Titel
Gemeindeha
ushalt,
die Wirtschaft, welche die Gemeinde zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse führt. Die hierfür erforderlichen Ausgaben sind, wie im Staatshaushalt, teils ordentliche (regelmäßig wiederkehrende), teils außerordentliche. Für die planmäßige Deckung derselben und für dauernde Aufrechthaltung des Gleichgewichts zwischen Ausgaben und Einnahmen gelten im allgemeinen die gleichen Grundsätze wie für einen geordneten Staatshaushalt.
Zur Bestreitung der ordentlichen Ausgaben haben regelmäßig fließende (ordentliche) Einnahmen aus Vermögen, Erwerbsunternehmungen, Gebühren und Steuern zu dienen. Zunächst dient den Gemeindezwecken das Gemeindevermögen. Dasselbe ist teils dem allgemeinen Gebrauch zugänglich gemacht, wie Straßen, öffentliche Anlagen, teils dient es Verwaltungszwecken, wie die Amtsgebäude, teils wird es für Erwerbszwecke benutzt. Nutzungen aus dem Vermögen der letztern Art oder aus Teilen desselben fließen noch in manchen Gemeinden den Gemeindegliedern direkt zu (Gemeindegliedervermögen, in manchen Städten Bürgervermögen genannt; vgl. Allmande).
Meist aber ist dies Vermögen (oft Kämmereivermögen genannt) zur Bestreitung der Lasten und Ausgaben der Gemeinden bestimmt und kommt insofern den Gemeindeangehörigen mittelbar zu gute. Ursprünglich kommt das Gemeindevermögen nur in Form von Äckern, Waldungen, Weiden etc. vor. Solches Grundvermögen hat sich insbesondere noch in süddeutschen Gemeinden erhalten und hier bisweilen in solchem Maß, daß es nicht allein zur Deckung des Gemeindebedarfs ausreicht, sondern auch oft noch den berechtigten Mitgliedern Nutzungen von Wald und Feld (»Bürgernutzen«) überwiesen werden können.
Neu einziehende Mitglieder der politischen Gemeinde können gewöhnlich die Berechtigung zum Bezug solcher Nutzungen gegen Entrichtung eines Einkaufsgeldes erlangen. Zu dem Vermögen an Grund und Boden sind in neuerer Zeit noch vielfach Güter und Veranstaltungen gekommen, welche industriellen und Verkehrszwecken dienen. Reich an solchem werbenden Gemeindevermögen ist unter anderm Görlitz. [* 2] Diese Stadt bezieht auf den Kopf der Bevölkerung [* 3] im Durchschnitt 53 Mk. Reineinnahmen aus demselben (im Durchschnitt entfallen in den 40 größten Städten Preußens [* 4] 7-8 Mk. auf den Kopf), während in großen, erst in der neuern Zeit stark angewachsenen Industriestädten das Gemeindevermögen von geringer Bedeutung ist (z. B. Barmen [* 5] bezieht 8 Pf. Reineinnahme auf den Kopf).
In der ältern Zeit wurde der geringe Gemeindebedarf vorwiegend durch persönliche Leistungen der Angehörigen und durch die Nutzungen des Gemeindevermögens gedeckt. Nur selten war eine Steuer aufzulegen nötig, welche dann meist in der Form von vorübergehend erhobenen Vermögenssteuern vorkam. Im Lauf der Zeit hat sich indessen der Bereich der Gemeindeaufgaben erheblich ausgedehnt (Verkehr, Unterricht, Sicherheit, Befriedigung vieler früher unbekannter gemeinwirtschaftlicher Bedürfnisse); infolgedessen wurde die dauernde Besteuerung, d. h. die Belastung der Gemeindeangehörigen mit Abgaben auf Grund der der Gemeinde vom Staat übertragenen Zwangsgewalt, zur Notwendigkeit (in den preußischen Städten wurden 1849 durchschnittlich 3,77 Mk. an Gemeindeabgaben auf den Kopf erhoben, 1883/84 war die Zahl auf 11,42 Mk. gestiegen). Doch hat sich dieselbe bei ungleichen Bedürfnissen und Rechtszuständen sehr buntscheckig entwickelt.
Eine Ausnahme macht in dieser Beziehung England, wo schon frühzeitig das Kommunalsteuerwesen gesetzlich geregelt und von staatlicher Willkür befreit wurde. Jede Ausgabenart wurde auf eine besondere, nach Maßgabe des Miet- und Pachtwertes des Realbesitzes von dem Eigentümer oder Mieter (»nutzenden Inhaber«) erhobene Steuer angewiesen, daher der Name Zwecksteuersystem. Dieses System ist freilich längst nicht mehr prinzipiell durchgeführt, indem mit Zunahme der Bedürfnisse auch eine Steuer zu den verschiedensten Zwecken dienen mußte. In Frankreich geriet die Gemeinde in finanzieller Hinsicht in vollständige Abhängigkeit von der Regierung.
Zur Erhebung einer jeden Abgabe ist Genehmigung erforderlich, und zwar werden in jedem Budgetsatz die zugelassenen Abgaben genau bezeichnet. Die direkten Gemeindesteuern, welche etwa 25 Proz. aller Gemeindeeinnahmen ausmachen, bestehen in Zuschlägen (centimes additionnels, wobei Centimes den Zuschlag auf jeden Frank der Staatssteuer bedeuten) zu den vier großen direkten Staatssteuern. Sie zerfallen in centimes ordinaires, spéciaux und extraordinaires. Die erstern beiden dienen zur ¶
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Deckung der obligatorischen Ausgaben, d. h. solcher, welche die Gemeinde zu machen gesetzlich gehalten ist. Die centimes ordinaires werden in der Höhe von 5 Cent. erhoben und sind den Gemeinden ein für allemal zugewiesen. Die centimes spéciaux dienen besondern Zwecken und dürfen auf Beschluß des Conseil municipal innerhalb eines durch Gesetz festgestellten Maximums erhoben werden. Die centimes extraordinaires dienen zur Bestreitung fakultativer Ausgaben, d. h. solcher, über welche die Gemeindevertretung nach ihrem Ermessen entscheiden kann.
Das Maximum dieser Zuschläge ist 20 Cent.; für Überschreitung dieses Satzes ist Genehmigung des Staatsoberhauptes erforderlich. Außerdem besitzen die Gemeinden noch Anteile an der staatlichen Gewerbesteuer (8 Proz.) sowie an verschiedenen direkten Verbrauchssteuern. Dazu kommen eigne Einnahmen aus Vermögen, Gebühren etc. Eine wichtige Rolle spielt bei vielen städtischen Gemeinden das Oktroi, eine Verbrauchssteuer, deren Ursprung bis ins Mittelalter reicht, und welche von Verbrauchsgegenständen beim Eingang in die Stadt erhoben wird.
Einrichtung und Tarifierung des Oktroi stehen dem Gemeinderat zu, vorbehaltlich der Genehmigung durch die Regierung. Strenge Regel ist, daß die Gemeinden die im Ort selbst hergestellten Artikel ebenso hoch besteuern müssen wie die eingeführten gleicher Art, um die Errichtung innerer Schutzzollschranken zu verhindern. Belgien [* 7] hat seinen Gemeinden eine weitgehende Freiheit in der Gestaltung ihres Haushalts zugestanden. 1860 wurde das Oktroi gesetzlich mit der Maßgabe aufgehoben, daß dasselbe auch auf Umwegen nicht wieder eingeführt werden darf.
Dafür genießen die Gemeinden jetzt große Freiheit in der Wahl der Abgaben, welche denn auch in bunter Mannigfaltigkeit vorkommen. Für die Zuschlagscentimes auf Vermögens-, Personal- und Gewerbesteuer sowie für verschiedene Gebühren und Taxen genügt Genehmigung durch den ständischen Ausschuß des Provinzialrats. Für die übrigen Abgaben ist Genehmigung des Königs erforderlich, und zwar können, wenn diese erteilt ist, alle Arten von Steuern erhoben werden, sofern nicht dadurch Vorrechte geschaffen oder das Oktroi unter verdeckter Form wieder eingeführt wird.
In Deutschland [* 8] und Österreich [* 9] ist die Gestaltung des Gemeindesteuerwesens eine sehr bunte. Wir finden hier Zuschläge zu Staatssteuern, Verbrauchssteuern in Form des Oktroi sowie selbständige direkte Steuern, wie die Mietsteuer. Im Gegensatz zu Frankreich ist die direkte Steuer überwiegend. Viele Gemeinden haben ihre Wirtschaft fast ausschließlich auf Zuschläge zu einer oder zwei direkten Staatssteuern gestützt. Infolge davon ist bei steigendem Bedarf die Steuerlast eine sehr ungleichmäßige und für einzelne Klassen von Gemeindebürgern sehr drückende geworden. Belaufen die Zuschläge sich doch in mehr als 100 preußischen Gemeinden auf 300, in einigen selbst auf 600 Proz. der Staatssteuern.
Die Anschauungen über die zweckmäßigste Gestaltung des Gemeindesteuersystems sind geteilt. Nach einer früher vielvertretenen Ansicht sollte die Gemeindesteuer nach dem Grundsatz, daß die Leistung der Gegenleistung entspreche, bemessen, sonach gebührenartig gestaltet werden. Als eine diesem Zweck entsprechende Steuer schlug Faucher die Mietsteuer vor, während andre, wie Karl Braun, die Grundsteuer als alleinige Gemeindeabgabe befürworteten. Nun sind aber sicherlich Miet- und Grundrente nicht die ausschließlichen Maßstäbe zur Bemessung der Vorteile, welche den Steuerpflichtigen aus dem Gemeindeleben erwachsen.
Auch lassen sich diese Vorteile überhaupt nicht immer abwägen. Für die Abgaben der Gemeinde gelten im wesentlichen die gleichen Grundsätze wie für diejenigen des Staats. Gemeindegebühren sind am Platz, wenn die Gemeinde von einem Einzelnen besonders in Anspruch genommen wird, wenn besondere Vorteile aus Gemeindeeinrichtungen gezogen werden (Benutzung von Schulen, Wasserleitungen etc.). Zu den Gebühren sind auch die Beiträge und Societätslasten zu rechnen, welche von einzelnen Klassen der Gemeindeangehörigen erhoben werden.
Beiträge zahlen Interessentengruppen zur Deckung der Kosten von Gemeindeunternehmungen, von welchen sie vorwiegend Vorteil ziehen, wie die Hausbesitzer für Straßenanlagen, Kanalisierung etc. Besondere Societäten werden bisweilen gebildet, wenn deren Mitgliedern gewisse Gemeindeeinrichtungen ausschließlich zu gute kommen. Sie haben dann die Kosten derselben nach bestimmtem Verteilungsmaßstab besonders aufzubringen. Im übrigen sind die Lasten der Gemeinde als Steuern von deren Angehörigen gemeinsam nach Maßgabe ihrer Leistungsfähigkeit zu tragen.
Grund- und Gebäudesteuern empfehlen sich schon deswegen, weil durch die Gemeindewirtschaft dem Besitz an Boden und Häusern besondere Vorteile zuwachsen; die Personalsteuern, weil die zahlungsfähigen Personen am Gemeindeleben teilnehmen; die Verbindung von Personal- mit Real-, bez. Ertragssteuern, weil Wohnsitz und Einnahmequelle nicht immer in einer Gemeinde vereinigt sind und diejenige Gemeinde, welche für liegende Gründe und Erwerbsanstalten Aufwendungen machen muß, ebensogut Abgaben erheben will wie jene, in welcher der Besitzer wohnt und Annehmlichkeiten des Gemeindelebens genießt. In größern Gemeinden mit höherm Bedarf und wechselnder Bevölkerung wird man auch die oft sehr einträgliche indirekte Steuer nicht entbehren können, da nur durch solche diejenigen zu treffen sind, welche sich nicht dauernd an einem Ort aufhalten, insbesondere auch die Angehörigen der untern Klassen. Als Erhebungsform empfiehlt sich besonders in größern Städten das Oktroi. Sehr leicht kann bei Gemeinden, die ihr Steuerwesen ganz autonom gestalten wollten, die Doppelbesteuerung (s. d.) eintreten. Schon deshalb wie auch wegen der Konkurrenz mit der Staatssteuer bedarf die Gemeindesteuer der gesetzlichen Regelung. Wegen dieser Konkurrenz sind aber auch selbständige Steuern, welche von denen des Staats unabhängig sind, nicht zu entbehren.
Viele Gemeinden befassen sich auch mit Erwerbsunternehmungen (Gemeindeunternehmungen), welche in andern von Privaten unterhalten und betrieben werden (Theater, [* 10] Gas-, Wasserbeschaffung, Pferdebahn etc.); man bezeichnet dieselben auch wohl als Gemeinderegalien, wenn bei ihnen durch Monopolisierung die Konkurrenz ausgeschlossen ist. Solche Unternehmungen eignen sich unter Umständen recht gut für die Gemeinde, insbesondere wenn der Betrieb nicht mit zu großem Risiko verknüpft ist, wenn die Vorteile derselben allen Mitgliedern der Gemeinde zu gute kommen und die Monopolisierung durch die Natur der Sache geboten ist, weil ohne solche dem Gemeindebedürfnis nicht in geordneter Weise genügt werden könnte. Ob solche monopolisierte Unternehmungen durch die Gemeinde selbst zu verwalten, oder ob sie unter bestimmten Bedingungen besser an Privatgesellschaften zu übertragen sind, dies hängt von der Art der Unternehmung, der Finanzlage der Gemeinde etc. ab. Die Einnahmen aus solchen ¶
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Unternehmungen tragen je nach ihrer Höhe einen steuer- oder einen gebührenartigen Charakter.
Zur Deckung der außerordentlichen Ausgaben können außer Schenkungen etc. die Erlöse aus veräußertem Gemeindevermögen und Gemeindeanlehen dienen. Zur Verhütung einseitiger Ausbeutung der Minoritäten oder der spätern Gemeindemitglieder durch die jetzigen ist die Veräußerung von Gemeindevermögen, insbesondere von Grundvermögen, wenn es einen gewissen Betrag überschreitet, ebenso wie die Aufnahme von Anlehen in den meisten Ländern an die Zustimmung der Staatsbehörde geknüpft. Begebung, Tilgung etc. der Anlehen können in gleicher oder ähnlicher Weise erfolgen wie bei den Staatsschulden (s. d.).
[Litteratur.]
1) Theoretisches: Faucher, Staats- und Kommunalbudgets (in der »Vierteljahrsschrift für Volkswirtschaft und Kulturgeschichte« 1863, Bd. 2);
Braun, Staats- und Gemeindesteuern (ebenda 1866, Bd. 2);
Gneist, Preußische Kreisordnung, S. 54 ff. (Berl. 1870);
Walcker, Die Selbstverwaltung des Steuerwesens im allgemeinen und die russische Steuerreform (das. 1869);
»Die Kommunalsteuerfrage, zehn Gutachten und Berichte, veröffentlicht vom Verein für Sozialpolitik« (Leipz. 1877);
R. Friedberg, [* 12] Die Besteuerung der Gemeinden (Berl. 1877);
Bilinski, Die Gemeindebesteuerung und deren Reform (Leipz. 1878);
A. Wagner, Die Kommunalsteuerfrage (das. 1878).
2) Finanzrechtliches und Statistisches: Grotefend, Die Grundsätze des Kommunalsteuerwesens in den östlichen und westlichen Provinzen des preußischen Staats (Elberf. 1874);
L. Herrfurth, Beiträge zur Finanzstatistik der Gemeinden in Preußen [* 13] (Berl. 1879);
Derselbe, Beiträge zur Statistik der Gemeindeabgaben in Preußen (das. 1882);
Gerstfeldt, Städtefinanzen in Preußen (Leipz. 1882);
v. Reitzenstein, Kommunales Finanzwesen (in Schönbergs »Handbuch der politischen Ökonomie«, 2. Aufl., Tübing. 1885);
Kries, Die Gemeindesteuern in England (in der Tübinger »Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft« 1855);
Gneist, Selfgovernment (3. Aufl., S. 116 ff., Berl. 1871);
Bödiker, Die Kommunalbesteuerung in England und Wales (das. 1873);
Braff, Administration financière des communes (Par. 1857, 2 Bde.);
Brasch, Die Gemeinde und ihr Finanzwesen in Frankreich (Leipz. 1874);
Crisenoy, La situation financière des communes en 1885 (jährlich).