Gesellscha
ftswissenschaft,
s. Gesellschaft.
Gesellschaftswissenschaft
3 Wörter, 44 Zeichen
Gesellschaftswissenschaft,
s. Gesellschaft.
Gesellschaft
(Societät, lat. Societas), die Vereinigung mehrerer Personen zur Erreichung eines gemeinsamen Zweckes. Der
Zweck der Gesellschaft
kann auf gemeinsamen Vermögenserwerb oder auf sonstige Güter gerichtet sein. Die Rechte und
Pflichten der Gesellscha
ftsmitglieder (Gesellschafter, Societäre, Socii) sowie die Zwecke werden durch ein Statut (Gesellschaftsvertrag)
bestimmt. Das Gesellscha
ftsmitglied (socius) hat gewöhnlich einen Beitrag zu geben, die zugesagten Dienste
[* 3] zu leisten, über
die Geschäfte für die Gesellschaft
Rechenschaft abzulegen.
Ein Rechtsverhältnis in der Gesellschaft
entsteht überall nur dann, wenn zum Zweck der Gesellschaft
vermögensrechtliche
Verbindlichkeiten eingegangen werden. Die Gesellschaft
kann entweder das ganze gegenwärtige und zukünftige Vermögen ihrer Mitglieder
umfassen (societas omnium bonorum) oder auch nur einzelne bestimmte Teile desselben (societas particularis). Die Anteile an den
Beiträgen sowohl als überhaupt am Gewinn und Verlust der Gesellschaft
können für die einzelnen Mitglieder auf
verschiedentliche Weise festgestellt werden.
Wenn nicht besondere Vereinbarungen vorliegen, wird Gleichheit als die Absicht angenommen. Eine Löwengesellschaft (societas leonina),
so genannt nach der bekannten Fabel Äsops, bei welcher der ganze Gewinn Einem Gesellschafter
ausschließlich zufallen soll,
wird als Schenkung angesehen. Zur Geltendmachung seiner Rechte aus dem Gesellschaftsvertrag steht jedem
Gesellschafter
gegen den andern eine besondere Klage (actio pro socio) zu. Die Gesellschaft
wird nach römischem Recht aufgelöst durch
den Tod eines Socius, durch dessen Konkurs oder Vermögenskonfiskation, durch Erreichung eines vorher bestimmten Endtermins,
durch Untergang der gemeinsamen Sache, durch Erreichung des Societätszwecks, durch freiwillige Aufhebung
des Vertrags seitens der Kontrahenten oder durch einseitigen Rücktritt eines solchen, welcher jedoch, wenn er unzeitig und
ohne die ausbedungene Kündigung geschah, zum Schadenersatz verpflichtet. Während das römische Recht bei der Gesellschaft
das persönliche
Element als das Prinzipale ansah, hat das deutsche Recht bei den Erwerbsgesellschaften die gemeinsame Kapitalmacht
als die Grundlage derselben aufgefaßt. Daher hat im modernen Rechte der Gesellschaftsvertrag wesentliche Veränderungen erfahren,
namentlich in Ansehung der Handelsgesellschaften (s. d.) und der als deutsch-rechtlich zu bezeichnenden
Genossenschaften (s. d.).
Das Wort »Gesellschaft« bezeichnet nicht nur einen Rechtsbegriff, sondern auch eine wegen ihrer wechselseitigen Lebensbeziehungen (wirtschaftlicher Verkehr, Geselligkeit, geistiger Zusammenhang, gegenseitige Förderung etc.) als ein zusammengehöriges Ganze aufgefaßte Gruppe von Menschen. In diesem Sinn kann als Gesellschaft eine besondere Klasse, deren Mitglieder unter sich ausschließlichen Verkehr pflegen, zumal auf dem Boden, auf welchem sie einander begegnen (»in die Gesellschaft einführen«, »aus der Gesellschaft ausstoßen«),
erscheinen. Dann kann als solche auch die Gruppe aufgefaßt werden, welche auf Grund ihrer ¶
staatsrechtlichen und wirtschaftlichen Stellung eine hervorragende, tonangebende, herrschende Rolle im öffentlichen Leben spielt. In diesem Sinn spricht man von einer Gesellschaft des alten Regimes, von der industriellen oder bürgerlichen Gesellschaft, welch letztere auf Grund der technisch-wirtschaftlichen Errungenschaften der neuern Zeit die erstere ablöste und an ihrer Stelle ihren Interessen im Staatsleben an erster Stelle Geltung verschaffte, während von einer Gesellschaft der untern Klassen, der Arbeiter etc. keine Rede ist.
Endlich spricht man auch von der menschlichen Gesellschaft schlechthin, indem man hierbei an die Menschheit mit allen ihren geistigen und wirtschaftlichen Interessen und Verknüpfungen denkt. Der Mensch ist auf das Zusammenleben und den Verkehr mit andern Menschen angewiesen. Erst durch die Vergesellschaftung mit ihrer arbeitsteiligen Gliederung und ihrer Vererbung von angesammelten geistigen Schätzen und materiellen Hilfsmitteln des Lebens wird eine Kulturentwickelung, werden die Begriffe Bildung, Gesittung überhaupt erst ermöglicht. (»Unus homo nullus homo«, d. h. Ein Mensch ist kein Mensch, dann nach Aristoteles: »ἄνθρωπος φύσει ζῶον πολιτικόν«, »der Mensch ist von Natur ein gesellschaftliches Wesen«.) Dieses Zusammenleben äußert sich aber nicht allein in der Staatenbildung und im Staatsleben mit seiner Rechtsentwickelung, sondern es macht sich auch in Erscheinungen bemerklich, welche über die Landesgrenzen hinausgreifen oder, wenn sie auch nur einem Land angehören, doch gar nicht oder nur indirekt vom Staat als solchem und seinen Lebensäußerungen beeinflußt werden und insofern selbständig auftreten (ein großer Teil des wirtschaftlichen Verkehrs, Entwickelung von Sitte, Sprache, [* 5] Rechtsgefühl etc.). Dieser Umstand hat dazu Veranlassung gegeben, eine Gesellschaftswissenschaft oder Sociologie als besondere Wissenschaft neben den Staatswissenschaften und der Rechtswissenschaft auszubauen.
Dieselbe will die gesellschaftlichen Lebenserscheinungen als solche in ihren wechselseitigen Zusammenhängen und in ihrer zeitlichen Entwickelung erforschen und die Gesetze ermitteln, denen dieselben unterworfen sind. In diesem Sinn ist die Gesellschaftswissenschaft sehr umfassend. Eine scharfe Grenze zwischen ihr und Psychologie auf der einen Seite läßt sich nicht ziehen, weil individuelles und gesellschaftliches Leben sich gegenseitig beeinflussen; auf der andern Seite aber ist aus dem gleichen Grund keine strenge Scheidung gegen Staats- und Rechtswissenschaften und gegen Staats- und Rechtsgeschichte möglich.
Sie wäre etwa gleichbedeutend mit einer Kulturgeschichte, welche sich nicht auf eine einfache Beschreibung äußerlicher Erscheinungen beschränkt, sondern durch Zurückgehen auf das ganze wirtschaftliche Leben und seine Veränderungen, auf Wandlungen in sittlichen Anschauungen und Begriffen, natürliche Bewegung der Bevölkerung [* 6] etc. einen ursachlichen Zusammenhang aufdecken und allgemeine Gesetzmäßigkeiten darlegen will. Die Methode der einfachen Spekulation und der aprioristischen Folgerung aus Begriffen, wie sie ältere Schriftsteller, wie Herder, insbesondere aber Hegel, einschlugen, kann hier ebensowenig zu brauchbaren Ergebnissen führen wie die Analogieschlüsse eines Schäffle, welcher das Gesellschaftsleben mit organischen Körpern und deren Lebensthätigkeit vergleicht, ein Verfahren, das keinen weitern Anspruch erheben kann als den, interessant zu sein.
Dagegen haben mit Recht A. Comte und nach ihm Herbert Spencer die Notwendigkeit hervorgehoben, die Thatsachen zu beobachten, die Ergebnisse der eignen und fremden Erfahrungen zusammenzustellen, um auf induktivem Weg zu wissenschaftlichen Erkenntnissen zu gelangen. Ist hierbei auch oft deduktiv vorzugehen, so dürfen doch die Vordersätze, von welchen man ausgeht, nur durch Induktion [* 7] (eigne oder fremde) gewonnen sein, während die Schlußfolgerungen, welche man zieht, immer erst noch mit der Wirklichkeit verglichen werden müssen, um als zutreffend betrachtet werden zu können. - In einem engern Sinn faßt L. v. Stein den Begriff Gesellschaftswissenschaft auf, indem sich dieselbe nach ihm nur mit den Zusammenhängen und Beziehungen befassen soll, welche durch die Verteilung des Besitzes hervorgerufen werden.
Doch kann man auch bei dieser Beschränkung nicht umhin, fortwährend über die gesteckten Grenzen [* 8] hinüberzugreifen, weil diese Verteilung mit dem ganzen übrigen gesellschaftlichen Leben, mit Staats- und Rechtsentwickelung innig verknüpft ist. S. auch Sociologie.
Vgl. L. v. Stein, Der Begriff der Gesellschaft (Leipz. 1850);
Derselbe, Gesellschaftslehre (Stuttg. 1856);
Treitschke, Die Gesellschaftswissenschaft, ein kritischer Versuch (Leipz. 1859);
Riehl, Die bürgerliche Gesellschaft (7. Aufl., Stuttg. 1866);
Spencer, Einleitung in das Studium der Sociologie (deutsch, Leipz. 1875);
Derselbe, Die Prinzipien der Sociologie (deutsch, Stuttg. 1877, Bd. 1);
Schäffle, Bau und Leben des sozialen Körpers (2. Aufl., Tübing. 1881, 4 Bde.);
Gumplowitz, Grundriß der Sociologie (Wien [* 9] 1885).