Streitigkeiten zwischen Gewerbtreibenden (resp. Geschäftsleitern)
und ihren Arbeitern können sich entweder auf bestehende
Rechts- und Vertragsverhältnisse und die daraus
erwachsenen
Forderungen und Verbindlichkeiten oder auf Änderungen des bisherigen Arbeitsvertrags und seiner
Bedingungen beziehen.
Schiedsrichterliche
Organe zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten der letztern Art sind die
Einigungsämter (s. d.).
Wenn zur
Entscheidung von Streitigkeiten der erstern Art besondere
Gerichte bestehen, als Sondergerichte
im
Gegensatz zu den allgemeinen ordentlichen
Gerichten (mit gelehrten
Richtern), aber doch als ordentliche
Gerichte, denen im
Gegensatz zu den freiwilligen
Schiedsgerichten die
Entscheidung dieser Streitigkeiten vom
Staat und ausschließlich
übertragen
ist, so bezeichnet man solche
Gerichte als Gewerbegerichte. Für jene Streitsachen genügen die gewöhnlichen ordentlichen
Gerichte mit gelehrten
Berufsrichtern nicht. Es bedarf hier der
Entscheidung durch sachkundige, das Vertrauen der streitenden Teile genießende
Richter
sowie einer schleunigen Erledigung ohne erhebliche
Kosten. Zu dem Ende muß das Gewerbegericht aus Arbeitgebern und Arbeitnehmern
und zwar je aus einer gleichen Zahl unter dem Vorsitz einer
Person, die weder Arbeitgeber noch Arbeitnehmer
ist, bestehen. Über die zweckmäßigste Art der Bestimmung der
Beisitzer (ob durch
Wahl der Arbeitgeber und Arbeitnehmer oder
der Gemeindebehörde oder durch Auswahl der
Staatsgewalt etc.) gehen die
Ansichten auseinander. Am
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mehr
besten dürfte dies ortsstatutarischer Bestimmung überlassen werden, um den an sich so verschiedenen örtlichen Verhältnissen
gebührend Rechnung zu tragen. Diese Gerichte existieren noch nirgends in erwünschter Weise. Am meisten entsprechen die französischen
Conseils des prud'hommes, welche zuerst für Lyon
[* 3] (Gesetz vom eingerichtet, bald darauf (Dekret vom Gesetz vom zu einer allgemeinern, seitdem aber durch eine größere Zahl von Gesetzen mannigfach veränderten Einrichtung
wurden (s. darüber Block, Art. Prud'hommes im »Dictionnaire de l'administration française«).
Die heutige Organisation derselben ist folgende: Sie werden auf Antrag oder doch mit Zustimmung der Gemeindebehörden von dem
Handelsminister errichtet und bestehen aus einer gleichen Zahl von Arbeitgebern (patrons) und Arbeitern (mindestens je drei),
einem Präsidenten und Vizepräsidenten. Das Errichtungsdekret bestimmt nach örtlichen Verhältnissen die dem betreffenden
Konseil unterstellten Gewerbe und die Zahl seiner Mitglieder. Die Mitglieder, welche wenigstens 30 Jahre alt sein müssen,
werden gewählt, zur Hälfte von den Arbeitgebern, zur Hälfte von den Arbeitern.
Wahlberechtigt sind solche, welche 25 Jahre alt, mindestens 5 Jahre im Gewerbe beschäftigt und 3 Jahre im Bezirk des Konseils
domiziliert sind. Die Mitglieder wählen den Präsidenten und Vizepräsidenten (auf ein Jahr), der eine muß Arbeitgeber,
der andre Arbeiter sein. Der Konseil wird alle drei Jahre zur Hälfte erneuert. Für die Rechtsprechung
im einzelnen Fall wird aus dem Konseil ein Bureau particulier (aus einem Arbeitgeber, einem Arbeiter und dem Präsidenten, resp.
Vizepräsidenten bestehend) gebildet, vor welches zunächst der Streitfall zu bringen ist, und welches den Vergleich zu versuchen
hat, und, falls keine Einigung zu stande kommt, ein Bureau général (aus mindestens je zwei Arbeitgebern
und Arbeitern und dem Präsidenten, resp. Vizepräsidenten bestehend). Die Entscheidungen dieses Bureaus sind endgültig in
Streitsachen bis zu 200 Frank; in höhern ist die Berufung an das Tribunal de commerce zulässig, aber das Büreau kann auch
in diesen die sofortige Exekution bis zur Höhe von 200 Fr. verhängen. Die Ablehnung von prud'hommes als
Richtern ist zulässig, soweit die Ablehnung von juges de paix (nach dem Code depr. civ., Art. 44, 45, 46) statthaft ist.
In Deutschland
[* 4] wurden auch in der preußischen Rheinprovinz
[* 5] unter französischer Herrschaft Conseils des
prud'hommes in den wichtigsten Industrieplätzen errichtet und 1815 von der preußischen Gesetzgebung beibehalten. Diese Konseils
bestehen aber nur aus Fabrikanten, Werkmeistern u. selbständigen Handwerkern. Die Zuständigkeit derselben bezieht sich teils
auf Zivilstreitigkeiten aus dem gewerblichen Arbeitsverhältnis, ohne Rücksicht auf die Höhe der Streitsummen, teils auf
geringere Strafsachen, Kontraventionen gegen die Gewerbepolizei, Ruhestörungen in den Werkstätten etc.
Auch diese Gewerbegerichte bilden eine Vergleichskammer und ein Gewerbegericht im engern Sinn.
Jene hat zunächst den Vergleich zu versuchen. Die Entscheidungen sind endgültig bis zu 80 Mk., in höhern Sachen ist Berufung
an das Handelsgericht zulässig, die aber nur dann Suspensivwirkung hat, wenn der Streitgegenstand 240 Mk.
beträgt. Im übrigen Preußen
[* 6] wurden seit 1815 ganz vereinzelt, teils in Berlin,
[* 7] teils in Westfalen,
[* 8] Gewerbegerichte (sogen. Fabrikgerichte)
angeordnet; dieselben waren jedoch wesentlich nur Bagatellkommissionen der ordentlichen Gerichte. Die Gewerbeordnung von 1845 behielt
diese besondern Gewerbegerichte, wo sie
bestanden, bei, übertrug aber in Ermangelung solcher die Entscheidung teils
an die Innungsvorsteher unter dem Vorsitz eines Mitgliedes der Kommunalbehörden, teils an die Ortspolizeibehörde, vorbehaltlich
der Beschreitung des Rechtswegs binnen präklusivischer Frist.
Die Verordnung vom betreffend die Errichtung von Gewerbegerichten, stellte die Bildung besonderer Gewerbegerichte frei, schrieb
für diese aber eine Zusammensetzung aus Arbeitgebern und Arbeitnehmern vor mit der Maßgabe, daß ein
Mitglied mehr aus der Klasse der Arbeitgeber sei und einer von diesen den Vorsitz habe. Solcher Gewerbegerichte kamen aber nur wenige
zu stande, und auch diese wurden bald wieder aufgehoben. Die Reichsgewerbeordnung von 1869 bestimmte in § 108 (jetzt 120a),
daß die fraglichen Streitigkeiten, sofern für dieselben besondere Behörden bestehen, durch diese,
sonst durch die Gemeindebehörden (vorbehaltlich der Berufung auf den Rechtsweg) zu entscheiden seien, daß aber auch durch
Ortsstatut besondere Gewerbegerichte (Schiedsgerichte) durch die Gemeindebehörden unter gleichmäßiger Zuziehung von Arbeitgebern und
Arbeitnehmern gebildet werden können.
Der Entwurf zur Novelle von 1878 wollte neue Gewerbegerichte obligatorisch machen, welche aus einem Richter als Vorsitzendem
und aus Beisitzern bestehen sollten, die von der Gemeindevertretung aus Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu wählen gewesen
wären. Der Entwurf kam indes nicht zu stande. Durch das Innungsgesetz vom haben die neuen Innungen Rechtsstreitigkeiten
zwischen den Innungsmitgliedern und ihren Lehrlingen an Stelle der Gemeindebehörde zu entscheiden (§
97), und sie können Schiedsgerichte errichten (§ 97 a, 100 d, 100 e), welche solche Streitigkeiten auch zwischen Innungsmitgliedern
und ihren Gesellen entscheiden.
Die Zuständigkeit der Innungen kann sogar auch auf Streitigkeiten ausgedehnt werden, welche zwischen Lehrlingen und der Innung
nicht angehörenden Arbeitgebern aus dem Lehrverhältnis entstehen. Die Innungsschiedsgerichte müssen
mindestens aus einem Vorsitzenden und zwei Beisitzern bestehen, die Beisitzer müssen zur Hälfte aus den Innungsmitgliedern
und zur Hälfte aus deren Gesellen entnommen sein. Der Vorsitzende wird von der Aufsichtsbehörde bestimmt, er braucht der
Innung nicht anzugehören; die Beisitzer werden von den Innungsmitgliedern, resp. den Gesellen gewählt.
Wie in der Arbeiterversicherung ist das Deutsche Reich
[* 10] auch mit diesem Gesetz in der legislatorischen Lösung
einer wichtigen sozialpolitischen Frage den übrigen Kulturstaaten vorangeschritten. Das Gesetz entspricht den Forderungen,
die für die Lösung dieser Frage von der Wissenschaft seit Jahren gestellt waren (s. Gewerbegerichte, Bd.
7, S. 288). Die Gewerbegerichte sind besondere Gerichte zur Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten zwischen gewerblichen
Arbeitgebern und ihren Arbeitern aus dem abgeschlossenen Arbeitsvertrag.
Sie sind nicht freiwillige Schiedsgerichte, sondern gesetzlich organisierte Gerichte, welche als die ordentlichen Gerichte für
diese Streitigkeiten bestehen und sie selbständig zu entscheiden haben. Bei richtiger Zusammensetzung bestehen sie aus einem
Kollegium einer gleichen Zahl von Arbeitgebern und Arbeitern unter dem Vorsitz einer Person, die weder
Arbeitgeber noch Arbeiter ist. Die Notwendigkeit solcher Gerichte ergibt sich aus folgenden Erwägungen.
Zunächst ist für die gewerbliche Gerichtsbarkeit ein Hauptpunkt, daß bei einem Rechtsstreit zuerst ein friedlicher Ausgleich
der Parteien versucht wird. Erfahrungsgemäß ist dieser in den meisten Fällen von Erfolg, wenn das Organ,
welches den Ausgleich zu vermitteln sucht, mit den realen Verhältnissen des praktischen Lebens, aus denen solche Streitigkeiten
entstehen, vertraut ist, einen sachgemäßen Ausgleich vorschlagen kann und das Vertrauen der streitenden Teile genießt.
Um daher den friedlichen Ausgleich möglichst oft zu erzielen, müssen bei dem betreffenden Organ diese
Voraussetzungen vorhanden sein.
Außerdem muß man an die Art dieser Rechtsprechung aus sozialpolitischen Gründen die Anforderungen stellen, daß die Rechtsprechung
nach dem freien Ermessen der Richter erfolge und namentlich auch Rücksichten der Billigkeit und der Humanität mit maßgebend
sein dürfen, daß die Richter durch ihre Lebensstellung mit den realen Verhältnissen des gewerblichen
Lebens bekannt sind, die Garantie für objektive, sachgemäße Entscheidung bieten und in dieser Hinsicht das Vertrauen der
Streitenden haben, daß das Prozeßverfahren ein einfaches sei, die Entscheidung und die Zwangsvollstreckung des Urteils möglichst
schnell erfolge, die Kosten des gerichtlichen Verfahrens aber geringe seien. Die Bedeutung dieser Gewerbegerichte liegt
darin, daß sie nicht nur eine bessere Rechtsprechung ermöglichen, sondern auch den sozialen Frieden fördern.
Gewerbegerichte
dieser Art existierten bisher nur verhältnismäßig wenige in Deutschland. Die bisherige Gesetzgebung war nicht genügend,
diese wichtige sozialpolitische Institution sich in erwünschter Weise entwickeln zu lassen. Die Gewerbeordnung von 1869 verwies
in § 120a die Streitigkeiten der selbständigen Gewerbtreibenden mit ihren Arbeitern, die auf den Antritt,
die Fortsetzung oder Aufhebung des Arbeitsverhältnisses, auf die gegenseitigen Leistungen aus demselben, auf die Erteilung
oder den Inhalt der Arbeitsbücher oder Zeugnisse sich beziehen, soweit für diese Angelegenheiten nicht besondere Behörden
bestehen, auf die Entscheidung der Gemeindebehörde, ließ jedoch zu, daß statt dessen durch OrtsstatutSchiedsgerichte, welche durch die Gemeindebehörde unter gleichmäßiger Zuziehung von Arbeitgebern und Arbeitern zu
bilden waren, mit der Entscheidung betraut werden konnten.
Aber die statutarische Errichtung von gewerblichen Schiedsgerichten erreichte nur einen sehr geringen Umfang. Im ganzen existierten
Ende 1889 nur 74 (1874 nur 57, und zwar 51 in Preußen, 6 in andern Staaten, trotzdem in Preußen das Ministerium
in den Jahren 1870 und 1871 den Gemeindebehörden die Errichtung warm empfohlen hatte). Die in neuerer Zeit hervorgetretene
größere Bereitwilligkeit der beteiligten Kreise,
[* 11] die Einsetzung gewerblicher Schiedsgerichte zu fordern, ließ das Unzureichende
der gesetzlichen Bestimmungen deutlich hervortreten.
Der Mangel lag hauptsächlich darin, daß die Gewerbeordnung es sowohl an jeder nähern Ausführung des Prinzips über die
Zusammensetzung der Schiedsgerichte, als auch an allen Bestimmungen über die prozessualen Befugnisse der Gerichte, über das
Verfahren vor denselben und über die Rechtswirkung ihrer Entscheidungen fehlen ließ. Die hieraus sich
ergebende Unsicherheit erschwerte einerseits die Ausbreitung der Institution und bewirkte anderseits bei den entstandenen
Schiedsgerichten eine das Maß des Erwünschten übersteigende Verschiedenheit der Einrichtungen.
Das Bedürfnis nach einer Ergänzung und Verbesserung der gesetzlichen Bestimmungen wurde schon im Anfang der 70er Jahre
anerkannt. Bereits in den Jahren 1873 und 1874 und nochmals im Jahre 1878 wurden dem Reichstag von den
BundesregierungenGesetzentwürfe, betreffend die Errichtung von Gewerbegerichten, vorgelegt, aber es kam zu keiner Verständigung
zwischen Regierungen und Reichstag.
Auch der Versuch, bei der Neuregelung des Innungsrechts Gewerbegerichte durch Innungen ins Leben zu rufen, war von geringem Erfolg. Das Innungsgesetz
vom hatte den neu zu bildenden Innungen in § 97 die Ausgabe gestellt, Streitigkeiten der in
§ 120a der Gewerbeordnung bezeichneten Art (s. oben) zwischen den Innungsmitgliedern und ihren Lehrlingen an Stelle der Gemeindebehörde
zu entscheiden, und in § 97a die Befugnis erteilt, Schiedsgerichte zu errichten, welche berufen sind,
Streitigkeiten der in § 120a bezeichneten Art zwischen den Innungsmitgliedern und deren Gesellen an Stelle der sonst zuständigen
Behörden zu entscheiden, der § 100d bestimmte bezüglich dieser Schiedsgerichte: dieselben müssen mindestens aus einem
Vorsitzenden und zwei Beisitzern bestehen. Die Beisitzer müssen zur Hälfte aus den Innungsmitgliedern, zur Hälfte aus deren
Gesellen entnommen sein. Die erstern sind von der Innungsversammlung oder einer andern Vertretung der Innungsmitglieder,
die letztern von den Gesellen der Innung oder einer Vertretung derselben zu wählen. Der Vorsitzende wird von der Aufsichtsbehörde
¶
Inzwischen hatte auch das Gerichtsverfassungsgesetz vom in § 14 Nr. 4 der
Landesgesetzgebung die Möglichkeit offen gehalten, ihrerseits mit der Errichtung von Gewerbegerichten vorzugehen. Einige
Staaten benutzten diese Vollmacht. Am wichtigsten ist das ausführliche elsaß-lothringische Gesetz vom
welches die fünf aus der französischen Zeit übernommenen (in Straßburg,
[* 13] Mühlhausen,
[* 14] Thann, Markirch
[* 15] und Metz)
[* 16] in glücklicher
Weise reformierte. Im KönigreichSachsen
[* 17] wurden durch Gesetz vom fünf Bergschiedsgerichte geschaffen. Hamburg
[* 18] hatte
schon durch Gesetz vom ein allgemeines Gewerbegericht eingeführt. Bremen
[* 19] gab sich ein solches
durch Gesetze vom und vom
Im Reichstag trat seit der Mitte der 80er Jahre eine sehr entschiedene Strömung zu gunsten der Gewerbegerichte hervor.
Im März 1886 wurde die Frage der Gewerbegerichte eingehend behandelt und die Resolution von Dr. Lieber angenommen:
Den HerrnReichskanzler zu ersuchen, dem Reichstag den Entwurf eines Gesetzes, betreffend die obligatorische Einführung von Gewerbegerichten,
mit der Maßgabe baldthunlichst vorzulegen, daß die Beisitzer derselben zu gleichen Teilen von den Arbeitgebern und den Arbeitern
in getrennten Wahlkörpern und in unmittelbarer, gleicher und geheimer Abstimmung gewählt werden. Im
Januar 1888 wurde von den Abgeordneten Baumbach, Hitze und Schrader die Vorlage eines neuen Gesetzentwurfs verlangt, wurde
die Resolution von 1886 wiederholt.
Am legte der Reichskanzler von Caprivi den vom Bundesrat beschlossenen Gesetzentwurf vor, welcher an die frühern
Regierungsentwürfe anknüpfte, aber in vielen Beziehungen den im Reichstag ausgesprochenen Wünschen Rechnung zu tragen suchte.
Schon9. Mai erfolgte die erste Lesung und Überweisung an eine Kommission von 21 Mitgliedern. Die Kommission erstattete nach zahlreichen
Sitzungen, in denen nicht weniger als einige 60 gedruckte und über 46 handschriftliche Abänderungsanträge eingebracht
wurden, 9. Juni den Bericht.
Die wichtigsten Änderungen des Entwurfes durch die Kommission waren folgende: Bezüglich der Wahl der Beisitzer wurde die Bestimmung
hinzugefügt, daß die Wahl direkt und geheim sein soll, die Bestätigung des Vorsitzenden durch die höhere Verwaltungsbehörde
wurde ausgeschlossen bei Staats- oder Gemeindebeamten, welche ihr Amt kraft staatlicher Ernennung oder Bestätigung
verwalten;
die Entschädigung für Reisekosten und Zeitversäumnis der Beisitzer wurde obligatorisch gemacht;
das Verfahren
wurde in vielen Beziehungen noch weiter vereinfacht, das Versäumnisverfahren gänzlich umgestaltet, so
daß die harten Versäumnisfolgen
des ordentlichen Zivilprozesses ausgeschlossen sind;
die Aufgabe des Gewerbegerichts, in erster Linie auf die Herbeiführung
eines Vergleichs hinzuwirken, wurde stärker betont und obligatorisch gemacht;
die Vertretung durch Rechtsanwalte
oder Personen, welche das Verhandeln vor Gericht geschäftsmäßig betreiben, und die Berufung bei Streitgegenständen von 100 Mk.
und weniger wurden ausgeschlossen;
die Gerichtsbarkeit der Gewerbegerichte wurde auch auf die Arbeiter der Reichs- und Staatsdruckereien,
der staatlichen Münzanstalten und Eisenbahnverwaltungen ausgedehnt etc. Der so umgestaltete Entwurf wurde
in zweiter (17.-24. Juni) und dritter (28. Juni)Lesung vom Reichstag in der Hauptsache angenommen und nur noch unwesentlich abgeändert.
Der Bundesrat stimmte den Abänderungen zu, das Gesetz wurde ausgefertigt.
Die wesentlichsten Bestimmungen des Gesetzes sind folgende. Der Grundgedanke ist, in erster Linie den Gemeinden
die Einsetzung der Gewerbegerichte zu überlassen und deren Eingliederung in den Gemeindeorganismus unter Berücksichtigung
der örtlichen Einrichtungen und Bedürfnisse zu ermöglichen. Man ging davon aus, daß nicht überall das Bedürfnis noch
die Voraussetzungen der praktischen Durchführbarkeit von Gewerbegerichten vorhanden seien und deshalb auch die
Einführung der Gewerbegerichte nicht obligatorisch gemacht werden dürfe, und daß die Gemeinden in der Regel am besten beurteilen könnten,
ob nach den gewerblichen Verhältnissen ihres Bezirks das Bedürfnis und die Voraussetzungen für die ersprießliche Wirksamkeit
eines solchen Sondergerichts vorliegen. Aber man überließ den Gemeinden nicht ausschließlich die Errichtung der Gewerbegerichte, man
statuierte unter besondern Umständen auch den Zwang zur Einsetzung von Gewerbegerichten gegenüber den beteiligten Gemeinden.
Die Gewerbegerichte sollen gewerbliche Streitigkeiten zwischen Arbeitern einerseits und ihren Arbeitgebern anderseits
sowie zwischen Arbeitern desselben Arbeitgebers entscheiden. Als Arbeiter im Sinne des Gesetzes gelten Gesellen, Gehilfen, Fabrikarbeiter
und Lehrlinge, auf welche Titel VII der Gewerbeordnung Anwendung findet, ebenso Betriebsbeamte, Werkmeister
und mit höhern technischen Dienstleistungen betraute Angestellte, deren Jahresverdienst an Lohn oder Gehalt 2000 Mk. nicht
übersteigt.
Die Errichtung erfolgt für den Bezirk einer Gemeinde durch Ortsstatut nach Maßgabe des § 142 der Gewerbeordnung mit Genehmigung
der höhern Verwaltungsbehörde. Mehrere Gemeinden können sich durch übereinstimmende Ortsstatuten zur
Errichtung eines gemeinsamen Gewerbegerichts für ihre Bezirke vereinigen. Auch kann ein Gewerbegericht für den Bezirk eines
weitern Kommunalverbandes errichtet werden. Die Errichtung eines Gewerbegerichts kann aber auch auf Antrag beteiligter Arbeitgeber
oder Arbeiter durch Anordnung der Landeszentralbehörde erfolgen, wenn ungeachtet einer von ihr an die beteiligten
Gemeinden oder den weitern Kommunalverband ergangenen Aufforderung innerhalb der gesetzten Frist die Errichtung nicht erfolgt
ist. In allen Fällen sind vor der Errichtung sowohl Arbeitgeber als Arbeiter der hauptsächlichen Gewerbezweige und Fabrikbetriebe
in entsprechender Anzahl zu hören.
Die Gewerbegerichte sind ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes zuständig für Streitigkeiten:
1) über den Antritt, die Fortsetzung oder die Auflösung des Arbeitsverhältnisses sowie über die Aushändigung oder den
Inhalt des Arbeitsbuches oder Zeugnisses;
¶
mehr
2) über die Leistungen und Entschädigungsansprüche aus dem Arbeitsverhältnis sowie über eine in Beziehung auf
dasselbe bedungene Konventionalstrafe;
3) über die Berechnung und Anrechnung der von den Arbeitern zu leistenden Krankenversicherungsbeiträge;
4) über die Ansprüche, welche auf Grund der Übernahme einer gemeinsamen Arbeit von Arbeitern desselben Arbeitgebers gegeneinander
erhoben werden. Bezüglich der Streitigkeiten zu 1)-3) sind die auch zuständig bei Streitigkeiten zwischen
Personen, welche für bestimmte Gewerbtreibende außerhalb der Arbeitsstätte der letztern mit Anfertigung gewerblicher
Erzeugnisse beschäftigt sind, und ihren Arbeitgebern, sofern die Beschäftigung auf die Bearbeitung oder Verarbeitung der
den erstern von den Arbeitgebern gelieferten Rohstoffe oder Halbfabrikate beschränkt ist; sie sind ebenso
zuständig für Streitigkeiten zu 4), sofern diese zwischen solchen Hausgewerbetreibenden untereinander entstehen.
Streitigkeiten dagegen solcher Hausgewerbetreibenden, welche die Rohstoffe oder Halbfabrikate selbst beschaffen, unterliegen
der Zuständigkeit der Gewerbegerichte nur, soweit dies durch das Statut bestimmt ist. Die Zuständigkeit eines Gewerbegerichts schließt
die Zuständigkeit der örtlichen Gerichte aus. Die sachliche Zuständigkeit der Gewerbegerichte kann auf bestimmte Arten
von Gewerbe- oder Fabrikbetrieben, die örtliche auf bestimmte Teile des Gemeindebezirks beschränkt werden.
Die Kosten der Einrichtung und Unterhaltung der Gewerbegerichte sind, soweit sie nicht in deren Einnahmen ihre Deckung finden, von der Gemeinde
oder dem weitern Kommunalverband zu tragen. Gebühren, Kosten und Strafen, welche nach dem Gesetz erhoben
werden, bilden die Einnahmen der Gewerbegerichte.
Jedes Gewerbegericht besteht aus einem Vorsitzenden und mindestens einem Stellvertreter desselben sowie aus Beisitzern (mindestens
vier). Der Vorsitzende sowie dessen Stellvertreter dürfen weder Arbeitgeber noch Arbeiter sein. Sie werden durch den Magistrat
(Gemeinderat) und, wo ein solcher nicht vorhanden ist oder das Statut dies bestimmt, durch die Gemeindevertretung,
in weitern Kommunalverbänden durch die Vertretung des Verbandes auf mindestens ein Jahr gewählt.
Die Wahl derselben bedarf der Bestätigung der höhern Verwaltungsbehörde, in deren Bezirk das Gewerbegericht seinen Sitz hat,
sofern die Gewählten nicht aktive Staats- oder Gemeindebeamte sind, welche ihr Amt kraft staatlicher Ernennung
oder Bestätigung verwalten. Die Beisitzer müssen zur Hälfte aus den Arbeitgebern, zur Hälfte aus den Arbeitern entnommen
werden, die erstern werden durch die Arbeitgeber, die letztern durch die Arbeiterin direkter und geheimer Wahl gewählt.
Mitglieder eines Gewerbegerichts können nur sein Personen, welche das 30. Lebensjahr vollendet, in dem
der Wahl vorhergegangenen Jahre weder für sich noch für ihre Familie Armenunterstützung aus öffentlichen Mitteln empfangen
oder die empfangene Armenunterstützung erstattet haben und in dem Bezirk des Gerichts seit mindestens zwei Jahren wohnen oder
beschäftigt sind, und welche nicht zum Amte eines Schöffen unfähig sind (Gerichtsverfassungsgesetz §
31,32). Die Wahl der Beisitzer erfolgt auf mindestens ein Jahr und auf höchstens sechs Jahre.
Eine Wiederwahl ist zulässig. Zur Teilnahme an den Wahlen ist nur berechtigt, wer das 25. Lebensjahr vollendet und seit mindestens
einem Jahre in dem Bezirk des Gewerbegerichts Wohnung oder Beschäftigung hat und zum Amte eines Schöffen
nicht unfähig ist. Die nähern Bestimmungen über die Wahl und das Verfahren sind
durch das Statut zu treffen. Wahlen, welche
gegen das Gesetz oder die auf Grund des Gesetzes erlassenen Wahlvorschriften verstoßen, sind auf erhobene Beschwerde durch die
höhere Verwaltungsbehörde für ungültig zu erklären.
Sind Wahlen nicht zu stande gekommen oder wiederholt für ungültig erklärt, so ist die höhere Verwaltungsbehörde befugt:
1) die Wahlen, soweit sie durch Arbeitgeber oder Arbeiter vorzunehmen waren, durch den Magistrat (Gemeinderat) und, wo ein solcher
nicht vorhanden ist, oder wo das Statut dies bestimmt, durch die Gemeindevertretung, in weitern Kommunalverbänden
durch die Vertretung des Verbandes vornehmen zu lassen;
2) soweit die Wahlen vom Magistrat oder der Gemeindevertretung oder der Vertretung eines weitern Kommunalverbandes vorzunehmen
waren, die Mitglieder selbst zu ernennen. Das Amt derBeisitzer ist ein Ehrenamt, aber die Beisitzer erhalten für jede Sitzung,
der sie beigewohnt haben, Vergütung etwaniger Reisekosten und eine Entschädigung für Zeitversäumnis.
Die Hohe der letztern ist durch das Statut festzusetzen; eine Zurückweisung derselben ist unstatthaft.
Das Gewerbegericht verhandelt und entscheidet, soweit nicht im Gesetz ein andres bestimmt ist (d. h. soweit nicht gewisse Obliegenheiten
dem Vorsitzenden allein übertragen sind oder soweit nicht das Plenum des Gewerbegerichts, Vorsitzender,
Stellvertreter und sämtliche Beisitzer, einzutreten hat), in der Besetzung von drei Mitgliedern mit Einschluß des Vorsitzenden.
Durch das Ortsstatut kann bestimmt werden, daß allgemein oder für gewisse Streitigkeiten eine größere Zahl von Beisitzern
zuzuziehen ist. In gleicher Weise ist zu bestimmen, nach welchen Grundsätzen der Vorsitzende die einzelnen
Beisitzer zuzuziehen hat. Arbeitgeber und Arbeiter müssen stets in gleicher Zahl zugezogen werden. Bei jedem Gewerbegericht
ist eine Gerichtsschreiberei einzurichten, eine bestimmte Vorbildung für den Gerichtsschreiber ist nicht vorgesehen.
Die § 24-60 (Abschnitt II) regeln im einzelnen das Verfahren vor den Gewerbegerichten. Die Regelung nahm darauf Rücksicht,
daß die vor die Gewerbegerichte gehörigen Rechtsstreitigkeiten größtenteils in rechtlicher
wie thatsächlicher Hinsicht einfach, auch nicht von erheblichem Werte und meistens der Beschleunigung bedürftig sind, und
daß die beteiligten Personen vielfach einen sehr geringen Grad von Geschäftsgewandtheit besitzen, eine Unterstützung derselben
durch rechtskundige Vertreter oder Beistände aber auszuschließen sei. Es wurde deshalb möglichst von
Prozeßvorschriften abgesehen, welche die freie Bewegung des Gerichts einengen und an die Selbstthätigkeit der Parteien besondere
Anforderungen stellen, aber anderseits wurde doch im Interesse der Gleichmäßigkeit des Verfahrens und zum Schutze der Parteirechte
eine Formlosigkeit vermieden, welche die subjektive Willkür des Gerichts an die Stelle geordneter Grundlagen des
Verfahrens setzen würde.
Das Gesetz beschränkt sich deshalb nicht auf die Aufstellung einiger allgemeiner Sätze über das Verfahren, sondern sucht für
dieses eine feste und allen Fällen gerecht werdende Gliederung zu geben. Im allgemeinen wurden die Vorschriften der Zivilprozeßordnung
über das amtsgerichtliche Verfahren zu Grunde gelegt, aber zugleich wurden die vorerwähnten, durch die
besondere Natur der Gewerbestreitigkeiten gebotenen Rücksichten durch eine Anzahl abändernder Bestimmungen zur Geltung gebracht.
Das Gesetz beschränkt sich aber nicht darauf, nur die Abweichungen von der
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und Einigungsämter. – Ⅰ. Gewerbegerichte sind die zur Entscheidung von Streitigkeiten zwischen
Arbeitgebern und Arbeitnehmern, sofern dieselben aus dem Arbeitsverhältnis sich ergeben, berufenen Gerichte.
Es handelt sich also um Streitigkeiten, die sich auf den Antritt, die Fortsetzung oder Aufhebung des Arbeits- oder Lohnverhältnisses,
auf die gegenseitigen Leistungen während der Dauer desselben oder auf die Ausstellung oder den Inhalt gewisser Zeugnisse beziehen
sowie um die über Anrechnung und Berechnung der Krankenkassenbeiträge sich ergebenden Streitigkeiten
(§. 53,Absatz 2 des Krankenversicherungsgesetzes vom Nach dem Gesetz vom ist die gewerbliche Rechtspflege
der charakterisierten Art gegenwärtig den Gewerbegerichten, den Innungsgerichten und den Gemeindevorstehern anvertraut.
Der Schwerpunkt
[* 21] liegt in den erstern, deren Einsetzung den Gemeinden und weitern Kommunalverbänden überlassen
bleibt. Sie sind staatliche Gerichte, die im Namen des Landesherrn Recht sprechen, und stehen mit den Amtsgerichten auf einer
Stufe; Berufung ergeht von ihnen an das Landgericht.
Das Gewerbegericht ist zusammengesetzt aus einem Vorsitzenden, dessen Stellvertreter und mindestens vier Beisitzern, von denen
zwei Arbeitgeber, zwei Arbeitnehmer sein müssen. Der Vorsitzende und sein Stellvertreter dürfen weder
Arbeitgeber noch Arbeitnehmer sein und werden durch den Magistrat oder durch die Gemeindevertretung gewählt. Eine besondere
Vorbildung, z. B. Befähigung zum Richteramte oder zum höhern Verwaltungsdienste, ist für
sie nicht vorgesehen. Die Beisitzer werden in unmittelbarer und geheimer Wahl in gleicher Anzahl von den
Arbeitgebern und Arbeitern gewählt. Das
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mehr
aktive Wahlrecht steht denen zu, die ihr 25. Lebensjahr vollendet haben und seit mindestens einem Jahre in dem Gerichtsbezirke
wohnen oder beschäftigt sind. Die Wählbarkeit ist an die Vollendung des 30. Lebensjahres und an mindestens zweijährigen
Wohnsitz oder Beschäftigung im Gerichtsbezirke geknüpft. Eine Besoldung der Beisitzer ist gesetzlich ausgeschlossen; doch
kann ihnen eine Entschädigung für Zeitversäumnis und eine Vergütung etwaiger Reisekosten zugestanden werden.
Die Hauptaufgabe des Gewerbegerichts besteht in der gütlichen Beilegung des Streites. Erst wenn ein Vergleich nicht zu stande
kommt, ist zu verhandeln. Das Verfahren selbst lehnt sich eng an die Vorschriften der Civilprozeßordnung für das Verfahren
vor den Amtsgerichten an. Die wichtigste Abweichung ist, daß der Prozeßbetrieb durch die Parteien durch
den Offizialbetrieb seitens des Gerichts ersetzt ist. Eine Berufung ist nur zulässig bei einer Werthöhe des Streitgegenstandes
von über 100 M. Dagegen ist das Rechtsmittel der Beschwerde unabhängig von dem Werte des Streitgegenstandes anwendbar.
Die Kosten der Errichtung und Unterhaltung fallen der Gemeinde zu. Die Gerichtsgebühren sind sehr mäßig
angesetzt. Bei Vergleichen wird keine Gebühr erhoben. Gegenüber den frühern gewerblichen Schiedsgerichten ist die persönliche
Zuständigkeit auf mehrere Arbeiterkategorien ausgedehnt worden. Es können nämlich für Bergarbeiter ebenfalls Gewerbegerichte
errichtet werden, deren Kosten dann von der Staatskasse bestritten werden. Weiter sind die Streitigkeiten
der Vorstände der unter staatlicher Verwaltung stehenden gewerblichen Anlagen mit ihren Arbeitern ebenfalls den Gewerbegerichten
unterworfen. Nur die unter der Militär- und Marineverwaltung stehenden Betriebsanlagen sind ausgenommen. Endlich sind die
Gewerbegerichte auch für Heimarbeiter und Hausgewerbtreibende zuständig, sofern ihre Beschäftigung sich auf die Verarbeitung
der ihnen vom Arbeitgeber gelieferten Rohstoffe bezieht.
Das Gesetz von 1890 hat sich in der Hauptsache bewährt. Ziemlich allgemein ist seiner Anregung entsprochen worden, so daß
bis Ende August 1894 230 Gerichte im DeutschenReich bestanden, davon 32 in Städten mit mehr als 50000 E. Viele der Gewerbegerichte
sind, abgesehen von ihrer Hauptwirksamkeit, auch noch anderwärts im gewerblichen Leben thätig. So haben
sie sich bei der Abfassung von Ortsstatuten über Lohnzahlungen beteiligt, über Erbauung von Arbeiterwohnungen beratschlagt,
für die Errichtung von Arbeitsämtern interessiert u. s. w. Neben den Gewerbegerichten kommen noch in Betracht
die aus älterer Zeit übernommenen und 1890 aufrecht erhaltenen landesgesetzlichen Gewerbegerichte.
Dahin gehören 10 in der Rheinprovinz, 5 Bergschiedsgerichte in Sachsen, je 1 in Hamburg, Bremen, Lübeck
[* 23] und 5 in Elsaß-Lothringen.
[* 24] Das Princip der Gewerbegerichte wird neuerdings so allgemein anerkannt, daß der Deutsche Landwirtschaftsrat März 1895 beschlossen
hat, den Reichskanzler zu ersuchen, bei der bevorstehenden Reform der Civilprozeßordnung auch auf die
Errichtung landwirtschaftlicher Schöffengerichte Bedacht zu nehmen.
Unter den bestehenden Gewerbegerichten ist seit eine Vereinigung erzielt worden, in der Absicht, die Erfahrungen
auszutauschen und sich Statuten, Geschäftsberichte, wichtige Urteile, Gutachten u. dgl. m. gegenseitig mitzuteilen. Der Ausschuß
derselben giebt u. d. T.: «Mitteilungen
des
Verbandes deutscher Gewerbegerichte» eine periodische Druckschrift heraus.
Im J. 1893 wurden bei den Gewerbegerichten 37386 Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitern und Unternehmern und 271 Streitigkeiten
zwischen Arbeitern desselben Geschäfts anhängig. Erledigt wurden durch Vergleich 14865, Verzicht 374, Zurücknahme der Klage
6346, Anerkenntnis 727, Versäumnisurteil 3766 und durch sonstige Endurteile 8579, zusammen 34657 Streitigkeiten. Ein Teil der
anhängigen Streitigkeiten erledigte sich auf andere Weise, indem die Parteien das Verfahren ruhen ließen,
und der Rest wurde in das nächste Geschäftsjahr übernommen. Gegen die Endurteile wurden 118 Berufungen an die ordentlichen
Gerichte eingelegt.
Wo ein Gewerbegericht nicht vorhanden ist, kann die Entscheidung des Gemeindevorstehers, dessen Zuständigkeit aber etwas geringer
ist, angerufen werden; die Parteien sind nicht verpflichtet, sie anzunehmen, sondern können ihre Klagen
auch direkt bei den ordentlichen Gerichten anhängig machen. Die richterliche Thätigkeit des Gemeindevorstehers ist nur
eine aushilfliche, seine Entscheidung eine vorläufige und kann binnen einer Notfrist von 10 Tagen durch Klage bei dem ordentlichen
Gericht beseitigt werden.
Bei Innungsgerichten müssen die Innungsspruchbehörde und das Innungsschiedsgericht auseinander gehalten werden. Die erstere
hat ausschließlich die Schlichtung der Streitigkeiten von Innungsmitgliedern mit ihren Lehrlingen selbst da, wo Gewerbegerichte
existieren, und ihre Existenz ist mit der Innung von selbst gegeben. Das Statut der Innung regelt gleichzeitig ihr Verfahren.
Dagegen ist die Eröffnung des Innungsschiedsgerichts dem Belieben der Innung anheimgestellt und eine
statutarische Regelung ist in etwaige Nebenstatuten verwiesen. Es ist zunächst zuständig für Streitigkeiten der Innungsmitglieder
und deren Gesellen.
Wenn aber durch die Verwaltungsbehörde bestimmt ist, daß Arbeitgeber und deren Gesellen, die der Innung nicht angehören,
obwohl sie ein in ihr vertretenes Gewerbe betreiben, zu den Kosten des eröffneten Innungsschiedsgerichts
beizutragen haben, so tritt es an die Stelle der sonst zuständigen Behörden. Die Innungsschiedsgerichte bestehen mindestens
aus einem Vorsitzenden und zwei Beisitzern, welche letztern zur Hälfte aus den Innungsmitgliedern, zur Hälfte aus deren
Gesellen zu wählen sind. Den Vorsitzenden, welcher der Innung nicht anzugehören braucht, ernennt die
Aufsichtsbehörde. Den Vollzug haben die Polizeibehörden. Die Innungsgerichte sind für das Kleingewerbe bestimmt, werden
jedoch von den Innungen selten ins Leben gerufen.
Die ältern preuß. Fabrik- und Gewerbegerichte, so das Berliner
[* 25] Fabrikengericht von 1815, die westfäl. Fabrikengerichtsdeputationen
von 1829, die Gewerbegerichte in den östl. Provinzen von 1849 und die in der Rheinprovinz nach den in
Frankreich über die Errichtung von Conseils de Prud’hommes geltenden Dekreten aus den J. 1806 und 1810 eröffneten
Gerichte sind wieder eingegangen.
Die ältesten Gewerbegerichte sind die in Frankreich auf Grund des Gesetzes vom zuerst in Lyon,
dann durch das kaiserl. Dekret vom in Paris
[* 26] und andern Städten eröffneten Conseils de Prud’hommes. Auf Antrag
oder mit Zustimmung der Gemeindebehörden vom Handelsminister errichtet, bestehen sie aus einer gleichen
¶
mehr
Anzahl von Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Ihre Kompetenz erstreckt sich auf Streitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern
sowie den letztern unter sich, wenn sich die Zwistigkeiten auf die Berufsarbeit und das Arbeitsverhältnis beziehen. Außerdem
haben sie einige administrative Funktionen zu verrichten, wie Überwachung der Aufrechterhaltung der Rechte an den bei ihnen
hinterlegten Fabrikmarken und Mustern, Entgegennahme schriftlich geschlossener Lehrverträge u. s. w. 1886 bestanden 136 Conseils
de Prud’hommes. Seit einiger Zeit plant man Reformen dieser Gerichte, die jedoch noch zu keinem Ergebnis geführt haben.
Von Frankreich aus haben diese Gerichte ihren Weg nach Belgien,
[* 28] Rheinpreußen, Elsaß-Lothringen und den schweiz. Kantonen Genf
und Neuenburg
[* 29] genommen. In Italien
[* 30] sind seit 1894 die Collegi dei probi-viri errichtet, die sowohl als Einigungsamt, als
auch als Schiedsgericht dienen. Die Errichtung dieser Ämter ist nicht obligatorisch.
Den französischen ähnliche Gerichte sind die in Österreich durch das Gesetz vom ins Leben gerufenen.
Sie bestehen in nur sehr geringer Zahl, in Wien,
[* 31] Brünn,
[* 32] Reichenberg
[* 33] und Bielitz. Durch die Gewerbeordnung vom sind
schiedsgerichtliche Kollegien (§§. 87‒87c) und schiedsrichterliche Ausschüsse der Genossenschaften (§§. 122‒124)
geschaffen worden. Da man mit deren Wirksamkeit jedoch keineswegs zufrieden ist, so ist neuerdings im Abgeordnetenhause ein
Entwurf, die Einführung neuer fakultativer Gewerbegerichte betreffend, erörtert worden, der sich in
vielen Punkten an das deutsche Gesetz anschließt. In Ungarn
[* 34] verrichten die auf Artikel ⅩⅦ des Gesetzes von 1884 beruhenden
Einigungskommissionen der Gewerbekorporationen die Leistungen der Gewerbegerichte. In England wird die gesamte gewerbliche
Rechtspflege von den bürgerlichen Gerichten geübt. Die engl. Grafschaftsgerichte, die schott. Sheriffsgerichte
und die irischen Civilgerichte erscheinen als die für die Behandlung der hier fraglichen Angelegenheiten verordneten Spruchbehörden.
Die St. Leonards-Akte von 1867, welche die Councils of conciliation, d. h. eigene ständige Gerichtsinstanzen
für Arbeitsstreitigkeiten zu schaffen beabsichtigte, ist toter Buchstabe geblieben.
Ⅱ. Die Einigungsämter unterscheiden sich von den Gewerbegerichten wesentlich dadurch, daß die letztern
nur Rechtsstreitigkeiten auf Grund bestehender Arbeitsverträge oder Gebräuche entscheiden, während die Einigungsämter in
erster Linie das Rechtsverhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern für die Zukunft gemeinsam feststellen und hierdurch
Arbeitseinstellungen verhüten, erst in zweiter Linie Streitigkeiten über die Anwendung der vereinbarten Bestimmungen
beilegen oder entscheiden sollen (wozu in der Regel ein engerer Ausschuß erwählt wird).
Dem entsprechend sind die Entscheidungen der Einigungsämter nur verbindlich für diejenigen Gewerbsgenossen, die sich freiwillig
an denselben Einigungsämtern beteiligen. Das erste Einigungsamt (Board of arbitration and conciliation) wurde 1860 in England
in dem großen Strumpfwirkergewerk zu Nottingham
[* 35] auf Veranlassung des Fabrikanten Mundella gegründet,
um die gerade dort seit Menschenaltern in heftigster Weise geführten Arbeitskämpfe zu beseitigen. Da dieser Versuch vollständig
gelang, so breiteten sich die Einigungsämter über
viele andere Gewerbe und Industriebezirke Englands aus.
Daneben entstanden seit 1865 durch den Grafschaftsrichter Kettle in Wolverhampton zunächst im Baugewerbe zu gleichem
Zwecke die Courts of arbitration (Schiedshöfe), die sich durch die notwendige Beteiligung eines unparteiischen Obmanns und
die gerichtliche Vollstreckbarkeit ihrer Beschlüsse von jenen unterscheiden. Letztere ist durch das Gesetz vom noch
bedeutend erleichtert worden, und das Kettlesche System scheint in England überwiegend zur Geltung zu kommen.
Sowohl die Einigungsämter als die Schiedshöfe haben sich überall da, wo sie einmal eingeführt wurden,
ausnahmslos behauptet und bewährt; Arbeitseinstellungen und Aussperrungen kommen vorzugsweise nur in solchen Gewerben und Orten
noch vor, wo Einigungsämter bisher nicht begründet worden sind. 1894 ist das sog. Einigungsgesetz
erlassen worden, das dem Handelsamt die Befugnis einräumt, bei Streitigkeiten zwischen Unternehmern und
Arbeitern die streitenden Parteien zur Bildung eines Einigungsausschusses aufzufordern und eine Enquete über Ursachen und Einzelheiten
der Streitigkeiten zu veranlassen. In Deutschland wurden die Einigungsämter nach MundellasMuster seit 1870 hauptsächlich
durch die Bemühungen der Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereine eingeführt; 1873 errichteten die Buchdrucker (Prinzipale und
Gehilfen) ein Einigungsamt für ganz Deutschland als Rekursinstanz von den Schiedsämtern und als Tarifrevisionskommission.
Diese Einrichtung wurde im J. 1878 aufgehoben, 1886 wieder eingeführt, nach dem Buchdruckerstreik 1892 abermals aufgehoben.
(S. Schiedsrichter.)
Nach dem Reichsgesetz, betreffend die Gewerbegerichte vom kann auch das Gewerbegericht in Fällen von Streitigkeiten
zwischen Arbeitgebern und Arbeitern über die Bedingungen der Fortsetzung oder Wiederaufnahme des Arbeitsverhältnisses als
Einigungsamt angerufen werden. Das Gewerbegericht, das als Einigungsamt thätig wird, soll neben dem Vorsitzenden mit 4 Beisitzern,
Arbeitgeber und Arbeiter in gleicher Zahl, besetzt sein. Doch kann ihre Zahl durch Vertrauensmänner verstärkt werden. Es
hat zunächst den Thatbestand festzustellen, zu welchem Zwecke Auskunftspersonen vernommen werden können.
Dann findet ein Einigungsversuch statt. Beim Mißlingen desselben ist ein Schiedsspruch abzugeben, der sich auf alle zwischen
den Parteien streitigen Fragen zu erstrecken hat. Stehen bei der Beschlußfassung über diesen, in welcher einfache Stimmenmehrheit
entscheidet, die Stimmen sämtlicher für die Arbeitgeber zugezogenen Beisitzer und Vertrauensmänner denjenigen
sämtlicher für die Arbeiter zugezogenen gegenüber, so kann sich der Vorsitzende seiner Stimme enthalten und feststellen,
daß ein Schiedsspruch nicht zu stande gekommen ist, was von dem Vorsitzenden öffentlich bekannt gemacht wird.
Ist der Schiedsspruch zu stande gekommen, so haben sich die Vertreter beider streitenden Teile innerhalb
einer gegebenen Frist zu erklären, ob sie sich dem Schiedsspruch unterwerfen. Die Nichtabgabe der Erklärung gilt als Ablehnung.
Nach Ablauf
[* 36] der Frist hat das Einigungsamt den Schiedsspruch und die darauf abgegebene Erklärung der Parteien öffentlich
bekannt zu machen (§§. 61‒69). Diese Anordnungen haben sich jedoch nicht bewährt, und die Gewerbegerichte
haben seither nur selten Gelegenheit gehabt, als Einigungsämter thätig
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