Titel
Gentz
,
1) Friedrich von, einer der bedeutendsten Publizisten Deutschlands, [* 2] geb. zu Breslau, [* 3] studierte in Königsberg [* 4] Rechtswissenschaften und insbesondere Kantsche Philosophie und trat 1786 als Sekretär [* 5] beim Generaldirektorium in den preußischen Staatsdienst, machte sich bald auch als Schriftsteller bekannt und ward später zum Kriegsrat ernannt. Als Student hatte er für Rousseau und Kant geschwärmt, und die französische Revolution begrüßte er anfangs mit Begeisterung; aber bald berührten ihre Ausschreitungen seine wesentlich aristokratisch angelegte und genußsüchtige Natur aufs empfindlichste. Er las die Schriften, welche die Prinzipien der Revolution bekämpften, mit größtem Eifer und gab die bedeutendsten in deutscher Übersetzung mit Exkursen heraus, nämlich: E. Burkes »Betrachtungen über die französische Revolution« (Braunschw. 1793),
Mallet du
Pans
Schrift Ȇber das
Charakteristische und die lange Dauer der französischen
Revolution« (Berl.
1794) und
Mouniers
»Entwickelung der
Ursachen, welche
Frankreich gehindert, zur
Freiheit zu gelangen« (das. 1794-95, 4 Bde.).
Diese
Schriften machten damals großes Aufsehen und brachten Gentz
, da er sich zugleich als eifrigen
Verehrer der englischen
Verfassung bekannte, in
Verbindung mit den hervorragendsten englischen Staatsmännern, die er 1802 auf
einer
Reise nach
England noch enger
knüpfte.
Der reiche pekuniäre Gewinn, welcher ihm dadurch zu teil wurde, mußte ihm um so willkommener sein, als sein ungeregeltes, verschwenderisches Leben immer größere Summen verschlang. In der »Neuen deutschen Monatsschrift« (1795-98) und im »Historischen Journal« (1799-1800) schuf er sich die Organe zur Kundgebung seiner politischen Anschauungen, welche in dem letztgenannten Blatt [* 6] bereits in einem kampfesmutig herausfordernden Ton Frankreich und Bonaparte gegenüber sich ausließen.
Die Thronbesteigung des
Königs
Friedrich
Wilhelm III. begrüßte Gentz
mit einem »Sendschreiben«, worin
er vom freiesten Standpunkt aus dem Monarchen die zu befolgenden
Grundsätze darlegte und namentlich Vermeidung neuer
Auflagen,
Gewerbefreiheit und ein größeres
Maß von
Preßfreiheit verlangte. Dem König selbst empfahl sich indessen Gentz
durch dieses
Schreiben wenig. Da ihm deshalb eine glänzende Laufbahn im preußischen
Staatsdienst verschlossen schien
und seine finanziellen Verhältnisse immer prekärer wurden, so folgte er der von seiten des
Wiener
Kabinetts an ihn ergangenen
Einladung und trat 1802 als kaiserlicher
Rat in den österreichischen
Staatsdienst, der ihn in nahe Beziehungen zu dem damaligen
Hof- und Staatskanzler L.
Cobenzl brachte.
Hiermit beginnt die Periode seiner publizistischen Thätigkeit, welche für die deutschen Nationalkämpfe gegen Napoleons Übermacht von hoher Wichtigkeit ist. Alle seine Schriften und Manifeste sind von leidenschaftlichem Haß gegen Napoleon erfüllt. Vor dem Ausbruch der Kriege von 1805 und 1809 war er aufs eifrigste bemüht, eine Koalition zwischen Österreich [* 7] und Preußen [* 8] zu stande zu bringen. Die neuen entscheidenden Siege Napoleons brachten ihn in Verzweiflung, die sich in Kraftausdrücken Luft machte, welche die Glätte seines mustergültigen Stils wie mit vulkanischer Kraft [* 9] durchbrachen. In diesem Geist sind namentlich die »Fragmente aus der Geschichte des politischen Gleichgewichts von Europa« [* 10] (Leipz. 1804, 2. Aufl. 1806) abgefaßt.
Als sich die
Franzosen 1805
Wien
[* 11] näherten, begab sich Gentz
nach
Dresden,
[* 12] dann in das preußische
Hauptquartier, wo er das bekannte
Manifest gegen
Frankreich entwarf. 1806 kehrte er nach
Wien zurück, wo er wieder in die Staatskanzlei eintrat und namentlich
zu politisch-diplomatischen
Arbeiten gebraucht wurde. So verfaßte er 1809 und 1813 die
Manifeste
Österreichs
gegen
Frankreich. Auch in finanziellen
Fragen wurde er zu
Rate gezogen und schrieb darüber zur
Verteidigung der
Regierung Zeitungsartikel.
Schon 1810, nach dem Sturz Stadions, trat eine entscheidende Umwandlung in ihm ein. Er wurde, wie er selbst schreibt, »Verfechter der Restaurationstendenzen«, Gehilfe und allmählich Werkzeug der Metternichschen Kabinettspolitik und aus einem Gegner des Welteroberers Napoleon ein Feind der Revolution, d. h. des Liberalismus, überhaupt jeder freiern politischen und geistigen Regung. Schon 1813 denunzierte er die patriotische Erhebung Preußens [* 13] als Rückkehr zur Revolution, und der Sturz Bonapartes bedeutete für ihn nur den Übergang in den Zustand der Ruhe und des Genusses. Er führte auf dem Wiener Kongreß, bei den Ministerkonferenzen zu Paris [* 14] 1813 sowie auf den nachfolgenden Kongressen, zuletzt zu Verona, [* 15] als Generalsekretär das Protokoll der Verhandlungen und gab seine Feder dazu her, die Freiheitsbestrebungen der Völker zu bekämpfen und den strengsten Absolutismus zu verfechten. Vor jeder Regung in Deutschland [* 16] und Europa erschrak der durch epikureische Genußsucht und feigen Egoismus erschlaffte Mann, als ob sie das künstliche Gebäude ¶
mehr
Metternichs und seiner Politik umstürzen könne, und mit Leidenschaft eiferte er gegen alles, was Europa aus seiner Grabesstille
aufzuschrecken drohte. Diese reaktionäre Richtung vertrat er namentlich in den 1818 von ihm gegründeten »Wiener Jahrbüchern
der Litteratur« und in dem »Österreichischen Beobachter«, der früher
eine entschieden liberale Richtung verfolgt hatte. Obwohl sich seit dem Wiener Kongreß, wo ihm von England
aus eine hohe Pension zugesichert ward, seine regelmäßigen Einkünfte auf über 22,000 Thlr. beliefen,
hinterließ Gentz
bei seinem erfolgten Tod bedeutende Schulden, so daß seine hohen Gönner noch nach seinem Tod für
ihn eintreten mußten.
Selten hat wohl ein im Dienste
[* 18] der Diplomatie stehender Mann ein so verschwenderisches Leben geführt wie
Gentz
, der die Großmächte je nach dem Betrag ihrer Zahlungen bediente und die bezogenen Summen in der üppigsten Schwelgerei
ausgehen ließ. Im Haschen nach Genuß erlaubte sich seine Genialität so ziemlich alles, was seinem Egoismus zusagte, und
die »Weltverachtung«, welche das eigentliche Element seiner Lebensauffassung ausmachte, führte ihn endlich zur völligen
Gleichgültigkeit gegen Gesetz, Sitte und gesellschaftliche Stellung, zu einer erbärmlichen Selbstsucht und Feigheit, die vor
jedem aufsteigenden Gewitter in Zittern und Beben geriet.
Sein unbestrittenes litterarisches Verdienst beruht in der Kunst der Darstellung, die ihn den ersten Prosaikern anreiht. Er war ein Meister des Stils, von wenigen erreicht, von keinem übertroffen, gleich ausgezeichnet durch Klarheit der Entwickelung und durch begeisterndes Pathos der Rede. Das österreichische Manifest von 1813 ist ein Denkmal politischer Beredsamkeit, wie es wenige gibt; seine »Fragmente« enthalten Ausführungen und patriotische Mahnungen, welche an Fichtes »Reden an die deutsche Nation« erinnern, und seine Briefe an Adam Müller sind wahre Perlen des Geistes und stilistischer Vollendung.
Von seinen größern Schriften nennen wir noch das historische Gemälde: »Maria, Königin von Schottland« (Braunschw. 1799, neue Aufl. 1827);
das französisch geschriebene Buch »Essai actuel d'administration des finances de la Grande-Bretagne« (Hamb. 1801);
»Über den politischen Zustand Europas vor und nach der französischen Revolution« (Berl. 1801-1802, 2 Hefte);
»Betrachtungen über den Ursprung und Charakter des Kriegs gegen die französische Revolution« (das. 1801).
Nach seinem Tod wurden seine »Ausgewählten Schriften« von Weick (Stuttg. 1836-1838, 5 Bde.) und seine kleinern Schriften (Mannh. 1838-40, 5 Bde.) sowie »Mémoires et lettres inédites« (Stuttg. 1841) von Schlesier herausgegeben;
außerdem erschienen: seine »Briefe an Chr. Garve« (Bresl. 1857);
sein Briefwechsel mit Adam Müller (Stuttg. 1857);
»Briefe an Pilat« (Leipz. 1868, 2 Bde.);
»Briefe politischen Inhalts von und an Gentz«
, aus den Jahren 1799-1827 (hrsg. von Klinkowström, Wien 1870);
»Aus dem Nachlaß Friedrichs v. Gentz«
(hrsg. von Prokesch-Osten, das. 1867, 2 Bde.);
»Dépèches inédites de Chev. de Gentz
aux Hospodars de Valachie 1813-28« (hrsg. von Prokesch-Osten, Par. 1876);
»Zur Geschichte
der orientalischen Frage. Briefe aus dem Nachlaß Friedrichs v. Gentz«
(Wien 1877) sowie seine »Tagebücher« aus
dem Nachlaß von Varnhagen v. Ense, von 1800 bis 1826 reichend (Leipz. 1873-74, 4 Bde.).
Vgl. die Biographie von R. Haym in Ersch und Grubers »Encyklopädie«; Karl Mendelssohn-Bartholdy, Friedrich v. Gentz
(Leipz. 1867);
Schmidt-Weißenfels,
Friedrich v. Gentz
(Prag
[* 19] 1859, 2 Bde.);
Fournier, Gentz
und Cobenzl (Wien 1880).
2) Wilhelm, Maler, geb. zu Neuruppin, [* 20] hatte bereits mehrere Semester die Universität besucht, als er sich im 21. Jahr entschloß, zur Malerei überzugehen. Er besuchte die Akademie zu Berlin, [* 21] bildete sich daneben in Klöbers Atelier und studierte dann neun Monate lang auf der Antwerpener Akademie, worauf er sich 1846 über London [* 22] nach Paris begab. Hier trat er in das Schüleratelier P. Delaroches ein, das damals unter der Leitung von Gleyre stand. Im J. 1847 reiste er nach Spanien [* 23] und nach Marokko; [* 24] im Februar 1848 kam er nach Paris zurück.
Hier malte er den verlornen Sohn in der Wüste, eine lebensgroße
[* 17]
Figur, begab sich aber sodann über Marseille
[* 25] und Malta nach Ägypten
[* 26] und dem Sinai; den Rückweg nahm er über Kleinasien, den griechischen Archipel, Konstantinopel
[* 27] und Wien.
Im J. 1852 lebte er in Berlin, und hier entstanden seine ersten Bilder orientalischen Lebens, ein Sklavenmarkt und eine ägyptische
Schule; allein wenig damit zufrieden, wandte sich Gentz
wieder nach Paris und schloß sich diesmal dem Coutureschen
Atelier an. Er malte hier zwei religiöse Bilder mit lebensgroßen Figuren, Christus und Magdalena bei Simon und Christus unter
den Zöllnern, um dann dies Gebiet für immer zu verlassen.
Seit 1858 wieder in Berlin, schuf er eine lange Reihe orientalischer, zumeist ägyptischer, Darstellungen, welche durch charakteristische Auffassung und glänzende Färbung auf den akademischen Ausstellungen ungeteilten Beifall fanden. Die Zahl seiner Bilder ist sehr groß; bald ist die Landschaft, bald sind die Figuren überwiegend, in allen aber ist der Charakter von Land und Volk scharf ausgeprägt. Die bedeutendsten derselben sind: Sklaventransport durch die Wüste;
Lager [* 28] der Mekkakarawane;
Gebet der Mekkakarawane;
Begegnung zweier Karawanen in der Wüste;
Nillandschaft mit Flamingos (1870);
Märchenerzähler bei Kairo; [* 29]
Dorfschule in Oberägypten;
Schlangenbeschwörer (1872);
der Einzug des Kronprinzen von Preußen in Jerusalem [* 30] (1876, Berliner [* 31] Nationalgalerie);
ein Koranspruch als Heilmittel;
Gedächtnisfeier des Rabbi Isaak Barchischot in Algier (1881, Museum in Leipzig); [* 32]
Idyll in der Thebaide (1883) und Abend am Nil (1884).
Gentz
ist ein Kolorist ersten Ranges, der namentlich die Wirkungen des Sonnenlichts mit großer Meisterschaft darzustellen
weiß. Durch mehrere Reisen nach Ägypten und Palästina
[* 33] hat er auch später noch sein Studienfeld erweitert.
Er besitzt die große goldene Medaille der Berliner Kunstausstellung und ist königlicher Professor.