Titel
Geradführung
,
[* 1]
Gattungsname für eine
Reihe von Mechanismen, welche den
Zweck haben, eine geradlinige
Bewegung zu erzeugen. Die einfachste Geradführung
besteht in einer oder mehreren geraden
Stangen oder
Schienen (Gleitschienen,
Gleitbacken),
auf welchen das zu führende
Stück (Gleitstück, Gleitklotz, in bestimmten
Fällen auch
Querhaupt oder
Kreuzkopf
[* 3] genannt) hin-
und hergleitet. Die scheinbar sehr einfache Aufgabe, eine gerade
Linie durch
Bewegung zu beschreiben, wird
ein schwieriges
Problem der
Mechanik, wenn die
Bedingung gestellt wird, nicht von einer bereits vorhandenen geraden
Linie auszugehen,
sondern nur kreisförmige
Bewegungen zu benutzen (die sogen. Gelenkgeradführungen
).
Ihre wichtigste Verwendung finden die Gelenkgeradführungen
bei den Balancierdampfmaschinen, wo sie zwischen den
Balancier
[* 4] und die
Kolbenstange eingeschaltet werden, um die geradlinige Kolbenbewegung aufzunehmen und in eine
Oszillation
des
Balanciers zu verwandeln. Nachdem man lange nach einer theoretisch genauen Gelenkgeradführung
gesucht hatte, ist es
endlich in neuerer Zeit zugleich Peaucellier,
Silvester und
Kempe gelungen, eine solche zu finden. Diese besteht
[* 1]
(Fig. 1) aus 7 Gelenkstangen
mit parallelen Endzapfen und einem festen
Stück a mit den
Zapfen
[* 5] A und B. Die
Stangen
b und c sind einander
gleich, ebenso e, f, g,
h, und die
Stange d ist gleich der
Entfernung
a der beiden festen
Punkte A und B. E ist der gerade geführte
Punkt, und zwar ist seine
Bahn senkrecht zu der
Linie A B.
Soll diese Behauptung richtig sein, so muß das
von E auf die
Verlängerung
[* 6] von A B gefällte
Lot für alle
Lagen, welche der
Mechanismus einnehmen kann, denselben
Fußpunkt
behalten, es muß also A
H eine konstante
Länge sein. Das folgt aber aus der
Ähnlichkeit
[* 7] der bei C, resp.
H rechtwinke-
[* 1]
^[Abb.: Fig. 1. Geradführung
von Peaucellier.]
¶
Großer Ohrwurm (Forficula gigantea), Männchen. Nat. Gr. (Art. Ohrwürmer.).
Gemeiner Ohrwurm (F. auricularia) in fliegender Stellung.
Maulwurfsgrille (Gryllotalpa vulgaris) nebst Larve. Nat. Gr. (Art. Maulwurfsgrille.)
Feldgrille (Gryllus campestris). Nat. Gr. (Art. Heuschrecken) [* 9]
Deutsche [* 10] Schabe (Blatta germanica), Weibchen und Männchen. Nat. Gr. (Art. Schaben.)
Wandelndes Blatt (Phyllium siccifolium). Nat. Gr. (Art. Gespenstheuschrecken.)
Dornschrecke (Tetrix subulata). Nat. Gr. (Art. Heuschrecken.)
Eikapsel der Küchenschabe, a in natürl. Gr.
Küchenschabe (Periplaneta orientalis). Nat. Gr. (Art. Schaben.)
Wanderheuschrecke a (Oedipoda migratoria); b Larve; c osteuropäische Form (O. cinerascens). Nat. Gr. (Art. Heuschrecken.)
Eierhaufe der Gottesanbeterin mit auskriechenden Jungen.
Gottesanbeterin (Mantis religiosa), Weibchen. Nat. Gr. (Art. Gottesanbeterin.)
Zum Artikel »Geradflügler«. ¶
mehr
ligen Dreiecke A C G und A H E, für deren Seiten die Proportion gilt:
AH = (AC · AE) / AG = (AC · AE) / 2a.
AC · AE ist aber ein konstantes Produkt aus veränderlichen Faktoren, denn es ist
AC · AE = (AJ - CJ) (AJ + CJ) = AJ² - CJ² = (AD² - DJ²) - (CD² - DJ²) = AD² - CD² = b² - e²;
somit erhalten wir
AH = (b² - e²)/ 2a,
also konstant. Es ist also auf ganz elementarem Weg nachgewiesen, daß der Punkt E wirklich eine Gerade beschreibt. Dieser Mechanismus ist indessen zu kompliziert, als daß er in der Praxis die einfachern angenäherten Geradführungen verdrängen könnte, die zwar keine wirkliche Gerade, jedoch eine von der Geraden nur ganz wenig abweichende Linie ergeben.
Bei den angenäherten Geradführungen wird die genaue gerade Linie durch eine Kurve ersetzt, welche dieselbe
mehrere Male, etwa 3-5mal, schneidet und sich zwischen den Schnittpunkten der Geraden möglichst innig anschmiegt. Hierher
gehört Watts Lemniskoidenlenker
[* 11]
(Fig. 2), bei dem A und B feste Punkte sind, um welche die Stangen A C und B D schwingen können,
während E der auf der Linie C E D liegende gerade geführte Punkt ist. Vielfach bei Dampfmaschinen
[* 12] ist die
Evanssche Geradführung
angewendet worden, für Druckpressen der sogen. Hypocykellenker,
welcher darauf beruht, daß die Peripheriepunkte eines Rades, welches in einem andern von doppeltem Radius rollt, gerade Linien
beschreiben. Der Reichenbachsche oder Konchoidenlenker ist namentlich bei Wassersäulenmaschinen
[* 13] angewendet
worden. Die Werke über Maschinenbau und Kinematik zählen eine sehr große Zahl brauchbarer angenäherter Geradführungen
auf.