Gilde
,
ein altgerman. Wort, bezeichnete im Mittelalter eine Genossenschaft, die im Gegensatz zu den auf Herrschaftsverhältnissen,
auf dem Geschlechtsverbande oder dem markgenossenschaftlichen
Besitz beruhenden, durch den freien Willen der gleichberechtigten
Mitglieder zur Förderung gemeinschaftlicher Zwecke und Interessen gebildet war. In seiner ersten Ausbildung scheint das
Gilde
wesen mit den durch gemeinschaftliche Beiträge veranstalteten
Trinkgelagen zusammenzuhängen, die
bei den
Germanen in
Verbindung mit gottesdienstlichen Feierlichkeiten, bei Familienereignissen und andern Anlässen stattzufinden
pflegten.
Daher hat Gilde
im
Dänischen noch die Bedeutung von
Mahl oder Gelage behalten. Im Mittelalter erscheinen die Gilde
, vorzugsweise
Brüderschaften (s. d.) genannt, als
Vereine zu kirchlichen und wohlthätigen Zwecken und zu gegenseitiger
Unterstützung; ihre Zahl war sehr beträchtlich; in Köln
[* 3] soll es 80, in Lübeck
[* 4] 70, in
Hamburg
[* 5] sogar 100 gegeben haben.
An Zahl geringer, aber größer an Bedeutung waren die vorwiegend weltlichen Gilde
als eigentliche Schutzgilden, als
polit. und als Gewerbsgilden.
Die Schutzgilden
suchten den vom
Staate zur damaligen Zeit in ungenügendem
Maße gewährten Rechtsschutz
ihren Mitgliedern durch gemeinsame Selbsthilfe zu verschaffen. Neben den durch einen Eidschwur verbundenen Vollgenossen der
Gilde
standen bloße Schutzgenossen, zu denen auch die Frauen und sonstigen Hausangehörigen gerechnet wurden. In
allen genossenschaftlichen Angelegenheiten übte die Gilde
über ihre
Angehörigen eine wirkliche Gerichtsbarkeit; sie unterstützte
aber auch ihre Genossen vor dem öffentlichen Gericht, gewährte ihnen Eideshilfe, zahlte bei entschuldbaren
Totschlägen
das
Wergeld u. s. w. In England wurden die Gilde
dieser Art vom
Staate anerkannt und in seinen Organismus aufgenommen. In vielen
engl.
Städten bildete eine «Merchant guild» das eigentliche Gemeinwesen,
an welches sich die übrige
Bevölkerung
[* 6] als Schutzgenossen oder Hintersassen anlehnte.
Dagegen traten im
Fränkischen und auch im
Deutschen
Reich
Staat und
Kirche anfangs den Gilde
, namentlich den durch Eidschwur verbundenen,
mit Verboten entgegen. Zu den politischen Gilde
gehörten die Altbürgergilden
in manchen
Städten
Deutschlands
[* 7] als privilegierte
Genossenschaften und
Träger
[* 8] des
Regiments. Die Gewerbsgilden
waren teils
Handels- oder
Kaufmanns-, teils
Handwerksgilden.
(S.
Zünfte.) Die
Kaufmannsgilden verfolgten in erster Linie gemeinsame wirtschaftliche Interessen; meistenteils
waren sie Gilde
von Detailhändlern, seltener allgemeine Handelsgilden.
Auch für das Handelsinteresse und die Sicherung des Rechtsschutzes im Auslande bildeten sich solche Kaufmannsgilden, die ihre höchste Entwicklung in der großen deutschen Hansa (s. d.) erreichten. Wenn auch die Gilde als frei gebildete Genossenschaften anzusehen sind, so findet sich doch bei denjenigen, die für gewerbliche Zwecke bestimmt waren, ein Gildezwang, der damit zusammenhing, daß der Betrieb eines Gewerbes als städtisches Amt von öffentlicher Natur betrachtet wurde.
Für die Handwerkergilden oder Zünfte ist dies der Zunftzwang, der bei den kaufmännischen Genossenschaften dem Gildezwang im engern Sinne entspricht. Ursprünglich hatte derselbe nur die Bedeutung, daß niemand ein bestimmtes Gewerbe oder eine bestimmte Art des Handels betreiben dürfe, ohne der betreffenden Zunft oder Gilde anzugehören. Monopolistische Tendenzen waren also mit diesem Zwange anfangs nicht verbunden, und auch in der Folge sind solche, sofern es sich um die Zulassung zu dem Geschäftsbetrieb handelte, bei den kaufmännischen Gilde weit weniger hervorgetreten als bei den Handwerkerzünften.
Mit der Ausbildung des modernen Staats- und Städtewesens verloren die Gilde ihre ursprüngliche Bedeutung und das Wort kommt in der neuern Zeit nur noch als Bezeichnung kaufmännischer Korporationen vor. – Die in Rußland noch bestehenden Gilde (Kaufleute erster und zweiter Gilde und Kleinhändler) sind im wesentlichen nur Steuerklassen. –
Vgl. Wilda, Das Gildenwesen im Mittelalter (Halle [* 9] 1831);
Gierke, Deutsches Genossenschaftsrecht (Berl. 1868);
Groß, Gilda Mercatoria (Gött. 1883);
Pappenheim, Die altdän.
Schutzgilden (Bresl. 1885); Hegel, Städte und Gilde der german. Völker im Mittelalter (2 Bde., Lpz. 1891).