Gewerbebetrieb
ist die Vereinigung und Verwendung von Arbeit und Kapital zum Zweck gewerblicher Produktion. Auf dem Gebiet des Gewerbewesens im engern Sinn, d. h. der berufsmäßigen Bearbeitung von Rohstoffen, um aus ihnen Güter von höherm Wert herzustellen, unterscheidet man Fabrik-, Hausindustrie- und Handwerksbetrieb, ferner Groß-, Mittel- und Kleinbetrieb. Die letztere Unterscheidung beruht auf der Größe des Betriebes, insbesondere auf der Zahl der im Betrieb thätigen Personen, auf der Größe des zur Verwendung kommenden stehenden und umlaufenden Kapitals und auf dem Umfang des Roh- und Reinertrags.
Der Großbetrieb ist zu allgemeinerer Verbreitung und zu einer herrschenden Stellung im Gewerbewesen erst im letzten Jahrhundert gelangt. Vorher kam er nur vereinzelt vor, der Betrieb der gewerblichen Unternehmungen war weitaus überwiegend Klein- und Mittelbetrieb. Die neuere Entwickelung des Großbetriebes ist die Folge der Gewerbefreiheit und der Fortschritte der Technik, insbesondere der Maschinenproduktion. Er hat den Klein- und Mittelbetrieb in einer Reihe von Gewerbszweigen verdrängt.
Diese Entwickelung des Großbetriebes ist der Anlaß einer vielbesprochenen wichtigen Frage, ob und wie weit bei der heutigen Gewerbeordnung der Klein- und Mittelbetrieb dem Großbetrieb gegenüber konkurrenzfähig ist. Die Sozialisten behaupten die unbedingte Konkurrenzunfähigkeit beider Betriebsarten und verkünden als die notwendige Folge der Gewerbefreiheit die allmähliche vollständige Aufsaugung der kleinen und mittlern Unternehmer durch die großen. Andre gehen zwar nicht so weit, aber begrenzen doch das bei freier Konkurrenz dem selbständigen Klein- und Mittelbetrieb bleibende Gewerbegebiet auf einen kleinen Teil der Gesamtproduktion. Beide Ansichten sind irrig.
Die charakteristischen Merkmale der kleinen, großen und mittlern gewerblichen Unternehmungen sind folgende. In den kleinen Unternehmungen ist der Unternehmer auch als Arbeiter mitthätig, die Geschäftsleitung nimmt nur einen kleinen Teil seiner Zeit und Kraft [* 2] in Anspruch. Hilfspersonen (Gesellen, Lehrlinge, andre Arbeiter) sind nicht oder nur in geringer Zahl vorhanden. Meist arbeiten sie in den gleichen Räumen mit denselben Arbeitsinstrumenten wie der Unternehmer und sind von diesem in der Regel nicht durch eine soziale Kluft geschieden. Sie werden meist selbst Unternehmer. Das (vorwiegend umlaufende) Kapital der Unternehmung ist gering, der ¶
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gewöhnlich mäßige Reinertrag ist wesentlich Arbeitsertrag. In der Gesamtheit der Unternehmungen überwiegt beim Personal die Zahl der selbständigen Gewerbtreibenden; das Gros der »Handwerker« gehört hierher. In großen Unternehmungen erfordert dagegen die eigentliche Unternehmerarbeit die Zeit und Kraft eines Menschen, nicht selten sogar mehrerer Personen. Die manuelle technische Produktion geschieht durch Hilfspersonen. Diese sind stets in einer Mehrzahl und in der Regel in so großer Zahl vorhanden, daß schon Direktion und Kontrolle der Thätigkeit derselben eine oder mehrere Personen (Direktoren, Aufseher, Werkmeister, Polierer etc.) beschäftigen. In allen Fällen ist ein größeres Kapital erforderlich, die Produktion beruht stets auf Arbeitsteilung, der normale Reinertrag erreicht oft eine beträchtliche Höhe.
In der Gesamtheit der Unternehmungen, die teils Einzelunternehmungen, teils gesellschaftliche Unternehmungen sind, überwiegt beim Personal stark die Zahl der Hilfspersonen. Diese sind zum größten Teil »Lohnarbeiter«, von den oft gut bezahlten Dirigenten durch eine soziale Kluft geschieden; nur ein kleiner Teil derselben gelangt zu der Stellung eines Aufsehers, Vorarbeiters, Werkmeisters oder Unternehmers. In der Mitte zwischen beiden stehen die mittlern Unternehmungen. In ihnen nehmen die Unternehmer (größere Handwerker, kleine Fabrikanten) in der Regel auch noch, aber nur in geringerm Grad als der kleine, an der ausführenden Arbeit teil. Hilfspersonen sind stets in ihnen thätig, Kapital ist für Anlage und Betrieb mehr als bei der kleinen Unternehmung erforderlich. Die Unternehmungen sind in der Regel Einzelunternehmungen, seltener offene Gesellschaften und kleine Produktivgenossenschaften.
Eine Reihe von Gewerbsprodukten können technisch nur in großen Unternehmungen hergestellt werden, weil Herstellung und Absatz derselben die Kooperation zahlreicher Arbeitskräfte in geteilter Arbeit und die Anwendung von großem Kapital, namentlich von Maschinen, unbedingt fordern (z. B. Lokomotiven, eiserne Brücken, eiserne Dampfschiffe, schwere Gußstahlkanonen, schwere Panzerplatten, Dampfhämmer, größere Dampfmaschinen, [* 4] zahlreiche andre Maschinen etc.). Die meisten gewerblichen Erzeugnisse sind jedoch an sich technisch sowohl in großen als in kleinen Unternehmungen herstellbar.
Allerdings hat der Großbetrieb vor Mittel- und Kleinbetrieb unter gewissen Voraussetzungen wichtige Vorzüge, indem er nicht allein bessere Kräfte und Mittel (Werkzeuge, [* 5] Geräte, insbesondere kostspielige Maschinen) verwenden, dieselben vollständiger auswerten (Arbeits- und Kapitalteilung, Heizung, [* 6] Beleuchtung), [* 7] billiger beschaffen (Rohstoffe, Leihkapitalien etc.) und mit geringern Kosten ausnutzen kann, sondern auch oft bessere Erzeugnisse (Form, Stoff etc.) herzustellen und seine Produkte bei pünktlicher Lieferung auf Bestellung, Haltung von Vorräten zur Auswahl, geringern Transportkosten, ausgiebiger Beherrschung des Marktes (Annoncen, eignes Studium des Marktes) vorteilhafter abzusetzen vermag.
Sind auch infolgedessen schon viele kleinere Unternehmungen im Kampf gegen den Großbetrieb zu Grunde gegangen, so machen sich jene Vorzüge doch nicht überall und in gleichem Maß geltend, sei es, daß die Technik, oder daß die eigentümliche Gestaltung der Absatzverhältnisse einen Betrieb im großen nicht gestatten. Es bleibt darum für jetzt noch, wahrscheinlich auch für die Zukunft, dem Klein- und Mittelbetrieb ein großes, vielleicht das größere Arbeits- und Absatzgebiet gesichert.
Diese beiden Betriebsarten sind konkurrenzfähig: zunächst für das große, viele Arbeitskräfte erfordernde Gebiet der Reparatur und Unterhaltung schon vorhandener Gewerbsprodukte, dann für die Herstellung neuer Gewerbsprodukte, 1) wenn das Produkt am Ort seines Absatzes hergestellt werden muß, der Großbetrieb aber wegen der Kleinheit des Marktgebiets nicht genügenden Absatz hat (Metzger, Bäcker, Schmiede, Sattler, Baugewerbe etc., auch Schuhmacher, Schneider in kleinern Städten und auf dem Land);
2) wenn weder Arbeitsvereinigung und -Teilung noch größere Kapital- (namentlich Maschinen-) Benutzung anwendbar und ebensowenig hohe Unternehmungsintelligenz verwertbar ist;
3) wenn die einzelnen Produkte den individuellen Wünschen und Bedürfnissen der Konsumenten anzupassen sind;
4) wenn das Produkt wesentlich Handprodukt ist und seine Herstellung eine höhere technische Arbeitsqualität des Unternehmers erheischt, wie bei zahlreichen kunstgewerblichen Produkten.
Die Erhaltung kleiner und mittlerer Unternehmungen kann insbesondere noch durch Gründung von Genossenschaften (Kredit-, Rohstoff-, Magazin-, Werkzeug- und Maschinengenossenschaften), Anwendung von Kleinkraftmaschinen (vgl. P. Hell, Die wichtigsten Kleinkraftmaschinen, Braunschw. 1878; A. Musil, Die Motoren für das Kleingewerbe, das. 1878) und durch Sorge für eine gute Fachbildung, insbesondere die kunstgewerbliche, der Lehrlinge und für einen guten Zustand des Lehrlingswesens überhaupt gefördert werden.
Vgl. Gewerbebetrieb
Schönberg, Gewerbe, Teil 1 im »Handbuch der politischen Ökonomie«, Bd. 2 (2. Aufl.,
Tübing. 1885);
Roscher, über Industrie im großen und kleinen (in »Ansichten der Volkswirtschaft«, Bd. 2, Stuttg. 1878);
Schmoller, Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe etc. (Halle [* 8] 1870);
E. Engel, Die industrielle Enquete und die Gewerbezählung im Deutschen Reich und im preußischen Staat 1875 (Berl. 1878).