Titel
Germanisches
Museum
, offiziell
Germanisches Nationalmuseum
genannt, eine Anstalt in
Nürnberg,
[* 2] die bestimmt ist, «die
Kenntnis der deutschen Vorzeit zu erhalten und zu mehren, namentlich die bedeutsamen
Denkmale der deutschen Geschichte, Kunst
und Litteratur
vor der Vergessenheit zu bewahren und ihr Verständnis auf alle
Weise zu fördern». Sie
verdankt ihre Entstehung der privaten Thätigkeit des
Freiherrn
Hans von und zu
Aufseß (s. d.). Wiederholt wandte er sich mit
seinen
Plänen an die Gelehrtenwelt wie an die histor.
Vereine. Seine Vorschläge fanden nicht den nötigen Anklang, sodaß er sich entschloß, auf eigene Hand [* 3] eine Anstalt ins Leben zu rufen, die seine Anschauungen verwirklichen sollte. Nachdem er in bescheidenen Anfängen eine solche angelegt hatte, gelang es ihm, eine Versammlung der deutschen Geschichts- und Altertumsforscher, die im Aug. 1852 in Dresden [* 4] tagte, zu veranlassen, die von ihm ins Leben gerufene Anstalt als eine nationale zu erklären, sie den Regierungen und dem Volke zur Unterstützung zu empfehlen. Es bildete sich sofort ein Verwaltungsausschuß, als dessen Vorsitzender sowie als Direktor von Aufseß ernannt wurde.
Während der Deutsche [* 5] Bundestag, die bayr. und andere deutsche Regierungen der Anstalt ihre Anerkennung bald zu teil werden ließen, während das Publikum sich rasch organisierte, um die der Anstalt nötigen Zuflüsse zu sichern, fand das Unternehmen in den gelehrten Kreisen Widerstand, weil dieselben das Programm zu umfassend, unausführbar fanden. In der That zeigte sich auch bald, daß der Gedanke, ein großes Generalrepertorium, ein Personen-, Orts- und Sachregister über das gesamte Urkunden- und Handschriftenmaterial, die gesamte Litteratur, die sämtlichen kultur- und kunstgeschichtlichen Denkmale herzustellen, zunächst beschränkt, wahrscheinlich aber ganz aufgegeben werden müsse.
Bald nach der 1866 erfolgten Übernahme der Leitung des Museums
durch Aug. von Essenwein (s. d.)
wurden die Sammlungen, die nach dem ursprünglichen
Plane nur eine Art
Illustration jenes Generalregisters bilden, an die
Spitze der
Aufgaben der Anstalt gestellt. Diese wurde durch eine Satzungsänderung zu einem
Deutschen kulturgeschichtlichen
Centralmuseum
bestimmt, dessen Sammlungen unter Essenweins Leitung in so ungeahnter
Weise zunahmen, daß nun auch die Gelehrtenkreise
das Museum
gern unterstützten.
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Im J. 1857 wurden die Ruinen der frühern Kartause in Nürnberg erworben, um, nach den Plänen Essenweins ausgebaut, den stets wachsenden Sammlungen als Aufbewahrungsort zu dienen. Bis Anfang 1888 war dieser Ausbau zum größern Teile beendet und es waren bereits in über 80 Sälen, Hallen, Zimmern und Kabinetten die Sammlungen ausgestellt. Diese bestanden aus folgenden, gewissermaßen selbständigen, doch aber organisch miteinander verbundenen Abteilungen:
1) vorgeschichtliche, 2) römische, 3) germanische
und frühmittelalterliche Denkmäler;
4) architektonische Denkmäler, Modelle ganzer Bauten, Fußböden, Thüren, Schlosserarbeiten, Öfen [* 7] u. s. w.;
5) ornamentale Skulptur;
6) figürliche Skulptur (s. Tafel: Trauernde Maria, beim Artikel Madonna);
7) Grabdenkmäler in ihrer Entwicklung von der röm. Periode bis ins 17. Jahrh.;
8) Denkmäler der kleinen Plastik;
9) Medaillen;
10) Siegel;
11) Denkmäler der monumentalen Malerei (Glasgemälde);
12) Gemäldegalerie;
13) Kupferstichsammlung, einschließlich Holzschnitten, Lithographien, Handzeichnungen, Miniaturen, Sammlungen histor. Blätter, Porträte, [* 8] Landkarten, [* 9] Stadtpläne und Prospekte, Schrift-und Druckproben, Spielkarten;
14) Gewebe; [* 10]
15) Büchereinbände;
16) Musikinstrumente und Musikalien;
17) wissenschaftliche Instrumente und Apparate, darunter eine besondere pharmaceutische Abteilung;
18) technische Apparate und Instrumente;
19) Denkmäler des häuslichen Lebens vom großen Mobiliar an bis zu den geringsten Gebrauchsgegenständen, die in sich wieder eine Reihe von Abteilungen bilden;
20) Kostümsammlung;
21) Waffen; [* 11]
22) kirchliche Denkmäler;
23) Denkmäler des Staats- und Rechtslebens;
24) Denkmäler des Zunftwesens;
25) Denkmäler des Handels und Verkehrswesens (als Handelsmuseum
zu einer selbständigen Abteilung abgerundet);
26) Münzsammlung;
27) Archiv;
28) Handschriftensammlung;
29) Sammlung alter Druckwerke;
30) die eigentliche Bibliothek;
31) Sammlung von Abbildungen. Die Bibliothek umfaßt alle Zweige der allgemeinen wie Kultur- und Kunstgeschichte Deutschlands. [* 12] Das Archiv hat dazu gedient, vieles zum Teil überaus kostbare Material vor Vernichtung zu retten, und ist so zu einem ergänzenden Bestandteil fast jedes Einzelarchivs in Deutschland [* 13] und namentlich Deutsch-Österreichs geworden.
Die Entwicklung der Anstalt ist noch nicht abgeschlossen und somit die Möglichkeit gegeben, daß noch einzelne Abteilungen
sich angliedern, um das Bild zu vervollständigen. Das Germanisches Museum
veröffentlicht seit 1853 eine in Monatsheften
erscheinende Zeitschrift: «Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit» (seit 1884 u. d. T. «Anzeiger
des Germanischen Nationalmuseums»
, welche Zeitschrift nur den Gönnern und Förderern des Germanisches Museum
gratis geliefert wird). Von
sonstigen Veröffentlichungen sind neben einer Reihe kleinerer Broschüren, neben den Katalogen der kirchlichen
Geräte, Bauteile, Gewebe, Gemälde, Glasgemälde. Spielkarten, Kupferstiche des 15. Jahrh., prähistor. Altertümer, Bucheinbände,
Originalskulpturen, Bronzeepitaphien, Drechslerarbeiten, alter Originalholzstöcke u. s. w.
und Führern durch die Sammlungen zu nennen: die faksimilierte Nachbildung einer umfassenden Bilderhandsckrift des 15. Jahrh.
u. d. T. «Mittelalterliches Hausbuch»
(Lpz. 1866; 2. Aufl., Frankf. 1887) sowie «Quellen zur Geschichte der Feuerwaffen» (4 Lfgn., Lpz.
1872-77),
«Die Holzschnitte des 14. und 15. Jahrh. im Germanischen Nationalmuseum»
(mit
144 Tafeln, Nürnb. 1874),
Hans Tirols «Belehnung König Ferdinands mit dem Haus Österreich» [* 14] (Frankf. 1887).
Die Anstalt ist, seit sie in Nürnberg dauernden Sitz genommen, von der bayr. Regierung mit den Rechten einer juridischen Person ausgestattet und als Stiftung für Unterrichtszwecke unter Genehmigung der Satzungen, die ihre volle Unabhängigkeit und Selbständigkeit aussprechen, erklärt worden. An ihrer Spitze steht ein aus 24-30 Gelehrten aus verschiedenen Gegenden Deutschlands zusammengesetzter Verwaltungsausschuß, der sich bei Erledigung einer Stelle selbst ergänzt und sich seinen Vorsitzenden wählt, der zugleich als Direktor die Beschlüsse der alljährlich stattfindenden Versammlungen ausführt, die Vertretung der Anstalt ausübt, die Beamten anstellt, dem Plenum der Versammlung aber Rechenschaft und Rechnung zu legen hat.
Erster Direktor ist seit 1894 Gustav von Bezold. Das Reich giebt der Anstalt seit 1894 jährlich 62000 M., der Staat Bayern [* 15] 18000, die Stadt Nürnberg 5200 M.; diese 85200 M. sind nach einer Übereinkunft der drei genannten Geber zur Deckung der laufenden Verwaltungskosten bestimmt, während die Einnahmen aus den freiwilligen Beiträgen deutscher Fürsten, Korporationen, Vereine und Privatpersonen (etwa 50000 M.) und aus den Eintrittsgeldern (etwa 10000 M.) nur zur Erweiterung der Sammlung dienen sollen. Auch Stiftungen sind der Anstalt zugeflossen. -
Vgl. außer den Jahresberichten des auch Germanisches Museumauch
Hektor,
Geschichte des Germanischen Nationalmuseums
von seinem Ursprunge bis zum J. 1862 (Nürnb. 1863);
Essenwein, Das Germanische
Nationalmuseum
, dessen Bedarf u. s. w. (ebd. 1884);
Leitschub, Das Germanische Nationalmuseum
in Nürnberg
(Bamb. 1890).