(lat.
Sexus), im physiologischenSinn überhaupt der
Gegensatz der Zeugungsverhältnisse,
der in letzter
Instanz ausgedrückt wird durch die Hervorbringung des weiblichen
Eies einer- und des männlichen
Samens anderseits;
im naturhistorischen
Sinn
(Genus oder Sippe, auch
Gattung [s. d.] genannt) der Inbegriff mehrerer
Arten, die wesentliche Merkmale
untereinander gemein haben und sich hinsichtlich der
Organisation zunächst stehen, z. B. Menschengeschlecht,
Pferdegeschlecht, Ahorngeschlecht; im historischen
Sinn
(Stirps) Inbegriff von Individuen, die von einem gemeinschaftlichen
Stamm entspringen. Über Geschlecht im grammatischen
Sinn s.
Genus.
Verteilung der Bevölkerung
[* 3] nach demselben. Daß in der Bevölkerung im allgemeinen das weibliche Element
überwiegt, ist, seitdem statistische Erhebungen gepflogen werden, geltende Meinung. Indes ist diese Erscheinung doch nicht
so allgemein, wie in der Regel angenommen wird. Zuerst wurden vor einigen Jahrzehnten aus der Balkanhalbinsel
[* 4] Daten bekannt,
nach denen beispielsweise Serbien
[* 5] mehr Männer als Frauen besitzen sollte. Man brachte diesen Daten damals, weil sie zu dem Bilde,
das man aus der Statistik der eignen Länder gewonnen und sofort zu einem Naturgesetz (Buckle beispielsweise
spricht von einem solchen) erweitert hatte, nicht stimmten, Mißtrauen entgegen und wies auf die Unzuverlässigkeit statistischer
Erhebungen in jenen Ländern hin.
Aber in neuerer Zeit, und nachdem die Zahlungen wiederholt worden sind, hat man bekennen müssen, daß die Bevölkerung denn
doch nicht überall ein Plus der Frauen aufzuweisen scheine. Man wurde mit der Zeit noch weiter gedrängt.
Insbesondere erschütterte die erste allgemeine Volkszählung in Indien das Vertrauen in die ursprünglichen Annahmen. Aber
doch suchte man bis in die allerjüngste Zeit immer das überkommene Bild den Ziffern zu akkommodieren. Endgültig aufgeräumt
wurde mit demselben erst durch eine Arbeit des Freiherrn A. v. Fircks: »Über die Verteilung der Bevölkerung
nach dem Geschlecht, insbesondere im preußischen Staate«, in der »Zeitschrift des preußischen StatistischenBüreaus« (1888, Heft 3 u.
4). Dieselbe verzichtet zwar auf die Ausbeutung ihrer Errungenschaften in jeder Weise, aber unleugbar wird durch sie die Illusion
von einem weiblichen Überschuß in der Erdbevölkerung endgültig zerstört. v.
Fircks erstreckt seine Berechnungen und Schätzungen auf 1283 Mill. Menschen. Er ermittelt in
Gesamtbevölkerung
Mehrbetrag der männlichen ↗ weiblichen Bevölkerung
Die Einteilung nach der geographischen Lage, wie Fircks in seiner Tabelle sie macht, erweist sich übrigens als unangebracht.
Sie faßt auf diese WeiseLänder, die für uns ganz heterogene Verhältnisse aufweisen, zusammen, wie Frankreich mit Portugal,
[* 16] wo doch in Frankreich der Frauenüberschuß nur 2 ist, fast der geringste in den europäischen Kulturstaaten,
in Portugal dagegen der höchste, nämlich 44.
Keinesfalls auch hängt der Frauenüberschuß in irgend merkbarer Weise von der Stammesangehörigkeit ab. In Europa haben,
wie erwähnt, den größten Frauenüberschuß Portugal mit über 44 auf 1000 Einwohner, darauf aber Norwegen
[* 17] mit 30. Das Portugal stammverwandte Italien dagegen hat keinen Weiberüberschuß, sondern einen kleinen Männerüberschuß,
nämlich auf 1000 Einw. 2 Frauen weniger als Männer. Wenn man die Gruppierung einfach in abstehender Reihe vornimmt, so ergibt
sich: Großbritannien
[* 18] mit.
Es ist nun aber klar, daß diese Verschiedenheiten in der Zahl der männlichen gegen die weibliche Bevölkerung im Zusammenhang
stehen mit der Zahl der Geburten in beiden Geschlechtern und mit der Absterbeordnung derselben. Der Frauenüberschuß kann
sich ebensowohl daraus ableiten, daß Frauen ein höheres Alter als Männer erreichen, als auch daraus,
daß bei gleicher Sterblichkeit beider Geschlechter mehr weibliche Kinder geboren werden. Freilich macht sich in dem Zahlenverhältnis
beider Geschlechter noch ein andrer Faktor geltend: die Ein- oder Auswanderung.
Subjekte der Ein-, bez. Auswanderung sind Männer weit mehr als Frauen, und in Einwanderungsländern, wie
die amerikanische Union, die südamerikanischen Staaten, Australien,
[* 25] in EuropaFrankreich, zeigt sich daher leicht ein Männerüberschuß,
der in gleicher Weise in den Ländern, denen das Männermaterial entnommen ist,
einen größern Weiberüberschuß hervorbringt.
Indes fällt dieser Faktor doch nur ausnahmsweise schwer ins Gewicht. Was dann die Ziffer der Geburten betrifft,
so haben wir Daten über die Beteiligung beider Geschlechter an denselben nur aus Europa.
Diese Ziffern stimmen aber mit den bisher über die Verteilung der Bevölkerung genannten absolut nicht überein. Es werden
nämlich im Durchschnitt 105 Knaben auf 100 Mädchen geboren. Zwischen 104 und 106 Knabengeburten auf 100 Mädchengeburten
haben fast alle europäischen Länder. Außerhalb dieser Ziffer stehen nur Italien und Spanien mit etwas mehr, nämlich 107 Knaben
auf 100 Mädchen, sodann Rumänien und Griechenland mit dem höchsten Knabenkoeffizienten, nämlich 111 auf 100 Mädchen. Am
geringsten ist die Zahl der Knabengeburten in Russisch-Polen mit 101 Knaben auf 100 Mädchen.
Der Überschuß der weiblichen über die männliche Bevölkerung, wie wir ihn in allen europäischen Kulturstaaten mit Ausnahme
Italiens
[* 26] treffen, erklärt sich unter diesen Umständen aus einer verhältnismäßig größern Anzahl von Sterbefällen
beim männlichen Geschlecht.Speziell im ersten Lebensjahr sterben in den europäischen Kulturstaaten mit Ausnahme Norwegens
auf 100 Mädchen rund 125 Knaben. Auch noch im zweiten bis zum fünften Lebensjahr ist die Sterblichkeit der Knaben etwas größer
als die der weiblichen Kinder, nämlich 103:100. Und noch weiterhin überragt die Sterblichkeit der Knaben jene der Mädchen
um ein Weniges.
Der größern Summe physischer Kraft,
[* 27] welche der Mann durchschnittlich besitzt, steht eben keine entsprechend
große Widerstandskraft gegen die mannigfaltigen Lebensbedrohungen, welche ihn umgeben, zur Seite. Im Alter zwischen 15 und 20 Jahren
halten sich beide Geschlechter numerisch ziemlich das Gleichgewicht,
[* 28] dann bringt aber die anhaltend etwas größere Sterblichkeit
der Männer jenen von uns für die meisten europäischen Kulturstaaten festgestellten Überschuß der
weiblichen Bevölkerung hervor. Vom 30. bis zum 50. Jahre war die Entwickelung früher und ist teilweise noch heute unterbrochen,
indem in diesen Jahren früher allgemein etwas mehr Frauen dahingerafft wurden als Männer, jedenfalls infolge der vorzugsweise
in diese Zeit fallenden Geburten. In Frankreich sind noch heute die Frauen im Alter von 25-30 Jahren in höherm
Maße gefährdet, in Deutschland dagegen gar nicht und auch nicht in Österreich.
Man hat nun aus dem gegenseitigen Verhältnis der Geschlechter Folgerungen mit Bezug auf die Gesetzmäßigkeit oder mindestens
Angemessenheit gewisser gesellschaftlicher Einrichtungen, vorzüglich der Ehe gezogen. v. Öttingen beispielsweise, der bekannte
Dorpater Theolog und Statistiker, will in der vorliegenden Verteilung beider Geschlechter in der Zeit der ehelichen Reife ein
merkwürdiges Gleichgewicht erblicken, und er folgert hieraus die Bestimmung des Menschen zur Monogamie.
Öttingens Auffassung ist aber nicht unangefochten geblieben. Insbesondere hat sich Platter in Zürich
[* 29] gegen ihn gewendet. Öttingen
hebt mit andern hervor, im Alter zwischen 15 und 20 Jahren sei das Gleichgewicht der Geschlechter am besten
verwirklicht. Platter vermag darin aber keine höhere Harmonie zu sehen, denn der Mann schreite nicht in diesem Alter zur Ehe.
Man kann hinzufügen, daß, wenn solches auch der Fall wäre, die sodann für eine Anzahl junger Frauen
infolge der ja doch vorhandenen größern Sterblichkeit der Männer sofort eintretende Witwenschaft kaum auch für
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mehr
die harmonistische Auffassung, welche v. Öttingen verficht, zu sprechen vermag. Öttingen nennt heiratsfähiges Alter jenes,
das zwischen dem 20. und 50. Jahre liegt. Dem kann man auch entgegnen, daß es auf das bloße heiratsfähige Alter nicht ankommt,
sondern auf jenes, in dem die Heirat erfolgen muß, um dem geschlechtlichen Bedürfnis des Menschen genug
zu thun. Und dieses Alter dürfte zwischen dem 20. und 30. Jahre liegen. Hier zeigt sich aber nach einer von Wappäus mitgeteilten,
von Öttingen benutzten Tabelle ein Frauenüberschuß von etwa 55 auf 1000 Männer.
Indes auch für jene 20-50 Jahre, welche mehr theoretische als hervorragend praktische Bedeutung
haben, von denen Öttingen spricht, also in diesem über die Grenzen
[* 31] der Heiratsbedürftigkeit sich weit hinaus erstreckenden
Alter ist nach den Öttingenschen Tabellen ein Überschuß von 30-40 Frauen auf 1000 Männer vorhanden. Und da mag man wieder
fragen: Ist das Gleichgewicht? Eher könnte man daraus schließen, daß auf je 1000 Männer naturgesetzlich 4 oder 2 oder
einer kommen müssen, denen je 2 oder 3 oder 5 Frauen gestattet seien.
Eine vorurteilslose Betrachtung der Ziffern kann offenbar nur zu folgenden Ergebnissen führen: Wäre jeder Mann mit dem Eintritt
in die Heiratsfähigkeit auch erstens mit den materiellen Mitteln für die Gründung einer Familie ausgestattet,
zweitens von dem Willen beseelt, eine Ehe einzugehen, drittens jederzeit fertig zur Wahl hinsichtlich der Lebensgefährtin,
dann würde sich aus der Verteilung der beiden Geschlechter zur Zeit der Geschlechtsreife in den europäischen Kulturländern
ohne Italien die Nötigung des Eheverzichts für einen Teil des weiblichen Geschlechts, oder die Berechtigung
der Polygamie für eine kleine Anzahl Männer ergeben.
In denLändern der Balkanhalbinsel und in den andern Weltteilen würde umgekehrt ein Teil der Männer entweder zum Cölibat genötigt
oder zur Polyandrie berufen sein. Da nun aber thatsächlich im Alter der eben eingetretenen Heiratsfähigkeit die Mittel, um
eine Ehe einzugehen, nur einzelnen und wenigen zur Verfügung stehen, wird sich der geschlechtliche Verkehr
in der Ehe nicht erschöpfen, und schon aus diesem Grunde, ganz abgesehen von allen andern, die sittliche Ordnung sich thatsächlich
in Widerspruch setzen mit jener, die die monogamische Ehe als Bedingung des geschlechtlichen Verkehrs hinstellt.
Die Berechtigung der monogamischen Ehe ist damit übrigens nicht angefochten. Und auch ihre Möglichkeit
ist durch den Überschuß auf seiten des einen oder des andern Geschlechts nicht verneint. Nur das ist nachgewiesen, daß
nicht die statistischen Ziffern der Bevölkerungsverteilung nach Geschlechtern sie als einzig berechtigte und einzig mögliche
Form dauernder Geschlechtervereinigung rechtfertigen, sondern daß diese Rechtfertigung durchaus und allein
von andrer Seite herkommen muß.