Titel
Gericht
,
Ausflußgeschwindigkeit

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Ausfluß.eine zur Ausübung der Rechtspflege bestimmte Behörde; auch Bezeichnung für die richterliche Thätigkeit sowie für den von einem Richter gefällten Urteilsspruch. Die Ausübung des Richteramtes, die Rechtsprechung (Gerichtsbarkeit, Jurisdiktion), ist ein Ausfluß [* 2] der Staatsgewalt. Es liegt in dem Wesen des Staats und in der Unterordnung der Staatsangehörigen unter die Autorität der Staatsgewalt, daß der Einzelne sich nicht selbst Recht verschaffen kann und darf, sondern den staatlichen Schutz anzurufen hat, wenn er sich in seinem Recht gekränkt glaubt und Abhilfe erstrebt.
Der Rechtsschutz ist eine der vornehmlichsten Aufgaben des Staats, und die Selbsthilfe ist in einem wohlgeordneten Staatswesen prinzipiell ausgeschlossen. Sie ist zudem dem Stärkern gegenüber unzulänglich. Es ist daher der öffentlichen Gewalt der Schutz der Einzelrechte anvertraut und damit eine feste Rechtsordnung begründet. Die richterliche Gewalt (Gerichtsbarkeit) ist nichts andres als ein Stück der Staatsgewalt selbst. Daß im Mittelalter ein Teil der Gerichtsbarkeit wie ein nutzbares Privatrecht nicht selten den Städten überlassen und vielfach sogar als sogen. Patrimonial- oder Privatgerichtsbarkeit den Grundherren übertragen ward, erklärt sich aus der Schwäche der staatlichen Autorität und aus der vielfachen Gliederung des mittelalterlichen Lehnsstaats.
Auch die
geistliche Gerichtsbarkeit (s. d.), von welcher sich bis in
die neuere Zeit hinein Überreste erhalten hatten, findet in jenen besondern historischen Verhältnissen ihre
Erklärung.
Die einheitliche
Gerichtsverfassung des
Deutschen
Reichs beseitigte die
Privatgerichtsbarkeit, soweit sie überhaupt noch bestand,
vollständig, wie sie denn auch der geistlichen
Gerichtsbarkeit in weltlichen
Dingen jedwede
Wirkung entzog. Die deutschen Gerichte
sind Staatsgerichte;
sie sind jedoch mit alleiniger Ausnahme des
Reichsgerichts nicht Gerichte
des
Deutschen
Reichs, sondern der Einzelstaaten, welchen ihre
Justizhoheit geblieben ist. Die richterliche
Gewalt des
Reichs beschränkt sich,
abgesehen von
Elsaß-Lothringen,
[* 3] auf das allen verbündeten deutschen
Staaten gemeinsame
Reichsgericht und auf den Kompetenzkreis,
welcher ihm gesetzlich eingeräumt ist.
Geschichtskarten von D

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Deutschland.Auf Grund der Reichsverfassung, welche das gerichtliche Verfahren der Reichsgesetzgebung unterstellt, ist die einheitliche Gerichtsorganisation nach Maßgabe des deutschen Gerichtsverfassungsgesetzes vom in Deutschland [* 4] ein- und durchgeführt worden. Dazu kamen die weitern Justizgesetze des Reichs (s. Gerichtsordnung) und die Einführungsgesetze und Ausführungsverordnungen der Einzelstaaten, und so trat an die Stelle der bisherigen außerordentlichen Zerrissenheit der Gerichtsorganisation ein einheitlicher Rechtszustand auf diesem hochwichtigen Gebiet für den Umfang des gesamten Reichs.
Alle die wichtigen Rechtsgrundsätze, welche sich nach und nach in der Gesetzgebung der Einzelstaaten Anerkennung verschafft hatten, und welche die Sicherung eines wirksamen Rechtsschutzes für den Staatsbürger bezweckten, fanden bei diesem großen Gesetzgebungswerk Berücksichtigung, wenn auch Unvollkommenheiten im einzelnen selbstverständlich nicht ausgeschlossen sein konnten. Der auch in manchen Verfassungsurkunden ausdrücklich anerkannte Grundsatz der Trennung der Justiz von der Verwaltung ist durchgeführt.
Die Unabhängigkeit des Richteramtes und das Verbot der sogen. Kabinettsjustiz, d. h. der Einmischung des Souveräns und der Regierungsorgane in einzelne Rechtssachen, waren unbeschadet des landesherrlichen Oberaufsichtsrechts und des Begnadigungsrechts in Strafsachen schon zuvor in den einzelnen deutschen Staaten nach und nach zu allgemeiner Anerkennung gelangt. Das deutsche Gerichtsverfassungsgesetz enthält ebenfalls die nötigen Garantien für die Unabhängigkeit des Richterstandes, indem es zugleich die Voraussetzungen der Fähigkeit zum Richteramt für ganz Deutschland in einheitlicher Weise bestimmt (s. Richter).
Das Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten wird, ebenso wie das Hauptverfahren des Strafprozesses, durch die Grundsätze der Mündlichkeit und der Öffentlichkeit, der Unmittelbarkeit der Verhandlung und der freien Würdigung der Beweisergebnisse durch das Gericht beherrscht. Für das Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten ist die Erforschung der materiellen Rechtswahrheit in den Vordergrund gestellt und der Zwang prozessualischer Förmlichkeiten möglichst beseitigt.
Thunlichste Beschleunigung des Verfahrens, insbesondere eine rasche und wirksame Zwangsvollstreckung, ist angestrebt, wie denn auch durch die Konkursordnung einer im Interesse von Handel und Verkehr dringend gebotenen raschen Abwickelung der Schuldenwesen Rechnung getragen ist. Die deutsche Strafprozeßordnung aber bezweckt nicht nur eine wirksame Verfolgung verbrecherischer Handlungen, sondern auch den Schutz unschuldig Verfolgter. Bei den Schöffengerichten und in dem Institut der Geschwornen finden wir jene Berücksichtigung des Laienelements, welche im Interesse der Volkstümlichkeit der Rechtsprechung und der Gleichheit vor dem Gesetz im modernen Rechtsleben gefordert wird. In Handelssachen ist die Zuziehung von Fachmännern zu der bürgerlichen Rechtsprechung ermöglicht.
Ebenso ist dem Bestreben, wenigstens in den wichtigern Rechtssachen die Garantie größerer Gründlichkeit und sorgfältigerer Prüfung durch den Richterspruch einer kollegialischen Behörde zu haben, Rechnung getragen. Nur ausnahmsweise und in minder wichtigen Fällen entscheiden Einzelrichter. Die Möglichkeit einer gründlichen und unparteiischen Prüfung ist auch dadurch gewährt, daß eine und dieselbe Rechtssache in der Regel vor verschiedene Gerichte (Instanzen) gebracht werden kann, die zu einander im Verhältnis der Über- oder Unterordnung stehen (Ober- und Untergerichte). Ausnahmegerichte sind unstatthaft. Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden, doch werden hiervon die gesetzlichen Bestimmungen über Kriegsgerichte und Standrechte nicht berührt.
Gericht (deutsche Geri

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Seite 7.165.Einteilung der Gerichtsbarkeit.
Nach den Gegenständen, welche der Rechtsprechung der Gerichte unterliegen, ergibt sich die übliche Einteilung der Gerichtsbarkeit. Die streitige Gerichtsbarkeit (Zivilgerichtsbarkeit) hat es mit bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten (Zivilsachen, ¶
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Zivilprozeßsachen) zu thun, während die Strafgerichtsbarkeit sich auf die Straf- oder Kriminalsachen bezieht. Rechtsangelegenheiten, bei denen zwischen den beteiligten Personen kein Streit besteht, und bei welchen die Mitwirkung der Gerichtsbehörden vorzugsweise um deswillen eintritt, um die Verwirklichung oder den Nachweis von Rechten sicherzustellen, wie bei den Hypothekensachen, dem Vormundschaftswesen etc., bilden den Gegenstand der freiwilligen Gerichtsbarkeit.
Letztere wird durch die deutsche Reichsjustizgesetzgebung nicht berührt. Auf der andern Seite ist aber auch die Landesgesetzgebung nicht gehindert, den Gerichtsbehörden außer den Strafsachen und den bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten noch jede andre Art von Gerichtsbarkeit sowie Geschäfte der Justizverwaltung, nicht aber andre Gegenstände der Verwaltung zu übertragen. Ordentliche Gerichte im Reich sind nunmehr die Amtsgerichte, Landgerichte, Oberlandesgerichte und das Reichsgericht. Im Zusammenhang mit ihnen stehen die Schöffengerichte, Schwurgerichte und die Kammern für Handelssachen.
Vor dieselben gehören alle bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten und Strafsachen, für welche nicht entweder die Zuständigkeit von Verwaltungsbehörden oder Verwaltungsgerichten begründet ist, oder für welche reichsgesetzlich besondere Gerichte bestellt oder doch zugelassen sind. Während nämlich die Entscheidung streitiger Fragen des Privatrechts den Gegenstand der bürgerlichen Rechtspflege bildet, gehört die Entscheidung von Streitigkeiten auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts vor die Verwaltungsbehörden. Es ist dies das Gebiet der Verwaltungsrechtspflege (Administrativjustiz), und es gehören dahin z. B. Heimatsachen, Streitigkeiten über die Verbindlichkeit zu Staats- und Gemeindeleistungen, Bausachen u. dgl. Ausnahmsweise sind aber auch aus Zweckmäßigkeitsgründen gewisse Privatrechtssachen den Verwaltungsbehörden zugewiesen, wie z. B. Streitigkeiten der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer über das Arbeitsverhältnis. In manchen Staaten bestehen besondere Verwaltungsgerichte, in einzelnen Städten sind Gewerbegerichte errichtet, auch sind besondere Behörden zur Entscheidung von Kompetenzkonflikten zwischen Justiz und Verwaltung eingesetzt.
Auch die deutsche Reichsgesetzgebung hat derartige Verwaltungsgerichtshöfe in dem Bundesamt für das Heimatswesen, in den Seemannsämtern, in dem Patentamt und in dem verstärkten Reichseisenbahnamt geschaffen. Zu beachten ist ferner, daß auch in Strafsachen eine richterliche Befugnis der Polizeibehörden, namentlich der Gemeindebehörden, durch landesgesetzliche Bestimmung begründet werden kann und vielfach begründet worden ist. Doch darf die Polizeibehörde nach der deutschen Strafprozeßordnung (§ 453 ff.) keine andre Strafe als Haft bis zu 14 Tagen oder Geldstrafe sowie eine etwa verwirkte Einziehung aussprechen.
Auch erstreckt sich diese polizeiliche Strafgewalt nur auf Übertretungen, und endlich ist es dem Beschuldigten in allen solchen Fällen nachgelassen, auf richterliche Entscheidung anzutragen. Als besondere Gerichte sind nach dem Gerichtsverfassungsgesetz zugelassen: die auf Staatsverträgen beruhenden Rheinschiffahrts- und Elbzollgerichte;
die Gerichte, welchen die Entscheidung von bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten bei der Ablösung von Gerechtigkeiten oder Reallasten, bei Separationen, Konsolidationen, Verkoppelungen, gutsherrlich-bäuerlichen Auseinandersetzungen u. dgl. obliegt;
Gemeindegerichte, insoweit dieselben über vermögensrechtliche Ansprüche zu entscheiden haben, deren Wert den Betrag von 60 Mk. nicht übersteigt, vorbehaltlich der Berufung auf richterliche Entscheidung;
Württemberg und Hohenz

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Hohenzollern.Gewerbegerichte und die etwanigen besondern Gerichte für die Mitglieder der landesherrlichen Familien und der fürstlichen Familie Hohenzollern. [* 6]
Sonstige privilegierte Gerichtsstände sind beseitigt, doch ist an der Militärgerichtsbarkeit nichts geändert. Im einzelnen sind die Grundzüge der gegenwärtigen deutschen Gerichtsverfassung folgende:
I. Bürgerliche Rechtsstreitigkeiten.
Erste Instanz:
1) Einzelrichter: Vor den Amtsgerichten werden minder wichtige vermögensrechtliche Ansprüche und zwar bis zum Betrag von 300 Mk. verhandelt und entschieden sowie ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes gewisse andre Rechtsstreitigkeiten, deren Wesen ein besonders schleuniges Verfahren erheischt oder eine besondere Vertrautheit mit den einschlägigen lokalen Verhältnissen voraussetzt, wie z. B. Hausmietstreitigkeiten, Streitsachen zwischen Arbeitern und Arbeitgebern hinsichtlich des Dienst- und Arbeitsverhältnisses, Viehgewährschaftsstreitigkeiten, Gesindestreitigkeiten u. dgl. Außerdem sind die Amtsgerichte, ebenfalls ohne Rücksicht auf den Betrag der Streitsumme, für das Mahnverfahren zuständig.
Handelt es sich nämlich um die Zahlung einer bestimmten Geldsumme oder um eine Quantität andrer vertretbarer Sachen oder Wertpapiere, so kann das Amtsgericht auf Antrag des Gläubigers einen bedingten Zahlungsbefehl erlassen, welcher vollstreckbar wird, wenn ein Einspruch nicht erfolgt. Im Fall eines Widerspruchs tritt das ordentliche Prozeßverfahren ein. Ferner gehören die Entmündigungssachen in den amtsgerichtlichen Kompetenzkreis, d. h. die Fälle, in welchen es sich darum handelt, eine Person als geisteskrank oder als Verschwender zu bevormunden, und ebenso das Aufgebots- (Ediktal-) Verfahren zum Zweck der Feststellung von Ansprüchen und Rechten durch öffentliche gerichtliche Aufforderung zur Anmeldung. Weiter fungieren die Amtsgerichte in der Exekutionsinstanz als Vollstreckungsgerichte, auch sind ihnen die Konkurssachen überwiesen, und endlich kann die vergleichsweise Erledigung einer jeden Prozeßsache vor dem Amtsrichter versucht werden.
2) Kollegialgerichte. Vor die Landgerichte und zwar vor deren mit drei Richtern besetzte Zivilkammern gehören alle Prozeßsachen, deren Wertbetrag die amtsrichterliche Kompetenzsumme übersteigt, und welche nicht sonst vor die Amtsgerichte verwiesen sind; ferner sind den Landgerichten ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes gewisse Klagsachen gegen den Reichsfiskus und gegen Reichsbeamte wegen Überschreitung ihrer amtlichen Befugnisse oder wegen pflichtwidriger Unterlassung von Amtshandlungen, endlich aber auch die Ehesachen zur Verhandlung und Entscheidung überwiesen.
Gericht (Strafsachen)

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Seite 7.166.Außerdem können aber, jedoch nur wenn und soweit die Landesjustizverwaltung das Bedürfnis hierzu als vorhanden annimmt, bei den Landgerichten für deren Bezirke oder für örtlich abgegrenzte Teile derselben Kammern für Handelssachen gebildet werden. Vor diese gehören alsdann diejenigen bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, welche den Landgerichten in erster Instanz zugewiesen sind, sofern sie Ansprüche gegen einen Kaufmann aus zweiseitigen Handelsgeschäften, Wechselsachen und verschiedenen sonstigen im Gesetz speziell verzeichneten Handelssachen betreffen. Diese Handelskammern werden durch ein Mitglied des Landgerichts oder einen Amtsrichter als Vorsitzenden und zwei ¶
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dem Kaufmannsstand angehörige, aber mit ebendemselben Stimmrecht ausgestattete Handelsrichter gebildet.
Zweite (Berufungs- und Beschwerde-) Instanz:
1) Die Landgerichte und zwar die Zivilkammern derselben bilden für die in erster Instanz an die Amtsgerichte verwiesenen Sachen die zweite Instanz (Berufungsgericht). Gegen die amtsgerichtlichen Urteile ist nämlich der Regel nach das Rechtsmittel der Berufung binnen Monatsfrist und gegen sonstige Verfügungen des Amtsgerichts das Rechtsmittel der Beschwerde, zumeist mit 14tägiger Frist, gegeben.
2) Die Oberlandesgerichte und zwar die mit fünf Richtern, mit Einschluß des Vorsitzenden, zu besetzenden Zivilsenate derselben entscheiden über die gegen die erstinstanzlichen Endurteile der Landgerichte eingelegte Berufung und über die gegen sonstige landgerichtliche Entscheidungen gegebenen und eingewendeten Beschwerden. Durch die Berufung wird eine nochmalige Prüfung der Rechtslage wie der Thatumstände und eine nochmalige Entscheidung seitens des Berufungsgerichts herbeigeführt. Auch können in der Berufungsinstanz neue Thatsachen und neue Beweismittel nachträglich vorgebracht werden.
Dritte (Revisions- und Beschwerde-) Instanz:
Leipzig

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Leipzig.1) Das Reichsgericht in Leipzig [* 8] entscheidet in dritter Instanz über das gegen die zweitinstanzlichen Endurteile der Oberlandesgerichte zulässige Rechtsmittel der Revision. Die Entscheidung erfolgt durch die Zivilsenate des Reichsgerichts in der regelmäßigen Besetzung von sieben Mitgliedern, mit Einschluß des Vorsitzenden, nach vorgängiger Verhandlung, welche sich lediglich auf eine wiederholte Erörterung und Entscheidung der Rechtsfrage beschränkt. Auch ist die Zulässigkeit dieses Rechtsmittels der Regel nach durch einen Wertbetrag (Revisionssumme) von mindestens 1500 Mk. bedingt.
2) Das Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz enthält für die größern Bundesstaaten, in welchen mehrere Oberlandesgerichte errichtet werden, den Vorbehalt, daß hier die nach dem Vorstehenden zur reichsgerichtlichen Kompetenz gehörige Verhandlung und Entscheidung von Revisionen und Beschwerden auch einem obersten Landesgericht zugewiesen werden kann. Zur Wahrung der deutschen Rechtseinheit ist jedoch die wichtige Einschränkung getroffen, daß diese Vorschrift sich nicht auf diejenigen Rechtsstreitigkeiten beziehen soll, welche vor dem der Kompetenz des Reichsoberhandelsgerichts unterstellt waren.
Bayern

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Bayern.Hiernach bezieht sich also die Zuständigkeit eines solchen partikulären höchsten Gerichtshofs nicht auf das Reichsrecht, sondern lediglich auf das Landesrecht, und ebendarum hielt man, solange es an einem allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch für ganz Deutschland noch fehlt, diese Konzession an die Bundesstaaten für unbedenklich, von welcher übrigens nur von Bayern [* 9] Gebrauch gemacht worden ist, welches einen obersten Landesgerichtshof in München [* 10] errichtete. Für Sachsen [* 11] ward die Einrichtung eines solchen durch das Reichsgesetz vom ausgeschlossen, wonach derjenige Bundesstaat, in dessen Gebiet das Reichsgericht seinen Sitz hat, von jener Befugnis zur Errichtung eines obersten Landesgerichts keinen Gebrauch machen darf.
Exekutionsinstanz: Die gerichtliche Zwangsvollstreckung ist teils besondern Vollstreckungsbeamten, den Gerichtsvollziehern, teils den Amtsgerichten übertragen. Erstere haben namentlich die Exekution in das Mobiliarvermögen (Auspfändung) zu besorgen, während die Hilfsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen, in Forderungen und ähnliche Vermögensrechte, ebenso die Erzwingung einer Handlung oder Unterlassung durch die Amtsgerichte bewirkt werden. Letztere erledigen zugleich als Vollstreckungsgerichte etwanige Einwendungen des Schuldners oder dritter Personen und sonstige Anstände. Auch können sie ein noch nicht rechtskräftiges Urteil unter Umständen für vorläufig vollstreckbar erklären.
II. Strafsachen.
Erste Instanz:
1) Amtsgerichte mit Schöffengerichten, welch letztere aus dem Amtsrichter als Vorsitzendem und zwei aus dem Volk erwählten Schöffen gebildet werden, sind für die sogen. Übertretungen und für diejenigen Vergehen, welche nur mit Gefängnis bis zu drei Monaten oder mit Haft oder mit Geldstrafe bis zu 600 Mk. bedroht sind, zuständig; auch ist es den Strafkammern der Landgerichte nachgelassen, eine Reihe leichterer Vergehen auf Antrag der Staatsanwaltschaft an jene zu verweisen, wenn in dem gegebenen Fall voraussichtlich ebenfalls keine höhere Strafe als die angegebenen eintreten wird.
Außerdem gehören noch Beleidigungen und Körperverletzungen, welche im Weg der Privatklage verfolgt werden, vor die Schöffengerichte; ferner der einfache Diebstahl und Betrug, die einfache Unterschlagung und Sachbeschädigung, wofern der Wertbetrag des Verbrechensgegenstandes die Summe von 25 Mk. nicht übersteigt, und endlich die Begünstigung und Hehlerei, wenn die verbrecherischen Handlungen, auf welche sie sich beziehen, ebenfalls in die schöffengerichtliche Kompetenz fallen.
Bei Übertretungen und geringen Vergehen kann der Amtsrichter auf Antrag des Amtsanwalts, welcher bei dem Amtsgericht die Funktionen der Staatsanwaltschaft wahrzunehmen hat, ohne vorgängige Verhandlung Strafbefehle (Strafmandate) erlassen und darin Freiheitsstrafe bis zu sechs Wochen oder Geldstrafe bis zu 150 Mk. festsetzen, welche, wenn dagegen nicht binnen einer Woche Einspruch erhoben wird, vollstreckbar werden. Im Fall des Einspruchs wird zur Verhandlung geschritten. Endlich sind die Amtsrichter zur Entgegennahme von Anzeigen und zur Vornahme von Untersuchungshandlungen auf Antrag der Staatsanwaltschaft oder des Untersuchungsrichters und in eiligen Fällen auch von Amts wegen befugt und verpflichtet.
2) Die Strafkammern der Landgerichte sind für diejenigen Vergehen zuständig, welche nicht vor die Schöffengerichte gehören; ferner für diejenigen Verbrechen, welche höchstens mit fünfjähriger Zuchthausstrafe bedroht sind; dann für die Verbrechen jugendlicher (noch nicht 18jähriger) Personen; für gewisse Unzuchtsverbrechen; für schweren Diebstahl und schwere Hehlerei und für Betrug, Diebstahl und Hehlerei im wiederholten Rückfall; endlich auch für die in verschiedenen Reichsgesetzen, wie z. B. im Bank- und im Aktiengesetz, für strafbar erklärten Handlungen.
Eine Mitwirkung des Laienelements ist zwar in diesem Verfahren ausgeschlossen; dafür müssen aber die Strafkammern mit fünf Richtern besetzt sein, und es ist zu einer Verurteilung eine Mehrheit von vier Stimmen erforderlich. Zur Führung der Voruntersuchung, welche stattfinden muß, wenn sie von dem Staatsanwalt oder von dem Beschuldigten beantragt wird, ist bei dem Landgericht ein Untersuchungsrichter zu bestellen, welcher an dem Hauptverfahren selbst keinen Anteil nehmen darf.
3) Schwurgerichte, welche periodisch bei den Landgerichten zusammentreten und aus drei richterlichen ¶