Gesichtssc
hmerz
(Fothergillscher Gesichtssc
hmerz, Prosopalgia,
Tic douloureux), eine
Neuralgie des
Nervus trigeminus des fünften Gehirnnervs,
welcher der Gefühlsnerv für das ganze
Gesicht
[* 2] ist. Der Gesichtssc
hmerz ist eine häufige Form des
Nervenschmerzes oder der
Neuralgie. Er
kommt selten bei
Kindern, am häufigsten zwischen dem 30. und 50. Lebensjahr, etwas häufiger bei
Frauen
als bei Männern vor. In der
Mehrzahl der
Fälle lassen sich keine materiellen
Ursachen des Gesichtssc
hmerzes auffinden; man
pflegt dann die
Krankheit auf eine
Erkältung, auf unterdrückte
Fußschweiße oder Hautausschläge, auf Hämorrhoidalstörungen
u. dgl. zurückzuführen.
Sicher ist, daß die
Vergiftung mit Sumpfgift, also die Malariainfektion oder die Wechselfieberkrankheiten,
häufig die
Ursache des Gesichtssc
hmerzes ist. Zuweilen aber hat man die
Ursache des letztern darin erkannt, daß der
Nerv und
seine
Äste, welche durch enge knöcherne
Kanäle hindurchtreten, innerhalb der letztern einen
Druck erleiden, weil der
Knochen
[* 3] in der
Nähe des Nervs aufgetrieben, verdickt, entzündet oder sonstwie krankhaft verändert ist. Auch
Geschwülste und fremde
Körper, wie Bleistücke und Knochensplitter nach Schußverletzungen u. dgl.,
können, wenn sie auf einen
Ast des genannten Nervs drücken, Gesichtssc
hmerz hervorrufen.
Der Gesichtssc
hmerz zeigt eine sehr verschiedene Ausbreitung. Je stärker der Nervenast ist, auf welchen die schmerzerregende
Ursache einwirkt, um so ausgebreiteter ist der
Schmerz.
Hat die
Neuralgie ihren Sitz im Hauptstamm des Nervs, so dehnen sich
die
Schmerzen von einem
Ohr
[* 4] zum andern über das ganze
Gesicht aus; auch in der Augenhöhle, in der
Nase,
[* 5] im
Gaumen, in der
Zunge
und den
Zähnen werden die
Schmerzen wahrgenommen. Betrifft die
Krankheit den ersten
Ast, was der häufigste
Fall ist, so sind die
Schmerzen beschränkt auf die
Stirn und das obere Augenlid; doch wird der
Schmerz manchmal hauptsächlich
im Innern des
Auges oder am innern Augenwinkel empfunden.
Fast immer ist dabei die Thränenabsonderung verstärkt und die
Bindehaut des
Auges stark gerötet. Ist
der zweite Nervenast der Sitz der
Neuralgie, so sind die
Schmerzen im untern Augenlid, in den Nasenflügeln, der Oberlippe
und in der obern Zahnreihe gegeben, und die Nasenschleimhaut sondert während des Schmerzanfalles einen wässerigen
Schleim
ab. Bei der
Neuralgie des dritten
Astes werden die
Schmerzen hauptsächlich in der untern Zahnreihe und
neben dem
Kinn sowie in der Unterlippe verspürt. Der Gesichtssc
hmerz stellt sich
¶
mehr
teils als ein anhaltender dumpfer Schmerz, teils als Schmerzanfall dar. Die Anfälle sind furchtbar quälend, die Schmerzen schießen blitzschnell auf und ab, brechen nach kurzen Intervallen ab, um sofort in gleicher Heftigkeit wiederzukehren. Die Anfälle treten teils von selbst und ganz unregelmäßig, teils bei gewissen Veranlassungen, besonders beim Sprechen, Niesen, Gähnen, Schnäuzen etc., auf. Während des Anfalles wird das Gesicht gerötet, und die Haut [* 7] desselben fühlt sich heißer an; die Schlagadern klopfen heftiger.
Der Verlauf ist ein sehr langwieriger, so peinigend, daß hin und wieder die unglücklichen Kranken in schwere Melancholie
verfallen, und sogar zum Selbstmord hat sich der eine oder andre Kranke durch die furchtbaren Schmerzen
verleiten lassen. Was die Behandlung des Gesichtsschmerzes
anbelangt, so wird zunächst die Beseitigung der Ursachen desselben
angestrebt werden müssen, welche freilich nur in seltenen Fällen gelingen wird. Sehr häufig lassen sich Patienten, welche
glauben, daß ihr Gesichtsschmerz
von einem vorhandenen hohlen Zahn hervorgerufen sei, diesen Zahn ausziehen in der
Hoffnung, der Gesichtsschmerz
werde damit verschwinden.
Indessen wird diese Hoffnung recht oft arg getäuscht; der Patient läßt sich einen Zahn nach dem andern, mag er krank oder
gesund sein, ausreißen, aber der Gesichtsschmerz
bleibt ungebessert zurück. Wenn der Gesichtsschmerz
durch Erkältung entstanden ist, so
wird man durch warme Einwickelungen, warme Vollbäder, Schwitzkuren etc. das Übel zu bekämpfen
suchen. Auch kleine Blasenpflaster, welche man auf die schmerzenden Hautstellen in der Art anbringt, daß jeden Tag eine neue
Stelle mit einem solchen Blasenpflaster bedeckt wird, während man die vorher gereizten Hautstellen ausheilen läßt, werden
gegen frische Fälle von Gesichtsschmerz
als erfolgreich gerühmt.
Wenn dem ein Wechselfieber zu Grunde liegt, so schwindet mit der Besserung dieses Hauptleidens durch Chinin auch der Gesichtsschmerz.
Etwa
vorliegende Störungen der Körperkonstitution wird man nach ihrer Art zu beseitigen suchen müssen, so die Blutarmut durch
Eisenpräparate, andre allgemeine Leiden
[* 8] durch umstimmende Brunnen- und Badekuren etc. Auch der Wechsel des
Aufenthalts, welcher bei in vielen Fällen von entschieden günstiger Wirkung ist, scheint als umstimmendes Mittel zu wirken.
Ferner sind Einreibungen von Veratrin- und Aconitinsalbe zu versuchen, wobei aber große Vorsicht zu beobachten ist, da diese
Salben, ins Auge
[* 9] gebracht, heftige Bindehautentzündungen hervorrufen. In neuerer Zeit greift man bei der
Behandlung des Gesichtsschmerzes
gern zur Elektrizität,
[* 10] namentlich zum konstanten galvanischen Strom, und auf diesem Weg werden
die überraschendsten Heilerfolge erzielt. In den schlimmsten Fällen von Gesichtsschmerz
, wo alle andern Mittel vergeblich angewendet worden
sind, muß schließlich zur Operation geschritten werden.
Dieselbe besteht darin, daß aus dem Nervenstamm, welcher Sitz des Schmerzes ist, ein Stück herausgeschnitten wird (Neurotomie), damit die Leitung im Nerv unterbrochen, der Schmerz also nicht empfunden werde. Die Operation ist umständlich und schwierig. Sie wird um so sicherern Erfolg haben, je näher am Gehirn [* 11] der Nerv durchschnitten wird. Die Heilung ist jedoch auch bei sonst gelungener Operation zuweilen nur vorübergehend, weil die Nervenstümpfe zusammenwachsen und die Leitung wiederherstellen können. Noch schwerer wird man sich zu der gleichfalls empfohlenen Unterbindung der Arteria Carotis entschließen. Das wichtigste und einzig zuverlässige Mittel ist das Morphium, welches nicht allein symptomatisch, d. h. schmerzstillend, wirkt, sondern mitunter vollkommene, dauernde Genesung herstellt. Neuerdings ist die Nervendehnung (s. d.) mit vorübergehendem Erfolg angewandt worden.