Gespenster
(Spectra), ohne Körperlichkeit, als bloße Schemen oder Schattenbilder sichtbar werdende Spukgestalten des Volksaberglaubens, insbesondere von Seelen abgeschiedener Menschen. Auf allgemeine psychische Vorgänge, wie die phantastischen Erscheinungen des Traums, dann auch subjektive Gesichtstäuschungen, die von der Furcht und Angst vor dergleichen Begegnissen begünstigt werden, endlich auf krankhafte Gehirnzustände (Visionen und Halluzinationen, s. d.), welche gewisse Körperleiden regelmäßig begleiten, zurückführbar, ist der Glaube an Gespenstererscheinungen bei allen Nationen verbreitet und zog seine Nahrung jederzeit aus den herrschenden religiösen Vorstellungen von dem Zustand der Seelen nach dem Tod.
Außer dem Unsterblichkeitsglauben im allgemeinen kamen ihm überall gewisse Dogmen entgegen, so der im klassischen Altertum wie bei den Juden verbreitete Glaube, daß die Seele Ermordeter ruhelos umherschweifen müsse, bis der Verbrecher bestraft sei, und bis der Tote ein »ehrliches« Begräbnis erhalten; in zahllosen der Wirklichkeit abgelauschten Dichtungen des Altertums und der neuern Zeiten spielen diese scheinbar gegenständlich gewordenen Schöpfungen des bösen Gewissens ihre selbst für den Zuschauer im Theater wirksame Rolle.
Wenn das Christentum den Gespenstern auch nicht diejenige Anerkennung zu teil werden ließ wie die Anschauung des klassischen Altertums, welches besondere Gespensterfeste (die Tage der Laren und Lemuren) feierte, so fand der Gespensterglaube doch einen bemerkenswerten Hinterhalt in der Lehre vom Fegfeuer, und wie es zahlreiche altgriechische Philosophen gethan, so traten später die Kirchenväter für die Wahrheit der Gespenstererscheinungen ein. Solange ihre irdische Schuld nicht gesühnt ist, kann demnach die Seele zurückkehren, um ihre Angehörigen zu mahnen, daß sie durch Seelenmessen und gute Werke zu ihrer Erlösung beitragen; sie ist an das Haus oder
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den Ort ihrer Missethaten gebannt, »spukt« daselbst oder »geht um« und plagt die Bewohner. Diese Vorstellungen leiten dann zu den Erzählungen von Haus- und Poltergeistern (s. d.), von Burg- und Klostergespenstern, von den Irrlichtern, die als Seelen ungetaufter Kinder betrachtet werden, und den Feuermännern, nach der Volkssage ungetreue Feldmesser etc., über. Eine Menge andrer Nachtgestalten, wie der Alp und Vampir, die ebenfalls in traumhaften Zuständen ihre Veranlassung finden, schließen sich an. In der neuern Anschauung ist den Wiederkehrenden (franz. revenants) nur noch die Zeit von 12-1 Uhr Mitternacht als Sprechstunde angewiesen, obwohl die Sonntagskinder und Geisterseher auch zu andern Nachtstunden Gespenster sehen.
In der Poesie und leider auch in der Volks- und Erziehungslitteratur einen letzten Rückhalt findend, ist der Gespensterglaube in neuerer Zeit sehr in den Hintergrund getreten, obwohl eine neue Glaubensgenossenschaft ihr Lehrgebäude ganz auf den Mitteilungen Verstorbener aufbaut (vgl. Spiritismus). Über den Gespensterglauben des Altertums vgl. Scharbe, De geniis, manibus et laribus (Kasan u. Leipz. 1854); über die ethnologische Seite die ausführliche Darstellung des Animismus in Tylor, Anfänge der Kultur (a. d. Engl., das. 1873); über die physiologische und psychologische Seite Hibbert, Andeutungen zur Philosophie der Geistererscheinungen (Weim. 1825), und Carus Sterne, Naturgeschichte der Gespenster (das. 1863). Vgl. Geisterseherei.