Geibel,
Emanuel, Dichter, geb. 18. Okt. 1815 zu Lübeck als Sohn eines Predigers, besuchte das Gymnasium seiner Vaterstadt, bezog dann die Universitäten Bonn und Berlin und wendete sich vom Studium der Theologie zu dem der klassischen und romanischen Philologie. In Berlin trat er in freundschaftliche Beziehungen zu Chamisso, Gaudy und namentlich zu dem Kunsthistoriker Franz Kugler, welche alle sein aufkeimendes poetisches Talent schätzten und förderten. 1838 nahm er die Stelle eines Erziehers im Haus des russischen Gesandten zu Athen an, löste jedoch dies Verhältnis nach einem Jahr wieder, blieb aber während des nächstfolgenden Jahres in Athen, um seine philologischen und poetischen Studien zu fördern, als deren erste Frucht die Übertragungen griechischer Gedichte gelten durften, welche er gemeinsam mit seinem Freund Ernst Curtius unternahm, und die als »Klassische Studien« (Bonn 1840) erschienen. Im Sommer 1840 kehrte Geibel nach Deutschland zurück, ließ bald darauf zunächst die erste Sammlung seiner »Gedichte« (Berl. 1840; 100. Aufl., Stuttg. 1884) erscheinen und ging 1841 nach Escheberg in Kurhessen, dem Gute des Freiherrn von der Malsburg, wo er die dort vorhandene reiche Bibliothek spanischer Werke für seine Studien benutzte. Seine Absicht war, sich für romanische Sprachen an irgend einer deutschen Universität zu habilitieren. Inzwischen aber siegten seine poetischen Neigungen und Stimmungen über die wissenschaftlichen Pläne. Er gab seine »Zeitstimmen« (Lübeck 1841, 3. Aufl. 1846) heraus, mit denen er in die Reihen der »politischen« Dichter der 40er Jahre trat, und in denen er sich im Gedicht »An Georg Herwegh« als leidenschaftlichen Gegner des poetisch-politischen Radikalismus bekannte. Während des Winters 1842/43, welchen in seiner Vaterstadt verlebte, entstand seine dramatische Erstlingsarbeit, die Tragödie »König Roderich« (Stuttg. 1843), von regelmäßigem Bau, aber ohne dramatische Gewalt und Schlagkraft der Charakteristik. Im J. 1843 erhielt Geibel von König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen einen mäßigen Jahresgehalt, der ihm aber gestattete, in Unabhängigkeit seinen poetischen Bestrebungen zu leben. Eben diese Bestrebungen begannen jetzt Teilnahme in weitern Kreisen zu finden. Größere Vertiefung und Selbständigkeit des Dichters zeigten schon diejenigen Dichtungen, durch welche er die neuen Auflagen seines ersten Bandes Gedichte vermehrte. Noch energischer sprachen sich dieselben in seinen nächsten Veröffentlichungen, den kräftigen »Zwölf Sonetten für Schleswig-Holstein« (Lübeck 1846) und dem kleinen farbenprächtigen Epos »König Sigurds Brautfahrt« (Berl. 1846; 4. Aufl., Stuttg. 1877), aus. Nachdem Geibel den Sommer 1843 in St. Goar am Rhein im
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freundschaftlichen Verkehr mit Freiligrath verlebt, ging er 1844 nach Berlin, wo er für Mendelssohn-Bartholdy 1846 die Oper »Loreley« (2. Aufl., Hannov. 1861) dichtete, welche wegen des frühen Todes des Komponisten leider unvollendet blieb, und veröffentlichte bald darauf die zweite Sammlung seiner Gedichte, die »Juniuslieder« (Stuttg. 1848, 20. Aufl. 1873), die an poetischem Gehalt und künstlerischer Formvollendung die lyrischen und epischen Darbietungen der ersten Sammlung weit überragten. Blieb auch die Grundstimmung des Dichters weich und zuzeiten weichlich, so waren doch innige Empfindung, ein edler Ernst der gesamten Lebensanschauung, Schwung der Phantasie und Reinheit der Form Vorzüge, die den Erfolg der »Juniuslieder« zu einem vollberechtigten erhoben. Jene Kritiker, welche in Geibel nicht mehr erblicken wollten als den Lieblingslyriker junger Damen, waren schon damals widerlegt und wurden es in der Zukunft noch mehr. 1851 ward Geibel durch König Maximilian II. von Bayern als Honorarprofessor der Ästhetik und Poetik an die Universität München berufen. Bald zum Kapitular des neugegründeten Maximiliansordens ernannt, in den persönlichen Adelstand erhoben, durch ein vertrautes Verhältnis zu dem litteraturfreundlichen Herrscher ausgezeichnet, zum Mittelpunkt und Haupt jener poetischen Schule oder vielmehr der dichterischen Genossenschaft erhoben, welche sich in den 50er Jahren in München sammelte, schien in seltener Weise vom Glück begünstigt. Aber bereits 1855 verlor der Dichter seine geliebte jugendliche Gattin Ada, mit der er sich 1852 verheiratet hatte; auch erwies sich das Klima von München seiner Gesundheit verderblich. Schon vor dem Tode des Königs Max lebte Geibel wieder einen Teil des Jahrs in Lübeck; 1869 legte er alle seine Stellungen nieder und nahm wieder in Lübeck seinen bleibenden Wohnsitz. Hier starb er, in den letzten Jahren seines Lebens vielfach kränkelnd, 6. April 1884. Für die ihm entzogene Pension aus der bayrischen Kabinettskasse hatte ihm König Wilhelm von Preußen einen entsprechenden Jahresgehalt verliehen. Geibels bedeutendster poetischer Aufschwung war während seines Aufenthalts in München erfolgt. Mehr noch als seine Tragödie »Brunhild« (Stuttg. 1858, 4. Aufl. 1877) und das graziöse Lustspiel »Meister Andrea« (das. 1855, 2. Aufl. 1874) erwiesen die »Neuen Gedichte« (das. 1857, 12. Aufl. 1872) Geibels Berechtigung zu einer hervorragenden Stellung in der deutschen Poesie. Sämtliche Gedichte dieser dritten Sammlung erschienen tiefer, ernster, gewichtiger, dabei so formschön wie die besten der frühern Bände. Neben der Innigkeit echter Lyrik, die in den Gedichten des Cyklus »Ada« gipfelte, sprachen lyrisch-epische Meisterstücke, wie: der »Mythus vom Dampf«, »Babel«, »Der Bildhauer des Hadrian«, »Der Tod des Tiberius«, die tiefste Eigentümlichkeit des gereiften Dichters vollendet aus. Ein gleich ernster Gehalt zeichnete auch die »Gedichte und Gedenkblätter« (Stuttg. 1864, 6. Aufl. 1875), die vierte Sammlung der Geibelschen Gedichte, aus, während die Sammlung seiner letzten Gedichte: »Spätherbstblätter« (das. 1877), nur noch einzelne vollendet schöne Lieder und ergreifende Bilder enthält. Während seines Münchener Aufenthalts hatte Geibel im Verein mit Paul Heyse das »Spanische Liederbuch« (2. Aufl., Berl. 1852), mit F. A. v. Schack den »Romanzero der Spanier und Portugiesen« (Stuttg. 1860), mit Heinrich Leuthold »Fünf Bücher französischer Lyrik« (das. 1862) übertragen, auch das »Münchener Dichterbuch«, eine Art Musenalmanach der in München lebenden Poeten (das. 1861, 3. Aufl. 1863), herausgegeben. Seit seiner Rückkehr nach Lübeck veröffentlichte er noch die preisgekrönte Tragödie »Sophonisbe« (Stuttg. 1869, 3. Aufl. 1877), die größtenteils dem deutsch-französischen Krieg entstammten schwungvollen Zeitgedichte »Heroldsrufe« (das. 1871, 4. Aufl. 1872), das »Klassische Liederbuch; Griechen und Römer in deutscher Nachbildung« (Berl. 1875, 4. Aufl. 1882) und die kleinere Dichtung »Echtes Gold wird klar im Feuer« (Schwer. 1882). Geibels Bedeutung als Dichter liegt wesentlich darin, daß er in einer zerfahrenen, dem Extremen zuneigenden Zeit künstlerisches Gleichmaß und geläuterte Schönheit erstrebte und damit das Gewicht seines von Haus aus begrenzten Talents außerordentlich steigerte. Seine »Gesammelten Werke« erschienen in 8 Bänden (Stuttg. 1883); seine »Briefe an Karl Freih. v. d. Malsburg« gab Duncker (Berl. 1885) heraus. Vgl. Gödeke, E. Geibel (Stuttg. 1869, Bd. 1); Leimbach, E. Geibel (Gosl. 1877); Scherer, E. Geibel, Rede (Berl. 1884); Gaedertz, E. Geibel, Denkwürdigkeiten (das. 1885).