Glaskunsti
ndustrie.
(Hierzu die
Tafeln: Glaskunsti
ndustrie I und II.) Die nach künstlerischen
Gesichtspunkten betriebene
Herstellung von Glaswaren beruht auf dreierlei ästhetischen
Momenten, auf Form,
Farbe und Durchsichtigkeit.
Die beiden ersten teilt das
Glas
[* 2] mit andern Kunstzweigen, die letzte ist sein eigen. Die Durchsichtigkeit ist es auch, welche
der Form und der
Farbe ihre Besonderheit verleiht, daher sie bei jeder künstlerischen Bearbeitung zu beachten ist.
Die drei Zeitabschnitte, in denen die Glaskunsti
ndustrie am höchsten stand, sind: das
Altertum, die Renaissance und die
neuere Zeit seit dem 17. Jahrh. Im höchsten
Altertum wurde schon
Glas von den Ägyptern gefertigt, deren Wandbilder bereits
Darstellungen der Bearbeitung mit Schmelzofen,
[* 3]
Pfeifen und Gebläse
[* 4] geben. Von
Ägypten
[* 5] ging die
Technik nach
Phönizien über,
dem fälschlich die Erfindung zugeschrieben wird, dann nach
Griechenland
[* 6] und
Italien,
[* 7] und erreichte ihre
höchste
Blüte
[* 8] in den ersten Jahrhunderten der röm. Kaiserzeit (s. Diatreta).
Die
Glasfabrikation
[* 9] der Renaissance hatte im 15. und 16. Jahrh. ihren bevorzugten Sitz in
Venedig
[* 10] mit den Fabrikstätten auf der
Insel
Murano, und als dieses venet.
Glas an Bedeutung sank, erhob
sich in dritter Epoche, etwa seit der Mitte des 17. Jahrh., die böhmische Glaskunsti
ndustrie, der
die englische
bis in die neueste Zeit folgte. Erst seit der Mitte des 19. Jahrh. kann man eine vierte
Epoche datieren; doch ist dieselbe noch nicht abgeschlossen, und ihre Wesenheit besteht zum großen
Teil
in
Aufnahme und Weiterbildung der Besonderheiten der vorausgegangenen Epochen der Glaskunsti
ndustrie. Den drei großen
genannten Epochen entsprechen auch drei nach
Technik und nach äußerer Erscheinung verschiedene
Arten von Glaswaren.
Allen dreien ist zwar die Bearbeitung durch Schmelzung, durch Herausblasen der Form und nachträgliche Behandlung mit Eisen, [* 11] mit Schleifen oder Gravieren gemeinsam, aber indem eine jede Epoche auf die eine oder andere Technik den Nachdruck legt, sind die charakteristischen Unterschiede entstanden. So läßt sich das antike Glas als das musivisch zusammengeschmolzene bezeichnen, das venetianische als das (vorzugsweise) geblasene, das moderne böhmisch-englische als das geschliffene. Was sonst anderswo in andern Ländern an Glasgegenständen hergestellt worden ist oder heute hergestellt wird, das folgt der einen oder der andern Richtung. Im Mittelalter wurde das Glas für Gefäße bis zum Emporblühen der venet. Fabriken wenig oder gar nicht in künstlerischem Geiste behandelt; dafür wurde im Norden [* 12] die Glasmalerei [* 13] (s. d.) und im Süden die Glasmosaik (s. Mosaik) gepflegt.
Das antike Kunstglas (s. Taf. 1, [* 1] Fig. [* 14] 2) wurde durch farbige Pasten zu einer Masse verschmolzen. Die Technik ist keine andere, als wie sie heute in antiker Tradition die Venetianer üben. Die Pasten in Form von cylinderförmigen Stäben werden aneinander geschmolzen, gedreht, durch Blasen auseinander gebreitet, oder es wird die Form aus der so bereiteten Masse hohl herausgeschliffen. Die farbige Zeichnung, welche durch die ganze verschmolzene Masse hindurchgeht und das hauptsächlichste künstlerische Motiv ausmacht, bildet Zacken, Wellenornamente, geometr. Ornamente, [* 15] Laubwerk, Ranken, Blumen, selbst Köpfe und Figürchen; die Form der Gefäße schließt sich denen der antiken Terrakotten [* 16] an, nur sind die Profile mehr gerundet, weniger scharf an den Kanten und weniger reich gegliedert.
Glaswaren dieser Art fertigten die Ägypter, dann die Griechen und Römer. [* 17] Doch hatten die antiken Glasgefäße daneben noch mannigfache Eigenarten. Ungefärbte, verschieden geformte Schalen und Flaschen aus Glas, zum Teil mit vierseitig eingedrückter Wandung, waren in der röm. Kaiserzeit vielfach im Gebrauch, wie die reiche Sammlung des Nationalmuseums in Neapel [* 18] lehrt. Einfarbig oder in mehrfach gefärbten Schichten übereinander (Überfang) wurde das Glas zur Nachahmung von Edelsteinen, namentlich von Kameen [* 19] benutzt. Es wurden aber auch Gefäße in der Weise hergestellt, daß eine auf dunkeln Grund aufgetragene weiße Glasschicht nach gewisser Zeichnung hinweggeschliffen wurde, sodaß Ornamente, Pflanzen, [* 1] Figuren im Relief stehen blieben.
Von dieser Art ist die berühmte Portlandvase [* 20] in London, [* 21] zu der sich ein Seitenstück (Glasgefäß mit weißem Amoretten- und Blätterwerk auf blauem Grunde, 1837 in einem Grabe bei Pompeji [* 22] gefunden) im Museum zu Neapel befindet. Auch wurden aus dem Überfang Buchstaben hohl herausgeschliffen, sodaß sie nur mit Kopf und Fuß am Grunde festsaßen. Eine besondere Art, in den röm. Katakomben gefunden, bilden Schalen von grünlichem Glas mit christl. Darstellungen, mit Emblemen, [* 1] Figuren und Köpfen aus Gold, [* 23] die in die Glasmasse eingeschmolzen sind. Alle diese und andere Arten des antiken Glases haben die jetzigen venet. Fabrikanten auf der Insel Murano zugleich mit ihren eigenen Kunstweisen aus dem 15., 16. und 17. Jahrh. wieder zu beleben versucht.
Die venet. Glasfabrikation, offenbar auf antiker Grundlage beruhend, scheint aber erst mit der Renaissance ihren eigentümlichen Kunststil gefunden zu haben. Das Wenige, was sich von venet. Gläsern aus dem 15. Jahrh. erhalten hat, zeigt eine noch ziemlich unbeholfene Form und Technik. Es sind Trinkgefäße mit tonnenförmiger, eckiger Gestaltung auf hohem Fuße (s. Taf. I, [* 1] Fig. 3), meist von grünem oder blauem Glas und mit bunten, eingebrannten Emailfarben verziert.
Diese bemalten Glasgefäße, die Vorbilder der deutschen bemalten Gläser des 16. und 17. Jahrh., sind ihrerseits ohne Frage durch orient. Gefäße des Mittelalters mit emaillierten Farben angeregt worden (s. Taf. I, [* 1] Fig. 1). In Venedig verschwand aber diese Art des bemalten Glases mit dem 16. Jahrh.; statt dessen wurde, dem Geiste der Renaissance entsprechend, der künstlerische Wert auf die äußerste Zierlichkeit und Schönheit der Form gelegt sowie auf die größte Leichtigkeit und Dünnheit des meist farblosen Materials. Die Form, bloß durch Gebläse, Eisen und Anschmelzung hergestellt, ohne nachträglichen Schliff, erforderte von seiten des Arbeiters eine geschickte Hand [* 24] und volles Verständnis der Form, die noch heute auch in unsern Augen den Reiz dieser Glasgefäße bildet. ¶
Glasmalerei I 1. 4. 8. Aus dem Kölner [* 26] Dom (14. Jahrh.). 2. 3. Aus der bischöfl. Kapelle in Tournai (12. Jahrh.). 5. Wappen [* 27] der Züricher Familie Escher. 6. Aus der Kathedrale in Chartres (13. Jahrh.). 7. Aus der Kapelle du St. Sang in Brügge (14. Jahrh.). 9. Aus der Kirche St. Denis in Lüttich [* 28] (15. Jahrh.). ¶
Glasmalerei II 1. Kaiserkrönung Karls d. Gr., Fenster in der St. Paulskirche zu Aachen. [* 30] Entworfen und ausgeführt in der Tiroler Glasmalerei, Innsbruck. [* 31] 2. Himmelfahrt Mariä. Fenster in der Kathedrale zu Burgos. Ausgeführt in der Königl. Hof-Glasmalerei F. X. Zettler, München. [* 32] ¶
mehr
Die venet. Glasfabrikanten gingen aber in ihrer Virtuosität noch weiter; sie setzten an die Stengel
[* 34] der Gläser die sog. Flügel
an (s. die Textfiguren beim Artikel Flügelgläser),
[* 35] legten in das Glas spiralig, nach Art der Alten, weiße Fäden ein, ließen
diese im Netz sich durchkreuzen (s. Taf. I,
[* 33]
Fig. 4), wechselten
darin mit den Farben, ahmten Edelsteine
[* 36] nach, wie den Aventurin, Chalcedon, Jaspis, Opal. In allen diesen Künsten der Glaskunsti
ndustrie blieben
sie die Meister im 16. Jahrh., ungeachtet der Nachahmungen in den Niederlanden und in Frankreich.
Die Deutschen hatten daneben ihre Humpen von weißlichem und grünlichem Glas, bemalt mit Kaiser und Kurfürsten und Reichs- und Landeswappen, mit Emblemen, Sprüchen und Genrebildern, wie solche besonders im Fichtelgebirge (s. Fichtelberger [* 37] Gläser) gefertigt wurden. Es war eine derbere, mehr für den Gebrauch bestimmte und nach dieser Richtung hin sachgemäßere Art, die sich zwar nicht an künstlerischer Verfeinerung, wohl aber an stilgerechter Durchbildung des Materials mit den gleichzeitigen venet.
Glaskunsterzeugnissen messen kann. Die sog. Römergläser bilden eine originelle und hervorragend
zweckentsprechende Form. Im 17. Jahrh, sank die venetianische Glaskunsti
ndustrie, und Böhmen
[* 38] mit seinen Krystallgläsern lief ihr den Rang
ab; damit begann eine neue dritte Epoche. In Prag
[* 39] hatte Kaiser Rudolf II. Krystallschleifer angesiedelt, deren
Arbeiten heute noch die kaiserl. Schatzkammer füllen. Als mit dem Dreißigjährigen Kriege dieser kostbare Erwerbszweig aufhörte,
warfen sich die Arbeiter auf das billige Material des Glases, das nun gereinigt, entfärbt und an Klarheit und Helligkeit dem
Krystall ähnlich gemacht wurde.
Darauf wurde die Manier der Krystallschleifer übertragen. Obwohl die Formen der Gefäße nicht ohne die Pfeife des Glasbläsers entstanden, wurden sie doch später weiter gebildet. Die anfangs mehr runden Formen waren später mehr facettiert, und die Ornamente mit dem Rädchen tief eingraviert (s. Taf. I, [* 33] Fig. 12, 13, 14). So erhielten diese Glasgefäße, an Feinheit, Eleganz und Leichtigkeit hinter den venetianischen wenig zurückstehend, eine schöne, dem Material entsprechende Gestaltung. Die Engländer übernahmen im 18. Jahrh. die Arten und Formen der böhm. Gläser; aber mit Hilfe ihres schweren Flintglases, das die Eigenschaft hat, bei prismatischer Schleifung in den Regenbogenfarben gleich den Diamanten zu strahlen, – eine Eigenschaft, welche dem echten Krystall wie dem böhm. Krystallglase abgeht, – trugen sie über das böhm. Glas den Sieg davon.
Die böhm. Glasfabrikanten, um sich den Markt wieder zu erobern, färbten nun ihr Glas oder überfingen es mit anders gefärbtem
Glas, aus welchem sie Ornamente herausschaffen; doch war dies mehr eine Behandlung des Krystallglases nach
der farbigen Richtung als die Begründung eines neuen Stils in der Glaskunsti
ndustrie Material und Formen blieben dieselben, nur daß die letztern
mit dem Übergange in das 19. Jahrh. plumper, schwerfälliger und unschöner wurden. Dazu
kam noch die unkünstlerisch behandelte Blumenornamentation, wie sie gleichzeitig in allen Zweigen der Kunstindustrie betrieben
wurde; statt derselben wählte man dann auch Tiere, Bildnisse, Landschaften oder Genrebilder. Um die Verzierungen
auf Glasgefäße, wo sie gar nicht paßten, anwendbar zu machen, wurde das Glas möglichst opak gehalten, weiß gefärbt und
dem Porzellan ähnlich gemacht. Hieraus
hätte ein neuer Kunststil des Glases entstehen können, wenn man eine dem
opaken Glas völlig entsprechende Dekorationsweise gefunden hätte.
So war um die Mitte des 19. Jahrh. die Glaskunstindustrie
im Stil, in der Form und in der farbigen Dekoration gesunken, bis endlich eine Reform
auf Grundlage der alten Muster erfolgte. Die Venetianer, unter Führung des Salviati, waren die ersten (s. Taf. I,
[* 33]
Fig. 5–11). Sie riefen alle ihre feinen und edeln Formen des 16. Jahrh.
mit der Leichtigkeit des geblasenen Materials wieder in das Leben und vereinigten damit die verschiedenen farbigen Dekorationsweisen
der antiken Glaskunstindustrie.
So üben sie noch heute die Glaskunstindustrie mit gleicher Vollkommenheit, wenn auch mit weniger Originalität; die Glashütten
von Murano blühen wie zu Ende des 16. Jahrh. Ihnen konnten die Engländer mit ihrem schweren Material nicht folgen; dafür
hielten sie sich an die krystallhelle Reinheit ihres Flintglases und an seine brillante Farbenstrahlung. Während sie, der
erstern Eigenschaft entsprechend, die Gefäße in feinen Formen zu gestalten suchten und dieselben mit
geschliffenen und geätzten Ornamenten verzierten, schliffen sie, um der andern Eigenschaft willen, die Flächen in ganz raffinierter
Weise aus, sodaß sie mit diesen Gefäßen eine außerordentliche Licht- und Farbenwirkung erzielten (s. Taf. II,
[* 33]
Fig.
11–15, 16–18).
Die böhmische Glaskunstindustrie
vermochte in dieser Art nicht nachzufolgen. Von Ludwig Lobmeyr (Firma J. + L. Lobmeyr),
dem die moderne böhmische Glaskunstindustrie
ihre künstlerische Richtung, ihre Höhe und ihre Erfolge verdankt, wurde die krystallene Helligkeit
und Klarheit in den Vordergrund gestellt, und nach dem Muster der Kunstarbeiten in Bergkrystall aus dem 16. Jahrh. die größte
Schönheit der Formen in Verbindung mit gravierten Ornamenten angestrebt (s. Taf. II,
[* 33]
Fig.
19–25). In dieser Hinsicht sind Schalen mit unterwärts vertieft eingegrabenen
[* 33]
Figuren und Ornamenten,
welche aussehen, als wären sie erhaben auf der Oberfläche, wohl das Schönste und Beste, was die moderne Glaskunstindustrie
hervorgebracht
hat.
Aber Lobmeyr wollte ebenso, wie er dem Krystallglas den Weg gezeigt, auch dem farbigen Glas eine edlere
Richtung in Form und Verzierung geben, und auch dies gelang ihm in vielfacher Weise, insbesondere mit Gefäßen und Dekorationen
nach altorient. Art. Diese vielseitigen erfolgreichen Versuche förderten nicht nur die in Österreich,
[* 40] sondern auch in Deutschland
[* 41] (Rheinische Glashütte zu Ehrenfeld bei Köln
[* 42] [s. Taf. II,
[* 33]
Fig. 5–10], Josephinenhütte in Schlesien),
[* 43] wo man auch dem deutschen Glas des 16. Jahrh. Aufmerksamkeit schenkte. Frankreich
(Baccarat [s. Taf. II,
[* 33]
Fig. 1–4], St. Louis)
machte ebenfalls Anstrengungen, zumal in Krystallglas, aber ohne nennenswerten Erfolg. Künstlerisch stehen an der Spitze der
modernen Glaskunstindustrie
noch immer einerseits Venedig-Murano, andererseits England und Österreich.
Litteratur. Lobmeyr, Die Glasindustrie, ihre Geschichte u.s.w. (Stuttg. 1874);
Fröhner, La verrerie antique.
Description de la collection Charvet (1879);
Friedrich, Die altdeutschen Gläser (Nürnb. 1884);
Gerspach, L´art de la verrerie (Par. 1885);
E. Garnier, La verrerie et l´émaillerie (ebd. 1885);
O. von Schorn, Die Kunsterzeugnisse aus Thon und Glas (Lpz. 1888);
Bücher, Die Glassammlung des Österreichischen Museums (Wien [* 44] 1888);
E. von Czihak, Schlesische Gläser.
Eine Studie über die schles. Glasindustrie späterer Zeit (Bresl. 1891). ¶