Getreidepr
eise.
[* 2] Während ehedem die
Staatsgewalt eine unmittelbare Einwirkung auf die Getreidepreise
im Interesse des öffentlichen
Wohles für geboten erachtete, sind dieselben mit der fortschreitenden
Entwicklung des Getreidehandels (s. d.) fast
in allen Kulturländern dem ungehinderten Wirken der innerhalb des freien Verkehrs maßgebenden wirtschaftlichen Kräfte
überlassen. Wie der Getreidehandel im Laufe des 19. Jahrh. allmählich den Charakter des
Welthandels annahm, wurde auch die Preisbildung des Getreides den Einflüssen örtlicher Verhältnisse mehr und mehr entzogen
und von der Gestaltung des Weltmarktes abhängig.
Dem allgemeinen (Ricardoschen) Preisgesetze zufolge sind für die Höhe der Getreidepreise
die Erzeugungskosten derjenigen
Gegenden maßgebend, welche am teuersten produzieren, deren Erzeugnisse zur
Deckung des Bedarfes aber noch herangezogen werden
müssen. Dieses Gesetz gilt indessen nur unter der
Voraussetzung, daß neben den unter günstigen Verhältnissen produzierenden
Gegenden auch solche, welche durch ihre natürliche Beschaffenheit oder ihre
Lage nur wenig oder gar nicht
bevorzugt sind, zur Befriedigung der
Nachfrage dienen müssen.
Gegenwärtig sind nun aber die hauptsächlichen Getreideerzeugungsländer durch
Ausdehnung
[* 3] der Anbauflächen im stande, mit
den geringsten Produktionskosten jedem erweiterten Bedarf auf dem Weltmarkte zu genügen, sodaß thatsächlich diese, nicht
aber die höchsten Kosten für die Preisbestimmung ins Gewicht fallen. Insbesondere ist der Preis des
Weizens von den Beschaffungskosten innerhalb
Amerikas,
Indiens und
Rußlands abhängig, während für den Preis des Roggens,
der Hauptbrotfrucht
Deutschlands,
[* 4] die Verhältnisse des russ. Produktionsgebietes ausschlaggebend sind. Die westeurop.
Produktion vermag dem gegenüber einen dauernden Einfluß auf den Preis nicht mehr auszuüben. Die Produktionskosten,
einschließlich des Frachtaufwandes bis zum Absatzorte, bilden somit die Grundlage der Getreidepr
eise. Von der hierdurch
bestimmten
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.yöbe zoeichen indcsscn die Preise in den eiilzelnen fahren nach oben und unten je nach den Ernteergeb- nissen mehr oder minder erbeblich ad, und zwar pflegen diese Schwanlungen stärker zu sein, als es der Ernteausfall zu rechtfertigen scheint. Man bat diese letztere Thatsache in die Form eineö allgemein gültigen, ziffermäßigen Gesetzes zu kleiden gesucht Mngsche Regel), welches indessen durcb die neuern Erfahrungen nickt bestätigt worden ist. Indessen ist zuzugeben, daß die furcht vor Mangel oder Über- fluß (auf feiten der Nachfrage oder des Angebotes) die Preise vielfach stärker hinausschraubt oder berab- drückt, als es im Interesse der Allgemeinbeit als wünschenswert bezeichnet werden mich.
Für die Beurteilung der Getreidepreise
kommt serner in Be- tracht, daß selbst das Brotgetreide außer zur menfck- licken Nahrung vielfach
auch zu weniger dringlichen Zwecken Verwendung findet, in weichein Umfange es mebr oder minder leicht entbebrt oder durcb
andere Produkte erfetzt werden tannlViebsütterung, Branntweinbrennerei, Stärkefabrikation j. Man- nigfach
gestalten sich die Beziehungen, in denen die Preise der einzelnen Getreidearten zueinander steheu. ^o läßt sich zu menschlichen
Ernährungszwecken Noggen dllrch Weizen oder Mais, zu tierischen Hafer
[* 6] durch Roggen oder Gerste
[* 7] und umgekebrt bis zu einem
gewisseil Grade ersetzen, freilich wirken die.Nonfumtionsgewohnheitcn einem solchen Aus- gleich entgegen.
Über die zeitliche Entwicklung der Getreidepreise
erteilt nach- stebende Übersicht Auskunft, wclcke dieselben für
Berlin
[* 8] in Mark für die Tonne angiebt-. ßens die Preise niedriger als im westlichen. Die allgemeine Steigerung der Getreidepreise
von 1891 steht
mit der russ. Mißernte dieses Jahres im Zusammenbang, wübreno der ungewöhnlich starke Preisfall
in den fahren 189.'" und 1894 auf die damalige übermäßige Produktion in fast alleil Getreideausfuhrlänoern
zurückznfübren ist.
Neuerdings lbis Mai 1895) find die Preife mit Rücksicht auf die weniger günstigen Ernteaussichten wieder erheblich gestiegen. Eine Frage von großer volkswirtschaftlicher Trag- weite, welcl^c il. a. bei Beurteilung der Wirkungen der Getreide;ölle (s. d.) eine wichtige Rolle spielt, geht dabin, ob und inwieweit die Schwankungen der in den Mehl- und schließlich auch in den Brotpreisen zum Ausdruck gelangen. Zuverlässiges Material zur Beantwortung dieser Frage liefern, außer den Ermittelungen des kaiserl. Statistischen Amtes isür Roggen und Mehl), [* 9] die seit einigen Jah- ren seitens des städtischen Statistischen Amtes zu Berlin veranstalteten Erbebungen über die Brot- preise, dieselben baben bezüglich der Preisbildung in Berlin zu nacbstebenden Ergebnissen gefübrt.
Die Preise, und zwar sür Roggen (Korn) und Roggen- mcbl die Großbandels-, für Brot [* 10] die Kleinhandels- preise, sind in Mark sür 100 K3 angegeben: Jahre Weizen i Roggen Gerste Hafer 1651-1700 1701 - 1750 l 1751-1800 1801-50 i 1851-80 I 1881-90 ! 1891 1892 ' 1893 1894 74,50 84,78 125,32 185,80 211,00 176,20 224,21 176,41 151,51 136,13 53,40 62,72 101,42 136,00 161,40 146,00 211,23 176,34 133,55 117,75 54,64 52,92 108,40 127,20 153,00 152,80 ? ? ? 52,94 52,52 96,50 136,00 155,20 144,40 165,03 149,44 157,02 131,23 Hauptsächlich infolge des mit der wachfenden Be- völkerung sich steigernden Bedarfes bei beschränkter Anbaufläche, zum Teil allerdings auch infolge des Sinkens des Geldwertes find die Preife im Laufe der Jahrhunderte gestiegen.
Erst seit den letzten Jahrzehnten ist durch die außerordentliche Entwick- lung der Transportmittel und
die dadurch herbei- geführte Verminderung der Frachtkosten fowie durch die vermehrte Intensität und Extensität des An-
baues (s. Getreidepr
oduttion) ein erheblicher Druck auf die Getreidepreise
ausgeübt worden.
Übrigens wareil na- mentlich ill den frühern Jahrhuuderlen bei mangel- bast entwickeltem Getreidehandel die Preisschwan-
tungen innerhalb der einzelnen Zeiträume sowie die ortlichen Unterschiede ungemein schroffe.
Die ört- lichen Abweichungen in der Gegenwart beweisen, daß die verschiedeilen Angebots- lind Nachfrage- verhältnisse der einzelneil Gegenden auch in der neuern Praxis sich noch nicht binlänglick aus- gleicheil lasseil. So kosteten in dem Iabrzebnt 1881 -90 1000 kss Weizen in Königsberg [* 11] 175), in Stutt- gart dagegen 215, in Lindan gar 220 M., und all- gemein find in dem östl. Pl'odl/ftionsgebiete Preu- Noggen Jahre Noggcnmehl ^ Roggenbrot Vierteljahre 1891 II III IV 11,68 12,46 14,11 15,54 16,47 17,22 1944 21,88 20,39 20,31 20,97 23,11 15,10 14,42 15,66 16,95 21,19 20,56 21,84 23,5 l 24,07 24,28 24,07 25,75 17,40 16,08 16,67 17,84 23,68 22,13 22,97 24,69 27,23 26,80 27,13 27,54 17,64 20,13 22,94 23,78 24,76 27,66 31,28 32,49 28,47 30,26 33,18 34,74 20,66 19,76 15,94 13,51 ! 29,49 26,44 21,75 18,19 37,26 32,12 25,10 23,95 unter Noggcnml'hl s! Roggen 1888 Mehl . !,! Brot. . s! Roggen 1889^! Mebl . ,z Brot. . s Roggen 1890 'Mehl . ^ Brot. . s^ Roggen ^lMehl . !,! Brot. . ji Roggen 1892.' Mehl . ^ Brot. . Unter Roggen ist «Lieferungsqualität» ugutes, gesundes Nr. 0/1" verstanden.
Zur Veranschaulichung des Zusammenhanges der Preise dient die umstehende graphische Darstellung. Auf dem Netz sind
durch die senkrechten Linien die Monate oer fünf in ^vrage kommenden Jahre, durch die wagerechteu die Preife, von ^ M. zu
«, M. ab- gestuft, bezeichnet. Die Darstellung lehrt, daß die Veränderungen, welche die Roggenpreifc im Laufe des beobachteten
Zeitraums erfahreil haben, auch auf die Mebl- und Vrotpreife von entschiedenem Einfluß gewesen ist.
Bezüglich der Getreide- und Meblvreise ist der ^usammenhaug ill der auf- und absteigenden Bewegung ein sehr enger. Bei der
Ge- staltung ver Brotpreise sind neben den Preisen de^ Rohmaterials auch noch sonstige, die Preisbildung im .Nleinbandel
beeinflussende Faktoreil wirtfam, infolgedessen die Brotprcise stabiler erscheinen als iene; der allgemeinen
Auf- und Abwärtsbewegung baben indesseil auch sie sich nicht entzieben können, ^iede wcfentliche und nachhaltige Erböbnng
der Getreidepreise
fällt fchließlick auch dem Verbraucher zur Last; jede ebeilsolche Erniedrigungkommt auch ibm
zu gllte. Eine
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Gegenüberstellung der Jahresmittel aus der Tabelle auf voriger Seite ergiebt für dieselben Jahre unter Zinzufügung der Durchschnittszahlen jür 1893 und 1894 folgende Preisreihe für 100 ^ in Mark: Roggen Roggenmehl Roggenbrot 1883 13,4^ 18,75 21,22 1889 15,55 21,7" 24,72 1890 17,0s" 23,57 27,18 189 l 21,12 29, C5 3lM 1892 17/..; 23,97 29,i 1893 13,37 17,69 21,89 1894 11,7? 15,47 20,43 len die Viehzucht [* 13] weniger lohnend erscheint und der Landwirt zum Verkauf des Viehs schreitet.
Einer Steigerung der Viehpreise wirkt der Umstand ent- gegen, daß hohe Getreidepreise
die Lebenshaltung herabdrücken
und damit die Nachfrage uach der kostspieligern Fleischnahrung vermindern. Der hier angedeutete Zusammenhang zwischen den
Frucht- und den Vieh- preisen kommt hauptsächlich in den Schwankungen einzelner weniger Jahre zum Ausdruck. Bei der Preisveränderung
innerhalb eines größern Zeit- raums pflegen gemeinsame dritte Ursacken wirksam zu sein. So ist der
starke Rückgang der Fruckt- und preise Roggenbrot Roggenmehl
lnd Roggen il t Berlin. MartIan. ^"
3an. ^^ ^?. ^'».) I^, i.'.l I^? 159- Dez.jMart
35 34,50 34 33,50 33 32,50 32 31,50 31 30,50 30 29,50 29 23,50 28 27,50 27
!
35 34,50 34 33,50 33 32,50 32 31,50 31 30,50 30 29,50 29 28,50 23 27,50 27 26,50 26 25,50 25 24,50 24 . 23,50 23 22,50 22 21,50 21 20,50 20 19,50 19 18,50 18 17,50 17 16,50 16 15,50 15 14,50 14 13,50 13 12,50 12 11,50 11 10,50
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Mark II an. 1"33 133
Jan. i"9ft < 1391 Jan. 1992
Dez.lMark - Roggenbrot Endlich ist des Einflusses zu gedenken, welchen die Getreidepreise
auf die Vieh-
und damit auch auf die Fleisch- p r e i s e auszuüben vermögen.
Insofern als das Ge- treide zur Viehfütterung Verwendung findet, wird ine Verteuerung derselben auch auf die Viehpreise eme einwirken. Allerdings kann sich dieser Einfluß nur mittelbar geltend machen. Eine Verteuerung der Futtermittel wird sogar vielfach eine Erniedrigung der Viehpreise im Gefolge babcn, da in solchen Fäl- - Noggenmehl --------- Viehpreise im Laufe der achtziger Jahre in erster Linie dem Druck der ausländifchen, insbesondere amerik. Konkurrenz zuzuschreiben, während in den letzten Jahren eine unmittelbare Beeinflussung der Viehpreise durch den ungewöhnlichen Preisstand der Nahrungsmittel [* 14] im Sinne einer vorübergehenden Äufwärtsbewegung stattgefunden hat. Veranfchau- licht wird die Entwicklung der Fruckt- und Viehpreise durch nacbstebende Tabelle, in welcher die ¶