ins Gelbliche, Bläuliche, Bleifarbene gehende, sind die Wirkungen besonderer Krankheiten. Oft treten in der Gesichtsbildung
mehrerer Individuen gewisse Ähnlichkeiten hervor, so bei Familiengliedern (Familiengesicht). Außerdem zeigen nicht nur Volksstämme
und ganze Völker, sondern selbst Menschenrassen bei aller individuellen Verschiedenheit der Gesichtszüge eine gewisse Übereinstimmung
in denselben. Vgl. Gesichtslinien. - Bei den Insekten heißt Gesicht der obere oder vordere Teil des Kopfes.
(Gesichtssinn, Visus), das Vermögen, zu sehen, die Gesamtheit der Verrichtungen des Auges, vermöge deren wir
uns in der Außenwelt mittels des Lichts zu orientieren vermögen. Der Gesichtssinn hat eine unendlich viel größere Tragweite
als alle übrigen Sinne; während die Organe des Tast- und Geschmackssinnes (genau genommen auch die des
Geruchssinnes) mit dem Objekt, zu dessen Wahrnehmung sie uns verhelfen sollen, in unmittelbare Berührung gebracht werden müssen,
findet beim Gehör und Gesicht nur eine mittelbare Wahrnehmung statt, indem beim Gehör die von dem tönenden Objekt ausgehenden Schallwellen,
beim Gesicht die von dem leuchtenden Objekt ausgehenden Lichtätherwellen sich zwischen das wahrzunehmende
Objekt und das betreffende Sinnesorgan einschalten.
Das Auge verdankt die Fähigkeit der Lichtempfindung dem Sehnerv. Die Endapparate der Sehnervenfasern, nämlich die Stäbchen
und Zapfen der Netzhaut des Auges (s. Auge), haben die spezifische Eigenschaft, die Schwingungen des Lichtäthers in
einen Nervenreiz umzusetzen. Objektives Licht, welches auf die Stäbchen und Zapfen der Netzhaut auffällt, versetzt die mit
jenen zusammenhängenden Nervenfasern in einen Erregungszustand, welcher dem Zentralorgan der Empfindung zugeleitet wird und
hier den subjektiven Eindruck einer Lichtempfindung veranlaßt.
Zwar ruft ein jeder Erregungszustand der Sehnervenfasern subjektive Lichtempfindungen hervor, aber nur
von den Endapparaten der Netzhaut aus können die Sehnervenfasern durch objektives Licht in den Erregungszustand versetzt werden.
Für die Auffassung des Lichtreizes und für die Unterscheidung seiner Intensität (hell und dunkel) bedürfte das Auge (abgesehen
von dem zentralen Sinnesapparat im Gehirn, dessen Erregungszustand für uns ebensoviel wie Lichtempfindung bedeutet) nur
einer einzigen Nervenfaser, die mit einem die Lichtreizung vermittelnden Endorgan (mit einem Stäbchen) verbunden sein müßte.
Bei absolutem Lichtmangel würde diese eine Sehnervenfaser gar nicht erregt werden, mit der Steigerung der Intensität des
Lichts würden der Reizzustand und die Lichtempfindung an Stärke zunehmen. Auf dieser Entwickelungsstufe befindet sich das
Gesicht zahlreicher niederer Tiere, Würmer etc., deren sogen. Augenpunkte Pigmentablagerungen darstellen, welche
einen lichtempfindenden Nerv umgeben. Da wir aber auch die Fähigkeit besitzen, die Farben, d. h. die verschiedenen Qualitäten
des Lichts, als verschiedene Reize wahrzunehmen, so müssen spezifische Farbenempfindungsorgane vorhanden sein, welche nur
durch Licht von
bestimmter Wellenlänge erregbar sind.
Als solche spezifische, der Wahrnehmung des farbigen Lichts dienende Endorgane des Sehnervs sind nach neuern
Untersuchungen die Zapfen der Netzhaut anzusehen. Ihre gleichzeitige Erregung bringt den Eindruck des weißen Lichts, die Erregung
jedes einzelnen den Eindruck farbigen Lichts hervor. Die in das Auge eintretenden Lichtstrahlen werden durch ein System verschieden
brechender Medien (Hornhaut, wässerige Flüssigkeit, Linse, Glaskörper) so auf die Netzhaut projiziert, daß
auf dieser ein verkleinertes, umgekehrtes, reelles Bild der gesehenen Gegenstände entsteht, und zwar ganz ähnlich wie in der
Camera obscura.
Da man nun den Gang der Lichtstrahlen in einem optischen System, dessen brechende Oberflächen und Brechungskoeffizienten bekannt
sind, durch Berechnung der sogen. Kardinalpunkte genau bestimmen kann, so müßte man, um das Auge als
optischen Apparat beurteilen zu können, den Gang der Strahlen durch diese vier Medien, welche durch vier sphärische Flächen,
nämlich durch die beiden Seiten der Hornhaut und die beiden Grenzflächen der Linse, geschieden sind, berechnen. Da aber
sowohl die Hauptpunkte als die Knotenpunkte im Auge sehr nahe bei einander liegen, kann man ohne nennenswerten Fehler die erstern
wie die letztern in je einen Punkt zusammenziehen und die Wirkung des ganzen Systems durch ein brechendes Medium mit einer einzigen
an Stelle der Hornhaut befindlichen brechenden Fläche darstellen. So läßt sich das komplizierte natürliche
Auge in ein schematisches (Listings reduziertes Auge) umwandeln.
In
[* 1]
Fig. 1 ist die brechende Kugelfläche des reduzierten Auges durch den punktierten Bogen ll zwischen den beiden Hauptpunkten
h, h,, angedeutet; der Knotenpunkt x liegt zwischen den beiden wirklichen Knotenpunkten k, k,,; die Lage der
Brennpunkte F, F,, hat keine Verschiebung erfahren. Soll nun der Ort des Bildes auf der Netzhaut für einen bestimmten Punkt des
Objekts bestimmt werden, so genügt hierzu die Kenntnis der Lage des Knotenpunktes x vollständig. Man findet nämlich den Ort
des Bildes, indem man von dem leuchtenden Punkt eine gerade Linie durch x bis zur Netzhaut zieht. Da, wo
diese gerade Linie (z. B. G, G,,), welche man als Richtungslinie oder Sehstrahl bezeichnet, die Netzhaut trifft, liegt der
Ort des Bildes.
Es ist viel darüber gestritten worden, wie es kommt, daß wir die Objekte aufrecht sehen, obschon ihre Netzhautbilder umgekehrt
sind. Im Grunde genommen ist der Streit überflüssig, weil es sich dabei um eine falsche Fragestellung
handelt. Wir müssen nämlich daran festhalten, daß nicht das Auge selbst das Bild sieht, welches in demselben entworfen wird,
sondern daß sich der von dem leuchtenden Punkt hervorgebrachte Gesichtseindruck durch die Sehnervenfasern in das Gehirn
fortpflanzt und hier erst auf eine uns freilich nicht erklärliche Weise zum Bewußtsein kommt. Das Gehirn aber versetzt stets
die empfangenen Gesichtseindrücke nach den Gesetzen der Projektion, d. h. in
der Richtung der Sehlinien, nach außen. Der Lichteindruck, welcher oben in der Netzhaut stattgefunden, wird dahin projiziert,
wo, wenn wir von ihm aus durch den Kreuzungspunkt der Richtungsstrahlen eine gerade Linie nach außen ziehen, diese Linie endet,
also nach unten und umgekehrt; das gleiche Verhältnis findet statt zwischen rechts und links: die Gesichtseindrücke
der linken Seite der Retina werden nach rechts, die der rechten Seite nach links projiziert.
Aber nur Objekte aus sehr bedeutender Entfernung würden sich für gewöhnlich auf der Netzhaut deutlich abbilden, besäße
das Auge nicht einen Muskelmechanismus, durch dessen Thätigkeit die Krümmung der beiden Linsenflächen derartig verstärkt
werden kann, daß nunmehr auch nähere Objekte deutliche Bilder auf die Netzhaut werfen. Neben dieser Akkommodation für Nähe
und Ferne besitzt das Auge noch die Fähigkeit, sich wechselnden Lichtintensitäten anzupassen, indem es durch Veränderung
der Pupillenweite die Größe des in sein Inneres dringenden Strahlenkegels reguliert. Man bezeichnet diese Fähigkeit als
Adaptation für Lichtstärke.
Das Auge kann niemals gleichzeitig Gegenstände deutlich sehen, die in erheblich verschiedener Entfernung gelegen sind. Strahlen,
die von einem Punkt kommen, auf welchen das Auge nicht eingestellt ist, erzeugen kein scharfes Bild, sondern ein Zerstreuungsbild.
Hält man in mäßiger Entfernung vom Auge einen durchsichtigen Schleier und hinter denselben in einer Entfernung
von 50 cm eine Schrift, so kann man nacheinander bald die Fäden des Schleiers, bald die Buchstaben der Schrift, niemals aber beide
zusammen deutlich sehen.
Die Akkommodationsbreite, d. h. der Inbegriff aller Entfernungen, aus denen das Auge scharfe Bilder aufzunehmen vermag, liegt
beim Menschen zwischen 10-12 cm (Nahpunkt) und unendlicher Entfernung (Fernpunkt). Von dieser Norm kommen häufig
Abweichungen vor. Es kann nämlich der Fernpunkt in weit größerer Nähe und dann gewöhnlich auch der Nahpunkt näher rücken
(kurzsichtige oder myopische Augen), oder es rückt der Nahpunkt in größere Entfernung, während der Fernpunkt unverändert
bleibt (weitsichtige oder presbyopische Augen), oder endlich das Auge vereinigt erst konvergente, d. h.
also aus weiter als unendlicher Entfernung kommende, Strahlen (übersichtige, hyperopische oder hypermetropische Augen).
Die Akkommodation erfolgt ausschließlich durch Formveränderungen der Linse und zwar derartig, daß beim Übergang vom Fernsehen
zum Nahesehen die Linse dicker wird und ihre vordere Fläche sich stärker wölbt
[* ]
(Fig. 2). Damit, daß
die Akkommodation durch diese Formveränderung der Linse hervorgerufen wird, hängt es auch zusammen, daß die Akkommodationsfähigkeit
mit dem zunehmenden Alter mehr und mehr verloren geht. Die jugendliche Linse ist nachgiebig und verändert ihre Form sehr leicht,
die alte Linse hingegen ist widerstandsfähig und weniger elastisch.
Die Veränderung der Linsenform wird nun bewirkt durch die Wirkung eines im Innern des Auges gelegenen
Muskels (musculus ciliaris s. m. tensor chorioideae). Die Linse des ruhenden Auges besitzt nicht diejenige Gestalt,
welche dem
Gleichgewicht ihrer elastischen Kräfte entspricht. Befreit man sie von ihrer Umgebung, so wird sie dicker und nimmt
einen geringern Randumfang ein. Sie wird nun im lebenden Auge durch ein Band, das Strahlenband (zonula Zinnii), welches strahlenförmig
vom Rande der Linse in der Richtung auf den parallel dem Äquator des Auges gelegenen gezahnten Rand (ora serrata) nach außen
geht, befestigt, und dieses Band, welches sich am ruhenden Auge fortwährend in einem Zustand radialer
Spannung befindet, verhindert die Linse, ihre Gleichgewichtslage anzunehmen. An dieses Band treten nun in der Nähe der Ora serrata
die Fasern des Ciliarmuskels, welche ihren festen Punkt am Rande der durchsichtigen Hornhaut haben. Ziehen sich also die freien
Enden dieses Muskels zusammen, so wird sich die Ora serrata mit der Ursprungsstelle des Strahlenbandes
dem Hornhautrand nähern, damit wird die radiale Spannung dieses Bandes nachlassen, und die Linse wird die Möglichkeit erlangen,
sich ihrer natürlichen Gleichgewichtsfigur zu nähern, d. h. ihre Dicke wird zunehmen.
Die Adaptation des Auges für Lichtstärken kommt durch Verengerung oder Erweiterung der Pupille zu stande.
Die Regenbogenhaut besitzt zwei Muskeln: den Erweiterer und Verengerer der Pupille (musculus dilatator und sphincter pupillae).
Der erstere besitzt radiale, der zweite zirkuläre Faserung. Die Iris stellt eine für Lichtreize äußerst empfindliche muskulöse
Blendung dar, die sich verengert bei wachsender, erweitert bei abnehmender Lichtstärke. Diese Bewegungen haben den
Sinn einer Adaptation, indem sie entweder die Menge des auf die Netzhaut fallenden Lichts durch Abblenden der Randstrahlen mäßigen,
oder bei sinkender Lichtstärke einer bedeutenden Lichtmenge den Zutritt zur Netzhaut gestatten.
Der optische Apparat des Auges hat zahlreiche Unvollkommenheiten mit den künstlichen Systemen gemein, Mängel, die teils von der
Unvollständigkeit der Zentrierung und von kleinen Unregelmäßigkeiten in der Gestalt der brechenden
Flächen, teils aber davon herrühren, daß das Gesetz der Vereinigung aller homozentrischen Strahlen in einem Punkt nur für
die zentral auffallenden Strahlen gilt, während sich die Randstrahlen nicht mehr vollkommen vereinigen.
Letzterer Mangel bewirkt die sogen. sphärische oder monochromatische
Abweichung, und er ist z. B. daran schuld, daß uns die Sterne strahlenförmig erscheinen. Hiervon leitet sich auch die sogen.
Irradiation ab. Sie besteht darin, daß stark beleuchtete helle Flächen auf dunklem Grund größer erscheinen als dunkle Flächen
auf hellem Grund. Helle Handschuhe und Schuhe lassen Hände wie Füße größer erscheinen als dunkle. Wohlbeleibtheit
der Damen tritt in heller Kleidung besonders auffallend hervor. Die Irradiation erklärt sich daraus, daß die Zerstreuungskreise
des beleuchteten hellen Gegenstandes über den benachbarten dunkeln hinausgreifen, und daß sich daher der erstere auf Kosten
des letztern vergrößert. Trübungen der brechenden Medien oder beschattende Objekte unmittelbar vor der Netzhaut
rufen die sogen.
Akkommodation des Auges. A Akkommodation für die Ferne, B für die Nähe;
a Hornhaut;
b Linsendurchschnitt bei der Akkommodation
für die Ferne, b, für die Nähe;
c Strahlenband.]
mehr
entoptischen Erscheinungen hervor. Es werden beim Eindringen des Lichts in das Innere des Auges Schatten der betreffenden Körper
auf die Netzhaut geworfen, und das Auge gewahrt jetzt diese undurchsichtigen Teile als mehr oder weniger deutliche Schattenbilder.
Die Ursache der entoptischen Erscheinungen liegt in Trübungen der Hornhaut, der Linse oder des Glaskörpers;
doch vermögen auch die vor der lichtempfindenden Schicht der Netzhaut befindlichen Blutgefäße Schattenbilder zu erzeugen.
Diese Wahrnehmung der Netzhautgefäße bezeichnet man als die Purkinjesche Aderfigur; sie kennzeichnet sich als deutlicher
Gefäßbaum im Gesichtsfeld, der ganz demjenigen gleicht, welcher durch Injektion der Netzhautgefäße erhalten oder mittels
des Augenspiegels wahrgenommen wird. Man kann diese Aderfigur jeden Augenblick erzeugen, wenn man in einem
finstern Zimmer eine dunkle Wand fixiert und etwas seitwärts vom Auge ein Kerzenlicht hin und her bewegt.
Die entoptischen Erscheinungen des Glaskörpers zeichnen sich vor denen der andern Gebilde durch ihre Beweglichkeit aus, weshalb
sie auch als fliegende Mücken (mouches volantes) bezeichnet werden. Noch einen andern Mangel teilt das
Auge mit zahlreichen optischen Instrumenten. Die Bilder besitzen nämlich oftmals farbige Säume wegen der ungleichen Brechbarkeit
der verschiedenfarbigen Strahlen. Man bezeichnet diesen Mangel als chromatische Abweichung. Diese sowohl als die monochromatische
Abweichung werden übrigens durch die Iris sehr gemäßigt, indem diese die Randstrahlen abschneidet.
Verbleib des ins Auge fallenden Lichts.
Das auf den Augenhintergrund fallende Licht wird keineswegs von dem Pigment der Aderhaut ganz verschluckt, denn man kann nachweisen,
wie ein Flammenbildchen auf der Netzhaut als Lichtquelle wirkt, welche den ganzen übrigen Augenhintergrund mit einem merklichen
Lichtschimmer überzieht. Früher nahm man eine Lichtentwickelung, eine Art Phosphoreszenz, im Innern
des Auges selbst an und suchte hierdurch das Leuchten des Auges mancher Tiere, welches von dem Erregungszustand und dem Willen
des Tiers abhängig sein sollte, zu erklären.
Wir wissen jetzt, daß das Augenleuchten auf eine Zurückwerfung von solchem Licht zurückzuführen ist, welches
vorher von außen eingefallen ist, und dieser Vorgang wird durch eine das
Licht stark reflektierende Membran, das sogen. Tapetum
lucidum, welche unmittelbar unter der Netzhaut liegt, äußerst begünstigt. In völlig finstern Räumen wird niemals Augenleuchten
beobachtet. Aber weil die Lichtmenge, welche beim Leuchten reflektiert wird, nur gering ist, darf die
Umgebung nur schwach beleuchtet sein, soll überhaupt das Augenleuchten wahrgenommen werden.
Um die Wirkung des ins Auge dringenden Lichts kennen zu lernen, haben wir uns zunächst mit der Einrichtung der Netzhaut vertraut
zu machen. Diese ist die innerste der Augenhäute und setzt sich zusammen aus den Fasern des Sehnervs, aus
eigentümlichen Anhangsgebilden dieser Fasern und endlich aus einer bindegewebigen Stützsubstanz, in welche die eigentlichen
nervösen Elemente eingelagert sind. Der feinere Bau der Netzhaut ist äußerst verwickelt; es sei deshalb hier nur kurz erwähnt,
daß man auf einem zur Flächenausbreitung der Netzhaut senkrechten Schnitt zehn verschiedene Schichten deutlich unterscheiden
kann, wie bei
[* ]
Fig. 3 (vom Innern des Augapfels nach außen) angegeben.
Die ganzen Schichten kann man als ein schwammartig durchlöchertes Bindegewebe auffassen, in dessen Lücken die eigentlichen
nervösen Elemente eingelagert sind. In der Faserschicht, Ganglienzellenschicht und den beiden Körnerschichten sind die Lücken
verhältnismäßig groß, und hier dominiert daher das Nervengewebe. In den beiden Körnchenschichten herrscht
die Bindesubstanz vor. Die beiden Begrenzungsschichten bestehen ganz aus Stützsubstanz; die äußere ist zum Zweck des Durchtritts
der nervösen Elemente filigranartig durchbrochen. Die Stäbchen und Zapfen sind ausschließlich nervöse Elemente, und die
Pigmentschicht ist gewissermaßen als eine Umhüllungsschicht derselben aufzufassen. Sie bildet ein regelmäßiges Mosaik
von platten, sechseckigen Zellen, welche pigmenthaltige Fortsätze zwischen die Stäbchen und Zapfen aussenden.
Die Verbindung zwischen den am weitesten nach außen gelegenen Stäbchen und Zapfen und den dem Innenraum des Augapfels fast
unmittelbar anliegenden Fasern des Sehnervs (nur die innere Begrenzungsschicht bildet eine schwache Scheidewand) erfolgt derartig,
daß die Fasern dieses Nervs sich an die Ganglienzellen begeben. Diese Zellen, die sich im
Schichten in der Netzhaut des Menschen. Reihenfolge der Schichten (von innen nach außen): 1 Innere Begrenzungsschicht, 2 Nervenfaserschicht, 3 Ganglienzellenschicht, 4 innere
Körnchenschicht, 5 innere Körnerschicht, 6 äußere Körnchenschicht, 7 äußere Körnerschicht, 8 äußere Begrenzungsschicht, 9 Schicht
der Stäbchen und Zapfen, 10 Pigmentschicht.]
mehr
Bau kaum von den gewöhnlichen Ganglien- oder Nervenzellen unterscheiden, senden mehrere Ausläufer aus, die nach außen dringen
und sich in äußerst feine Fädchen teilen, welche an die innere Körnchenschicht treten und sich innerhalb derselben verlieren.
Die Fäden stehen wohl unzweifelhaft im Zusammenhang mit der inneren Körnerschicht. In dieser findet man
nämlich zahlreiche größere Körner, die in ihrem Verhalten an kleine Nervenzellen erinnern, und von denen jedes Korn zwei
Ausläufer besitzt, deren einer nach innen, der andre nach außen gerichtet ist.
Der erste Ausläufer dürfte im Zusammenhang stehen mit den Fädchen der innern Körnerschicht, während der andre in Fädchen
der äußern Körnchenschicht übergeht, die sich, wie die jetzt folgende äußere Körnerschicht, wesentlich
wie die entsprechende innere Schicht verhält. Jedes Korn der äußern Körnerschicht steht nun mittels eines nach außen gerichteten
Ausläufers mit einem Stäbchen oder Zapfen der jetzt folgenden Schicht in Verbindung. Die Schicht der Stäbchen und Zapfen setzt
sich aus dicht gedrängten nervösen Elementen von zweifacher Art zusammen: die einen sind kürzer und
dicker (Zapfen), die andern länger und schmäler (Stäbchen). Im übrigen sind beide wohl schwerlich wesentlich verschiedene
Elemente. Die Stäbchen und Zapfen stellen die letzten nervösen Anhangsgebilde dar und sind als die Angriffsstellen des Lichtreizes
zu betrachten; hier bewirken die Ätheroszillationen eigentümliche Veränderungen, welche die Fasern
des Sehnervs, die selbst für Licht völlig unempfindlich sind, erregen und zu Gesichtsempfindungen führen.
Fragen wir uns, welche Elemente der Netzhaut durch Licht reizbar sind. Jedes Sehobjekt, jeden Gegenstand kann man als eine Mosaik
vieler leuchtender Punkte auffassen. Deshalb muß auch die Netzhautschicht, in welcher die Nervenreizung
erfolgt, einen mosaikartigen Bau besitzen; ein solcher kommt aber nur der Schicht der Stäbchen und Zapfen zu. Auch schon der
Umstand, daß diese Schicht am äußersten Ende der oben beschriebenen Verkettung von nervösen Elementen gelegen ist, weist
auf sie als die reizbaren Elemente hin.
Die Sehnervenfasern selbst und die Schichten der Ganglien und Körnchen sind als Angriffsstellen des Lichtreizes
schon deshalb ungeeignet, weil Nervenfasern sowohl als Ganglien und Körnchen in mehreren Lagen übereinander liegen und daher
der Lichtstrahl meist mehrere Elemente gleichzeitig reizen würde. Man kann aber auch direkt nachweisen, daß die Fasern des
Sehnervs selbst durch Licht nicht reizbar sind. Die ziemlich große Eintrittsstelle des Sehnervs enthält
nämlich gar nichts andres von nervösen Elementen als Nervenfasern.
Läßt man nun auf diese Stelle das Bild eines hellen Gegenstandes fallen, so nimmt man nicht die Spur einer Lichtempfindung
wahr. Fixiert man von den beiden dunkeln Marken in der folgenden
[* ]
Fig. 4 die rechts gelegene mit dem linken
Auge (das rechte Auge wird geschlossen) aus einer Entfernung von ca. 25 cm, so wird die links befindliche unsichtbar. Ebenso verschwindet
die rechts gelegene, sobald man die links gelegene mit dem rechten Auge fixiert. Um die richtige Entfernung zu
finden, nähert man das Buch aus größerer Entfernung allmählich dem Auge.
Man sieht alsdann die Marke bei einer bestimmten Entfernung verschwinden und bei einer weitern Annäherung wieder auftauchen.
In diesem Versuch nun verschwindet die
eine Marke dann, wenn ihr Bild gerade auf die Eintrittsstelle des Sehnervs fällt; diese
Stelle bezeichnet man deshalb als den blinden Fleck. Daß beim gewöhnlichen Sehen keine der Eintrittsstelle
des Sehnervs entsprechende Lücke empfunden wird, hat darin seinen Grund, daß die Punkte, welche von der Umgebung des blinden
Fleckes wahrgenommen werden, aneinander rücken und diese Lücke ausfüllen.
Durch äußerst starke Reizbarkeit zeichnet sich eine andre Stelle der Netzhaut, der sogen. gelbe Fleck,
aus; sie enthält keine Spur von Optikusfasern, wohl aber enthält sie eine mächtige Ganglienschicht und ist ganz außerordentlich
reich an Zapfen, nervösen Elementen, die an allen andern Stellen der Netzhaut nur vereinzelt auftreten. Auch durch Prüfung des
Ortssinnes der Netzhaut (s. unten) hat man die Anschauung begründet, daß die Stäbchen und Zapfen die reizbaren
Elemente der Netzhaut sind.
Man nimmt heute allgemein an, daß chemische Vorgänge in der Netzhaut von höchster Wichtigkeit für den Sehakt sind, ja
daß ohne sie ein Sehen überhaupt nicht möglich ist. Um chemische Prozesse zu erzeugen, muß das Licht
absorbiert, muß es durch chemische Arbeitsleistung verbraucht werden. Die Ätherbewegung wird in der Netzhaut in molekulare
Bewegung umgewandelt. Nimmt man nun an, daß die wirksamen Endorgane des Sehnervs, also die Stäbchen und Zapfen, von lichtempfindlichen
Substanzen umgeben sind, so kann man sich vorstellen, wie das auf diese Substanzen fallende Licht chemische
Körper in Freiheit zu setzen vermag, die dann als Reize auf die Nervenendigungen wirken und so zu Gesichtsempfindungen führen.
Die Neuzeit konnte chemische Prozesse in unmittelbarster Nähe der Stäbchen direkt nachweisen. Die Außenglieder der Stäbchen
der meisten Wirbeltiere (Hühner und Tauben bilden Ausnahmen) sind mit einem eigentümlichen roten Farbstoff,
dem sogen. Sehrot oder Sehpurpur (s. d.), überzogen. Dieser Farbstoff wird unter der Einwirkung des Lichts zerstört, und man
konnte durch partielle Belichtung der Netzhaut photographische Bilder, sogen. Optogramme, erhalten.
Aber nicht allein destruktive, sondern auch regenerative Vorgänge werden in der Netzhaut beobachtet. Denn die beim Sehen gebleichten
Stäbchen sind des Purpurs nur vorübergehend beraubt und nehmen nach kurzem Aufenthalt im Dunkeln bald
wieder ihre alte Färbung an. Bemerkt sei noch, daß auch elektrische Ströme in der Netzhaut nachgewiesen sind, und daß im
Verhalten dieser eine Änderung eintritt, sobald das Auge durch Licht gereizt wird. Diese Retinaströme sind, wie Holmgreen
^[richtig: Holmgren = Frithjof Holmgren (1831-1897)] nachwies, nicht an die Gegenwart des Sehpurpurs geknüpft.
Ist nun auch Licht der adäquate Reiz für die Netzhaut, so wird doch der Sehnerv mit seinen Ausbreitungen auch durch allgemeine
mechanische oder elektrische Reize in Erregung versetzt (vgl. Reiz). So z. B. erfüllt ein Stoß auf das
Auge das Gesichtsfeld mit einem intensiven Lichtblitz. Ferner blitzt das Gesichtsfeld hell auf, sobald man einen schwachen
elektrischen Strom, der Zweige durch das Auge sendet, schließt oder öffnet.
Durch Einwirkung des Lichtreizes auf die Netzhaut entstehen Lichtempfindungen. Da nun die Trägheit eine allgemeine Eigenschaft
der Materie ist, so kann es nicht überraschen, daß eine gewisse Zeit verstreicht, bevor auf Einwirkung
des Reizes die Netzhaut in
einen merklichen Erregungszustand geraten ist, und daß anderseits die Erregung den Reiz kurze Zeit überdauert. Es erscheint
eine glühende Kohle als Feuerkreis, sobald sie mit einer gewissen Geschwindigkeit im Kreis gedreht wird. Nach jedem Gesichtseindruck
bleibt also der gesehene Gegenstand noch kurze Zeit sichtbar, es bildet sich ein sogen. Nachbild. War
der Lichteindruck stark, so kann die Erregbarkeit der Netzhaut durch Ermüdung derartig abnehmen, daß eine dunkle Stelle von der
Gestalt des gesehenen Gegenstandes als Nachbild erscheint (negatives Nachbild). Zuweilen wechseln positive mit negativen Nachbildern
im schnellen Wechsel ab, wie das z. B. der Fall ist, wenn man die Augen etwa eine halbe Minute hindurch scharf
auf den kleinen weißen Fleck in der Mitte der
[* ]
Fig. 5 richtet und nunmehr kurze Zeit hindurch ruhig auf eine weiße
Fläche sieht. Farbige Nachbilder, s. unten.
Die wahrgenommenen Gegenstände besitzen alle eine gewisse Farbe, welche von dem Licht herrührt, welches sie durchlassen oder
reflektieren. Das gewöhnliche Sonnenlicht läßt sich mit Hilfe eines Prismas in ein Farbenband zerlegen,
welches als Hauptfarben Rot, Orange, Gelb, Grün, Blau, Indigblau und Violett zeigt, aus denen sich alle überhaupt vorkommenden
Farben durch bloße Mischung herstellen lassen. Durch Mischung mehrerer Spektralfarben kommt man zu folgenden Ergebnissen:
1) Mehrere Farbenpaare liefern, in einem bestimmten Verhältnis gemischt, Weiß. Solche Paare nennt man
komplementäre Farben. Es sind das:
Rot und Grünlichblau,
Gelb und Indigblau,
Orange und Cyanblau,
Grünlichgelb und Violett.
2) Reines Grün besitzt keine Komplementärfarbe. Um aus Grün Weiß zu erhalten, muß es mit zwei Farben, mit Rot und Violett,
gemischt werden. Rot, Grün und Violett, die einzigen drei reinen Farbenqualitäten, welche zusammen Weiß geben, bezeichnet
man als Grundfarben, und es lassen sich alle übrigen Farbenqualitäten aus Mischungen dieser Grundfarben herstellen.
3) Durch Mischung der äußersten Farben des Spektrums, also des Rots und des Violetts, entsteht eine diesem selbst
fehlende Farbe, der Purpur.
4) Alle Mischfarben des Spektrums lassen sich durch Vermischung zweier Farben desselben hervorrufen. Alle Farben lassen sich somit
auf drei Grundfarben zurückführen, ein Umstand, der für die Beantwortung der Frage, wie es komme, daß die Netzhaut so verschiedenartiger
Erregung fähig ist, von großer Bedeutung ist. Alle Erscheinungen der Farbenempfindung werden nämlich
verständlich, sobald man annimmt, daß in jedem Punkte der Netzhaut so viel verschiedene farbenempfindende Nervenfasern enden,
wie Grundfarben existieren, und daß jede dieser Nervenfasern
nur durch eine ganz bestimmte Grundfarbe erregt werden kann.
Man lehrt deshalb, es gebe drei verschiedene farbenperzipierende Elemente, nämlich ein rot empfindendes,
ein grün empfindendes und ein violett empfindendes, und jede Netzhautstelle enthalte ein Multiplum von Nervenendigungen,
deren jede durch eine bestimmte Grundfarbe allein oder doch hauptsächlich erregt werde, daß es somit nur drei Grundempfindungen
gebe (Young-Helmholtzsche Farbentheorie). Helmholtz hat die Wirkung der Spektralfarben auf die Netzhaut in untenstehender
[* ]
Fig. 6 wiedergegeben.
Die Horizontale bedeutet das Spektrum. Über derselben erheben sich drei Kurven, von denen jede eine Grundfarbe repräsentiert.
Legt man von der Horizontalen senkrechte Linien durch die Kurven, so erkennt man an den Abschnitten, in welche diese Linien zerfallen,
wie stark jedes der drei Nervenelemente bei Einwirkung einer bestimmten Spektralfarbe auf die Netzhaut
erregt wird.
Hering hat eine auf den subjektiven Empfindungen fußende Farbenhypothese aufgestellt. Auf den Unbefangenen machen nach Hering
vier Farben den Eindruck des Einfachen, nämlich: Rot, Grün, Gelb und Blau; ferner erzeugen sowohl Weiß als Schwarz Empfindungen
von durchaus einfachem Charakter. Die zusammengesetzten Farben können aus den genannten Grundfarben hervorgehen;
es lassen sich aus keiner zusammengesetzten Farbe mehr als zwei Grundfarben heraus empfinden.
Beim Sehen erfährt die Sehsubstanz eine chemische Umwandlung, dem entsprechend muß es sich um eine Zerstörung (Dissimilierung)
und eine Erneuerung (Assimilierung) derselben handeln. Die sechs genannten Grundempfindungen ordnen sich zu den drei Paaren:
Weiß und Schwarz, Grün und Rot, Gelb und Blau. Jedem der Paare entspricht eine besondere Sehsubstanz, die
als schwarz-weiße, grün-rote und gelb-blaue Sehsubstanz bezeichnet werden kann. In der schwarz-weißen Substanz entspricht
der Dissimilierung das Weiß, der Assimilierung das Schwarz. Verlaufen beide Prozesse gleichzeitig, so treten je nach der Intensität
derselben die Übergänge zwischen reinem Weiß und reinem Schwarz, d. h. die verschiedenen Stufen des Graus,
hervor. Für die zwei andern Substanzen läßt Hering es noch unentschieden, welche Empfindung der Dissimilierung, welche der
Assimilierung entspricht.
Bei längerer Betrachtung eines farbigen Objekts verliert die Farbe desselben allmählich ihre ursprüngliche Lebhaftigkeit.
Richtet man dann das Auge auf eine weiße oder schwarze Fläche, so erscheint das Nachbild des Objekts in der
zugehörigen Komplementärfarbe. So z. B. erscheint das Nachbild eines roten Gegenstandes grünlichblau. Das erklärt sich
sehr leicht mit Hilfe der Young-Helmholtzschen Theorie; durch
[* ]
^[Abb.: Fig. 6. Wirkung der Spektralfarben auf die Netzhaut.]
mehr
fortgesetztes Betrachten von Rot ermüden die rot empfindenden Fasern, während der Erregungszustand der grün und violett
empfindenden Fasern andauert und als Blaugrün zum Bewußtsein kommt.
Gesichtswahrnehmungen.
Die Gesichtsempfindungen dienen in Verbindung mit dem Muskelgefühl und dem Tastsinn zu Vorstellungen von der Existenz, Form u.
Lage äußerer Objekte (Gesichtswahrnehmungen). Alle durch Erregungen der Netzhaut hervorgerufenen Empfindungen
werden von uns in den äußern Raum versetzt. Die Richtung eines fixierten Punktes verlegen wir in die verlängerte Sehlinie,
die Richtung aller übrigen indirekt gesehenen Punkte in ihre Richtungslinien. Von der Lage aller dieser Linien sind wir genau
unterrichtet, sofern wir ein deutliches Gefühl unsrer jeweiligen Augenstellung haben, und dieses Gefühl
ist die Resultante aus den Gemeingefühlen der Muskeln des Augapfels. Wir beziehen also jeden Netzhauteindruck auf eine bestimmte
Stelle im Raum, wobei wir die Breite und Höhe der Objekte viel schärfer und richtiger zu beurteilen pflegen als ihre Tiefenverhältnisse.
Wenn wir nun zufällig die Stellung unsrer Augen oder unsers Körpers überhaupt falsch auffassen, so gelangen
wir auch zu einer falschen Auffassung über die Richtung der gesehenen Objekte.
Eine Gesichtswahrnehmung muß sich aus folgenden Akten zusammensetzen:
1) Entstehung des Bildes in der Netzhaut;
2) Erregung der Nervenendapparate durch die Ätheroszillation;
3) psychischer Prozeß im Zentralnervensystem als Folge dieser Erregung. Da unsre Vorstellungen von äußern
Gegenständen auf der Deutlichkeit der Empfindungen beruhen, so sollte man meinen, daß die Vorstellungen dem Netzhautbild
genau entsprechen müßten. Hiervon gibt es indessen zahlreiche Ausnahmen. So erscheint z. B.
ein weißer Gegenstand auf dunklem Grund größer als ein gleich großer dunkler Gegenstand auf hellem
Grund, was auf Irradiation (s. S. 236) zurückzuführen ist.
Wir erfuhren oben, daß die Eintrittsstelle des Sehnervs für Licht völlig unempfindlich ist; dennoch nehmen wir keine dem
blinden Fleck entsprechende Lücke im Gesichtsfeld wahr, sondern es rücken die Punkte, welche von der Umgebung wahrgenommen
werden, aneinander und füllen die Lücke aus. Auch die Kontrastwirkungen sind auf Verschiebung unsers
Urteils zurückzuführen. Legt man ein kleines Stück graues Papier auf einen Bogen grünes Papier und bedeckt beide mit dünnem
Seidenpapier, so erscheint das Grau in der Komplementärfarbe des Grüns, nämlich in Rosenrot.
Stellt man einen Bleistift senkrecht auf ein weißes Blatt und läßt von der einen Seite Sonnen-, von der
andern Kerzenlicht einwirken, so entstehen zwei Schatten, der eine durch das weiße Sonnen-, der andre durch das gelbe Kerzenlicht
hervorgerufen. Der von der Sonne geworfene Schatten wird durch das gelbe Kerzenlicht beleuchtet und erscheint gelb, der von der
Kerze geworfene Schatten wird durch das weiße Sonnenlicht beleuchtet, erscheint aber nicht weiß, sondern
blau, er hat durch Kontrastwirkung die komplementäre Farbe des Kerzenlichts angenommen.
Einfachsehen. Obwohl wir zwei Augen besitzen und auf jeder Netzhaut ein Bild des gesehenen Gegenstandes entworfen wird, sehen
wir in der Regel die Objekte nicht doppelt, sondern einfach. Aber sobald wir eins der Augen durch Schielen
oder durch Druck aus seiner normalen Stellung bringen, verdoppelt sich das Bild, und wir erblicken nunmehr zwei Objekte, trotzdem
nur eins existiert. Die Ursache des Einfachsehens mit beiden Augen liegt darin, daß das
Bild auf bestimmte zusammengehörige
Teile einer jeden Netzhaut fällt, und daß unser Bewußtsein gelernt hat, die Empfindungen beider zu einer
Vorstellung zu verschmelzen.
Solche Punkte der beiden Netzhäute, deren gleichzeitige Erregung zu einer Vorstellung führt, nennt man korrespondierende oder
identische Punkte. Solche identische Netzhautstellen, vermöge deren wir beim Sehen mit beiden Augen die Gegenstände einfach
sehen, sind zunächst die Mittelpunkte des gelben Fleckes, wo das schärfste Sehen stattfindet. Die Lage
der übrigen identischen Netzhautstellen bestimmt sich nach der Regel, daß sie von der Mitte der Netzhaut (dem gelben Fleck)
in gleicher Richtung gleich weit abliegen. Es wird z. B. ein Punkt der Netzhaut, welcher im rechten Auge 5 mm von
dem gelben Fleck entfernt nach innen, d. h. der Nase zu, liegt, identisch sein mit demjenigen Punkte der linken Netzhaut, welcher 5 mm
vom gelben Fleck nach außen, der Schläfe zu, liegt. Es hat sich nun die wichtige Frage erhoben, ob die Identität gewisser
Netzhautstellen angeboren und auf gewissen anatomischen Einrichtungen des Sehnervs begründet (nativistische
oder Naturanlagetheorie) oder das Resultat der Gewohnheit, Erfahrung und Erziehung sei (empiristische oder Erfahrungstheorie).
Zu gunsten der letztern Ansicht hat sich namentlich Helmholtz ausgesprochen. Derselbe sieht in der Verschmelzung zweier Netzhautreizungen
zu Einem Eindruck in unserm Bewußtsein nichts Angebornes, sondern etwas Erlerntes.
Den Inbegriff aller Punkte im Raum, welche bei einer bestimmten Augenstellung einfach gesehen werden, bezeichnet
man als den Horopter. Wegen der beschränkten Ausdehnung des Horopters können neben dem Einfallen des Sehobjekts auf identische
Punkte gleichzeitig Bilder andrer Objekte entstehen, welche nicht auf identische Punkte fallen. Es müssen deshalb neben dem
einfachen Bild auch zahlreiche Doppelbilder vorhanden sein. Diese Doppelbilder vernachlässigen wir, weil
die einfach gesehenen Objekte einen stärkern Eindruck hervorrufen als die andern und unsre psychische Thätigkeit sich hauptsächlich
den einfachen Bildern zuwendet. So bildet sich durch Gewohnheit eine Vernachlässigung der Doppelbilder aus, die schließlich
so weit geht, daß vielen Personen die Doppelbilder überhaupt unbekannt sind.
Schätzung der Größe, Entfernung und Bewegung. Was die Größenwahrnehmung anbetrifft, so beruht unser Urteil über die relative
Größe verschieden großer Objekte, welche gleich weit von dem Auge entfernt sind, teils auf dem Bewußtwerden der verschiedenen
Größe der Augenbewegungen, welche erforderlich sind, um die verschiedenen Punkte ihres Umfanges zu fixieren,
teils auf dem verschiedenen Umfang der von ihnen erregten Netzhautpartien (oder der Größe ihres Netzhautbildes), die wir
direkt als verschiedene Größen im Gesichtsfeld empfinden. Da das Gesichtsfeld für unsre Vorstellung keine bestimmte Größe
hat, so können wir die absolute Größe eines Gegenstandes nur durch Zuhilfenahme anderweitig, namentlich durch
den Tastsinn, gewonnener Erfahrungen schätzen. Zu der Wahrnehmung der Größe des Netzhautbildes muß dabei dann noch jedesmal
eine Schätzung der Entfernung hinzukommen, da wir durch Erfahrung wissen, daß mit zunehmender Entfernung der Umfang des Netzhautbildes
kleiner wird. Bei der Beurteilung der Entfernung der Objekte von unserm Auge kommen sehr verschiedenartige
Faktoren in Betracht, weshalb auch ganz gewöhnlich Täuschungen aller Art mit unterlaufen. Hauptsächlich gründet sich
unser Urteil
mehr
über die Entfernung auf die scheinbare Größe der Gegenstände, d. h. auf den Sehwinkel, unter dem sie uns erscheinen. Die
Bewegung eines Objekts beurteilen wir bei unbewegtem Auge daraus, ob dasselbe seine Stellung im Gesichtsfeld wechselt, d. h.
ob sein Netzhautbild auf der Netzhaut seine Lage verändert. Fixieren wir dagegen ein bewegtes Objekt fortgesetzt,
und folgen wir ihm mit unserm Auge, so ändert zwar das Netzhautbild seine Lage nicht, aber wir schließen aus der Größe der
von uns zum Zweck der fortgesetzten Fixation ausgeführten Bewegungen des Auges, bez. des Kopfes und des ganzen Körpers auf die
Geschwindigkeit des Objekts.
Körperliches Sehen. Da die beiden Augen eine etwas verschiedene Lage einnehmen, so betrachten wir die Außenwelt
gewissermaßen von zwei verschiedenen Standpunkten aus. Es entspricht z. B., wenn wir eine
abgestumpfte Pyramide
[* ]
(Fig. 7 A) vor uns sehen, das in das rechte Auge fallende Bild derselben der
[* ]
Figur R, das in das linke
fallende der
[* ]
Figur L. Diese verschiedenen perspektivischen Bilder werden nun in der Vorstellung zu Einem
Bild vereinigt, in welchem wir neben den zwei Dimensionen der Länge und Breite auch die dritte Dimension, die Tiefe, wahrnehmen.
Auf dieser Fähigkeit beruht das körperliche Sehen. S. hierüber auch Stereoskop.
Sehschärfe. Da sich das Bild auf der Netzhaut mosaikartig aus kleinen Punkten zusammensetzt, so ist die
Genauigkeit der Wahrnehmung von der Fähigkeit abhängig, sehr nahe bei einander liegende Punkte voneinander zu unterscheiden.
Nun steht es fest, daß wir die Eindrücke von zwei nebeneinander liegenden Elementen der Netzhaut nicht zu unterscheiden vermögen,
daß diese vielmehr zu Einer Wahrnehmung verschmelzen. Sollen deshalb zwei Lichtempfindungen auf räumlich
getrennte Objekte als Ursachen bezogen werden, so muß mindestens ein ruhendes Element der Netzhaut zwischen den beiden gereizten
liegen.
Experimentell konnte man feststellen, daß der Dickendurchmesser eines einzelnen Zapfens thatsächlich annähernd mit der
Sehschärfe übereinstimmt. Es beträgt nämlich dieser Durchmesser an der Stelle des deutlichsten Sehens
(am gelben Fleck) ca. 0,0025 mm, die kleinste Distanz der Netzhaut, innerhalb welcher zwei Eindrücke getrennt wahrgenommen werden,
ca. 0,003 mm. Ein einzelnes Objekt braucht natürlich nicht die ganze Breite eines Zapfens einzunehmen, um wahrgenommen zu werden,
vorausgesetzt, daß es genügende Lichtstärke besitzt.
Für das Facettenauge der Insekten und Krebse gibt es keinen Nahpunkt, d. h. keine Distanz, über welche hinaus
ein betrachteter Gegenstand dem Auge nicht genähert werden darf, wenn er noch deutlich gesehen werden soll. Je näher im
Gegenteil ein Objekt dem Arthropodenauge ist, um so deutlicher wird es gesehen; je weiter es davon entfernt
ist, um so undeutlicher wird es gesehen, und zwar nimmt die Deutlichkeit der Gesichtswahrnehmung mit dem Quadrat der Entfernung
des betrachteten Objekts, also äußerst rapid, ab. Die Vergleichung des Sehvermögens des menschlichen Auges mit dem des Facettenauges
ergibt, daß ein Gegenstand dem Facettenauge außerordentlich (ungefähr bis auf 1 mm) genähert werden
muß, um mit der nämlichen Deutlichkeit gesehen zu werden, mit der
ihn das menschliche Auge zu unterscheiden im stande ist.
Nähert man den Gegenstand dem Auge noch mehr, so wird er vom Facettenauge aber viel deutlicher erkannt, und wenn sein Abstand
vom Auge verschwindend klein wird, so kann er vom Insektenauge bis fünfmal deutlicher gesehen werden,
als wenn er vom menschlichen Auge am deutlichsten erkannt wird. Das Facettenauge ist also im höchsten Grad kurzsichtig. Setzen
wir die Deutlichkeit, mit der ein Gegenstand im Nahpunkt des menschlichen Auges gesehen wird, gleich 1, so sinkt die Deutlichkeit
der Gesichtswahrnehmung beim Facettenauge schon bis auf 1/10 herab, wenn der Gegenstand nur auf etwa ½-1
cm von ihm entfernt wird.
Das musivische Sehen des Facettenauges besteht darin, daß jede einzelne Facette nur einen bestimmten Teil des Horizonts sieht
und das Gesamtbild durch Kombination der Eindrücke sämtlicher Elementarbestandteile zu stande kommt. Die Distanz, in der
ein Gegenstand nicht mehr deutlich erkannt werden kann, schwankt bei den einzelnen Spezies zwischen 15 und 90 cm, ist also
außerordentlich klein. Im Hinblick auf diese Thatsache erscheint es unmöglich, daß die Insekten und Krebse ihre außerordentlich
entwickelte Fähigkeit der raschen Orientierung im Raum dem Unterscheidungsvermögen der Facettenaugen verdanken.
Fick (Dioptrik und Lichtempfindungen), Kühne (Chemische Vorgänge
in der Netzhaut), Hering (Der Raumsinn und die Bewegungen des Auges) in Hermanns »Handbuch der Physiologie«, Bd. 3 (Leipz.
1879).
[* 1] in andrer Bedeutung (Mehrzahl: Gesichte) s. v. w. Vision (s. d.), eine Erscheinung, die man nicht in der Wirklichkeit
als etwas außer uns Seiendes schaut, sondern nur infolge erregter Einbildungskraft zu sehen vermeint.
Vgl. Zweites Gesicht.