Gehirnentz
ündung
(Encephalitis), die
Entzündung der eigentlichen Hirnsubstanz, ist eine verhältnismäßig seltene
Krankheit, während die
Entzündung der
Gehirnhäute (s.
Gehirnhautentzündung), die von den Laien gewöhnlich irrtümlich als
Gehirnentz
ündung bezeichnet wird, bei weitem häufiger vorkommt. Die
Entzündung der Hirnsubstanz kommt am häufigsten durch traumatische
Einwirkungen (Fall auf den
Kopf, heftiger
Schlag oder
Stoß,
Gehirnblutung) zu stande, die keineswegs mit
erheblichen Verletzungen der Weichteile verbunden zu sein brauchen; bisweilen sind die letztern vollkommen unversehrt, und
doch entwickelt sich einige Zeit nach der Einwirkung der betreffenden mechan. Schädlichkeit
eine mehr oder minder heftige Gehirnentz
ündung. Weiterhin entwickelt sich Gehirnentzündung
gar nicht so selten
aus einem vorausgegangenen Gehirnschlagfluß, wenn durch das ergossene
Blut ein
Teil der Hirnsubstanz zertrümmert
worden war, ferner in der Umgebung von
Gehirngeschwülsten, von entzündlichen Prozessen am Schädel, besonders von kariösen
Zerstörungen des Felsenbeins, im Verlaufe akuter und chronischer
Infektionskrankheiten (Pyämie, Rotz,
Typhus), sowie im Anschluß
an ausgedehntere Verstopfungen kalkig und atheromatös entarteter Hirngefäße (s.
Thrombose), worauf Gehirnentz
ündung und
Gehirnerweichung alter Leute beruht.
Die Krankheit betrifft niemals das Gehirn [* 2] in seiner Totalität, sondern ist stets auf einzelne, meist bohnen- bis faustgroße rundliche Herde beschränkt, die ihren Sitz am häufigsten in der grauen Hirnsubstanz, meist sehr nahe der Hirnoberfläche haben; gewöhnlich ist nur ein solcher Entzündungsherd vorhanden, doch finden sich auch bisweilen mehrere. Im Beginn der Krankheit erscheint die entzündete Hirnpartie geschwollen, durchfeuchtet, erweicht und durch zahlreiche kleine Blutertravasate wie rotfleckig punktiert.
Bei längerm Bestehen lockert sich die Stelle und es entsteht ein weicher, roter, sich allmählich rotbraun oder grau verfärbender Brei, der aus Trümmern von Nervenfasern, Blutkörperchen, [* 3] Körnchenzellen und feinkörnigen Exsudatmassen besteht und bei günstigem Verlauf von einer schwieligen bindegewebigen Hülle umschlossen und abgekapselt wird; der Gehirnbrei selbst wird zu einer milchartigen Flüssigkeit umgewandelt und nach und nach aufgesaugt, sodaß schließlich nur noch eine schwielige Narbe oder eine mit Serum angefüllte unregelmäßig gestaltete Höhle oder Cyste zurückbleibt. In andern Fällen dagegen ist der Verlauf ein ungünstigerer, es tritt in der erweichten Partie Eiterung und Absceßbildung ein, die zur Bildung eines mehr oder weniger umfänglichen Gehirnabscesses führt. Ein solcher Gehirnabsceß vergrößert sich entweder, bis er in eine Hirnhöhle oder unter die weichen Hirnhäute aufbricht, wodurch augenblicklicher Tod eintreten kann, oder er kapselt sich gleichfalls durch Bindegewebswucherung in feiner Wandung ab und kann so jahrelang stationär bleiben, bis er später durch eine zufällige Veranlassung sich wieder von neuem vergrößert und doch noch zum Tode führt.
Die
Symptome der Gehirnentz
ündung sind sehr verschieden und mannigfach; während man in einzelnen
Fällen bei
Leichenöffnungen ganz zufällig einen
Gehirnabsceß vorfindet, ohne daß während des Lebens auch nur die geringsten
Symptome auf ein Gehirnleiden hingewiesen hätten, wird in andern Fällen die Gehirnentz
ündung von den schwersten
und stürmischsten Krankheitserscheinungen begleitet. Freilich bieten die allermeisten dieser
Symptome durchaus nichts Charakteristisches
dar, sodaß der
Arzt aus ihnen durchaus nicht immer mit Sicherheit auf das Vorhandensein von Gehirnentz
ündung schließen
kann.
Häufig beginnt die Krankheit mit allgemeinen Neuerscheinungen, mit vermehrter oder stark verminderter Pulsfrequenz, erhöhter Körpertemperatur, Kopfschmerzen, Schwindel und Schlaflosigkeit oder unruhigem, durch schwere Träume gestörtem Schlaf, ausgesprochener psychischer Reizbarkeit, selbst leichten Delirien und übermäßiger Empfindlichkeit selbst gegen schwache Reizungen der Sinnesorgane. Führt die Entzündung zur Absceßbildung, so wird der Kopfschmerz immer heftiger und anhaltender, der Kranke klagt über beständige Übelkeit, Brechneigung und Schwindel und wird von wechselnden Zuckungen und Kontraktionen in einzelnen Muskelgruppen, selbst von epileptischen Krampfanfällen heimgesucht. Dazu pflegt sich eine auffallende Abnahme des Gedächtnisses, eine zunehmende Abstumpfung der Sinne und sämtlicher psychischer Funktionen zu gesellen; schließlich tritt Schlafsucht und Bewußtlosigkeit ein und unter fortschreitender Gehirnlähmung erfolgt der Tod.
Die
Dauer der Gehirnentz
ündung ist sehr verschieden; bald endigt sie schon nach wenigen
Tagen oder einigen Wochen mit dem
Tode, bald erst
nach einer Reihe von Jahren. Der Ausgang in Genesung ist überaus selten. Selbst bei den günstig verlaufenden
Fällen kann man nur von einer relativen
Heilung reden, da fast immer gewisse Funktionsstörungen (partielle
Lähmungen, Einbuße
der psychischen Thätigkeiten
u. dgl.) dauernd zurückbleiben. Die einzige Möglichkeit, eine
Heilung des
Gehirnabscesses herbeizuführen,
besteht in der operativen Eröffnung desselben nach vorausgehender
Trepanation des Schädels, welche freilich
nur in einer sehr beschränkten Anzahl von Fällen möglich ist. Da sich innere
Arzneimittel gegen die Gehirnentzündung
ganz nutzlos erweisen,
so besteht die
Aufgabe des
Arztes bei der Behandlung dieser
Krankheit vornehmlich darin, die Lebensweise des
Kranken angemessen
zu regeln und ihn
¶
mehr
vor allen Schädlichkeiten zu bewahren, die den Blutandrang nach dem Gehirn zu vermehren im stande sind; namentlich sorge man für ein durchaus ruhiges und schonendes Verhalten, für eine milde, reizlose, leichtverdauliche Diät, vermeide alle körperlichen, geistigen und gemütlichen Anstrengungen und Aufreizungen, sowie alle erhitzenden Getränke und Nahrungsmittel [* 5] und reguliere jederzeit sorgfältig den Stuhlgang, der erforderlichenfalls durch Klystiere oder milde Abführmittel gefordert werden muß.
Außer der eben beschriebenen Form der Gehirnentzündung
giebt es noch zwei wesentlich verschiedene, außerordentlich
schleichend verlaufende Formen dieser Krankheit, die vorwiegend die Rinde des Großhirns befallen und dauernde schwere Funktionsstörungen
zur Folge haben. Die eine mehr diffus verlaufende Form (Encephalomeningitis chronica) befällt die gesamte
Rindenschicht und führt durch entzündliche Bindegewebswucherung und Untergang der Nervenelemente, besonders der Ganglien,
zur Schrumpfung der Hirnrinde und zu einer unheilbaren Geisteskrankheit, der allgemeinen progressiven Paralyse der Irren (s.
Progressive Paralyse der Irren); die andere (Encephalitis interstitialis disseminata) ist auf zahlreiche kleine zerstreut
liegende Stellen der Hirnoberfläche beschränkt und hat die sog. Gehirnsklerose oder Gehirnverhärtung (s. d.) zur Folge.