Geweih
oder
Gehörn, bei den hirschartigen Wiederkäuern die aus echter Knochensubstanz bestehenden, zur Zeit der Reife
nicht mehr von Hautgebilden bedeckten
Hörner, die auf zapfenförmigen Verlängerungen der
Stirnbeine
(Stirnzapfen, Rosenstöcke,
Geweihstuhl) stehen. Die Geweih
sind entweder nur dem männlichen Geschlecht – als
Abnormitäten dem weiblichen
– eigen oder kommen bei beiden Geschlechtern vor (Renntiere). Sie werden alljährlich einige Zeit nach ihrer vollständigen
Entwicklung abgeworfen.
Das Geweih
bildet sich aus der
Spitze der
Stirnzapfen und ist anfangs eine weiche zapfenartige, mit zahlreichen
Gefäßen durchzogene,
knorpelähnliche, mit
Haut
[* 2] und
Haaren bedeckte
Masse (Kolben), die sich nach einiger Zeit durch Kalkablagerungen
im Innern verhärtet, sich je nach der Art und dem
Alter der
Tiere in verschiedene Formen gliedert und meist in zackenförmige
Spitzen
(Enden) endet. Dann hört die Blutzirkulation auf, und das Geweih
bildet mit den
Stirnzapfen ein innig verwachsenes Ganzes.
Die Hirsche
[* 3] entledigen sich durch Reiben
(Fegen) an
Bäumen des häutigen
Überzugs
(Bastes) der Geweih.
Mehrere
Monate nach vollendeter Ausbildung der Geweih
beginnt ein der
Caries vergleichbarer Auflösungsvorgang an der
Spitze der
Stirnzapfen,
wodurch deren
Verbindung mit dem alten Geweih
gelockert wird, dies endlich abfällt und ein neues an dessen
Stelle
tritt. Die Geweih
stehen in
Verbindung mit der Geschlechtsthätigkeit der geweih
tragenden Säugetiere. Werden Hirsche kastriert,
während sie die Geweih
abgeworfen haben oder noch Kolben tragen, so setzen sie ein unförmliches Perückengehörn
auf, das nicht mehr gefegt und nicht mehr abgeworfen wird; werden sie kastriert, nachdem die Geweih
vereckt sind,
so werfen sie binnen 3 Wochen ab, auch wenn die eigentliche Abwurfszeit noch nicht gekommen ist und setzen
nun ein bleibendes Perückengeweih
auf.
Die einseitige Kastration hat keinerlei Einfluß auf das Geweih
, wohl aber die einseitige Verwundung, der ein längeres
Kränkeln folgt. In der Regel wird das Geweih
mit jedem Jahre stärker und größer. Bei mehrern
Gattungen der Familie der Hirsche nimmt mit jedem Jahre die Zahl der
Enden eines jeden
Geweih
(Stange) nach bestimmten Gesetzen
um eins zu, bei andern hingegen bleibt die Zahl der
Enden, wenn das
Tier vollkommen ausgewachsen ist, unverändert. Da die
ersten
Stufen der Geweih
bildung in der Regel mit den besondern Bezeichnungen
Spieß und Gabel belegt werden,
so ist es auch gebräuchlich, erst vom
Sechsender an die Benennung Geweih
anzuwenden.
Besonders starke Geweih
nannte man früher auch Gewichte. Eine ebenfalls veraltete Bezeichnung für Geweih ist
Gestänge. Auf die Ausbildung guter Geweih ist die Äsung und
Fütterung von wesentlichem Einfluß. (Vgl.
Neumeister, Laub- und Kalkfütterung des Edel- und Rehwildes,
Tharandt 1891.) Die Geweih finden vorzüglich bei
Drechslern und
Messerschmieden Verwendung.
Bei den jagdbaren Wiederkäuern haben Geweih und
Gehörn,
bez. deren verschiedene
Entwicklungsperioden,
eine eigene Nomenklatur gefunden.
Edelwild: Das Anfang Juni gesetzte (geborene) Edelhirschkalb zeigt in den ersten 4 Monaten nichts von Geweihbildung. Erst in der Mitte der zweiten oder Junghirschperiode, welche den 5. bis 14. Monat umfaßt, erheben sich als Wucherungen der Stirnbeine die Rosenstöcke oder der Geweihstuhl und es bilden sich die Kolben. Vom August des zweiten bis mit April des dritten Kalenderjahres (15. bis 23. Monat) wird das Erstlingsgeweih aufgesetzt, gefegt und getragen: es ist das die Zeit des Hirsches vom ersten Kopfe (richtiger: Hirsch [* 4] mit erstem Geweih). In der Zeit vom Mai des dritten bis mit März des vierten Kalenderjahres (24. bis 34. Monat) wird nach dem Abwurf des Erstlingsgeweihs das zweite Geweih aufgesetzt, gefegt und getragen (Hirsch vom zweiten Kopf). Im darauffolgenden Jahr setzt der Hirsch vom dritten Kopf, nach erfolgtem Geweihabwurf, das nächste Geweih auf und wirft es wieder im April des fünften Kalenderjahres ab. So geht es jahrweise weiter. Jüngere Edelhirsche werfen gewöhnlich in den Monaten März und April, ältere oft schon im Februar ab. Das Fegen des Geweih erfolgt meist Ende Juli. Das Erstlingsgeweih des Edelhirsches sind Spieße bis zu 30 cm Länge, einfache Stangen, denen am Grunde der Perlenkranz (die Rose) fehlt, wie aus nachstehender [* 1] Fig. 1 zu ersehen.
Man nennt deshalb auch den ein solches Geweih tragenden Hirsch Spießer, oder noch präciser, je nach der Länge der Spieße, Knopf- oder Schmalspießer. Regelrecht folgt auf diese Stufe der Gabler [* 1] (Fig. 2). Bei demselben erscheint an jeder Stange eine wirkliche Rose und über derselben eine Augsprosse (a in [* 1] Fig. 2). Das dritte Geweih bekommt über der Augsprosse, und etwa in der Mitte der Stange, die Mittelsprosse, wodurch das Geweih des Sechsenders [* 1] (Fig. 3) charakterisiert ist. Hinter der Mittelsprosse (b in [* 1] Fig. 3) zeigt die Stange eine knieförmige Biegung, die gewöhnlich deutlicher als hinter der Augsprosse (a in [* 1] Fig. 3) hervortritt. Bei der nächsten Stufe, der des Achtenders, teilt sich die Spitze der Stange als Gabel [* 1] (Fig. 4). Darauf folgt die Stufe des Zehnenders [* 1] (Fig. 5). Sie entsteht ¶
mehr
dadurch, daß zwischen Aug- und Mittelsprosse noch die sog. Eissprosse (c in [* 5] Fig. 5) sich entwickelt. An die Zehnenderstufe schließt sich die Stufe des Zwölfenders [* 5] (Fig. 7) an; es tritt bei demselben von der Gabel des normalen Zehnenders die Hauptstange rückwärts knieförmig heraus, wodurch die erste, aus 3 Enden gebildete Krone entsteht.
Hiermit beginnt die Reihe der Kronenhirsche. Fehlt bei Vorhandensein der dreiendigen Krone an der Stange die Eissprosse, so ist für den Träger [* 6] des Geweih die Bezeichnung Kronenzehner [* 5] (Fig. 6) gebräuchlich. Bekommt die Krone noch ein Ende mehr (eine Doppelgabel), so entsteht die Stange des Vierzehnenders (Fig. 8). Darauf folgt der Sechzehnender (Fig. 9) u. s. f. Es kommt häufig vor, daß die Gablerstufe übersprungen wird und sogleich ein Sechsendergeweih nach der Spießerstufe auftritt, ebenso aber auch, daß als zweites Geweih besonders starke Spieße mit Rose erscheinen. Im letztern Falle spricht man von einem Stangenspießer [* 5] (Fig. 10). Nicht selten erfolgt bei etwas ältern Hirschen auch ein Zurücksetzen, eine Verminderung der Endenzahl; dann aber sind die Stangen ungewöhnlich stark entwickelt.
Das Ansprechen erfolgt stets nach der Stange, an welcher die meisten Enden sich vorfinden, und zwar wird deren Anzahl doppelt genommen. Hat z. B. die eine Stange sechs Enden, die andere weniger, so spricht man den Hirsch als ungeraden Zwölfender an. Im Gegensatz hierzu haben die geraden Geweih an jeder Stange gleichviel Enden. Damwild: Bei dem Anfang Juli gesetzten Damhirschkalb erheben sich in freier Wildbahn die Rosenstöcke bereits in den Monaten Oktober bis Dezember (Periode des Junghirsches) etwas. Während der nächsten 16 Monate (Januar des zweiten bis mit April des dritten Kalenderjahres) wird das Erstlingsgeweih des Hirsches vom ersten Kopf (Hirsch mit erstem Geweih) aufgesetzt, gefegt und getragen.
Dasselbe besteht aus Spießen [* 5] (Fig. 11) mit wulstförmig verdickter Basis (Damspießer). In den darauffolgenden 11 Monaten (Mai des dritten bis mit März des vierten Kalenderjahres) setzt der Hirsch vom zweiten Kopf, nach dem Abwurf des Erstlingsgeweihs, das zweite Geweih [* 5] (Fig. 13), an welchem die Augsprosse und meist auch die Mittelsprosse erscheint, auf, fegt und trägt es. Bei der nächstfolgenden Stufe [* 5] (Fig. 14) erweitern sich die Stangen oberhalb der Mittelsprosse löffelartig und sind mitunter am Hinterrand ausgezackt (Löffler). Hierauf verbreitert sich von Jahr zu Jahr die obere Hälfte der Stangen zu Schaufeln, deren Hinterrand mehr oder weniger Zacken hat. Man spricht dann vom angehenden Schaufler [* 5] (Fig. 15), Schaufler [* 5] (Fig. 16), starken und Kapitalschaufler [* 5] (Fig. 17). Die geschilderte Entwicklung des Damhirschgeweihs steht mit der Zahnentwicklung im Einklang. Es kommen aber auch beim Damhirsch zwei verschiedene Spießformen vor. Die zweiten stärkern Spieße [* 5] (Fig. 12) würden dann als die zweite Geweihstufe anzusehen sein.
Altum giebt an, daß die zweiten stärkern Spieße, auf stärkern Rosenstöcken, sich in der Mitte und besonders gegen die Spitze sanft nach innen biegen und an der Basis gleichfalls einen starken Perlenwulst von eiförmiger Gestalt zeigen, der sich spitzenwärts in den Stangenumriß verliert und nicht über die Spitze des Rosenstocks scharf sattelförmig vorspringt, wie dies bei den ersten Spießen der Fall ist. Ältere Hirsche werfen eher ab (März) als jüngere (Mai). Das Fegen des Geweih erfolgt meist Ende August.
Elchwild: Das Ende Juni gesetzte Hirschkalb zeigt bereits nach vier Wochen durch erbsengroße Warzen die Stelle der Rosenstöcke an;
die letztern entwickeln sich vom Januar des zweiten Kalenderjahres an allmählich und sind im zehnten Lebensmonat vollendet.
Sie sind durch die schräge Richtung nach oben und aufwärts wie durch ihre Flachheit auffällig. Dieser Richtung entsprechend entwickeln sich auf den Rosenstöcken im zweiten Kalenderjahr etwa 30 cm lange Spieße [* 5] (Fig. 18), welche Ende desselben oder auch etwas später abgeworfen werden, während bei den darauffolgenden Geweih der Abwurf schon im Monat November stattfindet.
Die Frage, ob nochmals Spieße nach den zuerst erscheinenden auftreten, ist unentschieden. Jedenfalls haben die Spieße schon eine winkelförmige Biegung, welche den spätern Geweih eigentümlich ist. Die jährlich fortschreitende Schaufelbildung, welche im fünften Jahre schon ganz ausgesprochen ist, ist aus den [* 5] Fig. 19–22 zu ersehen. Mit der beträchtlichen Ausbildung der Schaufeln ist zugleich eine starke Gewichtszunahme des Geweih (bis 20 kg) verbunden. Doch giebt es auch ganz starke ¶
mehr
Elch-Hirsche mit drehrunden Stangen (bis zur Achterstufe). Es ist charakteristisch für das Elchgeweih, daß es keine Augsprosse hat. Dagegen gliedert sich der vordere untere Teil der Schaufel bei starken Hirschen oft als besondere Augschaufel (s. namentlich [* 7] Fig. 22) ab. Das Fegen des Geweih erfolgt im September nach dem Verecken.
Gehörn nennt man die Hörner des Rehbocks; in Österreich [* 8] sagt man dafür auch Gewichtl, mitunter Gestänge. Bereits im August oder September erheben sich die Rosenstöcke (Stirnzapfen) des anfangs Mai gesetzten (geborenen) Rehbockkalbes und im Dezember können die ersten kleinen Spieße vereckt sein. Im nächsten Februar wird dieses erste Geweih stets abgeworfen, mag es noch so unbedeutend erscheinen. Das sich sogleich wieder bildende zweite Geweih wird im Mai gefegt und im Spätherbst abgeworfen. Es ist also charakteristisch, daß der Rehbock während der ersten 20 Lebensmonate zweimal abwirft und zum drittenmal aufzusetzen beginnt.
Das erste Geweih besteht entweder aus erbsengroßen Knöpfen oder kleinen Spießen, das zweite Geweih können Spieße oder Gabelstangen oder ausnahmsweise Sechserstangen bilden. Mit zunehmendem Alter vermehrt sich gewöhnlich die Stärke, [* 9] die Perlung und die Endenzahl der Geweih, vergrößert sich die Rose und verkürzt sich der Rosenstock. Das Ansprechen des Rehbocks und seines Geweih erfolgt nach der Endenzahl demselben; es wird dabei ebenso wie beim Edelhirsch und dessen Geweih verfahren.
[* 7] Fig. 23 zeigt die Stange des Spießbocks, [* 7] Fig. 24 diejenige des Gabelbocks, [* 7] Fig. 25 diejenige des Sechserbocks, [* 7] Fig. 26 diejenige des Achterbocks und [* 7] Fig. 27 diejenige des Zehnerbocks. Bilden die drei Enden jeder Stange ein Kreuz, [* 10] wie in [* 7] Fig. 28, so spricht man von einem Kreuzbock.
Figur 29:
Das normale Sechsergehörn ist in [* 7] Fig. 29 dargestellt. Außerordentlich stark und vielendig entwickelt ist das Geweih der Urböcke. Beim Rehbock ist die merkwürdige Monstrosität des Perückengehörns – wie in [* 7] Fig. 30 dargestellt – am häufigsten zu finden.
Figur 30: