Gemmen
[* 2]
(Gemmae, hierzu die Tafel »Gemmen
und
Kameen«, mit Textblatt),
Edelsteine
[* 3] im allgemeinen, dann
geschnittene Steine.
Gemmen
im engern
Sinne nennt man solche
Edelsteine, in welche das
Bild vertieft geschnitten ist (intaglio),
und
Kameen (cammeo) solche, auf welchen das
Bild sich in erhabener
Arbeit (en relief) befindet. In neuerer Zeit nennt man auch
für den Galanteriewarenhandel angefertigte
Muscheln
[* 4] mit erhaben geschnittenem Bildwerk
Kameen und Gemmen.
Die Gemmen dienten ursprünglich
nur zum
Abdrücken in
Wachs etc. und wurden meist in
Siegelringen getragen, während
Kameen zum Besetzen
von
Knöpfen,
Spangen,
Ringen, dann von
Pokalen,
Waffen,
[* 5]
Kandelabern, Götterbildern etc. dienten. In
Zeiten des
Verfalls der
Kunst
verwendete man aber auch die in ähnlicher
Weise.
Die Fertigkeit,
Edelsteine künstlich zu schneiden, war schon im
Altertum bekannt. Nach einem
Bericht des Herodot trug jeder
Babylonier einen
Siegelring, deren sich auch in
Menge erhalten haben (s. Tafel,
[* 1]
Fig. 2 und 6). Im
Museum
zu
Berlin
[* 6] befinden sich
Mumien, an deren
Fingern noch
Siegelringe stecken. Bekannt ist der sagenhafte
Siegelring des
Polykrates.
Seit den
Perserkriegen wurde auch in
Griechenland
[* 7] das Wohlgefallen an
Siegelringen ziemlich allgemein. Man benutzte
dazu fast alle damals bekannten, meist orientalischen Ganz- und
Halbedelsteine, für die Gemmen
einfarbige, durchsichtige, aber
auch fleckige, wolkige
Steine, von eigentlichen
Edelsteinen fast nur
Amethyst und
Hyacinth, dagegen viele halbedle
Steine, besonders
die mannigfachen
Achate, darunter den sehr beliebten
Karneol, den
Chalcedon, auch das
Plasma des Smeraldo.
Für
Kameen (s. d.) bevorzugte man mehrfarbige
Steine, wie den aus rauchbraunen und milchweißen
Schichten
bestehenden
Onyx, den
Sardonyx, der noch eine dritte
Schicht von
Karneol besaß, und andre aus dem
Orient eingeführte Steinarten,
indem man die dunkelste
Schicht zum
Hintergrund, die hellern zur Kolorierung des Reliefbildes benutzte. Von griechischen
Steinschneidern
sind uns nur wenig
Namen bekannt, und auf diese können wir die uns erhaltenen
Steine nicht mehr zurückführen;
wo ihre
Namen auf Gemmen
vorkommen, sind sie häufig in neuerer Zeit in betrügerischer Absicht hinzugefügt.
Vgl. die Liste in Brunns »Geschichte der griechischen Künstler«, Bd. 2, S. 441 ff. Als der ausgezeichnetste gilt Pyrgoteles, dem allein Alexander d. Gr. gestattete, sein Bild zu schneiden.
Die künstlerische
Entwickelung des Gemmen
schnittes (Glyptik) richtete sich nach der
Entwickelung der griechischen
Plastik überhaupt.
Neben
Porträten und symbolischen
Darstellungen mit Bezug auf den
Namen und den
Beruf des
Trägers des
Ringes, wohl auch mit Rücksicht
auf die
Eigenschaft des
Steins als
Amulett, wurden auch
Darstellungen berühmter Kunstwerke, hochverehrter
Götterbilder und Ähnliches in
Stein geschnitten. Auch im alten
Etrurien stand die Glyptik in hoher
Blüte.
[* 8] Es sind uns noch
eine große Anzahl etruskischer Gemmen
, meist in Form von
Käfern
(Skarabäen),
[* 9] zum Teil von ausgezeichneter
Arbeit, erhalten (s.
Tafel,
[* 1]
Fig. 3).
In Rom [* 10] war die Sitte, Siegelringe zu tragen, seit der letzten Zeit der Republik ganz allgemein geworden, die Vorliebe für geschnittene Steine artete hier bald in Leidenschaft aus. Kunstliebhaber legten große Sammlungen von
[* 1]
^[Abb.: Gemmen
aus
Pompeji.
[* 11]
Artemis.
[* 12]
Perseus.]
[* 13]
^[Abb.: Kameen (Neapel). [* 14] Dionysos. [* 15] Pan [* 16] mit dem jungen Dionysos.] ¶
2. Babylonisch-persische Cylindergemme.
3. Etruskische Gemme.
4. Griechische Kamee von Athenion.
5. Altgriechische Cylindergemme.
6. Assyrische Cylindergemme.
8. Abraxasgemme. [* 19]
9. Etruskischer Glasfluß.
10. Ägyptische Kamee.
11. Griechische Gemme von Aspasios.
12. Ägyptischer Skarabäus.
13. Griechische Kamee.
14. Römisch-altchristliche Gemme.
15. Cameo Gonzaga.
16. Ägyptische Gemme.
18. Siegel des Michelangelo.
22. Gemme von Cerbara.
23. Gemme von Marchant.
24. Gemme von Nassaro.
25. Italienische Gemme.
26. Byzantinische Gemme.
27. Gemme von Calandrelli.
30. Muschel-Kamee von Coldoré.
31. Gemme von Guay.
33. Gemme von Jeuffroy.
mehr
Gemmen
(Daktyliotheken, s. d.) an. Pompejus brachte die Daktyliothek des Königs Mithridates nach Rom und stellte sie in einem Tempel
[* 21] auf. Julius Cäsar stiftete sechs Daktyliotheken in dem Tempel der Venus Genitrix. Man trieb nun großen Luxus mit Gemmen
, besetzte
damit sogar Kleider, Gefäße, Kandelaber
[* 22] und Geräte aller Art. Der bedeutendste Gemmen
schneider dieser
Zeit war Dioskurides. Damals entstanden auch die sehr großen, überaus kostbaren Kameen, die jetzt in den Sammlungen zu Wien,
[* 23] Paris,
[* 24] Petersburg
[* 25] u. a. aufbewahrt werden. Die berühmtesten sind: der schon in alexandrinischer
Zeit entstandene Cammeo Gonzaga in Petersburg (s. Tafel,
[* 20]
Fig. 15), die Gemma Augustea mit der Darstellung der Familie
des Augustus in Wien, der Pariser Cammeo mit demselben Gegenstand (s. Tafel,
[* 20]
Fig. 17) und der niederländische
mit der Familie des Claudius im Haag.
[* 26] Man fertigte selbst ganze Gefäße aus Edelstein und versah sie mit künstlerisch ausgebildeten
Reliefs, wovon die hervorragendsten Beispiele das Mantuanische Gefäß (s. d.) in Braunschweig,
[* 27] die Farnesische
Schale aus Sardonyx in Neapel u. ein Becher
[* 28] in Paris sind.
Antike Gemmen
aller Art, auch antike Nachbildungen derselben in Glas,
[* 29] sogen. Pasten, oft von vorzüglicher Arbeit, sind uns noch in
sehr großer Anzahl erhalten. Zu Ende der römischen Kaiserzeit artete die Glyptik aus, wurde roh und diente häufig
dem Aberglauben. Im Mittelalter verlor sich die Kunst beinahe, und erst gegen das Ende desselben erwachte zunächst in Italien
[* 30] das Interesse für antike Münzen
[* 31] und Gemmen
wieder. Es entstanden damals die Grundlagen der noch heute bestehenden großen Sammlungen
im Besitz des italienischen Adels und in den Museen zu Berlin, Wien, Petersburg, Paris, London,
[* 32] Florenz,
[* 33] Neapel,
Gotha,
[* 34] Dresden,
[* 35] Kassel,
[* 36] Kopenhagen,
[* 37] Haag.
Die Liebhaberei dafür war besonders im 18. Jahrh. weit verbreitet. Damals entstand die große Sammlung des Barons Ph. v. Stosch (s. d.), welche nachmals an das Berliner [* 38] Museum überging; ferner die Sammlung des Herzogs von Marlborough, die 1875 für 35,000 Guineen (735,000 Mk.) an den englischen Kohlenbergwerksbesitzer David Bronslow überging. Auch Kopien der in Glas und Abdrücke in Schwefel, Gips [* 39] etc. wurden gefertigt und fleißig gesammelt. Am bekanntesten sind die Lippertschen Abdrücke, welche unter dem Namen Lippertsche Daktyliothek (3000 Abdrücke) noch heute benutzt werden.
Daneben sind die Abdrücke von Tassie (Katalog von Raspe, 1792) und die »Impronte gemmarie del Istituto
archeologico di Roma«
[* 40] hervorzuheben. Mit dem Interesse für antike Gemmen
entstand auch das Bedürfnis, sie nachzuahmen, woraus
sich dann allmählich ein neuer Kunstzweig entwickelte, welcher im 16. Jahrh. zu hoher Blüte gelangte. Die bedeutendsten
Gemmen
schneider des »Cinquecento« sind: Vittorio Pisano, Compagni, Caradosso, Giovanni delle Carneoli, Marmitta
Vater und Sohn, Belli, Daniel Engelhart und etwas später Caraglio, Cesari, Mondella, Nassaro
[* 20]
(Fig. 24), Pescia, Saracchi, Trezzo,
Coldoré
[* 20]
(Fig. 30), Kilian und Schwaiger und im 17. und 18. Jahrh. Pilaja, Torricelli, Tortorino, Höfler, Antonio, Giovanni und
Luigi Pichler
[* 20]
(Fig. 21, 28 u. 29), Amastini, Cades, Cerbara
[* 20]
(Fig. 22), Costanzi, Santarelli, Dorsch, Hecker,
Natter, Brown
[* 20]
(Fig. 32), Busch, Marchant
[* 20]
(Fig. 23), Guay
[* 20]
(Fig. 31), Jeuffroy
[* 20]
(Fig.
33), Berini, Morelli, Girometti und Calandrelli
[* 20]
(Fig. 27). Im Anfang unsers Jahrhunderts hatten besonders Goethe, dann Kestner
in Rom, der Herzog von Luynes und der Herzog von Blacas eifrig antike Gemmen gesammelt.
Seitdem ist aber das Interesse für sie wesentlich erlahmt, trotz der wissenschaftlichen Anregung dazu, namentlich durch die Forschungen von Köhler und Brunn (»Geschichte der griechischen Künstler«, Bd. 2, S. 441 ff.). Doch ist noch in letzter Zeit eine bedeutende, über 1000 Gemmen von allen Völkern zählende Privatsammlung von Tob. Biehler (Baden [* 41] bei Wien) angelegt worden.
Vgl. O. Müller, Handbuch der Archäologie (3. Aufl., § 313-315);
Frischholz, Lehrbuch der Steinschneidekunst [* 42] (Münch. 1820);
Krause, Pyrgoteles (Halle [* 43] 1856, woselbst auch fast die gesamte Litteratur über Kunde antiker Gemmen angegeben ist);
King, Antique gems and rings (3. Aufl., Lond. 1872);
Derselbe, Handbook of engraved gems (2. Aufl., das. 1885);
Bucher, Geschichte der technischen Künste, Bd. 1 (Stuttg. 1875);
Kluge, Handbuch der Edelsteinkunde (Leipz. 1860).