Titel
Gehör
[* 2] (Auditus), derjenige Sinn, vermöge dessen wir Töne und Geräusche wahrnehmen. Die Endigungen der Gehörnerven (nervi acustici) breiten sich in ähnlicher Weise wie diejenigen des Sehnervs auf einer kleinen, eng begrenzten Fläche aus. Ihre Erregungen kommen durch die Schallwellen zu stande, werden dem Zentralnervensystem zugeleitet und lösen Schallempfindungen aus. Die Hauptverschiedenheit, welche unser Ohr [* 3] zwischen den einzelnen Schallempfindungen bemerkt, ist der Unterschied zwischen Geräuschen und musikalischen Klängen (Tönen). Die Empfindung eines Klanges wird durch schnelle periodische Bewegungen (d. h. solche, welche innerhalb gleichgroßer Zeitabschnitte genau in der gleichen Weise wiederkehren) eines tönenden Körpers hervorgerufen, die Empfindung eines Geräusches dagegen durch nichtperiodische, unregelmäßige Bewegungen.
Die Zuleitung der Schallwellen erfolgt durch das äußere und mittlere, ihre Übertragung auf die den Schall [* 4] perzipierenden Nervenendigungen durch ¶
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das innere Ohr (s. d.). Die Bedeutung des äußern Ohrs für das Hören darf nicht zu hoch angeschlagen werden, denn beim Fehlen
desselben ist die Feinheit des Gehörs
nicht sehr merklich geschwächt. Das äußere Ohr reflektiert die Schallstrahlen, von
welchen es getroffen wird, nach dem äußern Gehör
gang. Allein seinem Bau entsprechend müssen die meisten
auf das Ohr auffallenden Schallstrahlen wieder nach außen reflektiert werden, und nur diejenigen, welche in die Vertiefung
der eigentlichen Ohrmuschel gelangen, werden gegen die vordere Ohrecke und von da in den Gehörgang
geworfen.
Der letztere ist die Schallröhre des Ohrs: die in ihm enthaltene Luft dient als Leiter des Schalles. Ist
diese Schallröhre verstopft, wie es besonders durch verhärtetes Ohrenschmalz so oft vorkommt, so ist man fast taub für
Schallwellen der Luft. Der Gehörgang
ist übrigens so gewunden, daß nahezu alle Schallwellen zunächst auf die Wände des Ganges
und von da erst auf das Trommelfell selbst geworfen werden. Das Trommelfell, welches die Scheidewand zwischen
dem Gehörgang
und der Paukenhöhle, d. h. zwischen dem äußern und mittlern Ohr, bildet, besitzt beim erwachsenen Menschen
eine Oberfläche von ungefähr 50 qmm, und Tiere mit kleinerm Schädel besitzen ein nicht viel kleineres Trommelfell, als dasjenige
des Menschen ist.
Durch die gegen die Achse des Gehör
ganges schiefe Stellung des Trommelfelles wird eine größere Fläche
und größere Schwingungsfähigkeit desselben erzielt, als wenn letzteres in einem gleichweiten Kanal
[* 6] senkrecht ausgespannt
wäre. Zu gleicher Zeit aber wird dadurch auch bewirkt, daß eine größere Anzahl der von den Wänden des Gehör
ganges zurückgeworfenen
Strahlen mehr senkrecht auf das Trommelfell fällt, als es geschehen würde, wenn letzteres eine perpendikuläre
Stellung hätte.
Durch Schallwellen der Luft kann das Trommelfell als gespannte elastische Membran leicht in Schwingungen versetzt werden. Während gespannte Membranen im allgemeinen nur dann in Mitschwingungen versetzt werden, wenn ihre Schwingungszahl mit der des erregenden Tons korrespondiert, wird das Trommelfell von allen Tönen in Schwingungen versetzt und schwingt immer genau in der Schwingungszahl des betreffenden Tons. Dieses wird dadurch bewirkt, daß den Schwingungen des Trommelfelles durch seine Verbindung mit den Gehörknöchelchen und der Membran des ovalen Fensters ein Widerstand entgegengesetzt ist, der ihnen ihren bestimmenden Einfluß raubt, dann aber auch dadurch, daß die Spannung des Trommelfelles durch Muskelkräfte verändert werden kann.
Die Schwingungen des Trommelfelles aber werden durch ein System kleiner, im mittlern Ohr gelegener Knochen [* 7] auf eine andre Membran, diejenige des ovalen Fensters, übertragen, welche den Abschluß des mittlern vom innern Ohr bildet. Die Trommelfellschwingungen teilen sich zunächst dem Handgriff des Hammers mit, welcher den Bewegungen des Trommelfelles genau folgt. Parallel [* 8] mit dem Handgriff des Hammers verläuft der lange Fortsatz des Ambosses; die Schwingungen des letztern geschehen deshalb in demselben Sinn wie die des erstern.
Mit dem langen Fortsatz des Ambosses ist das Sylviussche Knöchelchen verwachsen, und dieses artikuliert mit dem Köpfchen des Steigbügels. Eine von letzterm gegen die Mitte des Steigbügelfußtritts gezogene Linie steht ungefähr senkrecht auf der Längsachse des langen Amboßfortsatzes. Kleine Ein- und Auswärtsbewegungen des letztern werden also den Steigbügel abwechselnd stärker in das ovale Fenster eindrücken und aus demselben herausziehen. Die gemeinsame Drehungsachse des ganzen Systems der Gehörknöchelchen aber liegt in einer Linie, welche von der Ansatzstelle des kurzen Amboßfortsatzes an der Hinterwand der Trommelhöhle nach vorn und außen zur Ansatzstelle des processus Folianus des Hammers am obern vordern Rande des Trommelfellringes verläuft.
Obschon nun die Gehörknöchelchen die normalen Leiter zwischen dem Trommelfell und der Membran des ovalen
Fensters sind, so vernichtet doch die Unterbrechung ihrer Verbindungen das Gehör
keineswegs. Wenn z. B. der Zusammenhang zwischen
Amboß und Hammer
[* 9] unterbrochen ist, so findet erfahrungsmäßig noch ein Hören statt, weil der Steigbügel die Schwingungen der
Trommelfellluft aufnimmt und nach dem Labyrinth leitet. Dagegen ist von größter Wichtigkeit die freie
Beweglichkeit des Steigbügels, indem die nicht ganz seltene Verwachsung des Steigbügels mit dem ovalen Fenster hohe Grade von
Schwerhörigkeit veranlaßt.
Die zur Aufnahme der Schallschwingungen der Luft erforderliche Trommelfellspannung wird erzielt durch die Beschaffenheit der Membran selbst und durch den Handgriff des Hammers, dessen Spitze die Mitte des Trommelfelles nach einwärts zieht. Es gibt nun Vorrichtungen am Gehörorgan, um die Trommelfellspannung zu vergrößern und zu verringern. Die Spannung wird vergrößert durch den musculus tensor membranae tympani (Trommelfellspanner, s. oben). Die lange Sehne dieses Muskels wendet sich aus dem Kanal, in welchem der Muskel verläuft, rechtwinkelig gegen das Trommelfell und setzt sich am obern Teil des Hammerhandgriffs an. Der Muskel zieht das Trommelfell nach einwärts, diesem Zug folgen die Gehörknöchelchen, und somit tritt der Fußtritt des Steigbügels tiefer in das ovale Fenster hinein.
Der Trommelfellspanner ist deshalb mittelbar auch ein Spanner der Membran des ovalen Fensters, wodurch natürlich auch das Wasser des Labyrinths einen stärkern Druck empfängt. Der Steigbügelmuskel (musculus stapedius, s. oben) hat ebenfalls die Funktion, die Membran des ovalen Fensters zu spannen, insofern er den hintern Teil der Fußplatte des Steigbügels stärker an die Membran andrückt. Beim Erschlaffen dieser Muskeln [* 10] kehren der Hammerhandgriff und das Trommelfell rein durch elastische Kräfte wieder in die Gleichgewichtslage zurück.
Der Trommelfellspanner bedarf also keines Antagonisten; das, was man früher als Erschlaffer des Trommelfelles (musculus laxator tympani) bezeichnete, ist kein Muskel, sondern nur ein Band. [* 11] Nach Helmholtz können die drei Gehörknöchelchen nur als ein Ganzes schwingen, die Schwingungen des Trommelfelles pflanzen sich fast momentan auf das Labyrinthwasser fort, und alle Teile des ganzen Systems sind stets in der gleichen Schwingungsphase begriffen. Dem Spannmuskel des Trommelfelles und dem Steigbügelmuskel schreibt Helmholtz die Aufgabe zu, die Befestigungsbänder der Gehörknöchelchen straff zu spannen und dadurch die Kette der Gehörknöchelchen gleichsam in ein starres System zu verwandeln. Die Gelenke der Gehörknöchelchen aber scheinen hauptsächlich dazu zu dienen, daß sie alle ausgiebigern Bewegungen des Trommelfelles möglich machen, ohne daß dadurch die Verbindung des Steigbügels mit dem eirunden Fenster zerstört würde.
Die Trommelhöhle ist durch die Ohrtrompete (tuba Eustachii) mit der Rachenhöhle verbunden. Dieselbe dient zur Herstellung des Gleichgewichts zwischen der äußern Luft und der in der Paukenhöhle befindlichen ¶
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Luft sowie zur Verhütung einseitiger Spannungen des Trommelfelles vom Gehörgang oder von der Trommelhöhle aus. Verschließt man den Mund und die Nase [* 13] mit den Fingern ganz fest und macht dann eine kräftige Ausatmungsbewegung, so wird von der Rachenhöhle nur die Luft durch die Ohrtrompete in die Paukenhöhle eingepreßt, und das Trommelfell muß in der Richtung nach dem äußern Gehörgang ausweichen. Das Umgekehrte geschieht, wenn man bei Verschluß von Mund und Nase eine kräftige Einatmungsbewegung ausführt. In beiden Fällen kündigt sich die Verrückung des Trommelfelles durch ein feines Knacken im Ohr an. Leuten, welche sehr heftigen Schallen ausgesetzt sind (z. B. Artilleristen etc.), wird empfohlen, den Mund offen zu halten.
Der Sinn dieser Vorschrift ist der, daß bei offenem Munde die Luft in der Rachenhöhle ebenso stark erschüttert wird wie im äußern Gehörgang, die Wirkung beider Erschütterungen auf das Trommelfell sich also ausgleichen muß. Träte diese Ausgleichung nicht ein, so könnte es leicht zur Zerreißung des Trommelfelles kommen, sobald es durch den heftigen Schall zu stark nach einwärts getrieben wird. Die Ohrtrompete ist übrigens für gewöhnlich verschlossen, zu ihrer Eröffnung dienen ganz vorzugsweise die Schlingbewegungen.
Dies beruht darauf, daß die Gaumenmuskeln von der Ohrtrompete entspringen und bei ihrer Kontraktion die untere Wand jenes Kanals nach unten zu ziehen bestrebt sind. Das Rohr der Schnecke macht etwa 2½ Schraubenwindungen und zerfällt durch eine in der Richtung der Spirale verlaufende teils häutige (lamina spiralis membranacea), teils knöcherne Scheidewand (knöchernes Spiralblatt, lamina spiralis ossea) in die Vorhofstreppe (scala vestibuli) und in die Paukentreppe (scala tympani).
In dem Rohr der scala vestibuli entdeckte nun Reißner eine schräg gespannte Membran, welche nach der lamina spiralis hin einen spiraligen Hohlraum abschließt, der als Schneckenkanal (canalis cochlearis oder scala media) bezeichnet wird. In dieser Abteilung liegt das Cortische Organ, ein Gebilde, welchem Helmholtz zunächst eine außerordentliche Bedeutung für das Zustandekommen der Gehörempfindungen beigelegt hat. Man stößt in diesem Organ auf eine Anzahl eigentümlicher Gebilde, die in Reihen angeordnet liegen, welche den Windungen der Schnecke folgen.
Zunächst sind es elastische Gebilde, von denen je zwei nach Art eines Dachfirstes gegeneinander gestemmt sind; das eine derselben, der sogen. Steg, ist massiger als das andre, die sogen. Saite. Neben diesen Gebilden stoßen wir auf reihenweise geordnete Zellen, die wir kurzweg als innere und äußere Cortische Zellen bezeichnen wollen; dieselben tragen borstenähnliche Wimpern (Hörfäden, Hörhaare). Das ganze spiralige Gewinde, von dem uns die nebenstehende [* 2] Figur eine Querschnittansicht bringt, wird von einer radial gestreiften Haut, [* 14] Cortische Membran, überbrückt. Die in der Schnecke spiralig auseinander weichenden Fasern des nervus acusticus treten in die lamina spiralis ossea ein, begeben sich hier an Ganglien, welche in die Knochensubstanz eingebettet sind, durchbohren dann die lamina spiralis und begeben sich an die Cortischen Zellen.
Helmholtz hat sich nun vorgestellt, daß durch Mitschwingen der Saiten und Stege, besonders der erstern, die Endfasern des acusticus erregt würden, und er hat geglaubt, daß jedes dieser Gebilde auf einen bestimmten musikalischen Ton, etwa wie die Saiten eines Klaviers, abgestimmt sei. Hauptsächlich auf Grund vergleichend-anatomischer Untersuchengen hat Helmholtz diese Vorstellung in der Neuzeit fallen lassen, denn Stege und Saiten fehlen den Vögeln, die doch sehr wohl Töne unterscheiden können, gänzlich.
Überdies scheinen sie auch gar nicht elastisch zu sein, und die Verschiedenheit ihrer Länge ist für die ihnen zugeschriebenen Leistungen ungenügend. Helmholtz verdanken wir jetzt folgende Theorie der Tonempfindungen. Die lamina spiralis membranacea besitzt eine fibröse Grundlage, die radial gefasert ist und als Grundmembran (membrana basilaris) bezeichnet wird. Die radialen Fasern dieser Membran sind als ein System nebeneinander liegender gespannter Saiten aufzufassen, welche regelmäßige Verschiedenheiten in der Länge erkennen lassen.
Ihre einzelnen Fasern werden vom Labyrinthwasser her in Mitschwingung versetzt, und hierdurch werden die unmittelbar darauf liegenden Teile, die Cortischen Bogen [* 15] und Zellen, und mit ihnen die Nervenenden des acusticus erregt. Eine bestimmte die scala tympani erreichende Schwingung [* 16] versetzt also einen kleinen Teil der Grundmembran in entsprechende Vibration, wodurch die darüberliegenden Gebilde derartig alteriert werden, daß Erregungen des acusticus entstehen, die zum Gehirn [* 17] geleitet werden und eine dem Ton entsprechende Empfindung veranlassen.
Jeder einfache Ton wird nur durch gewisse einzelne Nervenfasern empfunden, doch setzen Töne von verschiedener Höhe verschiedene Nervenfasern in Erregung. Wird aber ein zusammengesetzter Klang dem Ohr zugeleitet, so wird derselbe von den mitschwingenden Teilen in unserm Ohr in seine einzelnen einfachen Teiltöne getrennt, genau so, wie wir seine komplizierte Schwingung durch Resonatoren in die einzelnen sie komponierenden pendelartigen Schwingungen von verschiedener Tonhöhe, den harmonischen Obertönen entsprechend, zerlegen können.
Dasselbe erfolgt bei einem Akkord. Durch die Helmholtzsche Hypothese werden also die Erscheinungen des Hörens auf solche des Mitschwingens zurückgeführt. Die Empfindung verschiedener Tonhöhen ist hiernach eine Empfindung in verschiedenen Nervenfasern. Die Empfindung der Klangfarbe beruht darauf, daß ein Klang außer den seinem Grundton entsprechenden akustischen Endapparaten noch eine Anzahl andrer in Bewegung setzt, also in mehreren verschiedenen Gruppen von Nervenfasern Empfindung erregt. Die Empfindungen der Geräusche werden durch plötzliche, meist schnell gedämpfte Bewegungen von vielleicht besondern akustischen Endapparaten hervorgerufen. Die Stärke [* 18] der Schallempfindung ist innerhalb
[* 2] ^[Abb.: Gewinde des Cortischen Organs (Querschnitt).] ¶
Im Brockhaus` Konversationslexikon, 1902-1910
Titel
Gehör
[* 2] (Auditus), der Sinn, durch den Menschen und Tiere den Schall (s. d.) wahrnehmen. Jede Erregung der Gehörnerven (s. Gehirn, S. 678 a) erweckt Empfindungen aus dem specifischen Empfindungkreise des Gehörsinns, sog. Schallempfindungen, die sich durchaus von allen Empfindungen der übrigen Sinne unterscheiden und von keinem andern Sinnesorgane hervorgerufen werden können. Normalerweise werden sie im Ohre erzeugt durch ¶
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Erschütterungen elastischer Körper, vor allem der Luft, deren Schwingungen durch die Vermittelung der verschiedenen Leitungsapparate des Ohrs (Trommelfell, Gehörknöchelchen, Labyrinthwasser) auf die Endapparate der Gehörnerven übertragen werden und hier je nach ihren physik. Eigenschaften entweder die Empfindung eines Klanges oder eines Geräusches erzeugen. Die Empfindung eines Klanges wird in unserm Ohr durch schnelle regelmäßige und periodische (d. h. in einem gewissen Zeitraum in genau der gleichen Weise wiederkehrende) Bewegungen eines tönenden Körpers hervorgerufen, während die Empfindung von Geräuschen durch unregelmäßige, nicht periodische Bewegungen ausgelöst wird.
Das Rollen [* 20] und Rasseln des Wagens, das Heulen des Windes, das Rauschen der Wogen sind Beispiele für die nicht periodischen Bewegungen des Geräusches, die Klänge der musikalischen Instrumente hingegen periodische Bewegungen. Der Gehörsinn, so gering sein Einfluß aus das leibliche Wohlbefinden ist, besitzt eine ganz außerordentliche Bedeutung für die gesamte geistige Entwicklung und das seelische Wohlergehen des Menschen; Gehör und Sprache [* 21] stehen in der allerinnigsten Wechselbeziehung, und wenn auch der Taubgeborene durch den Taubstummenunterricht zu einem regen Gedankenaustausch mit seinen Mitmenschen befähigt werden kann, so bleiben ihm doch durch den Mangel des Gehörvermögens eine Reihe der edelsten und reinsten Genüsse für immer verschlossen.
Das Gehörorgan (organon auditus) ist ein höchst komplizierter physik. Apparat, der zum größten Teil im Felsenbein, dem innersten und festesten Teil des Schläfenbeins, verborgen liegt und der, nach akustischen Gesetzen gebaut, die von außen auf ihn eindringenden Schallwellen sammelt und nach den akustischen Endapparaten der Gehörnerven leitet, durch deren Vermittelung sie als specifische Schalleindrücke von unserm Bewußtsein empfunden werden. Man teilt das Gehörorgan in drei Abteilungen, in das äußere, mittlere und innere Ohr ein, von denen das äußere und mittlere Ohr lediglich als schallleitender, das innere Ohr oder Labyrinth wesentlich als schallempfindender Apparat wirkt. Die erste Abteilung, der äußere Teil des Gehörorgans, wird von der Ohrmuschel und dem äußern Gehörgang gebildet, besteht in der Hauptsache aus Haut- und Knorpelgewebe und hat die Aufgabe, die Schallwellen aufzufangen, zu sammeln und dem innern Ohr zuzuleiten. Die Ohrmuschel, auch schlechtweg Ohr (auricula, s. Tafel: Das Gehörorgan des Menschen I, [* 19] Fig. 1) genannt, stellt eine muschelförmige, mit Haut überzogene und durch verschiedene kleine Muskelchen befestigte Knorpelplatte (s. Taf. I, [* 19] Fig. 1 u. 2) dar, die sich an den Seiten des Kopfes, über dem Schläfenbein, befindet und nach dem äußern Gehörgang führt.
Man unterscheidet an der Ohrmuschel mehrere wellenförmige Erhabenheiten oder Leisten und Gruben, die dem Ohr feine eigentümliche Gestalt verleihen: die Ohrleiste oder Ohrkrempe (helix, s. Fig. 2, 1), den äußersten aufgekrempelten Rand;
die Gegenleiste oder Gegenkrempe (anthelix, s. Fig. 2, 2), die weiter nach innen, parallel mit der Ohrleiste verläuft;
die Ohrecke oder vordere Ohrklappe (tragus, s. Fig. 2, 7), den abgerundeten knorpligen Vorsprung vor der Öffnung des äußern Gehörgangs, und die ihr gegenüberstehende Gegenecke oder hintere Ohrkläppe (antitragus, [* 19] s.Fig. 2, 3).
Zwischen der Ohrecke und Gegenecke befindet sich die Incisura intertragica, zwischen der Ohrleiste und der Gegenleiste
die kahnförmige Grube (fossa scaphoidea s. navicularis); die vertiefteste Stelle der Ohrmuschel zieht sich als eigentliche
Muschel (concha auris
, s. Fig. 1, 2) trichterförmig in den äußern Gehörgang
hinein. Die äußere Haut, die den Ohrknorpel überzieht, bildet am untern Ende desselben eine fettlose, blut- und nervenarme,
beutelförmige Verdoppelung, das Ohrläppchen (lobulos auriculae, s. Fig. 1, 3), das, wie die schweren
Ohrzieraten der Wilden beweisen, eine außerordentliche Ausdehnbarkeit besitzt und beim Durchstechen behufs Einbringung von
Ohrringen weder erheblich schmerzt noch blutet.
Kein Ohr eines Tieres besitzt ein Ohrläppchen, kein im Wasser lebendes Säugetier eine Ohrmuschel. An die Knorpelhaut des Ohrknorpels befestigen sich von vorn, oben und unten her kleine dünne Muskeln (ein Heber, [* 22] Vorwärts- und Rückwärtszieher des Ohrs [s. Taf. I, [* 19] Fig. 2, 3-5] und der Eck- und Gegeneckmuskel [musculus tragicus und antitragicus, für den letztern s. Taf. I, [* 19] Fig. 2, 6]), die das Ohr im ganzen bewegen können; freilich können nur wenige Menschen infolge mangelnder Übung diese Muskelchen willkürlich in Thätigkeit versetzen, während die Säugetiere diese Fähigkeit in hervorragendem Maße besitzen.
Nach innen zu setzt sich die Ohrmuschel in den äußern Gehörgang (meatus auditorius externus, s.
Fig. 1, 4) fort, einen etwa 3 cm langen, etwas gebogenen, bis zum Trommelfell reichenden Kanal, dessen äußere Hälfte eine
knorplige Grundlage besitzt, während seine innere Hälfte von dem knöchernen Felsenteil des Schläfenbeins gebildet wird.
Die Haut des Gehörgangs, die nach innen zu immer zarter und schleimhautähnlicher wird und im knöchernen
Teile fest mit der Knochenhaut verwachsen ist, enthält zahlreiche feine Wollhärchen, Talgdrüsen und den Schweißdrüsen ähnlich
gebaute Ohrenschmalzdrüsen (glandulae ceruminosae), die eine aus Fettkügelchen und Farbstoffkörnchen bestehende gelbliche
klebrige Masse, das Ohrenschmalz (cerumen auris
) absondern.
Die physiol. Bedeutung des Ohrenschmalzes ist noch nicht hinlänglich aufgeklärt; eine gewisse Menge desselben scheint für ein gutes Gehör unerläßlich, auch vermag es das innere Ohr in einem gewissen Grade vor dem Eindringen fremder Körper, besonders des Staubes und der Insekten, [* 23] zu schützen. Bei übermäßiger Ohrenschmalzbildung sammeln sich leicht festere Massen an, die sog. Ohrenschmalzpfröpfe, die den Gehörgang völlig verstopfen und Schwerhörigkeit, Ohrensausen und andere Beschwerden verursachen können.
Die Grenze zwischen dem äußern und mittlern Ohre bildet das Trommel- oder Paukenfell (membrana tympani, s. Fig. 1, 5), das die Übertragung der Schallwellen vom äußern Gehörgange auf die hinter ihm gelegene Kette der Gehörknöchelchen vermittelt und als dünne elastische, weißlich glänzende Membran von nahezu elliptischer Form in einem ringförmigen Falze des Felsenbeins befestigt ist. An der äußern, dem Gehörgang zugewandten Fläche des Trommelfells gewahrt man in der Mitte eine trichterförmige Vertiefung, den sog. Nabel, an deren innerer Fläche der Handgriff des Hammers eingewachsen ist. Das Trommelfell besteht aus verschiedenen Gewebsschichten, von denen die äußere eine Fortsetzung der Gehörgangshaut, die mittlere von festem fibrösen Gewebe, [* 24] die innere ¶
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von der Schleimhaut der Paukenhöhle gebildet ist. Nach innen vom Trommelfell liegt das mittlere Ohr oder die Pauken- oder Trommelhöhle (cavitas tympani, s. Fig. 1, 6; Taf. II, [* 25] Fig. 3,4), eine im Felsenteil des Schläfenbeins ausgehöhlte, unregelmäßig-rundliche, mit Schleimhaut ausgekleidete und lufthaltige Höhle, welche die drei Gehörknöchelchen enthält und durch die Ohrtrompete mit der Rachenhöhle, sowie nach hinten mit den lufthaltigen Knochenzellen des Warzenfortsatzes (eines rundlichen Vorsprungs am Schläfenbein, s. Taf. I, [* 25] Fig. 1, 13) zusammenhängt.
An der innern Wand der Paukenhöhle, welche dem Trommelfell gegenüber liegt und die Paukenhöhle vom sog. Labyrinth trennt, befinden sich zwei kleine, von einer dünnen und zarten Membran geschlossene Öffnungen, das ovale und das runde Fenster. Das ovale Fenster oder Vorhofsfenster (fenestra ovalis) ist eine schräg liegende, nahezu bohnenförmige Öffnung, die zum Vorhof des Labyrinths führt und durch die Fußplatte des Steigbügels verschlossen wird, während das runde Fenster oder Schneckenfenster (fenestra rotunda), das unterhalb des ovalen gelegen ist, in die Paukentreppe der Schnecke leitet und durch eine zarte fibröse Haut völlig abgeschlossen ist. Zwischen den beiden Fenstern liegt ein unebener und rauher Knochenwulst, das sog. Vorgebirge oder Promontorium.
Von dem ovalen Fenster der innern Paukenhöhlenwand zieht sich nach dem Trommelfell eine Kette kleiner, durch einen zierlichen Band- und Muskelapparat beweglich miteinander verbundener Knöchelchen, die drei Gehörknöchelchen (ossicula auditus, s. Taf. II, [* 25] Fig. 3, 6-8, und Taf. I, [* 25] Fig. 3, 1-8), hin, durch welche die Schwingungen des Trommelfells auf das Labyrinthwasser übertragen werden. Das größte und äußerste von den Gehörknöchelchen ist der Hammer (malleus, s. Taf. I, [* 25] Fig. 3, 1-3), welcher die Form einer Keule besitzt und mit seinem Stiel oder Handgriff fest mit dem Trommelfell verwachsen ist; durch seinen Kopf (Taf. II, [* 25] Fig. 3, 6) ist er beweglich mit dem zweischenkligen Amboß (incus, s. Taf. II, [* 25] Fig. 3, 7, und Taf. I, [* 25] Fig. 3, 4-6) verbunden, der von der Gestalt eines zweiwurzeligen Backzahns ist und vermittelst seines langen Fortsatzes dergestalt mit dem Steigbügel (stapes, s. Taf. II, [* 25] Fig. 3, 8, und Taf. I, [* 25] Fig. 3, 5 u. 6), dem kleinsten der drei Gehörknöchelchen, artikuliert, daß der Fußtritt des letztern in das ovale, zum Vorhof des Labyrinths führende Fenster paßt.
Die Kette der Gehörknöchelchen kann durch drei kleine quergestreifte Muskeln, die kleinsten im menschlichen Körper, bewegt werden; der Trommelfellspanner (musculus tensor tympani, s. Taf. II, [* 25] Fig., 3, 12) verläuft von der Wand der Ohrtrompete quer durch die Paukenhöhle zum Hammerhandgriff und kann durch seine Zusammenziehung das Trommelfell nach auswärts ziehen und so eine Spannung des letztern veranlassen, wogegen der Erschlaffer des Trommelfells (musculus laxator tympani), der sich vom Keilbein durch die Glaserspalte nach dem langen Hammerfortsatz erstreckt, durch seine Kontraktion das Trommelfell erschlafft; der Steigbügelmuskel (musculus stapedius) endlich entspringt von einem kleinen spitzen Knochenvorsprung der hintern Paukenhöhlenwand, setzt sich mit einer dünnen Sehne an das Steigbügelköpfchen und kann den Steigbügel dergestalt nach hinten ziehen, daß der Fußtritt desselben tiefer in das Vorhofsfenster hineingedrückt wird. Zu dem Mittelohr gehört endlich noch die Ohrtrompete oder die Eustachische Röhre (tuba Eustachii, s. Taf. I, [* 25] Fig. 1, 7, und Taf. II, [* 25] Fig. 3, 5), ein etwa 4 cm langer, mit einer engen Öffnung in der Paukenhöhle beginnender, sich trichterförmig erweiternder und gegen die Rachenhöhle verlaufender Kanal, der aus einem knöchernen, der Paukenhöhle angehörigen, und einem knorplig-häutigen Teile besteht und mit einer länglichovalen wulstigen Öffnung an der Seitenwand des obersten Rachenraums unmittelbar hinter der hintern Rachenöffnung ausmündet. Durch die Ohrtrompete, deren Rachenöffnung für gewöhnlich geschlossen ist und nur bei Schlingbewegungen sich öffnet, können Luft und Schleim aus der Rachenhöhle in die Paukenhöhle und umgekehrt gelangen, was für den normalen Verlauf der Hörfunktion von Bedeutung ist.
Die innerste und wichtigste Abteilung des Gehörorgans, das Labyrinth (Taf. I, [* 25] Fig. 1, 8-10, und Taf. II, [* 25] Fig. 3, 9-11), besteht aus mehrern höchst merkwürdig gestalteten Hohlräumen und Gängen, die sämtlich miteinander in Verbindung stehen und, im innersten Teil des sehr festen Felsenbeins eingeschlossen, so schwer darstellbar sind, daß die an Hilfsmitteln und Untersuchungsmethoden armen Anatomen des Mittelalters sie mit dem Worte «Labyrinth» abfertigten. Man pflegt ein knöchernes und ein häutiges Labyrinth zu unterscheiden. Das knöcherne Labyrinth (Taf. I, [* 25] Fig. 4) ist ein vollkommen geschlossener, ganz sonderbar geformter Hohlraum in der Felsenmasse der Schläfenbeinpyramide, der in drei untereinander in Verbindung stehende Hauptabteilungen, in den Vorhof, die drei Bogengänge und die Schnecke, zerfällt.
Der Vorhof oder Vorsaal (vestibulum, Taf. I, [* 25] Fig. 1, 8 und [* 25] Fig. 4, 4, und Taf. II, [* 25] Fig. 3, 9) bildet einen länglichen, etwa erbsengroßen Hohlraum in der Mitte des Labyrinths und liegt zwischen den Bogengängen und der Schnecke, als deren Vereinigungs- oder Ausgangspunkt er betrachtet werden kann. Nach außen grenzt er an die Paukenhöhle, von dieser nur durch eine dünne Knochenwand getrennt, in der sich das ovale und das runde Fenster befinden, und würde mit ihr in offener Verbindung stehen, wenn die Fußplatte des Steigbügels nicht das ovale Fenster verschlösse; nach innen grenzt er an den innern Gehörgang, worin der Gehörnerv liegt, nach vorn an die Schnecke, nach hinten an die Bogengänge, nach oben an den Fallopischen Kanal, worin der Gesichtsnerv verläuft. Im Vorhof bemerkt man zwei ungleiche, durch eine niedrige Knochenleiste voneinander getrennte Vertiefungen, welche die weiter unten zu beschreibenden Säckchen des häutigen Labyrinths in sich aufnehmen sowie mehrere größere und kleinere Öffnungen, welche die Verbindung mit den Bogengängen, der Schnecke und der Paukenhöhle herstellen und zum Teil für die eintretenden Gehörnervenfasern bestimmt sind.
Die Schnecke (cochlea, Taf. I, [* 25] Fig. 1, 10 und 4, 5, und Taf. II, [* 25] Fig. 1, 1-5, 2,8 und 3, 11), die sich an die vordere Wand des Vorhofs anlegt, gleicht ganz und gar, als ein spiralförmig 2 ½ mal aufgewundener Gang, [* 26] dem Gehäuse einer Gartenschnecke, nur daß der Kanal der menschlichen Schnecke durch eine teils knöcherne, teils häutige Querscheidewand, die sog. Spiralplatte (Taf. I, [* 25] Fig. 4, 6, und Taf. II, [* 25] Fig. 1, 5 u. 6 und 4, 4 u. 5), in zwei übereinander liegende Gänge oder Treppen [* 27] getrennt ist. Die obere engere und längere Treppe [* 28] oder die Vorhofstreppe (scala vestibuli, ¶