Titel
Gerichtsstand
(lat.
Forum),
[* 3] das Rechtsverhältnis, vermöge dessen eine
Person berechtigt und verpflichtet ist, vor
einem bestimmten
Gericht
Recht zu nehmen; auch das
Gericht selbst, welches für die betreffende
Person zuständig ist. Die
Zuständigkeit
(Kompetenz) eines
Gerichts ist im allgemeinen durch die
Gerichtsorganisation und durch die räumliche Abgrenzung der
Gerichtsbezirke
bestimmt (s.
Gericht). Im einzelnen
Fall entspricht die
Zuständigkeit des
Gerichts dem Gerichtsstand
, d. h. das
Recht
und die
Pflicht des
Gerichts, eine
Rechtssache zu verhandeln und zu entscheiden, entspricht dem
Recht und der
Pflicht der beteiligten
Personen, vor ebendiesem Gerichtsstand
Recht zu nehmen. Dabei ist aber zwischen bürgerlichen Privatrechtsstreitigkeiten und strafrechtlichen
Untersuchungssachen zu unterscheiden.
I.
Bürgerliche Rechtsstreitigkeiten. Die
Zuständigkeit des
Gerichts bestimmt sich durch den Gerichtsstand
des Beklagten. Derjenige, welcher
als Kläger einen Rechtsanspruch gegen einen andern als Beklagten verfolgen will, muß sich an dasjenige
Gericht wenden, bei
welchem der Beklagte seinen hat. Der Kläger folgt dem Gerichtsstand
des Beklagten (actor sequitur
forum rei). Es kann jedoch auch durch Vereinbarung der
Parteien in einem einzelnen
Fall ein Gerichtsstand
begründet werden (gewillkürter
Gerichtsstand
,
Forum prorogatum, im
Gegensatz zu dem
Forum legale, dem durch das
Gesetz begründeten Gerichtsstand
). Nach der deutschen
Zivilprozeßordnung
ist eine solche Vereinbarung zulässig, wenn es sich um eine vermögensrechtliche
Klage handelt, für
welche kein ausschließlicher Gerichtsstand
begründet ist. Auch wird ein an und für sich unzuständiges
Gericht dadurch zuständig,
daß der Beklagte mündlich zur Hauptsache verhandelt, ohne die Unzuständigkeit des
Gerichts zu rügen. Im übrigen ist bezüglich
des gesetzlichen Gerichtsstandes
folgende Unterscheidung zu machen:
A. Allgemeiner Gerichtsstand
(Forum generale), derjenige Gerichtsstand
, welcher für alle Rechtsstreitigkeiten einer
Person,
wenn sie verklagt werden soll, begründet, sofern nicht für gewisse Rechtsstreitigkeiten ein besonderer Gerichtsstand
geordnet
ist. Nach der deutschen
Zivilprozeßordnung ist der Gerichtsstand
des Wohnorts
(Forum domicilii) der allgemeine Gerichtsstand.
Will ich einen
Schuldner
verklagen, so muß ich mich an das
Amtsgericht
oder an das
Landgericht seines Wohnorts wenden, je nachdem
die
Sache in die amtsgerichtliche oder in die landgerichtliche
Zuständigkeit fällt.
Für solche
Personen, welche keinen
Wohnsitz haben, tritt der Aufenthaltsort im
Deutschen
Reich an die
Stelle des
Domizils. Ist
auch ein solcher nicht bekannt, so ist der letzte frühere
Wohnsitz maßgebend. Für vermögensrechtliche
Klagen gegen
Personen, die einen längern Aufenthalt an einem
Ort genommen haben, wie
Dienstboten, Fabrikarbeiter, Studierende,
Schüler oder
Lehrlinge, ist ebenfalls der Gerichtsstand
des Aufenthaltsorts entscheidend. Für
Klagen aus
Geschäften, welche unmittelbar
von einer zum Betrieb einer
Fabrik oder eines andern
Gewerbes bestimmten Niederlassung geschlossen sind,
oder die den landwirtschaftlichen Betrieb eines
Gutes betreffen, besteht ein allgemeiner Gerichtsstand
der gewerblichen Niederlassung
oder des betreffenden
Landgutes.
B. Besondere Gerichtsstände (Fora specialia):
1) Der Gerichtsstand der gelegenen Sache (Forum rei sitae), bei welchem dingliche Klagen, welche eine unbewegliche Sache (Grundstück) betreffen, angestellt werden müssen, aber auch gewisse persönliche Klagen, die sich auf das Grundstück beziehen, erhoben werden können.
2) Gerichtsstand der Erfüllung oder des geschlossenen Vertrags (Forum solutionis oder contractus) für Klagen auf Erfüllung oder Feststellung einer Obligation oder auf Vertragsaufhebung oder auf Entschädigung wegen Nichterfüllung oder nicht gehöriger Erfüllung, welche bei dem Gericht des Erfüllungsorts anzubringen sind.
3) Der Gerichtsstand des Meß- oder Marktortes für Klagen aus Handelsgeschäften, welche auf Messen oder Märkten abgeschlossen wurden, insofern sich der Beklagte zur Zeit der Klagerhebung an dem Meß- oder Marktort oder in dem Gerichtsbezirk dieses Ortes aufhält.
4) Der Gerichtsstand der Erbschaft, d. h. der allgemeine Gerichtsstand des Erblassers zur Zeit seines Todes, für Nachlaßstreitigkeiten.
5) Der Gerichtsstand der Verwaltung (Forum gestae administrationis) für Klagen aus einer Vermögensverwaltung am Orte derselben.
6) Der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung (Forum delicti commissi) für die Entschädigungsklagen wegen einer unerlaubten Handlung am Orte der That.
7) Der Gerichtsstand des gelegenen Vermögens, entsprechend dem frühern Forum arresti (Gerichtsstand des Arrestes). Ein solcher ist dann begründet, wenn der Beklagte im Deutschen Reich keinen Wohnsitz hat, aber innerhalb des betreffenden Gerichtsbezirks Vermögen besitzt.
8) Gerichtsstand des Zusammenhanges (Forum connexitatis), gegründet auf den Zusammenhang einer Klage, besonders einer Widerklage (s. d.), mit einem schwebenden Prozeß.
II. Strafsachen. Im Strafprozeß bildet den Gerichtsstand dasjenige Gericht, vor welchem der Beschuldigte sich verantworten muß. Umgekehrt hat derselbe auch das Recht, sich nur vor dem verfassungsmäßig zuständigen Gericht zu stellen. Der Grundsatz, daß niemand seinem gesetzlichen (ordentlichen) Richter entzogen werden soll, ist ein Grundgesetz des modernen Verfassungsstaats. Unter mehreren zuständigen Gerichten entscheidet die Prävention, d. h. dasjenige Gericht geht vor, welches zuerst die Untersuchung eröffnete.
Der Gerichtsstand ist entweder ein ordentlicher oder ein außerordentlicher, insofern er für den gegebenen Fall durch die Gerichtsverfassung bestimmt oder durch eine besondere Anordnung begründet ist. Letzteres kann aber nach der deutschen Strafprozeßordnung nur dann geschehen, wenn ein ordentlicher Gerichtsstand nicht vorhanden ist, in welchem Fall das Reichsgericht den Gerichtsstand bestimmt; ferner, wenn das verfassungsmäßig zuständige Gericht verhindert ist, z. B. durch Ablehnung der Mitglieder dieses Gerichts, und endlich auch dann, wenn im Revisionsweg das Urteil des zuständigen Gerichts aufgehoben wird. In diesem Fall besitzt der Revisionshof die Befugnis, die Sache zur anderweiten Verhandlung an ein gleichstehendes benachbartes Gericht desselben Bundesstaats zu verweisen.
Außerdem wird bezüglich des ordentlichen Gerichtsstandes zwischen gemeinem und privilegiertem (befreitem, besonderm, exemtem) Gerichtsstand unterschieden, je nachdem er durch allgemeine Rechtsvorschrift oder durch Spezialgesetz für gewisse Personen oder Sachen eingesetzt ist. In dieser Hinsicht ist hervorzuheben, daß Reichsverratssachen in erster und letzter Instanz vor das Reichsgericht gehören. Auch haben die Mitglieder der landesherrlichen Familien und die Militärpersonen einen privilegierten Gerichtsstand (s. Militärgerichtsbarkeit).
Ordentliche gemeine Gerichtsstände sind folgende:
1) Der Gerichtsstand des Ortes der That (Forum delicti commissi, le juge du lieu du délit), das Gericht, in dessen Sprengel der Ort liegt, wo die That begangen ist. Mit diesem regelmäßigen Gerichtsstand konkurriert nach der deutschen Strafprozeßordnung wahlweise 2) der Gerichtsstand des Wohnsitzes des Beschuldigten (Forum domicilii). Fehlt es innerhalb des Deutschen Reichs an einem solchen Wohnsitz, so tritt der Aufenthaltsort des Beschuldigten an die Stelle des Domizils.
mehr
der Ergreifung (in Österreich [* 5] »der Betretung«),
das Gericht, in dessen Bezirk der Beschuldigte ergriffen oder angetroffen werden kann (Forum deprehensionis, le juge du lieu où le prévenu pourra ètre trouvé). Abweichend von dem frühern gemeinen und von dem österreichischen Recht, welches auch diesen Gerichtsstand wahlweise mit den beiden vorgenannten zuläßt, ist nach der deutschen Strafprozeßordnung dieser Gerichtsstand nur dann maßgebend, wenn weder ein Gerichtsstand der That noch des Wohnsitzes ermittelt ist, oder wenn es sich um ein im Ausland verübtes Verbrechen handelt, bei dem weder ein Gerichtsstand der That noch des Wohnsitzes oder des Aufenthaltsorts im Inland begründet ist.
4) Der Gerichtsstand des Zusammenhanges (Forum connexitatis), wenn z. B. mehrere Strafansprüche gegen dieselbe Person vorliegen. Bei wechselseitigen Beleidigungen und Körperverletzungen kann der Beschuldigte bei demjenigen Gericht, bei welchem die Privatklage gegen ihn erhoben ist, eine Widerklage gegen den Ankläger anstrengen.
Vgl. Deutsche [* 6] Zivilprozeßordnung, § 12 ff.; Strafprozeßordnung, § 7 ff.; Gerichtsverfassungsgesetz, § 16 ff.