Gefahr
(lat. Periculum), im Rechtswesen die Möglichkeit oder die Wahrscheinlichkeit der schädlichen Folge eines zufälligen Ereignisses. Im gewöhnlichen Sprachgebrauch versteht man unter Gefahr allerdings nicht die Möglichkeit, sondern die Wahrscheinlichkeit und zwar die dringende Wahrscheinlichkeit eines schädigenden Ereignisses. In diesem Sinn ist auch im Strafrecht von Gefahr die Rede, wenn z. B. das deutsche Strafgesetzbuch (§ 54) eine im unverschuldeten Notstand begangene Handlung für straffrei erklärt, wofern dieselbe zur Rettung aus einer gegenwärtigen Gefahr für Leib und Leben des Thäters oder eines Angehörigen begangen ist. Auf der andern Seite straft das Gesetzbuch (§ 360, Ziff. 10) denjenigen mit Geldstrafe bis zu 150 Mk. oder mit Haft bis zu sechs Wochen, der, bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not von der Polizeibehörde zur Hilfe aufgefordert, keine Folge leistete, obgleich er der Aufforderung ohne erhebliche eigne Gefahr genügen konnte. Im Privatrecht und namentlich im Obligationenrecht wird indessen auch schon die Möglichkeit eines schädigenden Zufalls oder der mögliche Schade, welcher jemand zufälligerweise treffen kann, als Gefahr bezeichnet und aufgefaßt. Wesentlich ist hierbei, daß es sich um ein zufälliges Ereignis handeln muß; es darf kein Verschulden des Geschädigten vorliegen, während ein schuldhaftes Handeln dritter Personen sehr wohl unter den Begriff der Gefahr fallen kann. Übrigens wird auch das zufällige schädigende Ereignis selbst nicht selten als Gefahr bezeichnet, und in diesem Sinn wird der Ausdruck Gefahr namentlich im
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Versicherungswesen gebraucht. Bei der Seeversicherung z. B. hat der Versicherer alle Gefahren zu tragen, welchen Schiff oder Ladung ausgesetzt sind, sofern nicht Gesetz oder Vertrag Ausnahmen statuieren. Er trägt nicht nur die Gefahr der Elementarereignisse und der Seeunfälle, selbst wenn sie durch Dritte verschuldet sind, wie Strandung, Schiffbruch, Sinken, Feuer, Explosion, Blitz u. dgl., sondern auch die Gefahr des Kriegs und der Verfügung von hoher Hand, des Seeraubs, der Plünderung, der Kaperei (Revier- und Türkengefahr) und nach deutschem Seerecht auch der Baratterie, d. h. der Unredlichkeit des Schiffsvolkes.
Ebenso spricht man bei der Feuerversicherung (s. d.) von der Versicherung gegen Feuersgefahr, ebenso von der Versicherung gegen Krankheits- und Unfallsgefahr etc. Im Obligationenrecht ist die Frage vielfach von Bedeutung, mit welchem Zeitpunkt die Gefahr von dem einen auf den andern Kontrahenten übergehe, so namentlich bei dem Kauf (s. d.) die Gefahr des Unterganges oder der Verschlechterung (Deterioration) der Ware. In betreff der nach auswärts zu sendenden Waren trägt nach dem deutschen Handelsgesetzbuch (welches jedoch das bürgerliche Recht bestehen läßt, insofern es einen frühern Zeitpunkt festsetzt) der Käufer von dem Augenblick an die in welchem die Ware an den Spediteur oder Frachtführer oder die sonst zum Transport bestimmte Person übergeben wurde, wofern nichts Anderweites ausdrücklich vereinbart ist. Im Verkehr der deutschen Eisenbahnen ist reglementmäßig als Zeitpunkt der Übergabe die Abstempelung des Frachtbriefs anzusehen und hiernach der Gefahrübergang zu bestimmen.
Für den Frachtführer gilt die Regel, daß derselbe für Verlust und Beschädigung des Gutes von der Empfangnahme bis zur Ablieferung haftet, also auch für den Zufall (casus), es sei denn, daß der Schade durch höhere Gewalt (vis major, force majeur), durch die natürliche Beschaffenheit des Gutes oder durch äußerlich nicht erkennbare Mängel der Verpackung entstand. Diese auch für die Eisenbahnen geltenden Regeln hat das Betriebsreglement für die deutschen Eisenbahnen dahin präzisiert, daß die letztern für die Gefahr nicht haften, welche mit dem Transport in unbedecktem Wagen verbunden ist oder mit dem Mangel der Verpackung oder deren mangelhafter Beschaffenheit.
Sie haften ebensowenig für die besondere Gefahr, die mit der eigentümlichen natürlichen Beschaffenheit des Gutes oder mit dem Transport lebender Tiere zusammenhängt, und endlich auch nicht für eine Gefahr, deren Abwendung durch Begleitung bezweckt wird.
Vgl. Deutsches Handelsgesetzbuch, Art. 277, 324 f., 345 ff., 357, 363 ff., 395 ff., 423 ff.; Betriebsreglement für die Eisenbahnen Deutschlands vom (»Zentralblatt für das Deutsche Reich«, 2. Jahrg., Nr. 21).