Geotropismus
(grch.), in der Pflanzenphysiologie die Fähigkeit einzelner Pflanzenteile,
sich unter dem Einfluß der Schwerkraft, durch Wachstum in einen bestimmten Winkel
[* 2] zur Lotlinie zu stellen.
Die Wachstumserscheinungen, die dabei auftreten, nennt man, insofern
Krümmungen damit verbunden sind, geotropische
Krümmungen.
Die Pflanzenteile, die jene Fähigkeit besitzen, bezeichnet man als geotropisch. Je nach der
Stellung, die die Pflanzenteile
zur
Richtung, in der die Schwerkraft wirkt, also zur Vertikalen oder Lotlinie, einnehmen, unterscheidet
man mehrere
Arten von Geotropismus
Stellen sich die Pflanzenteile parallel zur
Richtung der Lotlinie, so kann man zwei Fälle unterscheiden,
entweder wachsen sie vom Erdmittelpunkte weg, wie die meisten
Stammorgane, oder sie wachsen nach dem Erdmittelpunkte hin,
wie die meisten
Wurzeln; im erstern Falle spricht man von negativem, im letztern Falle von positivem Geotropismus
, und
die Pflanzenteile, die entweder positiv oder negativ geotropisch sind, bezeichnet man auch mit dem gemeinsamen
Namen orthotrop-geotropische
Pflanzenteile.
Bringt man einen noch wachstumsfähigen orthotrop-geotropischen Pflanzenteil in eine von der Lotlinie abweichende Lage, so tritt eine Krümmung desselben ein, wodurch die frühere Lage wiederhergestellt wird. Diese Krümmung kann ihre Konkavität entweder nach unten oder nach oben richten, je nachdem der betreffende Pflanzenteil positiv oder negativ geotropisch ist. Ein wagerecht gelegter Stengel [* 3] wird also in den meisten Fällen seine Spitze wieder nach oben richten, eine wagerecht gelegte Wurzel [* 4] dagegen krümmt sich in der Weise, daß die Spitze wieder dem Erdcentrum zugekehrt ist. Da alle geotropischen Bewegungen Wachstumserscheinungen sind, so folgt, daß sie nur an wachstumsfähigen Organen eintreten können, nicht aber an ausgewachsenen Partien, wie an ältern Internodien, in denen bereits Dickenwachstum stattgefunden hat.
Bei vielen Pflanzen bleiben allerdings auch an ausgewachsenen Internodien noch wachstumsfähige Stellen zurück, so hauptsächlich bei den Gräsern, wo stets in den sog. Knoten noch Wachstum stattfinden kann. Es kann deshalb auch ein alter Grashalm, wenn er aus einer normalen Stellung gebracht wird, wie dies z. B. beim Getreide [* 5] durch Wind und Regen häufig geschieht, sich wieder geotropisch aufwärts richten, die dazu notwendigen Krümmungen erfolgen aber nur in den Knoten des Halms. Ein daniedergeworfener Baum dagegen kann sich nur in seiner noch wachstumsfähigen Spitze wieder aufwärts krümmen, nicht aber in den übrigen Partien.
Neben den orthotrop-geotropischen Erscheinungen unterscheidet man noch einen sog.
Transversal- oder Diageotropismus
, der darin
besteht, daß gewisse Pflanzenteile sich nicht parallel zur Lotlinie, sondern horizontal oder schief
stellen. Der Transversalgeotropismus
ist ebenfalls eine sehr verbreitete Erscheinung; während die Hauptwurzeln und die Hauptstammachsen
der meisten
Pflanzen positiv,
bez. negativ geotropisch sind, zeigen die meisten Nebenwurzeln und Seitenäste, ebenso viele
Blattorgane Transversalgeotropismus.
Der Nutzen, den durch diese Eigenschaft der meisten Seitenzweige,
Blätter und Seitenwurzeln die
Pflanzen haben, ist sofort ersichtlich, denn nur dadurch wird eine möglichste Ausbreitung der
Vegetationsorgane sowohl in der Luft als auch im Erdboden herbeigeführt, was für die gesamte
Ernährung von großem
Vorteil
ist.
In welcher Weise unter Einfluß der Schwerkraft die geotropischen Bewegungen in der Pflanze bewirkt werden, ist bis jetzt noch vollständig unbekannt, man weiß nur, daß diese Bewegungen, wie schon erwähnt, ausschließlich Wachstumsbewegungen sind; durch welche mechan. Einwirkung aber die Schwerkraft eine einseitige Förderung bez. Verzögerung im Wachstum der betreffenden Pflanzenteile hervorruft, darüber kann man nur Vermutungen haben. Die schon von vielen Botanikern versuchten Erklärungen sind in der That keine Beantwortung jener Frage, denn weder die Annahme einer Polarität der einzelnen Zellen oder ihrer Wände, noch die Subsumierung der geotropischen Bewegung unter die Reizerscheinungen, noch auch die stärkern einseitigen Plasma-Ansammlungen können über den eigentlichen Bewegungsmechanismus eine genügende Aufklärung geben.