Gehen.
Die
Mechanik des Gehens
ist, wie überhaupt die ganze physiologische Bewegungslehre, ungemein kompliziert und
kann von sehr verschiedenen
Gesichtspunkten aus betrachtet werden. Am nächsten liegt es, einen gehenden
Menschen zu beobachten,
festzustellen, wie er das
Bein aufsetzt, wie er dasselbe abstößt, welche Schwankungen dabei der
Rumpf
in horizontaler sowohl als vertikaler
Richtung macht u. dgl. m.
Eine tiefere Betrachtung geht von der Überlegung aus, daß das Gehen
aus dem Zusammenwirken einer großen Anzahl
von
Apparaten hervorgeht, und sucht die Beantwortung der zahlreichen Detailfragen in mathematischer Form zu erledigen. Die
einzelnen Mechanismen, aus denen sich der
Gang
[* 2] zusammensetzt, werden hierbei vom anatomischen und physiologischen
Standpunkt aus eingehend
untersucht. Diese Betrachtungsweise ist zu speziell, als daß sie hier näher berücksichtigt werden
könnte. -
Beim Gehen
wird der
Körper durch die abwechselnde Thätigkeit beider
Beine in horizontaler
Richtung fortbewegt; man
kann das Gehen
als ein fortwährendes
Fallen
[* 3] nach vorn auffassen, welches dadurch verhindert wird, daß das
vorwärts schwingende
Bein immer einen neuen
Stützpunkt findet.
Bei Anwendung eines
Minimums an Muskelkraft schwingt dieses
Bein nach den Pendelgesetzen nach vorwärts, und deshalb besitzt
der
Mensch unter diesen Verhältnissen eine der
Länge seiner
Beine entsprechende Schrittdauer. Durch Anwendung
von
Muskelthätigkeit kann man diesen natürlichen, durch die
Länge der
Beine bedingten
Gang bis zu einem gewissen
Grad modifizieren.
Bei dem schnellen
Gang wird die Vorwärtsbewegung der
Beine durch Muskelaktion beschleunigt; es gelingt dies aber auch dadurch,
daß man das schwingende
Pendel
[* 4] durch
Krümmung der
Beine in den
Knieen verkürzt.
Letzterer
Gang entwickelt
sich gewohnheitsmäßig bei Individuen, welche viel und rasch gehen
,
Boten,
Barbieren etc. Der
Gang des
Menschen ist wegen der
geringen Stützfläche für den
Schwerpunkt
[* 5] unsicher und muß in der Kindheit erst mühsam erlernt
werden. - Der
Gang der Vierfüßler
ist komplizierter. Im
Schritt wird bei ihnen erst der eine Vorderfuß, dann der diagonal gestellte Hinterfuß,
hierauf der andre Vorderfuß und endlich der letzte Hinterfuß bewegt.
Verschieden hiervon ist der
Paß,
[* 6] der darin besteht, daß die beiden Extremitäten einer Seite gleichzeitig bewegt werden.
Giraffen,
Kamele,
[* 7]
Elefanten gehen
naturgemäß
Paß. In gewissen
Ländern, z. B.
Südamerika,
[* 8] gewöhnt man
den
Pferden den
Paß an, weil diese
Gangart den
Reiter weniger angreift. Die
Vögel
[* 9] gehen
meistens schwerfällig und bewegen sich
vielfach hüpfend vorwärts.
Vgl. Borelli, De motu animalium (Rom [* 10] 1680, zuletzt Haag [* 11] 1743);
Gebr. Weber, Mechanik der menschlichen Gehwerkzeuge (Götting. 1836);
Duchenne, Physiologie des mouvements du pied (Par. 1856);
Pettigrew, Ortsbewegungen der Tiere (deutsch, Leipz. 1875);
Marey, La machine animale (2. Aufl., Par. 1878);
Fick, Spezielle Bewegungslehre, in Hermanns »Handbuch der Physiologie«, Bd. 1, Teil 2 (Leipz. 1879).