Gesetz
(lat. Lex, franz. Loi, engl. Law), der allgemeine Grund, aus welchem etwas mit Notwendigkeit ist oder sein soll. Die Gesetze beziehen sich teils auf die Natur (Naturgesetze), teils auf die menschliche Vernunft, und die letztern wiederum gelten teils für unsre Erkenntnis, teils für das Gefühl, teils für unsern Willen. Vermöge jener, der Gesetze der theoretischen Vernunft, müssen wir in einer gewissen Weise erkennen, und man spricht je nach der dabei thätigen Erkenntniskraft von Gesetzen der Vorstellung, von mathematischen, logischen, metaphysischen, ästhetischen Gesetzen.
Nach den Gesetzen der praktischen Vernunft soll sich unser Wollen und Handeln richten. Von den letztern wenden sich die einen, die Sittengesetze, Gesetze der Ethik, Moral, an unsre Gesinnung, insofern sie uns nicht sowohl vorschreiben, was wir thun, als wie wir wollen, wie wir gesinnt sein sollen. Andre Gesetze beziehen sich auf das Verhältnis der Menschen zu einander und zur Natur; einesteils beruht auf ihnen die Art und Weise, in welcher der mannigfache Verkehr, durch Sprache, Schrift, Gütertausch etc., und die Entwickelung der Menschen in der Geschichte vor sich gehen; andernteils enthalten sie die Gebote der Zweckmäßigkeit, welche uns auffordern, zur Erreichung unsers Zweckes in einer gewissen Weise (sei es bei der Benutzung der Natur, sei es im Verkehr mit den Menschen) zu handeln.
Hierher gehören die Gesetze der Sprache, der Nationalökonomie, der Gesellschaftslehre, der Staatslehre und Politik, die für die verschiedenen Künste aufgestellten Gesetze etc. Das Rechtsgesetz endlich besteht in gegebenen Satzungen der Völker, welche die menschlichen Lebensverhältnisse in erzwingbarer Weise normieren. Jene verschiedenen Gesetze bringen zum Teil eine unabänderliche Notwendigkeit, ein Müssen, mit sich; dahin gehören die Gesetze der Natur, und auch das Wirken des Geistes ist teilweise solchen unterworfen.
Zum Teil steht aber das letztere nur unter dem Gesetz des Sollens, die gesetzliche Notwendigkeit tritt als Gebot an unsern Willen heran, welchem zuwiderzuhandeln nicht außerhalb der Möglichkeit liegt; diese Gesetze kann man, namentlich im Gegensatz zu dem unabänderlichen Naturgesetz, Freiheitsgesetze nennen. Zu diesen gehören außer dem Sittengesetz auch die Zweckmäßigkeitsgesetze und die Rechtsgesetze. Das erstere schließt jeden äußern Zwang aus, da die gute Gesinnung zu erzwingen eine Unmöglichkeit ist; bei den zweiten wirkt als Zwang der Trieb, den Zweck zu erreichen. Zu dem dritten, dem Rechtsgesetz, endlich kann ein äußerer Zwang geschaffen werden, und ein solcher ist auch notwendig.
Das geordnete Zusammenleben der Menschen verlangt nämlich die Achtung der Würde und der Freiheit aller, welche nur dadurch möglich ist, daß die Freiheit eines jeden wiederum so weit beschränkt wird, als es erforderlich ist, damit die der andern daneben bestehen kann. Diese Beschränkung kann nicht dem Willen des Einzelnen überlassen bleiben, es muß vielmehr nötigen Falls ein Zwang eintreten. Diesen zu üben, ist die erste und hauptsächlichste Aufgabe des Staats.
Man versteht unter Gesetz im allgemeinen jede Rechtsquelle, welche für die staatliche Gemeinschaft Geltung beanspruchen kann. Im engern und eigentlichen Sinn aber bezeichnet man mit Gesetz das geschriebene Recht im Gegensatz zum Gewohnheitsrecht (s. d.). Gesetze sind die positiven Vorschriften der staatlichen Autorität für Thun und Lassen des Einzelnen. Ihre Erzwingbarkeit ist das unterscheidende Moment gegenüber den Gesetzen der Moral und den Grundsätzen des philosophischen Rechts (s. d.).
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Die positiven Gesetze oder Gesetze schlechthin pflegen im Anfang der Rechtsentwickelung in gebietender Form ausgesprochen zu werden, wie die Gebote des mosaischen Gesetzes. Später tritt an deren Stelle die Aufstellung von Rechtssätzen; in der Sache selbst bleiben aber die Gesetze immer Vorschriften für das Handeln, die teils durch unmittelbaren Zwang, teils aber dadurch, daß an die Übertretung Folgen geknüpft sind, welche deren Wirkung wieder ausgleichen, zur Geltung gebracht werden.
Diese Folgen sind zum Teil ausdrücklich angegeben (lex perfecta); wenn dies aber nicht geschehen ist, so versteht es sich von selbst, daß die zuwiderlaufende Handlung im Rechtssinn nichtig, d. h. ohne die dem Gesetz entgegenstehende Rechtswirksamkeit ist, die damit beabsichtigt war. Während aber manche Gesetze unabweisliche Befolgung verlangen, gestatten andre den Beteiligten, ihre Rechtsverhältnisse in einer abweichenden Weise zu ordnen, oder stellen überhaupt nur für den Fall Vorschriften auf, daß die Beteiligten selbst Anordnung zu treffen unterlassen haben (sogen. Dispositivgesetze, von denen manche die letztern als hypothetische unterscheiden wollen), z. B. eine Erbfolgeordnung für den Fall, daß der Erblasser über den Nachlaß nicht verfügt haben sollte.
Die Gesetze können sich entweder mit den öffentlichen Verhältnissen oder mit denen der Privaten (Zivilgesetze) beschäftigen und in jenem Fall entweder die Kirche (Kirchengesetze) oder den Staat betreffen. Die letztern beziehen sich teils auf die Art und die Bildung der Staatsgewalt und auf die dieser und den Staatsbürgern gegeneinander im allgemeinen zustehenden Rechte (Staatsgrundgesetze, Verfassungsgesetze, deren Erlaß und Aufhebung wegen ihrer Wichtigkeit oft an besondere Erfordernisse geknüpft ist), teils auf die verschiedenartige Thätigkeit der erstern (Verwaltungs-, Polizeigesetze), auf die hierzu erforderlichen Behörden (Organisationsgesetze) und auf die von den Bürgern deshalb aufzubringenden Mittel (Finanz-, Militärgesetze).
Unter den Zivilgesetzen kann man gleichfalls nach ihren Gegenständen Unterschiede machen, z. B. Hypotheken-, Aktiengesetze u. dgl. Auf der Grenze zwischen den öffentlichen und den Zivilgesetzen liegen die Strafgesetze, in welchen der Staat zum Schutz seiner selbst und der Privaten gewisse Handlungen mit besondern Nachteilen zu belegen droht, und die Prozeßgesetze, in welchen er anordnet, wie seine Rechtshilfe anzugehen und zu gewähren sei. Völkerrechtliche Verhältnisse werden in Form von Staatsverträgen erledigt, die aber ebenfalls Gesetzeskraft erlangen und ebendarum vielfach zu ihrer Gültigkeit der Zustimmung der Stände bedürfen.
Nach dem Inhalt sind allgemeine Gesetze (leges générales), welche allgemeine Regeln für alle Fälle überhaupt oder doch für die eines gewissen Rechtsteils aufstellen, von den speziellen (l. speciales) zu unterscheiden, welche nähere Bestimmungen für bestimmte Personen (z. B. Ermächtigung, die Zwangsabtretung zu verlangen, Papiere auf den Inhaber auszugeben) oder für bestimmte Sachen enthalten, eine insofern nicht unwichtige Unterscheidung, als gelehrt wird, daß mit der Aufhebung des generellen Gesetzes nicht auch die des speziellen erfolge.
Nach Art der Vorschrift kann man gemeine (l. communes) und besondere Gesetze (l. singulares) unterscheiden, je nachdem die darin aufgestellten Regeln mit den allgemeinen Rechtsgrundsätzen übereinstimmen oder besonderer Rücksichten halber von denselben abweichen, wie z. B. die Steuerfreiheit neuerbauter Häuser zur Beförderung des Baues, die Gesetze über die Formen der Verbürgung der Frauen wegen der angenommenen Leichtgläubigkeit derselben eingeführt sind.
Ausnahmegesetze nennt man insbesondere solche, die zur Unterdrückung von politischen Bewegungen bestimmt sind, z. B. das deutsche Sozialistengesetz. Je nachdem ein Gesetz einen einzelnen Gegenstand behandelt oder ein ganzes Rechtsgebiet in umfassender Weise ordnet, spricht man von Einzelgesetzen und von Gesetzbüchern, z. B. Straf-, Handelsgesetzbuch, Strafprozeß-, Zivilprozeß-, Wechselordnung etc. Die Gültigkeit des Gesetzes beschränkt sich auf das Gebiet des Staats, von dem es erlassen wurde, oder auch nur auf einzelne Teile desselben, daher man dem Landesrecht die Provinzial-, Stadtgesetze etc. als partikuläre Gesetze entgegenstellt, womit aber auch im Gegensatz zum gemeinen Rechte, dem man Gültigkeit für ganz Deutschland beimißt, und zur Reichsgesetzgebung (s. d.) die Gesetze der einzelnen deutschen Staaten bezeichnet werden. Das Gesetz ergreift, insofern nicht etwa die Exterritorialität (s. d.) oder ein Ausnahmegesetz (Privilegien) eine Ausnahme begründet, alle in seinem Geltungsgebiet befindlichen Personen und vorkommenden Handlungen. Wenn solche Personen und Handlungen in dem Geltungsgebiet eines andern Gesetzes zur richterlichen Beurteilung kommen, so entsteht die Frage, welches Gesetz anzuwenden sei (s. Kollision der Gesetze).
Seinem Ursprung nach kann man von dem einheimischen Gesetz die rezipierten, einem fremden Volk entlehnten, unterscheiden. Die Entstehung eines Gesetzes erfordert die verfassungsmäßige Beschlußfassung der dazu berufenen Personen und die Publikation. Das Gesetzgebungsrecht ist ein Ausfluß der Staatsgewalt, welches in konstitutionellen Staaten nicht durch die Regierung allein, sondern von dieser unter Mitwirkung der Volksvertretung ausgeübt wird. Ohne deren Zustimmung kann der Regent nur Verordnungen zu Ausführung der Gesetze, also Anordnungen von beschränkterer Bedeutung erlassen.
Die Publikation erfolgt heutzutage in gedruckten Gesetzsammlungen, und das Vorgeben, man habe die Bestimmungen eines Gesetzes nicht gekannt, schützt in der Regel nicht gegen die Folgen der Nichtbeachtung, da es Pflicht eines jeden Staatsbürgers ist, sich um das Dasein der Gesetze und ihre Bestimmungen zu bekümmern. Oft wird jedoch in dem Gesetz selbst festgesetzt, daß es erst mit einem spätern Zeitpunkt als dem der Publikation in Kraft treten solle (vacatio legis), und es werden dann häufig besondere gesetzliche Bestimmungen für den Zeitraum zwischen der Publikation und dem Tag, mit welchem das neue in Kraft treten soll, gegeben.
Solche sowie diejenigen gesetzlichen Bestimmungen, welche ein neues Gesetz für Fälle gibt, die sich noch unter der Herrschaft des alten Gesetzes zugetragen haben, aber bei Publikation des neuen Gesetzes noch nicht entschieden sind, nennt man transitorische Gesetze. Für den Fall, daß in dem Gesetz selbst ein besonderer Anfangstermin für seine rechtsverbindliche Kraft nicht bezeichnet ist, beginnt die letztere gewöhnlich mit einem bestimmten Tag nach dem Ablauf desjenigen Tags, an welchem das betreffende Stück der Gesetzsammlung ausgegeben wurde. Für die deutschen Reichsgesetze z. B. ist dies der 14. Tag nach der Ausgabe in Berlin. Übrigens ist es ein aus der Natur der Sache folgender, von der Wirksamkeit des Gesetzes und dem Vertrauen auf dasselbe geforderter Satz, daß die Gesetze keine rückwirkende Kraft haben, d. h. nur auf Fälle, welche sich nach dem Zeitpunkt, mit dem sie in Kraft treten,
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zugetragen haben, nicht auch auf frühere, weder der Form noch der Folge nach, angewendet werden können. Nur ausnahmsweise hat ein Gesetz dann rückwirkende Kraft, wenn es bloß eine authentische Auslegung eines frühern Gesetzes enthält, obwohl dieses eigentlich keine wahre Ausnahme ist, oder wenn rückwirkende Kraft ausdrücklich oder sonst unzweifelhaft geboten ist. Letzteres ist der Fall bei Gesetzen, welche das Dasein oder die Natur einer gewissen Art von Rechtsverhältnissen normieren, z. B. Aufhebung von Zehnten, Leibeigenschaft, Lehen, Familienfideikommissen.
Ohne Rückwirkung würden solche Gesetze meistens gar nicht zur Anwendung gelangen können, die Rückwirkung wird aber häufig durch Entschädigung (Ablösung) gemildert. Es erstreckt sich dann, wenn das Gesetz selbst keine Grenze bezeichnet, die rückwirkende Kraft auf alle durch Zahlung, Vergleich oder richterliche Entscheidung noch nicht erledigten Sachen. Die Wirksamkeit und Gültigkeit eines Gesetzes dauert fort, bis es entweder selbst oder in seiner Anwendung wieder aufgehoben wird.
Die Aufhebung der Gesetze erfolgt entweder mit dem Ablauf der Zeit, für welche, oder mit dem Eintritt der Resolutivbedingung, unter welcher das Gesetz gegeben worden war, oder durch ein neues Gesetz, welches das bisherige entweder geradezu und ausdrücklich wieder aufhebt, oder eine demselben entgegenstehende Vorschrift erteilt, oder durch Gewohnheit. In seiner Anwendung fällt ein Gesetz dann weg, wenn sein Gegenstand nicht mehr vorkommt. Doch ist mit dem Wegfallen des Gegenstandes eine analoge Anwendung des Gesetzes auf ähnliche Fälle nicht ausgeschlossen, sowenig als die Anwendbarkeit eines Gesetzes dann schon von selbst wegfällt, wenn der zur Erlassung desselben vorhanden gewesene Grund nicht mehr vorliegt.