Titel
Gelenk
(Articulus, Articulatio), diejenige Form der Knochenverbindung, bei der zwei oder mehrere
Knochen
[* 2] mit entsprechend
gestalteten und überknorpelten
Flächen aneinander stoßen und durch
Bänder (s. d.) derart zusammengehalten werden, daß
sie ihre
Stellung zueinander ändern, d. h. sich bewegen können. Den Gegensatz
zu dieser beweglichen oder unterbrochenen Knochenverbindung (Diarthrose) bildet die unbewegliche oder ununterbrochene (Synarthrose),
bei welcher, wie bei den Schädelknochen, den meisten
Gesichtsknochen und den Beckenknochen, die einander gegenüberstehenden
Knochenflächen in ihrer ganzen
Ausdehnung
[* 3] durch Zwischenmassen fest und unbeweglich miteinander verbunden sind; eine Art
Mittelglied zwischen beiden bildet die sog. Fuge
(Symphyse), bei welcher, wie bei der Schambeinfuge, dick
überknorpelte, durch eine spaltförmige
Höhle voneinander getrennte Knochenflächen durch straffe Bandapparate mit einem
Minimum von Beweglichkeit zusammengehalten werden. Die Gelenk
sind für die Funktionen des tierischen und menschlichen
Körpers von der allergrößten Bedeutung, insofern nur durch sie die wundervolle
Gliederung und freie
Beweglichkeit des Körpers ermöglicht wird.
An jedem Gelenk
unterscheidet man die knöchernen
Gelenkenden (superficie articulares), von denen das eine gewöhnlich mehr oder
minder kugelförmig, das andere mehr oder minder flach oder pfannenartig ausgehöhlt ist und die beide mit einem glatten
elastischen
Überzug von Knorpelsubstanz überzogen sind und außerdem noch durch eine im G. abgesonderte
zähe, klebrige, eiweißartige Flüssigkeit, die
Gelenkschmiere (synovia), jederzeit schlüpfrig erhalten werden, sodaß sie
leicht aneinander hin und her gleiten können, weiterhin die sog. Gelenk
kapsel oder das Kapselband
(ligamentum capsulare, s.
Tafel: Die
Bänder des
Menschen, Bd. 2, S. 359), eine feste sehnige
Haut,
[* 4] welche sackartig
beide
Gelenkenden fest umschließt und einen zwischen den
Gelenkenden gelegenen allseitig geschlossenen Hohlraum, die Gelenk
höhle,
begrenzt, sowie endlich die sog. Hilfsbänder oder
Faserbänder (ligamenta accessoria), platte
sehnige
Stränge, die außerhalb des Gelenk
raums in verschiedener
Richtung von einem
Knochen zum andern gehen und teils die
Verbindung der letztern zu befestigen, teils die Beweglichkeit des Gelenk
einzuschränken
bestimmt sind.
Die Gelenk
kapsel ist auf ihrer innern, der Gelenkhöhle zugekehrten
Fläche mit einer feinen serösen
Haut, der Gelenk-
oder
Synovialhaut (membrana synovialis), überzogen, welche die eben erwähnte
Gelenkschmiere absondert und in vielen Gelenk
auch noch
eine Anzahl von Falten und zottenartigen Fortsätzen, die sog. Gelenk- oder
Synovialzotten (vilii synoviales) bildet, die sich in die Gelenkhöhle hinein erstrecken und zur Auspolsterung derselben
dienen. Eine besondere Eigentümlichkeit mancher Gelenk bilden die sog. Zwischenknorpel
(cartilagines interarticulares), freie, nur an die Gelenkkapsel befestigte Knorpelscheiben, die als Lückenbüßer mehr oder
weniger weit zwischen die Gelenkflächen der
Knochen hineinragen und dadurch die Festigkeit
[* 5] der betreffenden
Gelenkverbindung erhöhen.
Von der Beschaffenheit und Größe der sich verbindenden Gelenkflächen der Knochen hängt es im wesentlichen ab, wie viel Beweglichkeit den betreffenden Knochen verstattet wird. Ein an einer großen Fläche mit dem andern verbundener Knochen kann nicht so viel oder so freie Beweglichkeit besitzen als einer, der nur mit einer kleinen Fläche den andern berührt. Außerdem wird diese Beweglichkeit durch die Gestalt der Gelenkflächen und durch die größere oder geringere Nachgiebigkeit der Gelenkbänder und der über das Gelenk hinweggehenden Muskeln [* 6] beeinflußt.
Zudem ist auch der Druck der äußern Atmosphäre für die Funktionen der Gelenke von größter Bedeutung, insofern der Luftdruck schon an und für sich, nach Durchschneidung sämtlicher Weichteile mit Einschluß der Gelenkkapsel, vollkommen ausreicht, die Gelenkflächen in Kontakt und somit die dazugehörigen Skelettabschnitte in Zusammenhang zu erhalten. Ja der Luftdruck überwiegt meist das Maß von Kraft, [* 7] das für den Zusammenhalt der Gelenkflächen notwendig ist, um ein Bedeutendes. So wird das Gehen (s. d.) ganz wesentlich dadurch erleichtert, daß der konvexe Kopf des Oberschenkelbeins so vollkommen genau und luftdicht in die konkave Pfanne des Beckenknochens eingelenkt ist, daß beide Flächen, ohne alle Mitwirkung von Bändern und Muskeln, durch den bloßen Luftdruck fest aneinander gehalten werden und das Gewicht des Beins bei jeder Pendelschwingung des letztern, ohne Kraftaufwand von seiten des Körpers, von der Atmosphäre gleichsam getragen wird.
Hinsichtlich der mechan. Verhältnisse pflegt man folgende Formen von Gelenk zu unterscheiden:
1) Freie oder Kugelgelenke (arthrodiae), welche Bewegungen in jeder Richtung gestatten, wie z. B. das Schultergelenk. Wird dabei das kugelige Ende des einen Knochens ganz von der Gelenkgrube des andern umfaßt, wie das am Hüftgelenk der Fall ist, so wird dies als Nuß- oder Pfannengelenk (enarthrosis) bezeichnet;
2) Winkel- oder Scharniergelenke (ginglymi), welche nur Beugung [* 8] und Streckung, also nur Bewegung in einer Ebene gestatten, wie z. B. das Ellbogengelenk, die Finger- und Zehengelenke;
3) Roll- oder Drehgelenke (rotationes), bei denen sich ein Knochen um einen zweiten oder um seine eigene Achse dreht, wie z. B. der Atlas [* 9] um den Zahnfortsatz des zweiten ¶
mehr
Hals-Wirbels oder das Köpfchen der Armspindel um seine eigene Achse;
4) straffe Gelenk (amphiarthroses), deren Knochenenden durch straff angezogene Bänder so fest zusammengehalten werden, daß sie sich nur wenig aneinander verschieben können, wie das bei den verschiedenen Hand- und Fußwurzelqelenken der Fall ist.
Ein falsches oder widernatürliches Gelenk (Scheingelenk, pseudarthrosis) entsteht bisweilen nach Knochenbrüchen, wenn die beiden Bruchenden infolge von Störungen des Heilungsvorgangs nicht durch feste Knochenmasse wieder miteinander verwachsen, sondern nur durch eine dehnbare fibröse Zwischenmasse miteinander verbunden werden. In solchen Fällen bildet sich eine einem natürlichen Gelenk analoge Knochenverbindung, die aber dadurch, daß sie den betreffenden Knochen an einer widernatürlichen Stelle seiner normalen Festigkeit und Starrheit beraubt, die Gebrauchsfähigkeit des verletzten Gliedes gewöhnlich beträchtlich vermindert und deshalb ein operatives Eingreifen erforderlich macht; man pflegt derartige falsche Gelenk unter antiseptischen Vorsichtsmaßregeln zu eröffnen, die alten Bruchenden mit dem Meißel [* 11] wieder anzufrischen und mit Silberdraht oder Elfenbeinstiften zu vereinigen, worauf dann meist eine knöcherne Verwachsung der beiden Bruchenden und damit die Heilung der Pseudarthrose erfolgt.
Von einem neuen Gelenk (neathrosis) spricht man, wenn nach Verrenkungen der ausgerenkte Gelenkkopf nicht in seine Pfanne zurückgebracht wird, sondern an der Stelle, die er zufällig einnimmt, durch seinen beständigen Druck und durch eintretende Knochenwucherung der Umgebung einen Eindruck und allmählich eine mehr oder minder erhebliche Vertiefung bewirkt, welche eine gewisse Ähnlichkeit [* 12] mit einer natürlichen Gelenkhöhle besitzt und auch eine gewisse Beweglichkeit der verrenkten Gliedmaße wieder gestattet.
Ein künstliches Gelenk (articulus artificialis) endlich nennt man jede bewegliche Knochenverbindung, die auf operativem Wege hervorgerufen wird, um eine durch pathol. Vorgänge entstandene widernatürliche knöcherne Verwachsung der normalen Gelenkenden wieder zu beseitigen. (S. Arthroplastik.)