Seit dem epochemachenden Werk von Wilda (»Das Gildewesen des Mittelalters«, Halle 1831) schloß man sich allgemein
jahrzehntelang bezüglich des Begriffs und Wesens der Gilde der Wildaschen Auffassung an. Wilda betrachtete die Bezeichnungen Gilde, Brüderschaft,
Amt, Innung und Zunft wesentlich als gleichbedeutend, er verstand darunter die freien genossenschaftlichen
Vereinigungen (Einungen) des Mittelalters zu den verschiedensten Zwecken: zu gegenseitiger Unterstützung, zur Förderung gemeinsamer
Interessen etc.;
er unterschied aber dann nach ihrem
mehr
Zweck und ihren Bestandteilen geistliche und weltliche Genossenschaften und unter den letztern sogen. Schutzgilden freier Stadtbürger,
die er »Altbürgergilden« nannte, ferner Kaufmannsgilden und Handwerkergilden. Insofern überhaupt die kaufmännischen städtischen
Genossenschaften und die Zünfte als Gilden aufgefaßt wurden, konnte auch von einem Gildezwang die Rede sein, nach welchem Zugehörigkeit
zur betreffenden Gilde die Voraussetzung für Handels- und Gewerbebetrieb bildete.
Nitzsch (»Über die niederdeutschen Genossenschaften des 12. und 13. Jahrhunderts«, im »Monatsbericht der Königlich Preußischen
Akademie der Wissenschaften zu Berlin«, Jahrgang 1879, S. 4 ff.) hat dagegen nachgewiesen, daß Gilde etwas
von jenen andern mittelalterlichen Genossenschaften wesentlich Verschiedenes, daß sie ein rein norddeutsches
Institut war, im 12. Jahrh. in Norddeutschland an den Handelsplätzen als eine Vereinigung
für Verkehrsinteressen, und zwar für alle an diesen beteiligten Einwohner eines Platzes, sowohl der Kaufleute und Krämer
als der Handwerker, erscheint, die weder kirchlichen noch hofrechtlichen Ursprungs ist und zunächst keine Scheidung nach einzelnen
Gewerben kennt. Stets hat sie exklusive Rechte des Verkehrs an ihrem Platz und eine vollständige Autonomie.
Verkehrsgenossenschaften dieser Art waren in Süd- und Westdeutschland nicht vorhanden, wohl aber in England, auch unter dem
gleichen Namen (vgl. Zunftwesen). Bekannt sind heute noch in Deutschland die bestehenden bürgerlichen Vereinigungen der Schützengilden.
ein altgerman. Wort, bezeichnete im Mittelalter eine Genossenschaft, die im Gegensatz zu den auf Herrschaftsverhältnissen,
auf dem Geschlechtsverbande oder dem markgenossenschaftlichen Besitz beruhenden, durch den freien Willen der gleichberechtigten
Mitglieder zur Förderung gemeinschaftlicher Zwecke und Interessen gebildet war. In seiner ersten Ausbildung scheint das
Gildewesen mit den durch gemeinschaftliche Beiträge veranstalteten Trinkgelagen zusammenzuhängen, die
bei den Germanen in Verbindung mit gottesdienstlichen Feierlichkeiten, bei Familienereignissen und andern Anlässen stattzufinden
pflegten.
Daher hat Gilde im Dänischen noch die Bedeutung von Mahl oder Gelage behalten. Im Mittelalter erscheinen die Gilde, vorzugsweise
Brüderschaften (s. d.) genannt, als Vereine zu kirchlichen und wohlthätigen Zwecken und zu gegenseitiger
Unterstützung; ihre Zahl war sehr beträchtlich; in Köln soll es 80, in Lübeck 70, in Hamburg sogar 100 gegeben haben.
An Zahl geringer, aber größer an Bedeutung waren die vorwiegend weltlichen Gilde als eigentliche Schutzgilden, als
polit. und als Gewerbsgilden.
Die Schutzgilden suchten den vom Staate zur damaligen Zeit in ungenügendem Maße gewährten Rechtsschutz
ihren Mitgliedern durch gemeinsame Selbsthilfe zu verschaffen. Neben den durch einen Eidschwur verbundenen Vollgenossen der
Gilde standen bloße Schutzgenossen, zu denen auch die Frauen und sonstigen Hausangehörigen gerechnet wurden. In
allen genossenschaftlichen Angelegenheiten übte die Gilde über ihre Angehörigen eine wirkliche Gerichtsbarkeit; sie unterstützte
aber auch ihre Genossen vor dem öffentlichen Gericht, gewährte ihnen Eideshilfe, zahlte bei entschuldbaren Totschlägen
das Wergeld u. s. w. In England wurden die Gilde dieser Art vom Staate anerkannt und in seinen Organismus aufgenommen. In vielen
engl. Städten bildete eine «Merchant guild» das eigentliche Gemeinwesen,
an welches sich die übrige Bevölkerung als Schutzgenossen oder Hintersassen anlehnte.
Dagegen traten im Fränkischen und auch im Deutschen Reich Staat und Kirche anfangs den Gilde, namentlich den durch Eidschwur verbundenen,
mit Verboten entgegen. Zu den politischen Gilde gehörten die Altbürgergilden in manchen Städten Deutschlands als privilegierte
Genossenschaften und Träger des Regiments. Die Gewerbsgilden waren teils Handels- oder Kaufmanns-, teils
Handwerksgilden. (S. Zünfte.) Die Kaufmannsgilden verfolgten in erster Linie gemeinsame wirtschaftliche Interessen; meistenteils
waren sie Gilde von Detailhändlern, seltener allgemeine Handelsgilden.
Auch für das Handelsinteresse und die Sicherung des Rechtsschutzes im Auslande bildeten sich solche Kaufmannsgilden, die ihre
höchste Entwicklung in der großen deutschen Hansa
(s. d.) erreichten. Wenn auch die Gilde als
frei gebildete Genossenschaften anzusehen sind, so findet sich doch bei denjenigen, die für gewerbliche Zwecke bestimmt
waren, ein Gildezwang, der damit zusammenhing, daß der Betrieb eines Gewerbes als städtisches Amt von öffentlicher Natur
betrachtet wurde.
Für die Handwerkergilden oder Zünfte ist dies der Zunftzwang, der bei den kaufmännischen Genossenschaften
dem Gildezwang im engern Sinne entspricht. Ursprünglich hatte derselbe nur die Bedeutung, daß niemand ein bestimmtes Gewerbe
oder eine bestimmte Art des Handels betreiben dürfe, ohne der betreffenden Zunft oder Gilde anzugehören. Monopolistische Tendenzen
waren also mit diesem Zwange anfangs nicht verbunden, und auch in der Folge sind solche, sofern es sich
um die Zulassung zu dem Geschäftsbetrieb handelte, bei den kaufmännischen Gilde weit weniger hervorgetreten als
bei den Handwerkerzünften.
Mit der Ausbildung des modernen Staats- und Städtewesens verloren die Gilde ihre ursprüngliche Bedeutung und das Wort kommt
in der neuern Zeit nur noch als Bezeichnung kaufmännischer Korporationen vor. – Die in Rußland noch
bestehenden Gilde (Kaufleute erster und zweiter Gilde und Kleinhändler) sind im wesentlichen nur Steuerklassen.
–
Vgl. Wilda, Das Gildenwesen im Mittelalter (Halle 1831);
Gierke, Deutsches Genossenschaftsrecht (Berl. 1868);
Groß, GildaMercatoria (Gött. 1883);
Pappenheim, Die altdän.
Schutzgilden (Bresl. 1885); Hegel, Städte und Gilde der
german. Völker im Mittelalter (2 Bde., Lpz.
1891).