Titel
Gehirnerwe
ichung
(Encephalomalacia), Kollektivbezeichnung für sehr verschiedenartige Zustände, welche jedoch das
Gemeinsame haben, daß dabei irgend ein Hirnabschnitt seine
Textur eingebüßt hat und zu einer breiigen
Masse erweicht ist.
Man unterscheidet gewöhnlich nach einem rein äußerlichen Merkmal, nämlich dem Farbenunterschied, eine rote Gehirnerwe
ichung, welche
später zur braunen Gehirnerwe
ichung werden kann, eine gelbe und weiße Gehirnerweichung
1) Die rote
Gehirnerwe
ichung entsteht jedesmal dadurch, daß
Blut aus arteriellen
Gefäßen austritt und sich in der weichen
Substanz des
Gehirns durch
Zerreißung und Zertrümmern der nervösen
Elemente seinen
Raum verschafft.
Der so entstandene Blutherd gleicht einem roten Brei. Die Entstehungsursache der roten Gehirnerwe
ichung kann
in vielen
Fällen auf eine äußere Gewaltwirkung,
Quetschung oder Gegenschlag
(contre-coup) zurückgeführt werden, wobei dann
die
Herde in der Rindensubstanz gelegen sind, oder sie kann in der Berstung erkrankter, aneurysmatisch erweiterter oder durch
Blutgerinnsel
(emboli) verschlossener
Gefäße beruhen. Ist die
Masse des ergossenen
Bluts nicht so groß,
daß augenblicklich der
Tod in Form eines
Schlagflusses erfolgt, so verfällt der rote Brei einer Rückbildung.
Das Blut wird aufgelöst, großenteils aufgesogen, zum andern Teil in Form von körnigem, seltener kristallinischem Pigment deponiert, wodurch der Herd in eine braune Erweichung umgewandelt wird. Die nervösen Bestandteile verfallen der Fettentartung und werden gleichfalls von den Lymphgefäßen fortgeführt; die Umgebung liefert ein sparsames durchfeuchtetes Bindegewebe, womit dann die Bildung einer gelbbraunen Narbe (plaque jaune der französischen Autoren) vollzogen, der höchste Grad der Heilung erzielt ist.
2) Die gelbe hat ihren
Namen von der gelben
Farbe verfetteter Teile der Gehirnsubstanz. Zuweilen ohne nachweisbaren
anatomischen
Grund, zuweilen bei schleichend verlaufenden
Entzündungen, Verdickungen oder Verödungen von Gehirnarterien verfällt
derjenige
Bezirk, der in seiner
Ernährung auf dieses
Gefäß
[* 2] angewiesen ist, dem langsamen Gewebstod (Necrobiosis). Die
Funktion
hört auf, die abgestorbenen Teile
fallen der
Fettmetamorphose anheim, und solange dieses
Fett in Form von
sogen. Fettkörnchenzellen an
Ort und
Stelle liegen bleibt oder benachbarte Hirnabschnitte mit in den Zustand chronischer
Entzündung
hineinzieht, spricht man von gelber Gehirnerwe
ichung. Sofern sich eine
Heilung anbahnt, wird das
Fett resorbiert, es bleibt auch hier eine
Narbe zurück.
3) Als weiße Gehirnerwe
ichung bezeichnete man früher eine Auflockerung der sehr blassen
Marksubstanz, welche die Gehirnhöhlen begrenzt, wenn diese letztern mit wässeriger
Flüssigkeit
(Hydrocephalus internus)
stark angefüllt gesunden wurden. Diese Gehirnerweichung
ist aber ein nach dem
Tode durch Maceration entstehender Fäulniseffekt. Als wirklich
krankhafte weiße Gehirnerweichung
darf man wohl hin und wieder Erweichungsherde ansehen, welche ihrer
Natur nach zu den gelben
gehören, bei denen aber das
Fett nicht so butterähnlich dicht, sondern mehr milchähnlich mit
Wasser untermischt angeordnet
liegt.
Die
Symptome einer Gehirnerweichung
hängen ganz und gar
ab: a) Von ihrem Sitz. Ein
Herd im Streifenhügel bedingt
Lähmung, ein solcher im
Sehhügel Erblindung, eine Gehirnerweichung
der zweiten linken Schläfenwindung Verlust der
Sprache,
[* 3] Gehirnerweichung
der Rautengrube lähmt zuweilen auf der
Stelle
Atmung und
Herzthätigkeit, an andern
Stellen entstehen
Krämpfe, an
noch andern
Schmerzen und Verlust jeder Art höherer Seelenthätigkeit, welchem Gebiet der psychischen Leistung, dem
Willen,
der
Erinnerung etc., sie dienen mögen. b) Von der
Ausdehnung,
[* 4] den die Zerstörung erreicht hat.
Eine kleine verletzte
Stelle im linken Streifenhügel bedingt z. B.
Lähmung der rechten Gesichtshälfte;
ist der
Herd links größer, so wird der Oberarm der rechten Seite, bei totaler Zertrümmerung der linken großen
Ganglien
die ganze rechte Körperhälfte gelähmt.
Ferner kann eine kleine
Erweichung weit leichter ausheilen als eine große; die
Funktion
der einen
Region wird von einer andern mit übernommen, wie die experimentellen Untersuchungen der Physiologen
bewiesen haben. c) Von großem Einfluß ist die plötzliche oder allmähliche Entstehung der Gehirnerweichung.
Alle die zahlreichen
Fälle,
bei welchen durch Hineinfahren eines Blutpfropfes (embolus) in eine Gehirnarterie bei Herzkranken eine Zerreißung und eine
momentane Zertrümmerung von Nervensubstanz zu stande kommt, werden wegen dieser jähen
Wirkung als Schlaganfälle,
Schlagflüsse bezeichnet. Man meint hiermit eben das plötzliche und ganz unvermittelt
¶
mehr
eintretende Sympton der Lähmung ohne Rücksicht auf den Umfang dieser Lähmung oder ihre Bedeutung für das Leben des Individuums,
das vom »Schlage gerührt« worden ist. Im Gegensatz zu diesen ganz raschen, stürmischen Symptomen der embolischen roten Gehirnerweichung
bilden
sich die Lähmungen, Schmerzen oder die Seelenstörungen bei der gelben Gehirnerweichung
ungemein schleichend aus. Es
sind stets alte Leute, welche diesen Leiden
[* 6] unterliegen; sie klagen über Kopfweh, über Unbesinnlichkeit, es gehen ihnen
ganze Gruppen von Eindrücken verloren, ihre Züge werden schlaffer, Hände und Arme zittern stark und werden nach und nach gelähmt,
bis endlich die Zentralstätten für die lebenswichtigen Thätigkeiten der Atmung und der Herzpulsation
gleichfalls erlahmen und das kümmerlich flackernde Licht
[* 7] erlischt.
Einer Behandlung bietet selbstverständlich keine Art der Gehirnerweichung
einen direkten Angriffspunkt, es kann sich
immer nur um die Herz- oder Gefäßkrankheiten handeln, welche das Grundübel bilden, um eine Verhütung fernerer Gehirnblutungen
durch vorsichtigen Lebenswandel, Vermeiden aller Exzesse in Trank, Speise und körperlichen Anstrengungen
sowie geistiger Erregungen und endlich um eine Heilung der Symptome, sofern diese der Sphäre des Bewegungsapparats angehören.
Die Elektrizität
[* 8] leistet hierbei zuweilen erstaunliche Dienste.
[* 9]