1885).