Seitdem dichtete er während der Regierungszeit
Emanuels und seines Nachfolgers zu allen größern
Jahres-
und Hoffesten ähnliche dramatische
Spiele, an deren Aufführung sogar der König
Johann teilnahm. Seine Tochter
Paula, die
zugleich Hofdame bei der Infantin
Maria war, bildete Gil Vicente zur vorzüglichsten Schauspielerin ihrer Zeit aus. Von ihr sind die
Werke ihres
Vaters nach dessen
Tode, der bald nach 1536 erfolgt sein muß, zum
Druck befördert worden (Lissab.
1562). In neuerer Zeit veranstalteten Bareto
Feio und Monteiro einen korrekten Wiederabdruck mit
Einleitung und
Glossar (Hamb.
1834, 3 Bde.). Die ganz in spanischer
Sprache geschriebenen
Autos hatte schon vorher
Böhl v.
Faber in seinem »Teatro español
anterior á
Lope deVega« (Hamb. 1832) herausgegeben.
Die meisten seiner
Stücke, die teils spanisch, teils portugiesisch geschrieben sind (z. B. in der
Komödie »Rubena« sprechen
vier
Personen spanisch, die übrigen portugiesisch), atmen so viel
Laune und ursprüngliche
Poesie und haben eine so durchaus
nationale Färbung, daß sie als die Grundlagen eines Nationallustspiels angesehen werden können. Sie
zerfallen in geistliche
Stücke (autos), in denen der Einfluß der französischen und lateinischen
Mysterien sichtbar ist,
in
Tragikomödien und
Farcen (volksmäßige
Possen), die sein
Talent in Auffassung der gemeinen Wirklichkeit am glänzendsten
beurkunden und mit
Recht als des Dichters vorzüglichste Leistungen gelten (deutsch von
Rapp im
»SpanischenTheater«,
[* 5] Bd. 1,
Hildburgh. 1868). Zu der nach Gil Vicente gebildeten Dichterschule gehört
Camoens.
2) Portug.Goldschmied, berühmt als Verfertiger der sogen. Custodia di
Belem, einer
Monstranz aus indischem
Gold,
[* 6] welche König
Emanuel 1502 zur
Erinnerung an die
EntdeckungIndiens in das aus demselben
Anlaß gegründete Hieronymitenkloster zu
Belem beiLissabon gestiftet hat. Die neuerdings aufgestellte Behauptung, daß der Goldschmied Gil Vicente und
der gleichnamige Dichter eine und dieselbe
Person seien, entbehrt der nötigen Begründung.
Vicente (spr. schihl wißéngti), der Vater des portug. Dramas, geb. um 1470, vermutlich in Lissabon, wo er sich
bereits vor 1495, um Jurisprudenz zu studieren, aufhielt. Als «Mestre
Gil» tritt er mit wenigen launigen Gedichten im höfischen Liederbuche des Garcia de Resende auf. Sein erstes
Stück schrieb Gil Vicente 1502, zur Feier der Geburt des nachmaligen Königs Johann III., ein kurzes Schäferspiel, «Der Besuch»
(«Visitaçāo»),
das vor dem Hofe aufgeführt ward und beifällig aufgenommen wurde. Im selben Jahre verfaßte
Gil Vicente ein neues Stück, wie das erste in span. Sprache, doch in mehr dramat. Form, «Autopastoril castelhano». Seitdem fuhr
Gil Vicente fort, zu allen größern Hof- und Kirchenfesten ähnliche dramat. Spiele zu dichten. Einige seiner Stücke wurden auch
öffentlich, also für das Volk, gespielt. Um seine Neider zu beschämen, improvisierte er einst in einer
Hofgesellschaft über ein aufgegebenes Sprichwort die sinnreiche Farce «Inez Pereira», die vielleicht sein
bestes Stück ist. Gil Vicente starb in Dürftigkeit um 1536. Seine Werke wurden von seinen Kindern Paula und Luiz Vicente herausgegeben
(Lissab. 1561) und dann mit Verbesserungen des Heiligen Officiums, d. i. durch die Inquisition verstümmelt
(ebd. 1586). In neuerer Zeit
¶
mehr
veranstalteten Barreto Feio und Monteiro einen Wiederabdruck (3 Bde.,
Hamb. 1834), nachdem Böhl de Faber in dem «Teatro español anterior á Lope deVega» (ebd. 1832) die in span. Sprache geschriebenen
«Autos» und Scenen aus einigen andern castilian. Stücken herausgegeben hatte. Die vierte Ausgabe (Lissab. 1852; Bd. 2–4
der «Bibliotheca portugueza») ist ein Neudruck der
dritten. Auszüge aus Gil VicentesDramen finden sich in «Osmia, Trauerspiel» (Halberst. 1824); neun Stücke übersetzte Moritz Rapp
im «Span. Theater», Bd. 1 (Hildburgh.
1808). In seinen «Obrasde devoçāo», d. h. in den 17 halb religiösen, halb allegorischen «Autos», sind dem Dichter, wenigstens
in formeller Hinsicht, die lat. und franz.
mittelalterlichen Mysterien, und bei den Schäferspielen («Autospastoris») insbesondere die seines Zeitgenossen Juan del EncinaMuster gewesen; aber in seinen Stücken zeigt sich so viel Frische, Lebendigkeit und nationale Färbung, daß sie trotz der
oft noch rohen Anlage und unbeholfenen Ausführung von dramat. Genie zeugen und als die Grundlagen eines
Nationallustspiels anzusehen sind. –
Vgl. Visconde de Ouguella, Gil Vicente (Lissab. 1890).
Gil Vicente ist auch der Name eines portug. Goldschmieds, der aus dem ersten GoldeIndiens die berühmte Custodia deBelem verfertigte,
eine Monstranz , die König Emanuel zur Erinnerung an die Entdeckung Indiens für das gleichem Zwecke geweihte
Hieronymitenkloster zu Belem bei Lissabon gestiftet hat (1502) und die noch heute in der königl. Schatzkammer
im Palais Ajuda aufbewahrt wird. Neuerdings hat man den Dichter und den Goldschmied für ein und dieselbe Person erklären wollen;
doch ist der Beweis hierfür bisher nicht erbracht.