Genius
(lat., mit gignere, »erzeugen«,
zusammenhängend), nach der
Anschauung der italischen
Völker ein
Leben erzeugendes und erhaltendes höheres
Wesen, welches bei
Erzeugung und
Geburt jedes einzelnen
Menschen mitwirkt, seine
Individualität bestimmt, sein
Schicksal immer zum guten zu lenken
sucht, ihn als
Schutzgeist durchs
Leben begleitet und noch nach dem
Tod in den
Laren (s. d.) fortlebt. Als
schöpferisches
Prinzip ist der Genius
genau genommen nur den Männern eigen, bei den
Frauen vertritt seine
Stelle der Inbegriff
des weiblichen
Lebens, die
Juno (s. d.), so daß in einem
Haus, wo Mann und
Frau sind, eigentlich ein Genius
und eine
Juno verehrt
werden; doch sprach man im allgemeinen von den
Genien des
Hauses, denen das Ehebett geweiht war.
Der
Geburtstag des einzelnen
Menschen ist zugleich der natürliche Festtag des ihm angebornen Genius
, dem man
Weihrauch,
Wein,
Kränze,
Kuchen u. a., nur nicht blutige
Opfer, darbrachte, wie man sich ihm zu
Ehren auch selbst frohem
Genuß überließ. Denn
daß der
Mensch das von ihm geschenkte
Leben genieße, ist der
Wille des Genius;
sich etwas zu gute thun heißt daher bei den
Römern
»seinem Genius
sich hingeben«, und sich den Lebensgenuß versagen,
»seinen Genius
betrügen«. Als
¶
mehr
dem höhern Ich des Menschen schwört man bei dem Genius
, dem eignen wie dem geliebter oder geehrter Personen. Die Vorstellung von
zwei Genien des Menschen, einem guten und bösen, rührt von den Philosophen her; der Volksglaube verband mit dem Begriff des
Genius
stets die Vorstellung eines guten, fördernden Wesens. Wie die einzelnen Personen, so haben auch Familien,
Genossenschaften, Bürgerschaften und Völker ihren Genius.
Der des römischen Volkes (genius
publicus oder populi romani) stand auf dem
Forum
[* 3] in Gestalt eines bärtigen Mannes mit Diadem und in der Rechten ein Füllhorn, in der Linken ein Zepter tragend; ihm wurde 9. Oktober ein
regelmäßiges Opfer dargebracht. Neben ihm erfuhr in der Kaiserzeit der Genius
des Augustus, als des Begründers des Kaisertums
und des jedesmaligen Kaisers, öffentliche Verehrung. Auch Orten, wie Plätzen, Straßen, Thoren, Bädern, Theatern, legte man ihre
Genien bei. Die Genien der Orte dachte man sich gewöhnlich als Schlangen,
[* 4] die man daher gern in Häusern
hielt.
Vgl. Preller, Römische Mythologie, [* 5] S. 67 ff. und 566 ff.; Schömann, Opuscula academica, Bd. 1 (Berl. 1856).