Glatz
,
[* 2]
Grafschaft in der preuß.
Provinz
Schlesien,
[* 3] welche, den südlichsten Teil des Regierungsbezirks
Breslau
[* 4] (die
Kreise
[* 5] Glatz
,
Habelschwerdt und
Neurode) umfassend, halbinselartig nach
Böhmen
[* 6] hineinragt und ein
Areal von 1635,78
qkm (29,69 QM.) mit (1885) 176,450
Einw. (1880: 6691
Evangelische und 345
Juden) umfaßt (s.
Karte
»Schlesien«). Sie bildet im Innern eine von SO. nach
NW. sich
hinziehende
Hochebene von
ca. 320 m mittlerer
Höhe, die fast auf allen Seiten von
Gebirgen eingeschlossen wird
(Glatzer Gebirgskessel).
Die einzelnen
Züge dieses
Glatzer
Gebirges sind auf der rechten Seite der
Neiße
[* 7] das
Glatzer Schneegebirge
mit dem
Großen
Schneeberg (1424
m) und das
Reichensteiner
Gebirge mit dem
Heidelberg
[* 8] (879 m), auf der linken Seite der
Neiße das
Habelschwerdter Gebirge mit dem
Langenauer
Heidelberg (942 m), das Heuscheuergebirge
mit der
Großen
Heuscheuer
(920
m) und das
Eulengebirge mit der
Hohen
Eule (1000 m). Der Hauptfluß ist die
Glatzer Neiße (s.
Neiße 2), welche auf der rechten
Seite die
Wölfel mit dem prächtigen Wölfelsfall und die
Landecker
Biele und auf der linken die
Habelschwerdter
Weistritz, die
Reinerzer
Weistritz und die
Steine empfängt.
Das Land, neuerdings durch die Linien Breslau-Mittelwalde und Dittersbach-Glatz der Preußischen Staatsbahn sowie durch die Bemühungen des Glatzer Gebirgsvereins mehr in den allgemeinen und in den Touristenverkehr gezogen, ist reich an Mineralquellen (Reinerz, Kudowa, Landeck, Langenau etc.) und in der Thallandschaft, besonders an der Steine, recht fruchtbar. Auf den Höhen werden vorzugsweise Hafer [* 9] und vorzüglicher Flachs gebaut, daher viel Leinweberei und Bleichen.
Die ansehnlichen Bergweiden unterstützen die
Viehzucht,
[* 10] deshalb sind
Butter- und Käsewirtschaft berühmt. Etwa 33 Proz. der
Gesamtoberfläche des
Landes sind mit Waldungen bedeckt. Unter den nutzbaren
Mineralien
[* 11] sind zu nennen:
Steinkohlen im
NW.,
Erze,
Marmor,
Kalk- und
Sandsteine in mächtigen
Lagern,
Torf, jedoch noch unbenutzt, auf den Seefeldern. Unter
den
Fabriken sind solche für
Papier,
Tuch,
Zucker,
[* 12] Zündhölzer u.
Glas
[* 13] anzuführen. Die
Grafschaft Glatz
war früher der Gegenstand
vielfacher Streitigkeiten zwischen
Böhmen, das dieselbe innehatte, und
Polen, dem sie ursprünglich angehörte. Von
Böhmen
kam sie 1278 an das Herzogtum
Breslau, 1290 an
Schweidnitz,
[* 14] 1301 an
¶
mehr
Münsterberg,
[* 16] dessen Herzog Boleslaw II. Glatz
1322 an Böhmen wieder verkaufte. Georg Podiebrad von Böhmen verlieh es 1462 seinem
Sohn Heinrich von Münsterberg, dessen Sohn Karl I. die Grafschaft 1500 seinem Schwager Ulrich, Grafen von Hardegg, verkaufte. Dessen
Neffe Christoph verkaufte sie 1534 an Österreich.
[* 17] Nachdem sie Ferdinand I. an den Freiherrn v. Bernstein
[* 18] versetzt
hatte, brachte sie Ernst, Erzbischof von Salzburg,
[* 19] an sich, nach dessen Tod (1554) sie von Ferdinand wieder eingezogen und 1578 für
immer mit Böhmen vereinigt wurde. Im J. 1623 machte Kaiser Ferdinand II. die Grafschaft Glatz
seinem Bruder, dem Bischof Karl von
Breslau, zum Geschenk, nach dessen Tod sie der Kaiser zu einer besondern Landschaft erhob und von einem Landeshauptmann
verwalten ließ, bis sie 1742 von Maria Theresia mit Schlesien an Preußen
[* 20] abgetreten wurde.
Vgl. Wedekind, Geschichte der Grafschaft
Glatz
(Neurode 1857);
Kutzen, Die Grafschaft Glatz
(Glogau
[* 21] 1873);
»Geschichtsquellen der Grafschaft Glatz«
(hrsg. von Volkmer
u. Hohaus, Habelschw. 1883 ff.);
»Vierteljahrsschrift für Geschichte und Heimatkunde der Grafschaft Glatz«
(hrsg. von Scholz,
das. 1881 ff.);
die Reisehandbücher von Peter (das. 1881) und Nentwig (Schweidnitz 1885).
Die gleichnamige Hauptstadt der Grafschaft und des Kreises Glatz
(böhm. Kladsko) liegt 294 m ü. M.
in dem hier engen Thal
[* 22] der Neiße, an den Linien Breslau-Mittelwalde u. Dittersbach-Glatz der Preußischen Staatsbahn
und ist eine Festung
[* 23] zweiten Ranges. Mit ihren meist engen Straßen steigt sie terrassenförmig hauptsächlich am linken Neißeufer
den felsigen Festungsberg hinan, auf dessen Höhe die alte Festung steht. Diese, fast in der ganzen Grafschaft sichtbar, hat
auf ihrem höchsten Punkt (63 m über der Neiße, 370 m über der Ostsee) einen runden Observationsturm
(Donjon), von dem man die schönste Rundschau auf das Glatzer Ländchen hat.
Die Festungswerke sind größtenteils in den Felsen gesprengt. Auf dem rechten Ufer der Neiße befindet sich die von den Preußen
1745-50 angelegte neuere Festung, der Schäferberg. Beide Festungen stehen miteinander in Verbindung. Die
Stadtbefestigung ist aufgegeben worden, auf ihren eingeebneten Werken entsteht ein neuer Stadtteil mit breiten Straßen in
gesunder Lage. Von den 3 Kirchen (2 katholischen und 1 evangelischen) ist besonders die sehr alte Stadtpfarrkirche bemerkenswert;
in ihr befinden sich die Grabmäler von sieben schlesischen Herzögen. Die Einwohnerzahl beträgt (1885)
mit Garnison (1 Inf.-Reg.
Nr. 132 und 2 Kompanien Festungsartillerie Nr. 6) 13,585 Seelen, darunter 2402 Evangelische und 276 Juden. hat Zigarren-, Gamaschen-
und Maschinenfabrikation, Eisengießerei,
[* 24] Bierbrauerei
[* 25] und Destillation
[* 26] und ist Sitz eines Landgerichts (für die elf Amtsgerichte
zu Frankenstein, Glatz
, Habelschwerdt, Landeck, Lewin, Mittelwalde, Münsterberg, Neurode, Reichenstein, Reinerz
und Wünschelburg). Glatz
besitzt ein katholisches Gymnasium mit einer Erziehungsanstalt (Konviktorium), 2 Waisenhäuser, ein Krankenhaus,
[* 27] ein Bürgerhospital mit Siechenanstalt etc. -
Die Stadt Glatz soll unter König Heinrich I. erbaut worden sein und erhielt in der Folge eine so starke Befestigung, daß sie 1429 von den Hussiten vergeblich belagert wurde. Während des Dreißigjährigen Kriegs ward sie 1622 von den Kaiserlichen erobert und mehrere Male von den Schweden [* 28] vergebens berannt. Nachdem sie preußisch geworden, ward sie 1760 von Laudon belagert und die Citadelle durch Überfall genommen. Von Friedrich d. Gr. mit neuen Befestigungen versehen, erfuhr Glatz 1807 noch eine hartnäckige Belagerung von seiten der Bayern [* 29] und Württemberger; schon war das verschanzte Lager erstürmt und die Übergabe beschlossen, als der Tilsiter Friede Glatz im Besitz Preußens [* 30] ließ.